Prof. Dr. Dr. K. Lauterbach Gutachten



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Transkript:

Prof. Dr. Dr. K. Lauterbach Gutachten Verblisterung von Arzneimitteln für Bewohner von Alten- und Pflegeheimen und in der häuslichen Pflege: Beschreibung und Bewertung eines Pilotprojekts (September 2004 bis Dezember 2005)

Verblisterung von Arzneimitteln für Bewohner von Alten- und Pflegeheimen und in der häuslichen Pflege: Beschreibung und Bewertung eines Pilotprojekts (September 2004 bis Dezember 2005) Endfassung Univ.-Prof. Dr. med. Dr. sc. (Harvard) Karl W. Lauterbach Dr. med. A. Gerber Dr. rer. nat. B. Stollenwerk Dr. rer. pol. M. Lüngen Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität zu Köln Gleueler Straße 176-178 50935 Köln Tel: 0221 4679 0 Fax: 0221 430 2304 Stand 15. Nov. 2006 1

1 Zusammenfassung Ein großer Teil der älteren und alten Menschen ist auf Grund von Krankheit täglich auf die Einnahme von Medikamenten insbesondere in fester oraler Darreichungsform angewiesen. Die Einhaltung von zeitlichen Einnahmevorgaben überfordert die alten bzw. pflegebedürftigen Menschen häufig, bzw. macht sie abhängig von Hilfe beim Stellen und der Einhaltung einer zeitpunktgerechten Einnahme dieser Medikamente. Auch in Pflegeheimen wird für die Medikamentenversorgung erhebliche Zeit aufgewendet, die den Bewohnern in Form von Pflege und Zuwendung zu gute kommen könnte. International wird das Problem intensiv diskutiert. Ein Schwerpunkt der Diskussion liegt in der Verbesserung der Medikamentengabe durch so genannte Blister, also patientenindividueller Verpackung der Tabletten. In Schweden werden beispielsweise mehr als 160.000 Menschen mit Blistern beliefert. Dort werden Multi-dose-Blister eingesetzt, d. h. pro Schlauchbeutel werden mehrere feste orale Darreichungsformen ausgeliefert. Die Patienten müssen zu jedem Einnahmezeitpunkt einen dieser Beutel öffnen. Auch in Dänemark wird der Einsatz von Blistern seit drei Jahren großflächig vorgenommen und evaluiert. Im vorliegenden Gutachten wurde ein Pilotversuch bewertet, der in mehreren Altenund Pflegeheimen im Saarland durchgeführt wurde. Auch im Pilotversuch wurden Multi-dose-Blister verwendet, jedoch nicht in Form von Schlauchbeuteln, sondern festen Umverpackungen (siehe Abbildung 14 auf Seite 113). Diese Form der patientenindividuellen Umverpackung von festen oralen Darreichungsformen gestattet es, dass mehrere feste orale Darreichungsformen für bis zu vier Einnahmezeitpunkte täglich in ein Fach gefüllt werden. Überprüft werden sollte in diesem Gutachten die Hypothese, dass die Verabreichung von Arzneimitteln über Wochenblister Kosten spart in folgenden Bereichen: Vollständige Nutzung aller festen oralen Darreichungsformen in einer Packung und eine damit verbundene Absenkung des Verwurfs. 2

Umstellungen auf Generika und damit verbundene Einsparungen. Weiterhin wurde anhand von Hinweisen in der Literatur untersucht, ob sich weitere Auswirkungen auf Kosten durch den Einsatz von Blistern ergeben. Dies sind insbesondere Effizienzvorteile beim Stellen der Arzneimittel im Pflegeheim und eine Verminderung in der notwendigen Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen, etwa ambulanten Arztbesuchen und/ oder stationären Leistungen. Der Pilotversuch umfasste Daten des Zeitraumes September 2004 bis Dezember 2005. Die Versorgung der Patienten mit verblisterten Arzneimitteln läuft über den Endpunkt der Studie hinweg weiter, so dass zu einem späteren Zeitpunkt auch Analysen längerer Zeiträume ergänzend durchgeführt werden könnten. Insgesamt wurden sukzessive vier Altenheime mit knapp 500 Bewohnern eingeschlossen, von denen etwa 310 Bewohner in die Auswertung eingeschlossen werden konnten. Die Versorgung der Bewohner mit den Wochenblistern nach 12a ApoG übernahmen acht Apotheken, wobei zwei Altenheime von jeweils drei Apotheken beliefert, zwei Altenheime von jeweils einer Apotheke beliefert wurden. Etwa 100 Allgemein- und Fachärzte betreuten die mit Blistern versorgten Bewohner. Für die Auswertung wurden die Verschreibungsdaten aus einem Zeitraum von bis zu neun Monaten pro Bewohner vor der Verblisterung mit einem entsprechenden Zeitraum nach Umstellung der Verblisterung in Beziehung gesetzt. Die Daten für die Arzneiverschreibungen vor Beginn der Verblisterung lagen nur von einer Krankenkasse vor. Damit konnten Daten von 181 Bewohnern (das entspricht 59% der einbezogenen Bewohner) in den Vorher-Nachher-Vergleich eingeschlossen werden. In der Auswertung wurde eine Adjustierung am Morbiditätsverlauf mit zunehmendem Alter vorgenommen. Unter diesen Annahmen ergab sich für die Krankenkassen unter der Bedingung, dass der Apothekenverkaufspreis um 2 reduziert wurde (der Betrag, der den Krankenkassen per Gesetz als Rabatt auf den Apothekenverkaufspreis gewährt wird), durch die Gutschriften eine Einsparung von 6,0% (95%-Konfidenzintervall: 0,051; 0,070, p<0,0001) des Umsatzes der verblisterbaren Medikamente durch die Verblisterung. Die Einsparung setzte sich aus den Komponenten Preisgutschrift (2,0%; 95%- Konfidenzintervall: 0,016; 0,023) und Restgutschrift (4,1%; 95%-Konfidenzintervall 3

0,032; 0,050) zusammen. Preisgutschrift bedeutet, dass die Berechnung für die günstigste Packungsgröße erfolgte. Die Abrechnung erfolgte tablettengenau. Eine Restgutschrift fällt an, wenn z. B. eine Packung wegen Umsetzung eines Medikaments nicht verbraucht wurde. Auch hier erfolgt die Berechnung tablettengenau. Eine Umstellung von Originalpräparaten auf Generika durch die Verblisterung hat keine signifikante Einsparung erbracht (Vorher-Nachher-Preisverhältnis). Verantwortlich für diesen Effekt ist unter anderem, dass im Zusammenhang mit der Verblisterung die Verschreibung von halben Tabletten auf ganze Tabletten mit der Hälfte der ursprünglichen Menge des Wirkstoffes umgestellt wurde. Verschreibungen von halben Tabletten kommen vor, um Zuzahlungen für den Patienten zu sparen, da die Tablette mit der doppelten Wirkstoffmenge oft relativ preiswerter ist. Dies bedeutet, dass durch die Verblisterung z. T. auf die DDD (Defined Daily Doses) bezogen teurere Präparate verschrieben wurden, da die Tabletten mit der halben Wirkstärke zumeist nicht zum halben Preis abgegeben werden. Im Zuge der Verblisterung ist eine Abgabe von halben Tabletten jedoch nicht möglich. Zudem erscheint die Verschreibung und Einnahme halber Tabletten auch generell zweifelhaft in einer pharmakologischen Bewertung. Wir vermuten, dass der reine Umstellungseffekt von Originalpräparaten zu Generika eine Einsparung bei den Arzneimittelkosten bewirken wird. Da aus den hier zugrunde liegenden Daten jedoch Dosierungsumstellungen und Präparatumstellungen nicht zweifelsfrei geschieden werden können, ist eine exakte Trennung der Effekte hier nicht möglich. Eine Hochrechnung der direkten Einsparungen durch Vermeidung von Restpackungen und Preiseffekte auf die deutsche Bevölkerung erfolgte unter der Annahme, dass etwa 50% der verschriebenen Medikamente nach Kostenanteil an den Gesamtausgaben der GKV verblisterbar wären. Dies entsprach etwa deren Anteil am Verschreibungsvolumen aus der Pilotstudie. Bei vollständiger Abdeckung der über 60- Jährigen, denen etwa 50% des gesamten Arzneimittelumsatzes der GKV verschrieben werden, wäre maximal eine Summe von bis zu 417 Mio. und Jahr einzusparen (Bezug: Verschreibungsvolumen der GKV 2003). Eine Literatursuche hat ergeben, dass Krankenhausaufenthalte und Notfallbehandlungen zurück gehen dürften. Insbesondere eine in Dänemark empirisch durchge- 4

führte Erhebung zu Auswirkungen der Verblisterung zeigte entsprechende Effekte. In der dänischen Studie wurden mehr als 15.000 Personen mit Arzneimittel-Blistern versorgt. Für einen Zeitraum einer Versorgung mit Blistern für sechs Monate konnte gegenüber einer 10%-Stichprobe aus der gesamten dänischen Bevölkerung eine Reduktion der Krankenhausaufenthalte und notfallmäßigen Ambulanzbesuche nachgewiesen werden. Ausgaben für Krankenhausbesuche sanken um fast 46%, Ausgaben für ambulante Besuche um 11%. Auf dieser Basis wurde eine Abschätzung vorgenommen, welche Kosten für Krankenhausaufenthalte bei den Indikationen Hypertonus, chronische Herzinsuffizienz und koronare Herzkrankheit bei der Altersgruppe der über 60-Jährigen in Deutschland durch eine Arzneimittelgabe über Blister in Altenheimen maximal vermieden werden könnte. Dies bewegt sich bei einer Reduktion der Krankenhausaufenthalte um 2% bzw. 5% allein schon für diese vier Diagnosen bei 94 Mio., wenn 46% angesetzt werden bei 870 Mio.. Auf Basis der oben zitierten Daten der dänischen Studie wären bei einer Versorgung von 1% der Bevölkerung in Deutschland etwa 560 Mio. jährliche Einsparungen für vermiedene oder verkürzte Krankenhausaufenthalte und Ambulanzbesuche erwartbar. Bei einer Versorgung von 3% der Bevölkerung könnten maximal bis zu 3,4 Mrd. jährlich eingespart werden. Die Versorgung mit Blistern für den entsprechenden Anteil an der deutschen Bevölkerung würde davon etwa minimal 144 bis maximal 432 Mio. an Ausgaben für den Anbieter einer Verblisterung kosten; ggf. entstehen weitere Kosten für die Bezahlung der Beratungsleistung der Apotheken. Da es aktuell weder national noch international eine Studie zur Fehlwurfrate von Medikamenten in Alten- und Pflegeheimen gibt, empfehlen wir die Durchführung einer solchen Studie, um damit die Auswirkung einer Veränderung der Arzneimittelversorgung durch die Umstellung auf ein Blistersystem auch quantitativ (Fehlwurfraten und Schwere der Fehler) abschätzen zu können. Damit können weitere wichtige Anhaltspunkte für eine Kosten-Nutzen-Abschätzung der Verblisterung gewonnen werden. 5

Inhalt 1 Zusammenfassung... 2 2 Hintergrund... 10 3 Grundlagen und Rahmendaten des Pilotprojekts... 11 3.1 Stand der Verblisterung in Deutschland... 11 3.2 Rahmendaten des Pilotprojektes... 12 3.2.1 Rechtlicher Rahmen... 12 3.2.2 Umfang des Pilotprojektes... 13 3.2.3 Ablauf des Pilotprojektes... 14 3.3 Ablauf des Abrechnungs- und Verteilverfahrens... 14 3.4 Durchführung der Verblisterung im Pilotversuch... 16 4 Methode der Begutachtung... 18 4.1 Kosten-Nutzen-Analyse... 18 4.2 Methodische Annahmen... 20 4.3 Methoden der statistischen Auswertung... 22 4.3.1 Kostenreduktionen durch Gutschriften und Preisdifferenz... 22 4.3.2 Wechsel von Originalpräparaten zu Generika... 23 4.3.3 Kostenveränderungen durch den Wechsel von Originalpräparaten zu Generika und durch Dosisveränderungen... 24 5 Datenerhebung und Ergebnisse... 25 5.1 Datengrundlage... 25 5.1.1 Zeitlicher Verlauf des Einschlusses der Heimbewohner in den Pilotversuch von Sept. 2004 bis Dez. 2005... 25 5.1.2 Anzahl der eingeschlossenen Heimbewohner (Stichtagsbetrachtung)... 26 5.1.3 Detaillierte Darstellung und Analyse der Verordnungen der Heimbewohner mit Einwilligungserklärung zur Teilnahme am Pilotversuch... 28 6

5.2 Sicht der Krankenkassen... 33 5.2.1 Annahmen... 33 5.2.2 Datenlieferung Krankenkassen... 33 5.2.3 Auswertung Krankenkassen... 34 5.2.4 Ergebnisse... 35 5.2.5 Detailanalyse der Veränderungen der Ausgaben für Arzneimittel durch die Verblisterung... 38 5.2.6 Bewertung des Pilotversuchs aus Sicht der Krankenkassen... 43 5.3 Sicht der Apotheken... 45 5.3.1 Annahmen... 45 5.3.2 Datenlieferung Apotheken... 45 5.3.3 Auswertung Apotheken... 45 5.3.4 Ergebnisse... 46 5.3.5 Bewertung der qualitativen Aussagen der Apotheker... 51 5.4 Sicht der Ärzte... 53 5.4.1 Annahmen... 53 5.4.2 Datenlieferung Ärzte... 53 5.4.3 Auswertung Ärzte... 53 5.4.4 Ergebnisse... 53 5.4.5 Bewertung der Befragung der Ärzte... 55 5.5 Sicht der Patienten... 56 5.5.1 Annahmen... 56 5.5.2 Datenlieferung Patienten... 56 5.5.3 Auswertung Patienten... 57 5.5.4 Ergebnisse... 57 5.6 Sicht der Alten- und Pflegeheime... 59 5.6.1 Annahmen... 59 5.6.2 Datenlieferung... 59 5.6.3 Auswertung Alten- und Pflegeheime... 60 5.6.4 Ergebnisse... 60 5.6.5 Abschließende Bewertung der Auswirkung der Verblisterung auf die Alten- und Pflegeheime... 62 7

5.7 Sicht des Anbieters der Verblisterungsleistung... 63 5.7.1 Annahmen... 63 5.7.2 Datenlieferung... 63 5.7.3 Ergebnisse... 64 6 Kosteneinsparungen in der Arzneimittelversorgung für ausgewählte Altersgruppen... 65 6.1 Verblisterung in der über 60-jährigen Bevölkerung... 65 6.2 Verblisterung in der ambulanten Pflege... 67 7 Auswirkung der Verbesserung der Arzneimittelversorgung durch Verblisterung auf der Basis nationaler und internationaler Studien... 68 7.1 Fehlwürfe in der stationären Pflege... 69 7.1.1 Die Situation in deutschen Alten- und Pflegeheimen... 69 7.1.2 Die Situation in deutschen Krankenhäusern... 71 7.1.3 Welchen direkten Nutzen haben verminderte Fehlwurfraten?... 72 7.2 Stand des Medikamentenstellens in der häuslichen Pflege... 74 7.3 Abschätzung einer Verlängerung des Verbleibs in der häuslichen Umgebung durch Maßnahmen zur Verbesserung der Medikamenteneinnahme... 75 7.3.1 Beratung durch Apotheker (vor Entlassung aus dem Krankenhaus oder per Hausbesuch)... 75 7.3.2 Einsatz von so genannten Compliance Aids (Dosetten u. a.) sowie Verblisterung... 77 8 Exkurs: Weitere gesundheitsökonomische Abschätzungen der Verblisterung in Deutschland und international und Abschätzung auf Basis einer Übertragung internationaler Daten auf Deutschland... 79 8.1 Altenheim Colditz/ Sachsen... 79 8.2 Empirische Erfahrung in Schweden und Dänemark... 81 8.2.1 Schweden... 81 8.2.2 Dänemark... 85 8

8.2.3 Verbesserung durch Verblisterung in Bezug auf die Zahl der Krankenhauseinweisungen in Großbritannien... 89 8.2.4 Quantifizierung des Einsparpotenzials auf Basis der Studie zur maschinellen Verblisterung in Dänemark und Übertragung auf Deutschland... 89 8.3 Zusammenfassung und Fazit... 92 9 Gesundheitspolitische Würdigung der Verblisterung... 93 9.1 Die Bedeutung der Probleme in der Arzneimittelversorgung oder To Err is Human... 93 9.2 Leistungsfähigkeit der Verblisterung bei der Lösung der Probleme in der Arzneimittelversorgung... 94 9.3 Die Verblisterung als Marktlösung... 95 10 Literatur... 97 11 Anhang I: Daten... 102 11.1 Darstellung der in das Pilotprojekt eingeschlossenen Altenheime... 102 11.2 Der Blister... 104 12 Anhang II: Design einer Studie zur Quantifizierung der Fehlwürfe in Alten- und Pflegeheimen... 105 12.1 Hintergrund... 105 12.2 Stellen der Arzneimittel vor der Verblisterung... 106 12.3 Planung der Studie... 106 9

2 Hintergrund Die assist Pharma GmbH, Im Holzhau 8, 66663 Merzig, hat uns den Auftrag zur Erstellung eines Gutachtens erteilt, das die wissenschaftliche Evaluation eines Pilotprojekts zur Verblisterung von Medikamenten, d. h. Verpackung in einnahmegerechten Dosen, aus gesundheitsökonomischer Sicht beinhalten soll. Vorangegangen waren Analysen zu Möglichkeiten des Einsatzes der Verblisterung in Disease-Management-Programmen und zum Stand der Verblisterung von Arzneimitteln im Ausland. Die Übertragung der bisherigen Ergebnisse auf ein konkretes Projekt in der Praxis stellte eine Herausforderung dar. Ziel war es, den medizinischen und gesellschaftlichen Nutzen sowie mögliche Auswirkungen auf die Kosten zu dokumentieren und zu bewerten. Im Zusammenhang mit der Durchführung des Projektes bestand die Möglichkeit des persönlichen Austausches mit vielen Beteiligten aus Pflegeheimen, Krankenkassen und Apotheken. Dafür möchten wir uns bedanken. Univ.-Prof. Dr. med. Dr. sc. (Harvard) K. Lauterbach, MdB Dr. med. A. Gerber Dr. rer. nat. B. Stollenwerk Dr. rer. pol. M. Lüngen 10

3 Grundlagen und Rahmendaten des Pilotprojekts 3.1 Stand der Verblisterung in Deutschland In Deutschland gibt es bisher im ambulanten Sektor bzw. im Bereich der Altenpflege nur Ansätze zur maschinellen Verblisterung. Technisch fortentwickeltere Systeme, welche neben der reinen Verblisterung auch eine Qualitätskontrolle, Ablaufoptimierung und Kostenüberwachung ausüben können, existieren nicht. Beispiele sind jedoch im Ausland zu finden, u. a. in Schweden. 1 In Deutschland ist die Anwendung der Verblisterung bisher auf Insellösungen mit geringer Ausbautiefe beschränkt. So bieten einzelne Apotheken Pflegeheimen an, deren Bewohner mit verblisterten Medikamenten zu beliefern. Diese Serviceleistung bedeutet eine Erleichterung der Arbeitsabläufe im Altenheim, ist zum Teil jedoch durch manuelle Umsetzung gekennzeichnet und entsprechend mit der Gefahr ähnlich hoher Fehlerquoten beim Stellen der Medikamente wie in den Pflegeheimen selbst verbunden. In einigen Apotheken werden aber schon entsprechende Maschinen eingesetzt, wie sie auch im Ausland, z. B. Kanada, gebräuchlich sind. Des Weiteren gibt es im akutstationären Sektor erste Ansätze zu einer Umstellung auf eine Versorgung durch ein Unit-dose-System in deutschen Krankenhäusern. Eine Publikation über das Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf stellt dar 2, dass durch neuartige Technik und die Reorganisation des Versorgungsprozesses... Materialverbrauchskosten gesenkt, Personalkosten reduziert und Medikationsfehler vermieden werden [können]. 3 Dabei zeigt sich, dass Unit-dose-packaging häufig gekennzeichnet ist durch eine zentrale Position eines Krankenhausapothekers. 1 Lauterbach K, Gerber A, Lüngen M (2004) Internationale Erfahrungen mit der Verblisterung von Arzneimitteln. Gutachten im Auftrag der assist Pharma. Merzig: März/ April 2004. 2 Baehr M, Giebe T, Jahnke C, Schulz S (2004) Künftige Versorgungsstrategien für Arzneimittel. Krankenhauspharmazie 25: 438-42. 11

Als Hemmnisse auf dem Weg zu einer Verblisterung werden in diesem Zusammenhang oftmals folgende Gründe angeführt: Eine Belieferung mit patientenindividuellen Blistern ist aus Zeit- und Organisationsgründen für eine Lieferapotheke schwierig, denn damit muss auch ein Wochenenddienst etabliert werden. 4 Auch die bauliche Gestaltung eines Krankenhauses (mehrere Betriebsteile oder ausgedehnte Pavillonbauweise) kann ein Unit-dose-System behindern. Vor diesem Hintergrund stellt die Versorgung von Altenheimbewohnern und/oder vor allem von chronisch Erkrankten eine empfehlenswerte Gruppe von Patienten dar, um die Vorteile der Verblisterung abzuschätzen. Besonders geeignet für die Verblisterung sind die Medikamente dieser Patienten, da sie in der Regel über Monate eine feststehende Medikation erhalten. 5 Auf Grund der Vielfachmedikation muss eine Vielzahl von Interaktionen zwischen Medikamenten abgeprüft werden. Somit sind gerade die Betreiber von Altenheimen für eine Unterstützung bei der Medikamentengabe besonders empfänglich. 3.2 Rahmendaten des Pilotprojektes 3.2.1 Rechtlicher Rahmen Das Pilotprojekt ist vergleichbar einem Modellvorhaben nach 63 SGB V, durchläuft jedoch nicht dessen Abstimmungs- und Genehmigungsprozess. Die Vorteile 3 Ebd. 438. 4 Mündliche Berichte anlässlich des Dritten Deutschen Unit-dose-Symposiums (Mai 2006 in Neuss) von Jürgen van Gessel, Zentrum für Klinische Pharmazie, Bottrop, sowie von anderen Krankenhausapotheken, u. a. Städtische Kliniken Bielefeld. 5 Auf die Fragen der angemessenen Begrifflichkeit compliance, adherence, concordance oder deutsch ggf. Einnahmetreue sowie des dahinter stehenden Konzepts der Arzt-Patienten-Beziehung gehen wir im Rahmen dieses Gutachtens nicht ein. Wir sind uns der Diskussion um die Ausgestaltung des Arzt-Patienten- Verhältnisses zwischen Paternalismus, informed consent und shared decision making und auch der Frage, ob und wie Verblisterung hier einzuordnen ist, bewusst. Eine weiter gehende Reflexion würde den Rahmen des vorliegenden Gutachtens sprengen, somit können wir nur das Problembewusstsein anzeigen und auf andere wissenschaftliche Literatur verweisen, z. B. Bernardini J (2004) Ethical issues of compliance/adherence in the treatment of hypertension. Adv Chron Kidney Dis 11. 222-27. 12

liegen in der höheren Flexibilität und dem schnelleren Beginn. Die wissenschaftliche Evaluation erfüllt die Ansprüche an eine Begleitung eines Modellvorhabens nach 63 SGB V. Auch muss das zu evaluierende Pilotprojekt die gleichen Anforderungen erfüllen wie ein vergleichbares Modellvorhaben, nämlich die Verbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Versorgung [...] zur Weiterentwicklung der Verfahrens-, Organisations-, Finanzierungs- und Vergütungsformen der Leistungserbringung ( 63 Absatz 1 Satz 1 und 2 SGB V). Es handelt sich auch um eine Leistung, die bisher nicht von den Krankenkassen zugelassen worden ist ( 63 Absatz 2 SGB V). 3.2.2 Umfang des Pilotprojektes Nach Vorgabe der assist Pharma umfasste das Pilotprojekt zunächst folgende Rahmendaten: Beginn des Pilotprojektes mit einem Alten- und Pflegeheim mit etwa 150 Bewohnern zum 1. September 2004. Nachfolgend Einschluss von zwei weiteren Alten- und Pflegeheimen. Alle drei Alten- und Pflegeheime haben zusammen insgesamt rund 500 Bewohner. Seit Herbst 2005 wurde ein viertes, neu eröffnetes Alten- und Pflegeheim eingeschlossen. Die Daten zu den verschriebenen Arzneimitteln aller Bewohner, die in das Pilotprojekt aufgenommen wurden, wurden mindestens bis Ende 2005 in die Untersuchung aufgenommen. Ansprache der von den Bewohnern angegebenen behandelnden Ärzte (Hausärzte und Fachärzte). Es handelte sich pro Altenheim um bis zu 50 Vertragsärzte, da u. a. Bindungen mit langjährigen Hausärzten bestanden oder verschiedenste Fachärzte hinzugezogen wurden. Beteiligung der Lieferapotheken der Altenheime an der Distribution. Es handelte sich um sieben Apotheken, die entsprechend 12a ApoG die Heimversorgung übernommen haben. Mit dem vierten Alten- und Pflegeheim ist eine achte Apotheke dazu gekommen. Umstellung der Arzneimittelvorhaltung im Pflegeheim. Alle verblisterungsfähigen, im Altenheim bevorrateten Medikamente der Bewohner wurden nach Einschluss der Bewohner in das Pilotprojekt eingesammelt, dokumentiert und ver- 13

nichtet. Der wertmäßige Betrag wurde den Krankenkassen beziehungsweise Bewohnern (Zuzahlung) gutgeschrieben. Die Beendigung des Pilotprojektes ist mit der Aufnahme des Vertriebs geplant. Die in diesem Gutachten vorgenommene Auswertung bezieht sich auf die Pilotphase von September 2004 bis einschließlich Dezember 2005. 3.2.3 Ablauf des Pilotprojektes Konkret ausgewählt wurden drei von 22 Alten- und Pflegeheimen der Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Saarland, bzw. im Herbst 2005 noch ein viertes neu gegründetes. Tabelle 1: Eingeschlossene Alten- und Pflegeheime, Datum des Einschlusses und zugehörige Zahl der Apotheken Heim mit Anzahl der Datum des Einschlusses Anzahl Apotheken Bewohner, die am Pilotversuch teilnehmen (Stand Mai 2006) Ca. 100 Bewohner sukzessive 1.9.2004 1 bis Ende 2004 Ca. 110 Bewohner sukzessive 1.10.2004 3 bis Ende 2004 Ca. 80 Bewohner sukzessive Bis Ende 2004 3 bis Ende 1. Quartal 2005 Aktuell 17 Bewohner Ab Herbst 2005 1 (Stand Mai 2006) (Neueröffnung) 4 Heime: 307 Bewohner Ende 2005 8 Quelle: Eigene Darstellung nach Daten von assist Pharma. 3.3 Ablauf des Abrechnungs- und Verteilverfahrens Die Modifizierung des Abrechnungsverfahrens und der logistischen Verteilung der Arzneimittel ist wesentlicher Bestandteil des Pilotprojektes: (siehe Abbildung 1) 1. Der behandelnde Arzt erhielt Kenntnis darüber, welche Substanzen und zugehörigen Arzneimittel im Rahmen der Verblisterung verfügbar sind. Ein Opting-out im Sinne einer Verschreibung von nicht auf der Liste verfügbaren Arzneimitteln war zu jeder Zeit möglich. Die substanzgleiche Verabreichung durch Entschei- 14

dung des Apothekers war auch außerhalb der Verblisterung bereits möglich. Nicht in fester oraler Darreichungsform verfügbare Arzneimittel sind generell von der Verblisterung ausgenommen. 2. Die eingeschlossenen Apotheken kennzeichneten auf den Rezepten, welche verblisterungsfähigen Arzneimittel für die Bewohner verschrieben wurden. Die nicht verblisterungsfähigen Arzneimittel wurden von den Apotheken im herkömmlichen Verfahren an die Alten- und Pflegeheime bzw. Patienten ausgegeben. Dazu gehörten Tropfen, Salben etc. Außerdem gab es auch per se verblisterungsfähige feste orale Darreichungsformen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in die Verblisterung aufgenommen wurden. Gründe sind u. a. private Bezahlung, Bestehen des Arztes auf Teilung der Tabletten höherer Stärke, Seltenheit der Verordnung oder ein nicht mit der Verblisterung abbildbarer Verordnungsrhythmus. Hierbei wird häufig das Beispiel Madopar zur Einstellung des Morbus Parkinson genannt, das auf Grund der On-off-Symptomatik auch mehr als sechs Mal täglich in kleinen Dosen eingenommen werden kann. 3. Kopien der Rezepte mit Kennzeichnung wurden von den Apotheken per Fax an die assist Pharma weiter geleitet. assist Pharma erstellte den Blister und lieferte an festen Tagen einmal wöchentlich an die Apotheken, die dann das Alten- und Pflegeheim beziehungsweise die Bewohner belieferten. Die Abrechnung der verblisterten Arzneimittel erfolgte von assist Pharma unmittelbar mit den Apotheken. Der Festaufschlag nach der Arzneimittelpreisverordnung verblieb bei den Apotheken, auch wenn z. B. die Therapie abgebrochen wurde. Dieses Vorgehen entspricht dem Status quo. assist Pharma lieferte und rechnete mit dem nach dem Apothekenlieferpreis günstigsten Tabletteneinzelpreis des im Pilotversuch eingesetzten Präparats ab. Die Abrechnung erfolgte tablettengenau. Dies bedeutete, dass entgegen dem derzeitigen Verfahren der Verwurf durch angebrochene Packungen keinen wirtschaftlichen Schaden verursacht. Einzig die Tabletten aus Blistern, deren Inhalt bei einer sofort vorzunehmenden Veränderung der Verschreibung oder bei Versterben von Bewohnern noch nicht verbraucht war, konnten nicht erstattet werden. Im Nachgang konnten Kosten von den Apotheken an die Krankenkassen rückerstattet werden, die durch nicht verbrauchte Medikamente aufgrund von Therapieumstel- 15

lungen oder durch unterschiedliche Preise aufgrund der Packungsgröße entstanden waren. Es konnten nur Patienten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) an dem System teilnehmen. Für Privatpatienten gibt es noch keine entsprechende Software zu Rechnungsstellung und Gutschrift. Zum Teil konnten einzelne privat bezahlte Rezepte in Blistern berücksichtigt werden. Beispiele sind u. a. Arzneimittel wie Alpha- Liponsäure, Celticon, die durch das GKV-Modernisierungsgesetz seit Beginn 2004 von der Erstattung ausgenommen worden sind. Abbildung 1: Skizze des Ablaufs der Kommunikation Rechnungsstellung auf Basis Einkaufspreis Apotheke assist Pharma Rezeptkopie mit Blister- Kennzeichnung Blister Zahlung und Rückerstattung Rechnung Rezept Apotheke Blister Krankenkassen Heimbewohner Quelle: Eigene Darstellung. 3.4 Durchführung der Verblisterung im Pilotversuch Im Pilotprojekt wurde eine Mischung aus händischen und maschinellen Verfahren eingesetzt. Die Entblisterung erfolgte zum Teil per Hand. Zur Verblisterung wurde 16

eine zumeist in Krankenhäusern eingesetzte Verblisterungsmaschine für Schlauchbeutel eingesetzt, die mit bis zu 400 Präparaten befüllt werden konnte. Die Umsortierung in Wochenblister sowie die Kontrolle der fertigen Blister erfolgte per Hand und wurde anschließend zweifach kontrolliert (Bestätigung per Unterschrift). Zur Evaluation des Pilotversuchs wurde angenommen, dass eine 100%-ige Sicherheit vor Fehlwürfen besteht. assist Pharma plant nach eigener Darstellung, mittels Vollautomatisierung ab Mitte 2007 ca. 100.000 Blister pro Tag herstellen zu können. Die Arzneimittel werden als Fertigarzneimittel angeliefert und ggf. maschinell entblistert. Die Erstellung der patientenindividuellen Blister wird vollautomatisch erfolgen. Kontrollen der Verblisterung im Sinne der Validierung sollen durch eine NiR-Prüfung aller Medikamente, das ist eine Überprüfung auf die richtige Befüllung mittels Infrarotstrahlung, beim Einfüllen in einen Streifenblister erfolgen, der als Zwischenschritt hergestellt wird, um dann damit die eigentliche Verblisterungsmaschine zu befüllen. Im Endstadium ist nach Angaben von assist Pharma auf Grund der Kontrollen von einer Sicherheit vor Fehlwürfen nahe 100% auszugehen. 17

4 Methode der Begutachtung 4.1 Kosten-Nutzen-Analyse Kosten-Nutzen-Analysen sind ein im gesundheitsökonomischen Bereich etabliertes Evaluationsverfahren. 6 Im Gesundheitswesen gehen Qualitätsveränderungen, d. h. sowohl Verbesserungen als auch Verschlechterungen, in der Regel mit Kostenveränderungen einher. Beide Effekte müssen weder gleichgerichtet noch proportional in der Stärke des jeweils anderen Effektes verlaufen. Kosten-Nutzen-Analysen helfen, beide Größen zusammen zu führen. Um überdies einem Kostenträger oder der Gesellschaft neben anderen Kriterien wie medizinischem Nutzen, sozialen Folgen, ethischen Fragestellungen auch ein ökonomisches Urteil über die Einführung eines neuen Verfahrens zu ermöglichen, wurde das Verfahren der Kosten-Nutzen-Analyse entwickelt. Die Kosten-Nutzen-Analyse im weiteren Sinne lässt sich wiederum in mehrere Verfahren aufteilen. Auf Grundlage einer Kosten-Minimierungs-Analyse (costminimalization-analysis), die sich z. B. nur durchführen lässt, wenn für zwei Medikamente eine Studie vorliegt, die die Fragestellung, ob beide dasselbe leisten, positiv beantwortet, kann nur entschieden werden, ob ein Medikament bei gleicher Wirkung und Wirksamkeit ggf. billiger ist. Grundsätzlich wäre im Ansatz auch eine Kostenminimierungsanalyse denkbar, wenn die Fragestellung darin bestünde, ob Verblisterung bei gleicher Qualität der Versorgung Kosten senken könnte. Da zum einen aber auch eine Qualitätsverbesserung erreicht wird und zum anderen gerade die Qualitätsverbesserung ihren Effekt an den Patienten zeigen soll, eignet sich das Verfahren der Kostenminimierungsanalyse nicht für das vorliegende Pilotprojekt. 6 Gold MR, Russel LB, Siegel JE, Weinstein MC (1996) Cost-Effectiveness in Health and Medicine. Oxford: Oxford University Press. 18

Ein weiteres Verfahren ist die Kosten-Effektivitäts-Analyse (cost-effectivenessanalysis): Es wird z. B. untersucht, ob verschiedene Verfahren zur Senkung des Blutdrucks Unterschiede in den Kosten aufweisen. Im Zähler würde man Kosten einsetzen, im Nenner die (durchschnittlich erreichte) Blutdrucksenkung, gemessen in mm Hg und berechnet als Differenz zum durchschnittlichen Wert zu Beginn der Studie. Vorteil ist die objektive Messung, Nachteil aber die geringe Vergleichbarkeit mit anderen Verfahren, die dann alle eine unterschiedliche Einheit im Nenner aufweisen würden (z. B. Veränderung beim Diabetes mellitus in Glucose mmol/l). Für das vorliegende Pilotprojekt kommen diese Verfahren also nicht in Frage. Daher kann geprüft werden, ob eine Kosten-Nutzwert-Analyse (cost-utility-analysis) oder eine Kosten-Nutzen-Analyse im engeren Sinne (cost-benefit-analysis) angewendet werden können. Bei ersterer werden die Kosten auf einen Gewinn an Lebensqualität, ausgedrückt durch die Einheit QALY (quality adjusted life year), bezogen. Bei letzterer wird auch der Nutzen in Geldeinheiten bewertet. Beide Alternativen schieden auf Grund der Datenlage jedoch aus. Lebensqualitätsdaten waren infolge einer Verblisterung, insbesondere in Altenheimen, nicht im durch die üblichen Verfahren messbaren Umfang zu erwarten. Viele Effekte der Verblisterung sind nicht direkt in geldwerte Äquivalente zu überführen. Zudem müsste die Berechnung des Nutzens in Geldeinheiten auf die Erhebung der Lebensqualität rekurrieren, so dass das Problem der cost-utility-analysis wieder auftauchte. Durchgeführt wurde daher eine Kosten-Folgen-Analyse (cost-consequenceanalysis) 7, ein insbesondere bei pharmakoökonomischen Fragestellungen üblicherweise angewandtes Verfahren (z. B. Mauskopf et al, Wimo). 8 Dabei werden die Ressourcen an Lebenszeit und Kosten (u. a. z. B. Nutzung von Gesundheitsleistungen wie Krankenhaus, Medikamente, Arztbesuche) den Ergebnissen (u. a. verbesserte Versorgungsleistung, geringere Fehlerrate, Lebensqualität) in tabellarischer Form gegenübergestellt, aber nicht als Quotient (ratio) wie bei den klassischen Kosten- 7 Drummond MF, Sculpher MU, Torrance GW, O Brien BJ, Stoddart GL (2005) Methods for the Economic Evaluation of Health Care Programmes. Oxford: Oxford University Press, 3. 8 Mauskopf JA, Paul JE, Grant DM, Stergachis A (1998) The role of costconsequence analysis in healthcare decision-making. Pharmacoeconomics 13: 277-88. Wimo A (1999) Pharmakoökonomische Aspekte der Alzheimer-Krankheit und ihrer Behandlung. Alzheimer Insights Juli 1999: 3-7. 19

Nutzen-Analysen aufgestellt. Damit können für die Entscheidungsträger eine Vielzahl denkbarer Kosten und Konsequenzen dargestellt und überschaut werden. So wird auch dem Ziel des Gutachtens Rechnung getragen, Kostenträgern die Entscheidung für die Einführung der Verblisterung anhand der Übersicht über Kosten und Konsequenzen konkret nachvollziehbarer zu machen, als es ein abstrakter Quotient leisten könnte. Zur Bewertung von Alternativen werden in der Regel keine absoluten Ausprägungen betrachtet, sondern Änderungen gegenüber dem Ausgangszustand beziehungsweise zwischen den Alternativen. Dies wird mit einer inkrementellen Betrachtung umschrieben. 4.2 Methodische Annahmen Die Annahmen orientieren sich an den Vorgaben zur Durchführung von gesundheitsökonomischen Studien: 9 Studiendesign: Die Studie konnte nicht als randomisierte kontrollierte Studie konzipiert werden. Dem standen die Sichtbarkeit der Verblisterung und die mangelnde Verfügbarkeit einer Kontrollgruppe entgegen. Daher wurde eine Kohortenstudie als eine in die Zukunft gerichtete Beobachtungsstudie mit der Betrachtung von zwei Zeiträumen gewählt. Die Zeiträume umfassen jeweils mindestens neun Monate vor und nach dem Start der Verblisterung für den individuellen Patienten. Dieses Studiendesign ist nicht frei von Einschränkungen. So ist nicht kontrollierbar, welche Einflüsse außerhalb der Einführung der Verblisterung Auswirkungen auf Mengen und Preise hatten, beispielsweise Bevorratung, Gesetzesänderungen oder nicht-zufällige Umstellungen von Medikationen. Gerade bei Altenheimbewohnern konnte die Tatsache, dass der Fortgang einer Erkrankung zu höheren Ausgaben führen könnte, die unabhängig von der Verblisterung entstehen, zu einer Verzerrung der 9 Drummond MF, Jefferson TO (1996) Guidelines for authors and peer reviewers of economic submissions to the BMJ. BMJ 313: 275-283. Moher D, Schulz KF, Altmann D (2001) The CONSORT Statement: Revised Recommendations for im- 20

Ergebnisse führen. Daher wurden Standardisierungen gemäß dem Alter und dem damit verbundenen Morbiditätsfortschritt der Kohorte im Untersuchungszeitraum vorgenommen. Die Beobachtung des zu untersuchenden Kollektivs über einen längeren Zeitraum kann bei Pflegeheimbewohnern durch eine Veränderung der Zusammensetzung der Kohorte auf Grund von Versterben gekennzeichnet sein. Eingenommene Sichtweise: Es wurden die Sichtweisen der Krankenkassen, Apotheken, Vertragsärzte, Patienten, Pflegeheime sowie des Anbieters der Verblisterungsleistung eingenommen. Damit wurde eine umfassende Abdeckung der Sichtweisen erreicht. Messung der Kosten und Datensammlung: Die Kostendaten wurden im wesentlichen von der assist Pharma und von einer Krankenkasse bereit gestellt und als Prozessdaten während des Prozesses der Verblisterung gesammelt. Einbezogen wurden alle direkten Kosten, die mit der medizinischen Arzneimittelversorgung zu tun haben, u. a. auch Zuzahlungen der Patienten. (vgl. dazu Schnell 2004 und Kurscheid 2004). 10 Indirekte Kosten wurden nicht berücksichtigt. Art der ökonomischen Analyse: Es wurde eine Kosten-Folgen-Analyse (costconsequence-analysis) durchgeführt, das heißt einer umrissenen Intervention wurden in verschiedenen Dimensionen die Auswirkungen gegenüber gestellt. Costconsequence-Analysen erlauben aufgrund der tabellarischen Darstellung verschiedenster Kosten- und Nutzenabgrenzungen eine leichtere Interpretation der Ergebnisse. Kosten- und Mengeneffekte wurden getrennt ausgewiesen. Der Zeithorizont erstreckte sich auf die Zeitdauer der Datenerhebung. Jeder Patient sollte für neun Monate in proving the quality of reports of parallel-group randomized trials. JAMA 285: 1987-1991. 10 Schnell G (2004) Methoden gesundheitsökonomischer Studien. In: Lauterbach KW, Schrappe M: Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evidence-based Medicine. Eine systematische Einführung. Stuttgart: Schattauer, 2. Aufl.: 155-59. Kurscheid T (2004) Formen gesundheitsökonomischer Studien. In: Lauterbach KW, Schrappe M: Gesundheitsökonomie, Qualitätsmanagement und Evidence-based Medicine. Eine systematische Einführung. Stuttgart: Schattauer, 2. Aufl.: 183-189. 21

die Beobachtung eingeschlossen werden, so dass sich das Ende der Datenerhebung bei unterschiedlichen Rekrutierungszeitpunkten für einzelne Patienten nach hinten schob. Die Ergebnisse wurden auf einen Zeitraum von zwölf Monaten extrapoliert. Eine Diskontierung erfolgte nicht. 4.3 Methoden der statistischen Auswertung Alle statistischen Auswertungen wurden mit dem Programmpaket R, Version 2.1.0 durchgeführt. 11 4.3.1 Kostenreduktionen durch Gutschriften und Preisdifferenz Es wurde berechnet, welcher Kostenanteil durch Gutschriften aus Restmenge und aus Preisdifferenz vermieden werden konnte. Dazu wurde die Summe der Gutschriften durch die Kosten geteilt, die der Krankenkasse ohne Gutschriften entstanden wären. Pro Person wurden die Gutschriften (getrennt nach Preisdifferenz und Restmenge) und die Kosten für verbrauchte Medikamente während der Verblisterung bestimmt. Es wurde berechnet, welche Kosten der Krankenkasse entstanden wären, wenn die Patienten nicht an der Verblisterung teilgenommen hätten. Dazu wurde zunächst die für den Evaluationszeitraum relevante Menge jedes Medikaments für jeden Patienten bestimmt. Sie setzte sich zusammen aus der tatsächlich verbrauchten Menge und der Restmenge. Der pro Einheit der festen oralen Darreichungsform relevante Preis wurde bestimmt. Dazu wurden vom Apothekenverkaufspreis der verordneten Packung 2 abgezogen, da dieser Betrag den Krankenkassen pauschal gutgeschrieben wird. Dieser reduzierte Preis wurde durch die Stückzahl der Packung geteilt. Dieser Preis pro Einheit wurde mit der oben bestimmten Anzahl 11 R Development Core Team (2005) R: A language and environment for statistical computing. R Foundation for Statistical Computing, Vienna, Austria. ISBN 3-900051-07-0 (http://www.r-project.org). 22

relevanter Einheiten multipliziert, so dass sich die (vor der patientenindividuellen Verblisterung) relevanten Medikamentenausgaben ergaben. Wurden die Gutschriften durch die Medikamentenkosten geteilt, so resultierte der Anteil der aus der Perspektive der Krankenkassen vermeidbaren Kosten. Dieser Anteil wurde getrennt für Gutschriften aus Restmenge, für Gutschriften aus Preisdifferenz sowie für Gutschriften insgesamt berechnet. Um die Unsicherheit dieser Anteile abschätzen zu können, wurden mit Hilfe des Bootstrap-Verfahrens 12 approximative 95 %-Konfidenzintervalle bestimmt. Es wurden Patienten aus dem ursprünglichen Datensatz gezogen, wobei folgendes Verfahren angewandt wurde: Wenn die Daten eines der Patienten nach einem Zufallsprinzip gezogen worden waren, wurde der Datensatz wie ein Ball, der zuvor aus einer Urne genommen worden war, wieder zurückgelegt. So wurden 1.000 Datensätze simuliert, die alle denselben Umfang des ursprünglichen Datensatzes besitzen. Für jeden dieser Datensätze wurden die gesuchten Statistiken, d. h. die Anteile bestimmt und das 2,5 %-Quantil sowie das 97,5 %- Quantil als untere bzw. obere Grenze des Konfidenzintervalls gewählt. 4.3.2 Wechsel von Originalpräparaten zu Generika Es sollte geprüft werden, ob durch die Verblisterung signifikant häufiger Generika an Stelle von Originalpräparaten verschrieben werden. Dazu wurde auf Basis der Verschreibungen (Originalpräparat versus Generikum) aller AOK-versicherten Studienteilnehmer eine Vierfeldertafel mit den Bezeichnungen Vorher bzw. Nachher als Spalten und Original bzw. Generikum als Zeilen erstellt. Die Zuordnung erfolgt über den Hersteller. Importe wurden dabei als Originalpräparate gewertet. Es wurden die relativen Risiken, die Odds Ratios sowie die zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeiten bestimmt, dass ein Originalpräparat verschrieben wurde. 13 In diese Berechnung flossen nur die Medikamente ein, deren ATC-Code zu den ATC-Codes der derzeit patientenindividuell verblisterten Medikamenten gehören. 12 Efron B und Tibshirani RJ (1993) An Introduction to the Bootstrap. Monographs on Statistics and Applied Probability 57. New York, London: Chapman & Hall. 13 Schumacher M und Schulgen G (2002) Methodik klinischer Studien. Berlin, Heidelberg: Springer. 23

4.3.3 Kostenveränderungen durch den Wechsel von Originalpräparaten zu Generika und durch Dosisveränderungen Als Datengrundlage dienten Krankenkassendaten aller Versicherten mit Datenlieferung der Krankenkasse. Es wurden nur Verschreibungen solcher ATC-Codes berücksichtigt, die bei der personenbezogenen Verblisterung verblistert wurden. Jeder PZN wurde der Apothekenverkaufspreis vom 1.1.2006 zugeordnet. Pro ATC- Code wurde auf dieser Grundlage der durchschnittliche Preis pro DDD für die Szenarien mit und ohne Verblisterung bestimmt. Für jeden ATC-Code wurde über alle Versicherten die insgesamt verschriebene Menge an DDD bestimmt. Diese wurde einmal für das Szenario ohne Verblisterung und einmal für das Szenario mit Verblisterung mit dem durchschnittlichen Preis pro ATC-Code pro DDD multipliziert. Die so errechneten Kosten wurden für beide Szenarien über alle ATC-Codes aggregiert. Es wurde der Faktor bestimmt, um den sich die so errechneten Kosten im Szenario mit Verblisterung zum Szenario ohne Verblisterung unterscheiden. Es wurde angenommen, dass sich dieser Faktor aus zwei Komponenten 14 zusammensetzt: Erstens dem Wechsel von Herstellern, z. B. dem Wechsel von Originalpräparaten auf Generika, und zweitens den potentiellen Dosisveränderungen in der Verschreibung, da z. B. keine halben Tabletten verblistert wurden. Um den Effekt der Dosisveränderung zu quantifizieren, wurde die oben beschriebene Analyse in dergestalt veränderter Form wiederholt, dass sich die Preise pro DDD zusätzlich auf die jeweilige Dosierung bezogen. Der Effekt durch den Wechsel von Herstellern wurde quantifiziert, indem der Gesamteffekt durch den Effekt der Dosisveränderung geteilt wurde. Konfidenzintervalle der einzelnen Effekte wurden mit Hilfe des Bootstrap-Verfahrens bestimmt. 15 14 Hat eine der beiden Komponenten keinen tatsächlichen Effekt, so bezieht sich der geschätzte Effekt ausschließlich auf die andere Komponente. Das heißt wird ein Effekt als nicht signifikant betrachtet, so erübrigt sich die Unterteilung des Effekts. 15 Efron B und Tibshirani RJ (1993) An Introduction to the Bootstrap. Monographs on Statistics and Applied Probability 57. New York, London: Chapman & Hall. 24

5 Datenerhebung und Ergebnisse Nachfolgend werden gewählte Kosten- und Nutzenindikatoren der konkret erhobenen Daten sowie der ermittelten Ergebnisse dargestellt und bewertet. Die Abfolge ergibt sich aus den gewählten Sichtweisen. 5.1 Datengrundlage 5.1.1 Zeitlicher Verlauf des Einschlusses der Heimbewohner in den Pilotversuch von Sept. 2004 bis Dez. 2005 Tabelle 2: Anzahl der ausgelieferten Wochenblister von September 2004 bis Dezember 2005 Jahr Kalenderwoche Anzahl Wochenblister 2004 36 22 38 30 40 70 42 95 44 144 46 174 48 190 50 200 52 212 2005 1 235 5 279 10 302 30 313 50 313 Quelle: Eigene Darstellung nach Daten assist Pharma. Der Verlauf zeigt den Anstieg der Zahl der ausgelieferten Wochenblister. Initial wurden knapp über 20 Bewohner mit Wochenblistern versorgt. Nach acht Wochen waren es 144, nach 16 Wochen 212. Die derzeitige Anzahl von etwa 300 bis 320 Wochenblistern wurde nach etwa einem halben Jahr erreicht. 25

Abbildung 2: Gelieferte Wochenblister im Pilotprojekt 350 300 250 Anzahl der Wochenblister 200 150 100 50 0 36 38 40 42 44 46 48 50 52 1 5 10 30 50 Kalenderwoche Quelle: Eigene Darstellung nach Daten von assist Pharma. 5.1.2 Anzahl der eingeschlossenen Heimbewohner (Stichtagsbetrachtung) Vom 10. bis zum 19. Mai 2006 wurde in allen vier beteiligten Heimen eine Gesamterhebung der Bewohner nach demographischen Daten, Versichertenstatus, Verordnungen und Stand der Verblisterung durchgeführt. 26

Tabelle 3: Gesamtzahl der am Pilotprojektteilnehmenden nach Erfassung aller Heimbewohner vom 10.-19.05.2006 16 Summe Bewohner PKV- GKV- Davon mit Davon aktiv über alle Versicherte Versicherte Einver- im Pilotprojekt Alten- und ständnis- Pflegeheime erklärung Weiblich 345 14 331 270 206 Männlich 171 2 169 132 101 Quelle: Eigene Darstellung nach Daten von assist Pharma. Anteil an allen Heimbewohnern in % Anteil an den GKV- Versicherten in % Tabelle 4: Anteil der Projektteilnehmenden an allen Heimbewohner bzw. an allen GKV-Versicherten Summe über alle Absolute Anteil an Heimbewohner Zahl den GKV- Versicherten mit Einverständniserklärung in % Alle Heimbewohner 516 100% GKV-Versicherte 500 96,9% 100% GKV-Versicherte mit 402 77,9% 80,4% 100% Einverständniserklärung GKV-Versicherte, die 307 59,5% 61,4% 76,4% Blister erhalten Quelle: Eigene Darstellung; Daten assist Pharma Bezogen auf alle Heimbewohner erhielten zum Zeitpunkt 10.-19.05.2006 mit 307 von insgesamt 516 Heimbewohnern 59,5% im Pilotprojekt einen Wochenblister. Bezieht man die Anzahl derjenigen, die am Pilotversuch teilnehmen nur auf diejenigen, von denen eine Einwilligungserklärung zur Teilnahme vorliegt, waren 76,4% eingeschlossen. D. h. 23,6% derjenigen, von denen eine Einverständniserklärung zur Teilnahme vorlag, waren nicht in das Pilotprojekt eingeschlossen. Dies lag zum einen daran, dass ca. 8% der Bewohner mit einer Einwilligungserklärung nicht im Sortiment befindliche Medikamente bzw. nicht feste orale Darreichungsformen (z.b. 16 Diese und die weiteren detaillierten Aufstellungen der demographischen und Versicherungsdaten der Bewohner sowie der Verblisterung haben Gudrun Emmerich und Marc Hargarter von assist Pharma erhoben und uns zur Verfügung gestellt. 27

Salben, Tropfen) verordnet wurden. Zum anderen wurden die verblisterbaren Verordnungen nicht an den Pilotversuch weitergegeben. Des weiteren wird auch bei den 307 eingeschlossenen Personen nicht das volle Potenzial verblisterungsfähiger fester oraler Darreichungsformen erreicht. Von den im Mai 2006 402 GKV-Versicherten mit Einverständniserklärung erhielten 134 Personen eine Quote von 100% ihrer festen oralen verblisterungsfähigen Darreichungsformen. Dies entspricht 44% aller Personen, die mit einem Blister beliefert werden. Bei 65 Personen bestand die Möglichkeit, Medikamente zu verblistern, davon wurde aber kein Gebrauch gemacht. Das entspricht 16% aller Personen, für die eine Einwilligungserklärung zur Teilnahme abgegeben worden ist. Hier liegt auch ein Mischbild von Gründen vor, das sich nicht mehr eindeutig den Akteuren Personal des Heims, Ärzte, Apotheken zuweisen lässt. Von den 402 Personen mit Einwilligungserklärung lag bei 390 Personen auf Grund chronischer Erkrankungen auch ein Bedarf an dauerhafter Versorgung mit Arzneimitteln vor. An insgesamt 234 Personen wurden nicht feste orale, an 383 feste orale Darreichungsformen verabreicht. Blisterfähig wären davon Medikamente bei insgesamt 369 Bewohnern. Bei insgesamt 93 Bewohnern wurde davon zum Teil kein Gebrauch gemacht, da die festen oralen Darreichungsformen als Teilung verordnet wurden und somit nicht verblisterungsfähig sind. 5.1.3 Detaillierte Darstellung und Analyse der Verordnungen der Heimbewohner mit Einwilligungserklärung zur Teilnahme am Pilotversuch Im Zeitraum Mai 2006 wurde von assist Pharma bei allen Heimbewohnern, für die eine Einwilligungserklärung zur Teilnahme am Pilotversuch vorlag, eine Untersuchung vorgenommen, wie hoch die Anteile der nicht verblisterungsfähigen, aber auch der verblisterungsfähigen und nicht verblisterten Medikamente sind. 28

Abbildung 3: Aufteilung der Verschreibungen nach Typ der Medikation (Bedarfsund Kurzzeitmedikation versus Dauermedikation) 3.500 3.000 2.500 932 Bedarfs- oder Kurzzeitmedikation 29% 2.000 1.500 1.000 3.245 Total chronische Medikation 2.313 71% 500 0 Total Medikationsart Quelle: Eigene Darstellung nach Daten von assist Pharma. Auf die 402 GKV-Versicherten, von denen eine Einverständniserklärung zur Teilnahme am Pilotprojekt vorliegt, entfielen 3.245 Verschreibungen, d. h. 8,1 Verschreibungen im Durchschnitt pro Bewohner. 932 Verschreibungen, also 29%, fielen als Bedarfs- bzw. Kurzzeitmedikationen aus für die Verblisterung. Von den 2.313 Verschreibungen über dauerhaft einzunehmende Medikamente fielen wiederum 431 (19%) für die Verblisterung aus, da es sich nicht um feste orale Darreichungsformen handelt. 29

Abbildung 4: Aufteilung der Dauermedikation in die Anteile feste und nicht feste orale Darreichungsformen 3.500 3.000 2.500 932 Bedarfs- oder Kurzzeitmedikation 29% 2.000 chro- 431 nicht FOD - 19% 1.500 1.000 3.245 Total 2.313 nische Medikation 71% FOD - 81% 1.882 500 0 Total Medikationsart Darreichungsform Quelle: Eigene Darstellung nach Daten von assist Pharma. Abbildung 5: Aufteilung der festen oralen Darreichungsformen nach Verblisterungsfähigkeit 3.500 3.000 2.500 932 Bedarfs - oder Kurzzeitm edikation 29% 2.000 431 n icht FOD - 19% 1.500 1.000 3.245 Total 1.882 FOD - 81% 435 chronische Medikation 2.313 71% nicht blisterfähig - 23% 500 1.447 blister fähig - 77% 0 Total Medikationsart Darreichungsform Blisterfähigkeit Quelle: Eigene Darstellung nach Daten von assist Pharma. 30

Von den insgesamt 1.882 Verordnungen, die als feste orale Darreichungsformen eingenommen werden, sind insgesamt 435 (23%) nicht verblisterungsfähig. Dies liegt an folgenden Gründen: 259 Verordnungen sind prinzipiell von der Verblisterung ausgeschlossen, da sie u. a. Betäubungsmittel umfassen (0,5%), keine Zielindikation aufweisen (7%), nicht erstattungsfähig sind (15%) oder die verschriebene Wirkstoffmenge nur durch Teilung bzw. Doppelung erreichbar wäre (77,5%). Abbildung 6: Anteil der aktuell im Pilotversuch verblisterten festen oralen Darreichungsformen im Verhältnis zu den potenziell verblisterbaren Verordnungen 3.500 3.000 2.500 932 Bedarfs- oder Kurzzeitmedikation 29% 2.000 1.500 1.000 500 3.245 Total fähig chronische Medikation 2.313 71% 431 nicht FOD - 19% nicht 435 blisterfähig - FOD - 81% 23% 1.882 blisterfähig - 1.447 77% 106 Teilung - 7% Direkt - 1.341 93% 955 66% v. bli- ster- 0 Total Medikationsart Darreichungsform Blisterfähigkeit Art der Blisterfähigkeit verblistert Quelle: Eigene Darstellung nach Daten von assist Pharma. Die restlichen verblisterbaren 176 Verordnungen waren aus folgenden Gründen nicht verblisterungsfähig: Wirkstoff (65%), Stärke (30%) oder Darrreichungsform (6%) befanden sich nicht im aktuellen Sortiment der von assist Pharma verblisterten festen oralen Darreichungsformen. Durch die Erweiterung des Sortiments sind 18% der 176 noch nicht verblisterten Arzneimittel nunmehr auch verblisterbar. Derzeit werden im Pilotversuch 955 der 1.447 verblisterungsfähigen Verordnungen verblistert, was einem Anteil von 66% entspricht. 31