der Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe



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Transkript:

Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe UUS Service d enquête sur les accidents des transports publics SEA Servizio d inchiesta sugli infortuni die trasporti pubblici SII Philippe Thürler 11. Oktober 2010 Reg. Nr.: 10020701 Schlussbericht der Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe über den Brand eines Tilo Flirts vom Sonntag 07.Februar 2010 in Bellinzona Philippe Thürler Monbijoustrasse 51A 3003 Bern Tel. +41 31 322 54 38 Mobile +41 79 759 42 02 Fax +41 31 323 00 76 philippe.thuerler@uus.admin.ch www.uus.admin.ch

Dieser Bericht wurde ausschliesslich zum Zweck der Verhütung von Unfällen beim Betrieb von Eisenbahnen, Seilbahnen und Schiffen erstellt. Die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Unfällen ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gemäss Art. 25 der Verordnung über die Meldung und Untersuchung von Unfällen und schweren Vorfällen beim Betrieb öffentlicher Verkehrsmittel (VUU, SR 742.161). Die Bedeutung der im Bericht angewendeten Abkürzungen ist auf der Beilage 9 ersichtlich. 0 ALLGEMEINES 0.1 Einführung Die 19 vierteiligen FLIRT TILO RABe 524 001-019 (CH-Bezeichnung) respektiv ETR 150 001-019 (Bezeichnung Italien) sind Zweisystem-Triebzüge mit Wechselstrom 15 kv /16.7 Hz und Gleichstromausrüstung 3 kv DC. Die Endwagen (Triebkopf) besitzen je eine Antriebseinheit. Die Antriebsausrüstung und die Bordnetzversorgung der beiden Triebköpfe sind redundant aufgebaut. Die Fahrzeuge verkehren auf den SBB Regionalnetzen im Tessin und in der Lombardei (Italien). 0.2 Kurzdarstellung Am Sonntag 7. Februar 2010 verkehrte der Zug 14252 der Linie S 20, gebildet aus dem Tilo Flirt 524-008, zwischen Locarno und Bellinzona. Kurz vor Riazzino um ca.16:13 Uhr erhielt der Lokführer (Lf) auf dem Diagnose-Bildschirm des Führerstands (B Wagen) die Information, dass sich im hinteren Antriebsteil (Wagen A) die Brandmeldeanlage ausgelöst hat. Der Lokführer begab sich in den hintersten Wagen und stellte fest, dass im Bereich des hinteren Führerstands Rauchentwicklung vorhanden war und dass sich die Brandbekämpfungsanlage ausgelöst hatte. Er schloss die Tür zwischen dem Maschinenraum und dem Fahrgastabteil und nahm mit dem Fahrdienstleiter in Bellinzona Kontakt auf. Der Zug musste in Riazzino evakuiert werden. Nach der Räumung war keine Rauchentwicklung mehr sichtbar. Der Zug wurde als Leerfahrt nach Bellinzona überführt. Die Fahrt zwischen Riazzino und Bellinzona verlief normal. Nach Ankunft in Bellinzona um ca. 16:45 Uhr wurde der Zug rangiert und im "Parkstellungsmodus" auf dem Gleis 28 abgestellt. Um ca. 19:15 Uhr wurde der Zug für die Überführung ins Depot vorbereitet. (Dachkontrolle). Das Fahrzeug wurde vom "Parkstellungsmodus" in den Fahrmodus umgeschaltet. In diesem Moment wurde erneut eine Rauchentwicklung im Dachbereich des A-Wagens festgestellt. Ein anderer Flirt wurde aufgeboten, um den Flirt 524-008 abzuschleppen. Um ca. 21:00 Uhr wurde während der Rangierbewegung eine grosse Rauchentwicklung festgestellt. Kurz danach löste sich der offene Brand im Bereich des Maschinenraums des A-Wagens aus. Zwei Mitarbeiter der SBB Betriebswehr Bellinzona (BW) versuchten mittels Handfeuerlöscher den Brand zu bekämpfen. Als sie bemerkten, dass sie das Feuer nicht löschen konnten, wurden weitere Kräfte der SBB Betriebswehr Bellinzona und die Stadtfeuerwehr von Bellinzona zur Brandbekämpfung aufgeboten. Verletzt wurde niemand, es entstand hingegen Sachschaden von mehreren Millionen Franken am A-Wagen des Tilo Flirt. 2/26

Fotos: SBB 0.3 Untersuchung Die Unfalluntersuchungsstelle wurde durch die Meldestelle (REGA) am Sonntag 7. Februar 2010 um 22:37 Uhr per Pager alarmiert. Die Rückfrage bei der Infrastrukturbetreiberin SBB ergab die Notwendigkeit einer Untersuchung. Der pikettdienstleistende Untersuchungsleiter Ulrich Baumann beauftragte am Montag, 8. Februar 2010 den Untersuchungsleiter UUS im Tessin Mario Lotti eine erste Schadenaufnahme im SBB Depot Bellinzona durchzuführen. Auf Grund des beträchtlichen Schadens musste das Fahrzeug zum Hersteller zur Reparatur überführt werden. Weil das Ereignis technischer Natur war, übernahm der Unterzeichner die Untersuchung des Brandfalles in Zusammenarbeit mit dem Untersuchungsleiter Erwin Drabek. Am 16. Februar 2010 wurde die Komposition in der SBB-Unterhaltsanlage Depot F Zürich für eine weitere Inspektion abgestellt. Auf Basis der festgestellten Schäden und zur genauen Abklärung der Brandursache beauftragte die UUS den wissenschaftlichen Dienst (WD) der Stadtpolizei Zürich. Nach der ersten Fahrzeugbesichtigung in Zürich wurde der Flirt 524-008 zum Hersteller Stadler in Bussnang überführt, wo die Komposition am 8. März 2010 durch den WD im Beisein der UUS, der Vertreter der SBB und des Herstellers im Detail untersucht wurde. Am 9. März 2010 untersuchten der WD und die UUS im SBB Depot Bellinzona die baugleichen Fahrzeuge Flirt 524-002 und 003, welche auch Schäden mit Überschlagspuren im Bereich des Trafoanschlusskastens aufwiesen. Der Untersuchungsbericht der UUS fasst die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung zusammen (Art. 25 der VUU). 3/26

1 FESTGESTELLTE TATSACHEN 1.1 Vorgeschichte Am 07. Februar 2010 verkehrte der vierteilige Tilo Flirt 524-008 auf der S 20 Linie Locarno Bellinzona (SBB Netz 15 KV) mit Zugnummer 14252. Die Fahrt verlief ohne besondere Vorkommnisse bis zum Einfahrsignal Riazzino. 1.2 Verlauf der Fahrt - Zug 14252 der S 20 Linie Locarno- Bellinzona Um ca.16:13 Uhr, kurz vor dem Einfahrsignal Riazzino, erhielt der Lokführer auf dem Diagnose-Bildschirm des Führerstands des B Wagens die folgenden Informationen: - Am Schluss des Zuges im Antriebsteil des A Wagens hat sich die Brandmeldanlage ausgelöst. - Der Hauptschalter des betroffenen Antriebsteils ist ausgeschaltet. Er hielt im Bahnhof Riazzino an, nahm sofort mit dem Fahrdienstleiter (Fdl) in Bellinzona Kontakt auf, um die Situation zu besprechen. Nachher begab er sich in den hintersten Wagen. Dabei bemerkte er die Rauchentwicklung im Bereich des hintersten Führerstands und dass die Brandbekämpfungsanlage sich ausgelöst hatte (Wasserspuren auf dem Boden). Der Lf informierte die Reisenden und in Absprache mit dem Fdl. wurde der Zug evakuiert. Inzwischen erhielt der Lf einen Anruf von einem Tilo Techniker. Nach Schilderung des Falls und als alle Reisenden den Zug verlassen hatten, begab er sich nochmals in den A-Wagen. Er stellte fest, dass kein Rauch mehr vorhanden war. Wie mit dem Fdl. vereinbart fuhr er weiter bis zum älteren Bahnhof Riazzino-Cugnasco, um das Gleis freizugeben. Später musste der Lf den Zug als Leerfahrt nach Bellinzona überführen. Er drückte wie vorgeschrieben die Entpannungstaste, und fuhr um ca. 16:27 nach Bellinzona los. Während der Fahrt um ca. 16:31 Uhr löste sich ein weiterer Brandalarm aus, im Gegensatz zum ersten Alarm jetzt im Führerstand des A-Wagens. Der Lf. bemerkte davon nichts, weil die Leuchtdrucktaste Brandmeldung 405.7 seit der Auslösung der WNBA meldete, dass eine Brandmeldeanlage im Zugverband nicht bereit war. Der Bildschirm zeigte noch die erste Brandmeldung an (Alarm wird angezeigt bis zur Durchführung eines Fahrzeug-Resets). Um ca. 16:44 traf der Zug 14252 in Bellinzona auf Gleis 747 ein. Um ca. 16:58 stieg der Lf. wieder mit einem Rangierleiter (Rl) ins Fahrzeug ein. 1.3 Rangierbewegung in Bellinzona Um ca. 17:02 wurde das Fahrzeug in Richtung Gleis 28 rangiert, wo es um ca. 17:09 Uhr im "Parkstellungsmodus" abgestellt wurde. Der Lf und der Rl gingen zur Kontrolle mehrmals in der Komposition hin und her. Ausser ein wenig Wasser auf dem Boden und Rauchgeruch im A Wagen wurde nichts Spezielles festgestellt. Der Lf. ging in den Personalraum, um die Störungsmeldung in das ESI-System einzutragen. 1.4 Einsatz der Betriebswehr Bellinzona wegen Ölverlust Um 16:57 Uhr verständigte der CER telefonisch die Betriebswehr Bellinzona (BW), dass ein Zug im Bereich des Einfahrsignals in Riazzino Öl verloren habe. Zwei BW- Mitarbeiter gingen nach Riazzino, um das Gleis zu kontrollieren. Um ca.17:32 stellten sie fest, dass Flüssigkeitspuren auf dem Gleis vorhanden waren. Nach der Rückkehr nach Bellinzona um ca. 18:30 kontrollierten sie den auf dem Gleis 28 abgestellten Flirt 524-008. Dabei wurde Flüssigkeitsaustritt unten am A-Wagen entdeckt. Ein Behälter wurde unter dem Fahrzeug platziert, um die Flüssigkeit aufzufangen bis zur Kontrolle des Fahrzeugs durch einen bereits aufgebotenen Techniker. 4/26

Schlussendlich wurden cirka. 60 L. grün-blaue Flüssigkeit aufgefangen. Die Betriebswehr wusste nicht, dass die Brandbekämpfungsanlage dieses Fahrzeugs angesprochen hatte. Mit Ausnahme von etwas Flüssigkeitsaustritt schien alles normal. 1.5 Vorbereitung zur Überführung ins Depot Der Tilo Flirt stand weiterhin auf dem Gleis 28 im Parkstellungsmodus. Um ca. 18:45 Uhr traf der Rl. wieder ein, um die Rangierfahrt zu begleiten. Um ca. 19:00 traf ein Lf an Ort und Stelle ein. Um ca. 19:15 Uhr wurde das Fahrzeug aus dem Parkstellungsmodus zurückgestellt und der Inbetriebsetzungsschalter auf die Hauptschalter Position gebracht. Um 19:17 Uhr ereignete sich ein Kurzschluss im Hochspannungskreis. Dabei schalteten sich die beiden FLG A und B aus. (das Fahrzeug war danach stromlos) Kurze Zeit später stellten die BW Mitarbeiter eine leichte Rauchentwicklung auf dem Dach des A-Wagens fest. Die BW Mitarbeiter erkundigten sich nochmals beim Techniker. Um ca. 20:00 Uhr traf der Techniker vor Ort ein. Nach der ersten Kontrolle wurde um ca. 20:15 Uhr entschieden, das Fahrzeug mittels eines anderen Flirts ins Depot zu schleppen. Der Tilo Flirt 524-008 wurde in "Schleppfahrt Modus" gebracht. 1.6 Brandauslösung Um ca. 20:45 Uhr wurde der zweite Flirt mit dem Flirt 524-008 gekuppelt. Um ca. 21:00 Uhr, während der Rangierfahrt in Richtung Depot, stellte ein BW Mitarbeiter einen offenen Brand auf dem Dach des A-Wagens fest. Die zwei BW-Mitarbeiter versuchten sofort mittels Handfeuerlöscher den Brand zu bekämpfen. Um 21:05 Uhr wurde die Stadtfeuerwehr Bellinzona zur Brandbekämpfung aufgeboten 1.7 Personenschäden Keine. Die Reisenden wurden in Riazzino evakuiert. 1.8 Sachschäden am Rollmaterial und an der Infrastruktur Flirt 524-008 Durch den Brand wurde die Kastenstruktur des A-Wagens im Bereich des Trafos stark deformiert. Der Begutachtungsbericht Nr. BER-OG-10002 des Fahrzeugherstellers Stadler beschreibt im Detail die Schäden am A Wagen. Die Innenräume der Wagen B, C und D müssen gereinigt werden. Infrastruktur Kein Sachschaden. 5/26

1.9 Beteiligte Personen 1.9.1 Lokführer Lokführer Kat. B 1.10 Schienenfahrzeuge Eigentümer: SBB Personenverkehr, Bern Zugskomposition: Tilo Flirt RABe 524008 1.11 Fahrdatenschreiber ( Beilage 8) Die Flirt Serie 524 ist mit einer elektronischen Geschwindigkeitsmessanlage Hasler Teloc Serie 2500 ausgerüstet. Die Fahrdaten werden elektronisch aufgezeichnet. Sie wurden durch die Verkehrsunternehmung ausgelesen und ausgewertet. Sie wurden nur ausgewertet, um den zeitlichen Ablauf des Ereignisses zu rekonstruieren. 1.12 Flüssigkeitsverlust Um 16:15:32 ist in der Diagnose der Leittechnik registriert: Kühldruck des Traktionsstromrichters 1 zu tief. (Druckschalter im Kühlkreis des Wechsel- (WR) und Traktionsstromrichter (SR) hat angesprochen). Dies belegt, dass kurz nach dem ersten registrierten Ereignis um 16:13:41Uhr (Überstrom Wechselrichter 3 KV) der Kühlkreis des A-Wagens Flüssigkeit verloren hat. Diese Tatsache stimmt mit der Feststellung der BW Mitarbeiter in Riazzino überein. Der Kühlkreis des Transformators ist mit einem Ölströmungswächter und einer Ölniveaukontrolle ausgerüstet. Weder der Durchflusswächter noch die Niveaukontrolle haben angesprochen. Dies zeigt, dass der Kühlkreis des Transformators bis zum letzten Einschaltversuch um 19:16 Uhr kein Öl verloren hat. Daraus folgt: Die verlorene Flüssigkeit ist Wasserkühlmittel des WR oder SR (gemeinsamer Kühlkreis). 1.13 Videoüberwachung A-Wagen Um ca. 16:14 Uhr war im Fahrgastabteil des A-Wagens keine Rauchentwicklung sichtbar. Die Fahrgäste waren unruhig und schauten in Richtung des Maschinenraums. Die Reisenden wurden zwischen 16.18 Uhr und 16:21 Uhr evakuiert. Wegen des Stromausfalls (nach dem Kurzschluss) endet die Videoaufnahme um ca. 19:16 Uhr. 6/26

1.14 Spezial Koaxialkabel 3KV ( Beilage 4-5) Die Verbindungskabel zwischen dem 3 KV Wechselrichter und dem Transformator bestehen aus 4 einzelnen speziell konfektionierten Koaxialkabeln, welche zusammengebunden sind. In einem Koaxialkabel befindet sich je ein Innen- und ein Aussenleiter. Nennspannung des Kabels gemäss Datenblatt: Uo / U (Um) 3.6 / 6 (7.2 kv) AC 5.4 kv DC Das technische Datenblatt des Koaxialkabels liegt der UUS vor. Die durchgeführten Laboruntersuchungen an den Kabeln sind unter Punkt 1.17 beschrieben. 1.15 Umwelt Die Spuren, welche in Riazzino auf dem Gleis durch BW Mitarbeiter gefunden wurden, sind Kühlmittelrückstände des Kühlsystems der Umrichter SR und WR im A-Wagen des Flirts 524-008. Im Bahnhof Bellinzona wurden ca. 60 l Kühlmittel durch den unter dem Fahrzeug platzierten Behälter aufgefangen. 1.16 Besondere Untersuchungen 1.16.1 Untersuchung am Tilo Fahrzeug 524-008 (A-Wagen) durch den WD Auszug WD Bericht ( Fotos Beilage 1-2) Es war vom Dach aus betrachtet in Richtung Fahrzeuginneres ein Brandtrichter erkennbar. Der enorme Zerstörungsgrad dehnte sich bis tief ins Fahrzeuginnere in der Antriebseinheit aus. Im Deckenbereich im Fahrzeuginnern waren die Aluminiumeinbauten teilweise bis vollständig geschmolzen. Die Isolation zwischen dem Deckel und dem Gehäuse war teilweise beschädigt und der Innenteil des Anschlussgehäuses war stark mit ölhaltigen Russanhaftungen beschlagen. Beim 3 kv Anschluss waren die drei Keramik-Durchführungsisolatoren erheblich beschädigt. Bei den Anschlüssen links und Mitte fehlten zwei resp. ein Kupferleiter. Diese Kupferleiter waren im Anschlussbereich der Anschlussklemmen abgeschmolzen Bei den Anschlussklemmen waren ausgeprägte Schmelzspuren (Abschmelzungen) zu erkennen. Im Gehäuseinnern und am Deckel wurden markante Schmelzstellen von Lichtbogen-Überschlägen sichtbar. Eines der vier Koaxialkabel (Innen- und Aussenleiter) fehlte vom Anschluss des Transformators aus in Richtung Stromrichter auf einer Länge von ca. 1.5 Meter. Gleichzeitig war wegen der grossen Hitze der Alu-Boden im Anschlussgehäuse bei der Kontaktstelle des Kabels ebenfalls geschmolzen. Die ausgebauten Teile, die Anschlussklemme, die Kabelschuhe mit angepresstem Kabelende und die Resten der Keramik wurden noch im Labor untersucht. Ergebnis: Zwischen den drei Anschlussklemmen (3 kv DC ) am Transformator und dem Innern des Anschlussgehäuses und dem Deckel fanden Lichtbogenüberschläge statt. Wegen den hohen Temperaturen kam es an den Anschlussklemmen, den Anschlussdrähten des Koaxialkabels, den Kabelschuhen und dem Gehäuse zu Abschmelzungen und Brandspuren. Die Anschmelzungen an den Oberflächen der Isolatoren stellten sich als Ablagerungen von den durch die Lichtbögen freigesetzten Materialien heraus. 7/26

Zum Zeitpunkt der Untersuchungen in unserem Labor war die Ursache der Auslösung der Lichtbögen und dem Fehlen des Koaxialkabels auf einer Länge von ca. 1.5 Meter noch nicht klar. 1.16.2 Untersuchung an den Fahrzeugen 524-002 und 003 (A-Wagen) Auszug WD Bericht (Fotos Beilage 3) Untersuchung in Bellinzona an den baugleichen Fahrzeugen Flirt 524-002 und 003 welche auch Schäden mit Überschlagspuren im Bereich des Trafoanschlusskastens aufwiesen. Fahrzeug 524-003 Nachdem der Deckel zum Anschlussgehäuse entfernt wurde kamen im Bereich der drei Anschlussklemmen (3 kv DC ) und dem Gehäuseinnern ausgeprägte Schmelzspuren zum Vorschein (Bildbeilage 6). Die Kabelschuhe, die Leiterenden sowie die am Kabelende angebrachten Schrumpfschläuche, waren teilweise leicht hitzegeschädigt. Das Innere des Anschlussgehäuses war gleichmässig mit einer gelblich-grünen "Staubschicht" überzogen. Von der "Staubschicht" haben wir Wischproben asserviert, um diese in unserem Labor zu analysieren Labor Untersuchung: Mittels der Röntgenfluoreszenzanalyse konnten in diesen Staubablagerungen grosse Mengen von Kupfer nachgewiesen werden. Ergebnis: Aufgrund der Ergebnisse von den Wischproben in der Zentralen Analytik wurde unsere Annahme bestätigt, dass sich im Anschlussgehäuse des Transformators eine grosse Anzahl Lichtbogenentladungen ereignet hatten. Dabei entstanden durch das Verdampfen von Kupfer die vorerwähnten, kupferhaltigen Ablagerungen im Anschlussgehäuse. Fahrzeug 524-002 Weil sich das Schadenbild und -ausmass mit dem Zug 524-003 vergleichen liess, verzichteten wir auf weitere Laborarbeiten. Begutachtung der ausgebauten Koaxialkabel des Fahrzeugs 524-002 und 003 in Bussnang. ( Beilage 4) Beim Fahrzeug 524-002 war ein Koaxialkabel und beim Fahrzeug 524-003 waren zwei Koaxialkabel an der exakt gleichen Stelle erheblich beschädigt. Auf einer Länge von 2-4 cm fehlten sowohl die beiden Kupferleiter, wie auch das Halbleiterband, die Kabelisolationen und die Schrumpfschläuche. An den Leiterenden waren beidseits jeweils Schmelzperlen sichtbar 1.17 Untersuchung im Bereich der Endverschlüsse des 3kV Kabels (Auszug Stadler Bericht Nr. 514002) Die Laboruntersuchungen an den 3 kv Kabeln wurden in Zusammenarbeit mit Stadler und dem Kabelhersteller Leoni-Studer durchgeführt. 8/26

Da die 3 kv Kabel vom Tilo Flirt 524-008 (A Seite) durch den Brand total beschädigt waren, wurden die Laborversuche mit dem ausgebauten Kabel vom Tilo Fahrzeug 524-004 durchgeführt (keine sichtbaren Beschädigungen). Durchschlagtest: Die Kabel wurden mit Wechselspannung von 50Hz bis zum Durchschlag belastet. Die Leistung des Kurzschlusses wurde jeweils limitiert, um die Verhältnisse an der Durchschlagsstelle anschliessend analysieren zu können. Die Ergebnisse des Durchschlagstests sind Folgende: Die neu konfektionierte Anschlussstelle erreichte ein Spannungsniveau von 45kV. Bei allen gemessenen Endverschlüssen, die im Trafoanschlusskasten eingesetzt waren (Fz 524-004), erfolgte der Durchschlag jeweils zwischen Leiter und Schirm, zwischen minimal 20kV, maximal bei 30kV. Feststellungen unterm Mikroskop an den Durchschlagsstellen nach dem Test Am Innenleiter wurden an der Durchschlagsstelle Korrosionsspuren verursacht durch Corona Entladungen festgestellt. Begutachtung am beschädigten Koaxialkabel Foto: Bericht Stadler 514002 Die Durchschlagstellen aus den Fahrzeugen befinden sich interessanterweise leicht oberhalb der Abzweigpunkte der Litzen, da wo das Halbleiterband sein Ende hat. Dies führt zum Verdacht, dass beim Absetzen des Halbleiterbandes die Isolation beschädigt wurde, womit an dieser Stelle nicht mehr die gesamte Wandstärke des Dielektrikums zur Verfügung stand. Diese Kerbwirkung und Verminderung der Isolationsstärke hat kumulierende Auswirkungen negativer Art zur Folge. Durch den vermutlichen Schnitt wurde einerseits die Isolationsstärke reduziert, an der Stelle durch die Kerbwirkung die elektrische Belastung erhöht und mit dieser Kombination über die Jahre ein Spannungsniveau erreicht, das unterhalb der 20 kv liegt. Wie weit unterhalb hängt von der Beschädigung des Dielektrikums ab. 9/26

Damit ist zu erklären, weshalb bereits jetzt einige Enden ausgefallen sind und die anderen aber noch eine genügende Spannungsfestigkeit besitzen. Spannungsverlauf an der 3kV Erregerwicklung im AC Betrieb Der Spannungsverlauf an der Erregerwicklung und damit auch am 3kV Kabel im AC Betrieb wurde berechnet. Für den Normalbetrieb mit taktenden AC-Netzstromrichtern sind die Spannungsverläufe an der Erregerwicklung bzw. am Kabel zum Frontend dargestellt. Bei jedem Schaltvorgang in einem Zweig des Netzstromrichters entsteht an den nicht geerdeten Anschlüssen der Erregerwicklung eine Überspannungsspitze mit anschliessender abklingender Schwingung. Die Übereinstimmung mit den Messungen aus ist gut. Die Rechnung führt zu etwas kleineren Spannungspeaks (6.2 kv) als die effektive gemessene Spannungspeaks von 7.5KV. 1.18 Spannungsmessung SBB Am 8. und 9. April 2010 wurden im Auftrag von SBB P durch die Messtechnik-Gruppe der SBB Infrastruktur (am Tilo Flirt 524-001 an beiden Wagenenden A und B), die Spannung der 3 KV Anschlüsse gegen die Masse im Stillstand und bei Fahr- und Bremsbetrieb gemessen. Die Ergebnisse sind folgende: Fahrzeug im Stillstand und Fahren bis v < 43 km/h U_2Ue..peak = 6.3 kv Fahrzeug im Fahrbetrieb, v > 43 km/h U_2Ue..peak = 6.8 6.9 kv Fahrzeug im Bremsbetrieb, v > 43 km/h U_2Ue..peak = 7.3 7.4 kv Die maximalen Werte wurden im Bremsbetrieb mit erzwungener Stromabnehmerabsenkung (Simulation Stromabnehmersprung) gemessen: U_2Ue..peak = 8.5 kv Nennspannung des Kabels gemäss Datenblatt: Uo / U (Um) 3.6 / 6 (7.2 kv) AC 5.4 kv DC Die Details der Messungen sind im SBB Bericht MD_0450_ Kabelbeanspruchung Tilo- Flirt enthalten. 1.19 Brandschutz - Brandmeldeanlage Bekämpfungsanlage (WNBA) Die Flirt Fahrzeuge Serie 524 sind mit einem Brandschutzsystem ausgerüstet. Das System besteht aus einem Brandmeldesystem (Rauchmelder) und einer Brandbekämpfungsanlage. Das System wird von einer Brandmeldezentrale (BMZ) gesteuert, die mit der Leittechnik des Fahrzeugs kommuniziert. Die Rauchmelder und Löschdüsen sind im Führerraum, im Apparateraum, in den Fahrgasträumen und im WC eingebaut. Die Wassernebel-Brandbekämpfungsanlage (WNBA) nutzt als Löschmedium, Wasser. Das Wasser wird unter hohem Druck zerstäubt und kann dadurch den zu schützenden Bereich rasch mit Wassernebel füllen. Eine Brandauslösung wird in der Leittechnik registriert und im Führerstand der Brandbereich auf dem Bildschirm dem Triebfahrzeugführer angezeigt. Zusätzlich blinkt noch die Taste Brandmeldung und die Entpannungstaste. Ebenfalls ertönt ein Horn welches durch das Drücken der Entpannungstaste ausgeschaltet werden kann. 10/26

2 BEURTEILUNG 2.1 Technisches - Die Wassernebel-Brandbekämpfungsanlage hat im Maschinenraum des A-Wagens angesprochen. - Der Kühlkreis des WR und SR des A-Wagens hat schon in Riazzino Flüssigkeit verloren. - Der Primärkurzschluss hat sich um ca. 19:16 Uhr auf dem A-Wagen während der Zurückstellung des Fahrzeugs aus der Parkstellung ereignet. Ab diesem Moment war das Fahrzeug von der Hochspannung total abgetrennt. - Der Wechselrichterzwischenkreis 3 kv hat sich im AC- Betrieb geladen. - Um ca. 19:17 Uhr war eine leichte Rauchentwicklung im Dach-Bereich des A- Wagens sichtbar. - Der Vollbrand wurde während der Schleppfahrt um ca. 21:00 Uhr festgestellt. - Als Folge des Ausfalls des 3 KV Koaxialkabels sind im Trafoanschlusskasten unkontrollierte Überschläge entstanden. - Auf allen untersuchten und beschädigten Tilo Flirts sind die Schäden im Transformatoranschlussgehäuse immer auf dem A-Wagen. - Die durch die SBB gemessenen Spannungen entsprechen den Ergebnissen der Berechnungen, resp. Simulation. Diese Spannungen überschreiten aber die angegebene Nennspannung des Kabels. - Die Koaxialkabel halten der Spannungsbeanspruchung im Bereich des Endverschlusses nicht stand. - Eine Schutzbeschaltung ( Differentialschutz primärseitig) existiert nicht. 2.2 Betriebliches - Kunden Räumung Der Lokführer hat sich richtig verhalten. Er hat das CER in Bellinzona über die Situation informiert, nachdem er im hintersten Wagen des Zuges eine Rauchentwicklung festgestellt und die Reisenden im Bahnhof Riazzino evakuiert hat. 2.3 SBB Betriebswehr Einsatz Der SBB Betriebswehr Bellinzona wurde um ca. 16:57 Uhr telefonisch für eine Gleiskontrolle nach dem Flüssigkeitsverlust eines Zuges in Riazzino aufgeboten. Eine Information über eine Auslösung der Brandbekämpfungsanlage des Tilo Flirt 524-008 war der BW nicht bekannt. 2.4 Brandmeldanlage Bekämpfungsanlage (WNBA) Entpannungstaste Auszug Bedienungshandbuch Flirt 524 Alle Störungen, die eine Abtrennung eines Subsystems (z.b. Stromrichter, Leittechnik) zur Folge haben können, müssen mit der Leuchtdrucktaste Entpannung quittiert werden. Diese Leuchtdrucktaste blinkt, wenn der Triebfahrzeugführer zum Entpannen aufgefordert wird. Das fehlerhafte System funktioniert wieder oder trennt sich ab. 11/26

Um einen Brandalarm zu quittieren, muss der Lokführer auch die Entpannungstaste drücken. Da bei diesem Ereignis, die erste Störung im Wechselrichter registriert wurde (d.h. automatische Abtrennung des betroffenes Subsystems), wurde das System getrennt (HS A-Wagen aus) bis der Lf den Brandalarm quittiert hatte. Das Drücken der Entpannungstaste beim Quittieren des Brandalarms hat zu einer Wiedereinschaltung des Hauptschalters des A-Wagens geführt. Dabei wurde die Hochspannung in der beschädigten Traktionsausrüstung wieder eingeschaltet. 2.5 Betriebsvorschrift Fahrdienst SBB Verkehr 9.11 (Auszug Beilage 7) In den SBB Vorschriften Verkehr P 20000831 Kapitel 9.11 3.8 werden die Fahrzeuge, welche mit einer Brandbekämpfungsanlage ausgerüstet sind, nicht berücksichtigt. Auf den Flirt Fahrzeugen sind die Traktionsausrüstungen (SR WR) in geschlossene Schränke eingebaut. Wenn im Gang keine Rückstände von Löschmitteln sichtbar sind, ist es für den Lokführer nicht möglich zu bestimmen, ob die WNBA wirklich funktioniert hat oder es sich um einen falschen Alarm handelt. Um einen Mottbrand zu vermeiden, muss bei einer Auslösung der Brandbekämpfungsanlage resp. nach Erscheinen eines Brandalarms auf dem Display das Fahrzeug unbedingt sofort nach Ankunft im Endbahnhof durch das technische Personal überprüft werden. Beim Abstellen eines Fahrzeugs, bei welchem man eine Auslösung der Brandbekämpfungsanlage vermutet, ist die Standort Betriebswehr über den Vorfall zu informieren. Die Vorschriften sind anzupassen unter Berücksichtigung der Fahrzeuge, welche mit einer Brandbekämpfungsanlage ausgerüstet sind. 2.6 Organisation in Bellinzona Der Informationsfluss zwischen allen beteiligten Stellen in Bellinzona war mangelhaft. Das BW Personal wurde über die Auslösung der Brandbekämpfungsanlage des Tilo Fahrzeugs 524 008 nicht informiert. Das Fahrzeug wurde erst um ca. 20 Uhr durch einen Techniker untersucht, obwohl sich die erste Auslösung der Brandbekämpfungsanlage um ca. 16:13 Uhr ereignete. 2.7 Sofortmassnahmen - SBB Mitteilung Tilo Flirt RABe 524 (Nr. 20/210) Nach dem Eintritt des ersten Schadens hat die SBB an die Lokführer folgende Weisung erlassen: Bei einer Auslösung der Brandbekämpfungsanlage im Maschinenraum ist der folgende Prozess zu beachten: die Reisenden sind zu evakuieren. der Hauptschalter ist auszuschalten. das Fahrzeug soll total ausgeschaltet und geerdet werden. Betriebswehr aufbieten, um das Fahrzeug bis zum Endbahnhof zu schleppen. Der blaue Schlüssel des Erdungsschalters ist dem zuständigen technischen Dienst zu übergeben. 12/26

3 SCHLUSSFOLGERUNGEN 3.1 Befunde 3.2 Ursachen Die Wassernebel-Brandbekämpfungsanlage hat im Maschinenraum des A- Wagens angesprochen. Der Lokführer hat sich richtig verhalten und die Reisenden in Riazzino evakuiert. Das Drücken der Entpannungstaste beim Quittierung des Brandalarms hat zu einer Widereinschaltung des Hauptschalters des A-Wagens geführt. Als Folge des Ausfalls des 3 KV Koaxialkabels ist es im Trafoanschlusskasten zu unkontrollierten Überschlägen gekommen. Die Überschlagspuren im Bereich der Transformatoranschlussbox sind auf mehreren Fahrzeugen der Tilo-Flirt Serie festgestellt worden. Die 3 kv Koaxialkabel haben der Spannungsbeanspruchung im Bereich Endverschluss nicht standgehalten. Bis zur Berichterstellung sind 4 Ausfälle des 3 KV Kabels festgestellt worden. Nach dem letzen Einschaltversuch (ca. 19:17 Uhr) war das Fahrzeug stromlos. Der Vollbrand wurde während der Schleppfahrt um ca. 21:00 Uhr ausgelöst. Nach dem ersten Brandfall haben die SBB sofort eine Weisung an die Lokführer erlassen. 3.2.1 Brandursache Fahrzeug 524-008 - Auszug WD Bericht Im Anschlussgehäuse des Transformators, im Bereich der (Y-förmigen) Kabelaufteilung des Koaxialkabels, müssen zwischen dem Innen- und Aussenleiter Überschläge mit entsprechender Lichtbogenbildung entstanden sein. Diese Lichtbogenüberschläge breiteten sich anschliessend aufgrund des Kupfer-Rauchs im Innern des Gehäuses unkontrolliert zwischen den drei Anschlussklemmen 3KV und dem Gehäuse aus und verursachten die Brand und Hitzespuren. Die unkontrollierte Ausbreitung der Lichtbögen im Anschlussgehäuse wurde durch die Wärme, die ionisierte Luft und der Verschmutzung durch Rauch mit Kupferpartikel zusätzlich begünstigt und unterstützt. Der Brand und der dadurch entstandene grosse Schaden beim Fahrzeug 524-008 kann damit erklärt werden, dass dieses Fahrzeug nach dem Eintritt des ersten Schadens vor der Einfahrt in den Bahnhof Riazzino noch mehrere Male an das Fahrleitungsnetz aufgeschaltet wurde. Damit wurde bei jedem Zuschalten der Netzspannung ab der Fahrleitung auf die Fehlerstelle erneut Energie zugeführt und es ereigneten sich laufend neue energiereiche Lichtbögen. Zusammen mit der ölhaltigen Verschmutzung und den Kabelisolation konnte sich der Brand entwickeln und ausbreiten. 3.2.2 Schlussfolgerung des Kabel- Untersuchungsberichts Stadler Nr.514002 Aufgrund der Korrosionsspuren an den elektrisch heiklen Punkten darf darauf ge schlossen werden, dass die ungenügende Feldaussteuerung zu Corona Entladungen, und zwar dauernd, wegen des hohen Spannungsniveaus und der Spannungsform / Frequenz führt, was die Zersetzung der Zinnschicht zur Folge hat. Aufgrund der geringeren Feuchte im Wechselrichter hat aber die elektrische / chemsche Alterung der Endverschlüsse im Wechselrichter wesentlich langsamer stattgefunden, als dies an den Endverschlüssen im Trafoanschlusskasten der Fall war. 13/26

Je mehr Corona und je höher die Diffusionsrate der Wassermoleküle, desto schneller und intensiver erfolgt die elektrische und chemische Alterung. Auch wenn die Stellen im Wechselrichter immer noch eine hohe elektrische Festigkeit ausweisen, sollten Korrosion und dauernde Coronabelastung vermieden werden. Aufgrund der Feststellungen der Korrosion an den Enden im Maschinenraum ist davon auszugehen, dass es keine spezielle Feuchtigkeitszufuhr braucht, um die Korrosion am Leiter in Gang zu setzen, die Corona Entladungen genügen, zusammen mit der normalen Luftfeuchtigkeit. Eine erhöhte Luftfeuchtigkeit reduziert höchstens die Lebensdauer bis zum Ausfall. Die Feldsteuerung ist sowohl für die Endverschlüsse im Trafoanschlusskasten als auch auf der Seite des Wechselrichters ungenügend. ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Der Brand des Tilo Fahrzeug 524-008 ist darauf zurückzuführen dass: Die Zinnschicht an der Kabelaufteilung des 3kV Koaxialkabels durch die Corona Entladungen zersetzt wurde (Sichtbar an den vorhandenen Korrosionsspuren). Danach gab es Lichtbögen im Trafoanschlusskasten. das Fahrzeug nach dem Eintritt des ersten Schadens mehrere Male wieder eingeschaltet wurde (Hochspannung). der letzte Einschaltversuch um ca. 19:17 Uhr hat einen Mottbrand ausgelöst worauf während der folgenden Schleppfahrt um ca. 21:00 Uhr der Vollbrand ausbrach. 4 SICHERHEITSEMPFEHLUNGEN o Die Koaxialkabel zwischen dem Transformator und dem Wechselrichter 3 KV werden ab Juli 2010 vom Fahrzeughersteller durch einen neuen Kabeltyp ersetzt. Die UUS empfiehlt eine Überprüfung der neuen Kabel nach einem Betriebsjahr. o Nach einer Auslösung der Brandbekämpfungsanlage im Maschinenraum ist das entsprechende Antriebsteil zu sperren. Die Weiterfahrt (bis zum nächsten Bahnhof oder Tunnelausfahrt) kann problemlos mit der anderen Hälfte des Triebzugs erfolgen. (wenn diese störungsfrei ist - Verhalten wird mit Software Release V 1.1.2.0 umgesetzt) o Auf allen Fahrzeugen, welche mit einer Brandbekämpfungsanlage ausgerüstet sind, ist nach einer Auslösung der Brandbekämpfungsanlage der Parkstellungsmodus Soft- oder Hardwaremässig zu sperren. o Auf dem Tilo Flirt ist zu prüfen, wie die Brandmeldung ohne Entpannungstaste quittiert werden kann. o Die SBB Vorschriften Verkehr P 20000831 Kapitel 9.11 3.8 sind unter Berücksichtigung von Fahrzeugen mit Brandbekämpfungsanlage anzupassen. 14/26

Die Untersuchung seitens UUS wurde vom Untersuchungsleiter, Philippe Thürler und Erwin Drabek geführt. Die Abklärungen der Brandursache und die Laboranalysen wurden im Auftrag der UUS durch den wissenschaftlichen Dienst (WD) der Stadt Zürich durchgeführt. Die Untersuchungen an den 3 kv Kabeln wurden von Stadler und dem Kabelhersteller Leoni Studer durchgeführt. Die Spannungsmessungen wurden im Auftrag von SBB P durch die Messtechnik-Gruppe der SBB Infrastruktur durchgeführt. Der Bericht wurde von Philippe Thürler verfasst Bern, 11. Oktober 2010 Unfalluntersuchungsstelle Bahnen und Schiffe Erwin Drabek Philippe Thürler Untersuchungsleiter UUS 15/26

Beilage 1 Fotos: WD Maschinenraum A -Wagen 16/26

Beilage 2 Abbildung Transformator: ABB Sécheron Anschlussgehäuse Transformator Tilo 524-008 Foto: WD in Bussnang 17/26

Beilage 3 Tilo 524 003 Anschlussgehäuse Trafo Seite A Wagen Foto: WD in Bellinzona 3 KV Anschlüsse 18/26

Tilo 524 003 Trafo Seite A Wagen Überschlagspuren Anschlussklemmen 3 KV Foto: WD in Bellinzona 19/26

Beilage 4 Durchschlagstellen am Endverschluss des 3kV Koaxialkabels (Fotos WD in Bussnang) 20/26

Beilage 5 Auszug Hochstromschema Tilo Flirt Serie 524 15 Kv / 16.7 Hz 3 Kv DC 21/26

Beilage 6 Zeitlicher Ablauf des Ereignisses 22/26

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Beilage 7 24/26

Beilage 8 Fahrdaten Tilo Flirt 524-008 25/26

Beilage 9 Abkürzungen Flirt Tilo WNBA WR 3 KV SR HS FLG DDS PEC Trafo Corona Entladung Flinker Leichter Innovativer Regional Triebzug Treni Regionali Ticino Lombardia WasserNebelBrandbekämpfungsAnlage Wechselrichter 3 KV (2 pro Triebkopf) ( für Fahrt in Italien) Traktionsstromrichter (2 pro Triebkopf) Hauptschalter 15 KV Fahrzeugleitgeräte Diagnose der Leittechnik Rechner der ABB Traktionsausrüstung Transformator Elektrische Entladung (Ionisation) am elektrischen Leiter WD BW CER Wissenschaftlicher Dienst der Stadtpolizei Zürich Betriebswehr SBB Betriebsleitzentrale Bellinzona 26/26