Übungsfall 3. Fragen. 1) Welche Funktion hat Art. 6 EGBGB und wann wird er angewandt?



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Transkript:

Prof. Dr. K. P. Berger, LL.M. GK Internationales Privatrecht Übungsfall 3 Teil I Der deutsche Staatsangehörige D betreibt ein Exportunternehmen mit Sitz in Hamburg. D möchte für sein Unternehmen einen neuen Frachter kaufen. Er kann den vollen Kaufpreis nicht aufbringen und wendet sich deshalb im Januar 2010 an seinen langjährigen englischen Geschäftspartner E in London. Die beiden verhandeln darüber, wie eine mögliche Restfinanzierung aussehen könnte. E schlägt mehrere Möglichkeiten vor. Er selber könne D zu Sonderkonditionen einen gebrauchten Frachter verkaufen. Oder er könne D das nötige Geld zu sehr niedrigen Zinsen leihen und dafür künftige Lieferungen von D zu günstigen Konditionen erhalten. So oder so ließe sich bestimmt eine Lösung für D finden. D ist erfreut und verspricht, sich nach Rücksprache mit einigen Mitarbeitern für einen der Vorschläge zu entscheiden und E umgehend zu informieren. Zurück in Hamburg schließt D mit der Hafenbetreiberin H-GmbH einen Reservierungsvertrag, um sich frühzeitig einen der begehrten Werftplätze für sein neues Schiff zu sichern. Die Reservierungsgebühr in Höhe von 3.000 zahlt er an die H-GmbH. Beim nächsten Treffen teilt D dem E gleich zu Beginn mit, er wolle lieber einen neuen Frachter kaufen. Deshalb käme für ihn nur E s zweites Finanzierungsangebot in Betracht. Zum Überraschen des D bedauert E jedoch, dies sei ihm nun leider aus Liquiditätsgründen doch nicht mehr möglich. D ist verärgert und fordert von E Ersatz für die 3.000 Reservierungsgebühr, die er umsonst gezahlt hat. Als E die Zahlung ablehnt, klagt D gegen E vor dem zuständigen Gericht in Hamburg auf Schadensersatz in Höhe von 3.000. Welchem Recht unterliegt der Anspruch des D gegen E? Fragen 1) Welche Funktion hat Art. 6 EGBGB und wann wird er angewandt? 2) Was ist der Regelungsgrund der Rom I- und Rom II-Verordnungen?

Lösungsvorschlag Fall A. Aufgrund der unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten der Parteien und ihren gewöhnlichen Aufenthalten in unterschiedlichen Staaten (Deutschland und England) liegt ein Sachverhalt mit Auslandsberührung vor. Das anwendbare Recht ist gem. Art. 3 EGBGB nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts zu bestimmen. B. Vereinheitlichtes Sachrecht, das auf den vorliegenden Fall Anwendung finden könnte, ist nicht ersichtlich. C. Zu prüfen ist daher, welche Kollisionsnorm auf den Sachverhalt Anwendung findet. I. Zunächst muss dafür bestimmt werden, welchem Rechtsgebiet der Sachverhalt zugeordnet werden kann (Qualifikation). Zwischen D und E könnte bereits ein Vertrag zustande gekommen sein. In der Äußerung des E, es werde sich so oder so eine Lösung für D finden, könnte eine rechtsverbindliche Zusage gesehen werden. Dagegen spricht jedoch, dass die Parteien bewusst offen ließen, mit welchem Inhalt sie einen Vertrag schließen wollten. Die wesentlichen Bedingungen des Vertrages (essentialia negotii) wollten sie erst bei ihrem nächsten Treffen festlegen. Dies scheiterte, und es kam nicht zu einer Einigung. Zwischen E und D war also noch kein Vertrag zustande gekommen. Die Forderung des D resultiert aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages (culpa in contrahendo, c.i.c). II. Je nachdem, ob man die c.i.c. als vertragliches oder außervertragliches Schuldverhältnis ansieht, kommen als anwendbare Kollisionsnormen gemäß Art. 3 Nr. 1 lit. a), b) EGBGB Vorschriften der Rom I-VO (vertragliche Schuldverhältnisse) oder der Rom II-VO (außervertragliche Schuldverhältnisse) in Betracht. 1. Bei der Anwendung unionsrechtlichen IPRs ist die unionsrechtliche Qualifikation maßgeblich, d.h. es ist gemeinschaftsrechtlich-autonom zu bestimmen, ob die c.i.c. als vertragliches oder außervertragliches Schuldverhältnis zu qualifizieren ist. Art. 1 I lit. I) Rom I-VO schließt Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages explizit vom Anwendungsbereich der Rom I-VO aus. Anders als das deutsche Recht versteht das Unionsrecht sie also als außervertragliche Schuldverhältnisse, vgl. Art. 1, 2 I Rom II-VO. Damit unterfällt der vorliegende Sachverhalt dem sachlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO. 2. Es müsste auch der zeitliche Anwendungsbereich eröffnet sein. Die Rom II-VO ist gem. Art. 31, 32 auf schadensbegründende Ereignisse anwendbar, die nach dem 11.01.2009 eingetreten sind. Der vorliegende Sachverhalt spielt sich ab Januar 2010 ab, sodass er vom zeitlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO erfasst ist. 3. Ausschlussgründe sind nicht ersichtlich. Die Rom II-VO ist anwendbar. III. Nun ist die genaue Kollisionsnorm zu ermitteln 1. D und E könnten eine Rechtswahl getroffen haben, Art. 14 Rom II-VO. Dafür ergeben sich hier aber keine hinreichenden Anhaltspunkte. 2. Daher ist das anwendbare Recht nach Art. 12 Rom II-VO bestimmen. Art. 12 I Rom II-VO sieht vor, dass auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags (unabhängig davon, ob der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde oder

nicht) das Recht anzuwenden ist, das auf den Vertrag anzuwenden ist oder anzuwenden gewesen wäre, wenn er geschlossen worden wäre (akzessorische Anknüpfung an das Vertragsstatut). E und D befanden sich in Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages, allerdings kam zwischen ihnen kein Vertrag zustande. Zu prüfen ist daher, welches Recht auf den Vertrag anwendbar gewesen wäre, wenn er zustande gekommen wäre. D. Ermittlung des (hypothetischen) Vertragsstatuts I. Das Vertragsstatut könnte nach der Rom I-VO zu bestimmen sein, Art. 3 Nr. 1 lit. b) EGBGB. In zeitlicher Hinsicht ist die Rom I-VO auf Verträge anwendbar, die ab dem 17.09.2009 geschlossen werden, Art. 28 Rom I-VO. Hier hätte der Vertragsschluss frühestens im Januar 2010 gelegen; die Rom I-VO ist also zeitlich anwendbar. Sachlich gilt sie gem. Art. 1 I Rom I-VO für vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, ist also auch in dieser Hinsicht anwendbar. (Insbesondere liegt kein Fall des Ausnahmekatalogs des Art. 1 II Rom I-VO (namentlich lit.i) vor, da es ja hier um die Ermittlung des hypothetischen Vertragsstatuts geht ) II. Im Rahmen der Rom I-VO ist nun die genaue Kollisionsnorm zu ermitteln. Für eine vorrangige ausdrückliche oder stillschweigende Rechtswahl der Parteien nach Art. 3 I S. 2 Rom I-VO liegen keine Anhaltspunkte vor. Mangels Sonderanknüpfung nach Art. 5-8 Rom I-VO könnte eine typisierte Anknüpfung nach Art. 4 I Rom I-VO vorgenommen werden. Dafür muss zunächst klargestellt werden, welcher hypothetische Vertrag Gegenstand der Prüfung ist. Das ist hier problematisch, da E und D sich ja gerade nicht auf die wesentlichen Vertragsbedingungen hatten einigen können. Es gab zwei mögliche Vertragsszenarien, die durch die Optionen des E vorbestimmt waren. Anm.: Ab hier ist ein alternativer Lösungsweg möglich, der im Anschluss an den hier gewählten Lösungsweg dargestellt wird. III. Möglicherweise ist eine Entscheidung für eine der beiden Optionen entbehrlich, wenn sie ohnehin zur Anwendbarkeit desselben Rechts geführt hätten. 1. Die erste Alternative des E war sein Angebot, dem D einen gebrauchten Frachter günstig zu verkaufen. Bei der Wahl dieser Option wäre der Vertrag Kaufvertrag isv Art. 4 I lit. a) Rom I-VO gewesen. Nach dieser Vorschrift findet auf den Vertrag das Recht des Staates Anwendung, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nach Art. 19 I 2 Rom I-VO bestimmt sich dies nach dem Ort seiner Hauptniederlassung, da E beim Verkauf im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit gehandelt hätte. Die Hauptniederlassung des E ist in England, folglich wäre bei dieser Option englisches Recht auf den Vertrag anwendbar gewesen. 2. Die zweite Alternative des E war sein Angebot, dem D Geld zu sehr niedrigen Zinsen leihen und dafür künftige Lieferungen von E zu günstigen Konditionen erhalten. Diese Art Vertrag lässt sich nicht einem der Vertragstypen des Art. 4 I Rom I-VO zuordnen. Daher unterliegt er nach Art. 4 II Rom I-VO dem Recht des Staates, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Charakteristisch ist diejenige Leistung, die dem betr. Vertragstyp seine Eigenart verleiht und seine Unterscheidung von anderen Vertragstypen ermöglicht; idr die Leistung, für die Zahlung geschuldet wird. Prägend für den

vorliegenden hypothetischen Vertrag ist die Geldüberlassung auf Zeit von E an D. Die Finanzierung ist das Ziel der Verhandlungen und soll auf jeden Fall erreicht werden. Dass D dem E im Gegenzug Sonderkonditionen einräumt, kann als bloße Nebenabrede gesehen werden, aufgrund derer D zb einen Teil des Zinses in Sachleistungen erbringen darf. Im Vordergrund steht aber die Geldüberlassung als vertragscharakteristische Leistung. Sie wird von E erbracht. Maßgeblich ist daher der gewöhnliche Aufenthalt des E, also England (s.o.). Auch bei dieser Option wäre also englisches Recht auf den Vertrag anwendbar. IV. Zwischenergebnis: Für beide möglichen Verträge ist das nach der Rom I-VO ermittelte Vertragsstatut englisches Recht. Eine Entscheidung für eine der beiden Optionen ist entbehrlich. E. Ergebnis: Das Gericht wird gem. Art. 12 I Rom II-VO englisches Recht auf den Fall anwenden. Ein Renvoi ist ausgeschlossen, Art. 24 Rom II-VO. Alternativer Lösungsweg: Auswahl einer Option 1. Die erste Alternative des E war sein Angebot, dem D einen gebrauchten Frachter günstig zu verkaufen. Bei der Wahl dieser Option wäre der Vertrag Kaufvertrag isv Art. 4 I lit. a) Rom I-VO gewesen. Allerdings sollte das Zustandekommen des Vertrages nach der Vereinbarung der Parteien von der Wahl des D abhängen. Dafür spricht Es Bemerkung, es werde sich so oder so eine Lösung für D finden. Da D die zweite Option wählte, wäre eigentlich ein Vertrag mit dem Inhalt zustande gekommen, dass E dem D Geld zu sehr niedrigen Zinsen geliehen und dafür künftige Lieferungen von E zu günstigen Konditionen erhalten hätte. Dieser hypothetische Vertrag ist daher Gegenstand der Prüfung. 2. Der fragliche Vertrag lässt sich nicht einem der Vertragstypen des Art. 4 I Rom I-VO zuordnen. 3. Daher unterliegt er nach Art. 4 II Rom I-VO dem Recht des Staates, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Charakteristisch ist diejenige Leistung, die dem betr. Vertragstyp seine Eigenart verleiht und seine Unterscheidung von anderen Vertragstypen ermöglicht; idr die Leistung, für die Zahlung geschuldet wird. Prägend für den vorliegenden hypothetischen Vertrag ist die Geldüberlassung auf Zeit von E an D. Die Finanzierung ist das Ziel der Verhandlungen und soll auf jeden Fall erreicht werden. Dass D dem E im Gegenzug Sonderkonditionen einräumt, kann als bloße Nebenabrede gesehen werden, aufgrund derer D zb einen Teil des Zinses in Sachleistungen erbringen darf. Im Vordergrund steht aber die Geldüberlassung als vertragscharakteristische Leistung. Sie wird von E erbracht. Maßgeblich ist daher der gewöhnliche Aufenthalt des E, der nach Art. 19 I 2 Rom I- VO der Ort seiner Hauptniederlassung ist. II. Zwischenergebnis: Nach Art. 4 II Rom I-VO wäre englisches Recht auf den Vertrag zwischen E und D anwendbar gewesen, wenn er zustande gekommen wäre.

III. Ergebnis: Das Gericht wird gem. Art. 12 I Rom II-VO englisches Recht auf den Fall anwenden. Ein Renvoi ist ausgeschlossen, Art. 24 Rom II-VO. Fragen 1) Nach Art. 6 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts (sog. ordre public) offensichtlich unvereinbar ist. Diese allgemeine Vorbehaltsklausel führt zur Abwehr abweichender ausländischer Wertvorstellungen (= negative Funktion des ordre public). Da das IPR grds ergebnisblind ist, d.h. ein Recht grds unabhängig von dessen Wertvorstellungen beruft, ist die korrigierend eingreifende Ordre-public-Klausel nur unter engen Voraussetzungen anwendbar: Das Ergebnis der Rechtsanwendung (nicht der bloße Inhalt der Norm) muss im konkreten Einzelfall mit den grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen des deutschen Rechts oder den Grundrechten schlechthin unvereinbar sein, die Unvereinbarkeit muss offensichtlich (eklatant, auf der Hand liegend) sein; eine bloße Abweichung vom deutschen zwingenden Recht genügt nicht, der Sachverhalt muss hinreichende Inlandsbeziehung aufweisen (Relativität des ordre public). Es gilt: Je stärker die Inlandsbeziehung des Sachverhalts (z.b. gewöhnlicher Aufenthalt oder Sitz im Inland, inländische Staatsangehörigkeit einer Partei) und je heftiger die Anstößigkeit des Ergebnisses, um so eher greift der ordre public- Vorbehalt ein. Allerdings findet über Art 6 EGBGB keine abstrakte Normenkontrolle statt; der deutsche Richter ist nicht Sittenwächter über fremde Rechtsordnungen. Deswegen ist die Vorschrift eine eng zu verstehende Ausnahme im Gefüge des IPR. 2) Die Rom I- und II-Verordnungen sollen das reibungslose Funktionieren des EU- Binnenmarkts fördern, indem sie die Kollisionsnormen der Mitgliedsstaaten für vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse vereinheitlichen, vgl. jew. Erwägungsgrund 1 und 2 der Verordnungen. Sie sollen den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten im europäischen Binnenmarkt vorhersehbarer machen und die Sicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht sowie den freien Verkehr gerichtlicher Entscheidungen fördern (Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs, vgl. jew. Erwägungsgrund 6 der Rom I- bzw. Rom II- VO). Man kann das wegen der Begrenzung auf die EU auch regionalen Entscheidungseinklang nennen (s.a. Erwägungsgrund 16 Rom I-VO). Dazu ist es förderlich, wenn einheitliche Kollisionsnormen gelten, die unabhängig von dem Staat angewandt werden, in dem sich das Gericht befindet (Vermeidung von sog. forum shopping ).Die Verordnungen sollen außerdem im Einklang mit der Brüssel I-VO stehen, die das internationale Zivilprozessrecht der EU regelt und so zu einem stimmigen System europäischer Anknüpfungsnormen beitragen, vgl. jew. Erwägungsgrund 7 der Verordnungen.