Seminar der Medizinischen Psychologie und Medizinischen Soziologie Psy 2: Bewusstsein und Aufmerksamkeit von Thorsten Krebs
Gliederung 1. Definition von Bewusstsein 2. Unspezifische Aktivierungssysteme 3. Wie können Reize moduliert werden? 3.1 Orientierung 3.2 Habituation 4. Aufmerksamkeit 4.1 Selektive Aufmerksamkeit 4.2 Ereigniskorrelierte Potentiale 1. Definition von Bewusstsein Physiologisch kann man Bewusstsein in zwei Hauptaspekte unterteilen, die automatische und die kontrollierte Aufmerksamkeit. Diese Einteilung gibt lediglich die Art der Aufmerksamkeit wieder. Bei der automatischen Aufmerksamkeit wird ein Reiz wahrgenommen und auf ihn reagiert. Dieser Reiz passt in ein im Langzeitgedächtnis gespeichertes Muster und kann nach diesem beantwortet werden. Somit wird auf ihn ohne bewusste Wahrnehmung reagiert. Bei der kontrollierten Aufmerksamkeit hingegen werden Dinge bewusst wahrgenommen (z.b. ein Gespräch) und Lösungen bzw. Reaktionen erarbeitet. Kurz kann man sagen, dass die kontrollierte Aufmerksamkeit immer dann in Kraft tritt, wenn ein Sinneseinfluss nicht den Erwartungen entspricht oder man sich diesem Vorgang bewusst zuwendet. Es gibt mehrere Hirnareale, die für eine bewusste Wahrnehmung benötigt werden. So werden die Retikulärformationen des Hirnstamms, alle Kerne des Thalamus, die Basalganglien, der Gyrus cinguli sowie der parietale, occipitale und frontale Kortex für eine phasische, willentliche Aufmerksamkeit benötigt. Zunächst erreicht die neue, zu bewertende Information die einzelnen Kerne des Thalamus. Hier werden sie verschaltet und zu den verschiedenen, für diesen Reiz spezifischen kortikalen Arealen weitergeleitet. Näheres hierzu unter Punkt 2. Zu diesen zwei physiologischen Einteilungen kommt auch noch eine philosophische. So spricht man von dem Ich-Bewusstsein gegenüber dem allgemeinen Bewusstsein. Hier geht es um die Tatsache, dass Menschen über sich selber nachdenken. 2
2. Unspezifische Aktivierungssysteme Für eine bewusste Wahrnehmung muss zunächst einmal ein Zustand der Wachheit im Gehirn erlangt werden, welcher durch das ARAS (=aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem) im Mittelhirn gesteuert wird. Diese retikuläre Formation sorgt für eine Desynchronisierung des EEG im Gehirn, welche die Grundlage für eine lang andauernde Wachheit ist. Des Weiteren ist es für die Modifizierung der Reize für den Thalamus und dem Neokortex zuständig. Eine Regulation der Reizaufnahme wird durch ein bestimmtes System ermöglicht. Dieses modulierende System wird als LCCS (= limitiertes Aufmerksamkeits- Kontrollsystem) bezeichnet. Es beruht auf der Tatsache, dass das Kurzzeitgedächtnis nur eine bestimmte Menge an Reizen bearbeiten kann. Die neuen Reize werden zunächst, noch weit vor der bewussten Wahrnehmung, durch Vergleich mit schon vorhandenen Mustern im Langzeitgedächtnis analysiert. Falls die Muster bekannt sind, kann darauf eine automatisierte Reaktion stattfinden, welche unbewusst geschieht. Wenn aber ein Mismatch eine Abweichung von bekannten Mustern oder von erwarteten Reizen (z.b. ein Ton bleibt aus) vorhanden ist, wird der Reiz bewusst und man befasst sich willentlich mit der Lösung des Mismatches. Für dieses Verhalten erzeugt der Thalamus eine spezifische, phasische Aktivität und bahnt besondere Bereitschaft in den kortikalen Hirnarealen. Allerdings kommen diese Erregungen nicht nur aus dem Thalamus selber, sondern er verstärkt Fasern des ARAS. Diese ziehen alle durch den Thalamus hindurch und können so von diesem modifiziert werden. Der für die Feinregulation zuständige thalamischen Kern ist der Nucleus reticularis thalami. Er kann die für kontrollierte und spezifische Aufmerksamkeit benötigten Bahnen vom Thalamus zum Kortex weiter öffnen und unbenötigte Bahnen schließen. Er ist somit das Tor, das die Kapazitäten des LCCS immer in der Art und Weise freigibt oder hemmt, wie sie in der aktuellen Situation benötigt werden. Zum Kortex steht er über die Basalganglien in Verbindung. Diese haben eine hemmende Wirkung auf ihn. Ein weiterer Aspekt der unspezifischen Aktivierungssysteme ist der Vergleich zwischen neokortikalen Zellgruppen. Für diesen Vorgang spezifisch ist der Gyrus cinguli. Für die Gebiete in den Parietallappen ist dieser z.b. bei der visuellen und taktilen Wahrnehmung von großer Bedeutung. Der Vergleich geschieht vor der Bahnung durch den Nucleus reticularis thalami. 3. Wie können Reize moduliert werden? Bisher wurde nur der Unterschied zwischen automatischer Reaktion und bewusster Aufmerksamkeit geklärt. Aber wie kann man erlangen, das man auf einen bekannten Reiz anders reagiert, als zu dem Zeitpunkt, wo man ihn das erste Mal erfahren hat? Oder genauer: Wie kann man lernen? Um einen neuen Reiz in die vorhandenen Muster zu integrieren muss man ihn ändern können. Er muss abgeschwächt und als neu gelernter erkannt werden. Hier treten nun zwei Arten der Modifikation ein: die Orientierung und die Habituation. 3
3.1 Orientierung Bei der Orientierung handelt es sich um eine Art der Anpassungsreaktion gegenüber neuen Reizen. Sie tritt nur dann auf, wenn ein Reiz im Langzeitgedächtnis in den bekannten Mustern nicht gefunden werden kann. Die neuen Informationen über den Reiz werden nun vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis übertragen. Falls es schon ein anderes Muster zu diesem Reiz gibt, also ein Mismatch auftrat, wird dieser Muster modifiziert. Eine Orientierungsreaktion wird nach speziellen Kriterien eingeordnet. Der Reiz muss komplett neu sein, sein Auftreten wie auch das überraschende Ausbleiben immer dieselbe Antwort auslösen, er muss habituieren (s.u.) und der Grad der Reaktion von der Intensität abhängen. Durch dieses Mismatch der Erwartung und des eigentlichen Reizes werden nun spezifische Antworten ausgelöst, die die Orientierungsreaktion hervorrufen. Ein Beispiel hierfür wäre der plötzliche Anstieg der Herzfrequenz. 3.2 Habituation Die Habituation meint das Anpassen an einen wiederholten Reiz. Die Reaktionsrate auf diesen nimmt exponentiell ab. Dieses Anpassen kann dadurch beschleunigt werden, dass man einem Reiz innerhalb kurzer Zeit öfter ausgesetzt wird. Um eine Abnahme der Habituation im Experiment zu erlangen eine so genannte Dishabituation, ist es nötig zwischen die angepassten Reize neue zu setzen. Somit wird es möglich, durch unerwartete neue Reize auch einen bekannten in seiner Abschwächung zu manipulieren. Dieses hat mit der Erwartungshaltung des Menschen zu tun, das er die Reize immer in ein schon vorhandenes Muster im Langzeitgedächtnis einfügen will, was durch neue, unerwartete Reize erschwert wird. Merkmale einer Habituation ist die Abnahme der oben beschriebenen Orientierungsreaktion. Dadurch, dass die Gefahr durch den Reiz eingestuft werden kann, wird er als weniger gefährlich eingestuft. Die Reaktion auf ihn findet nach diesem Lernvorgang in geringerem Ausmaß statt. Nach mehreren Reizwiederholungen kann die Reaktion sogar automatisiert werden (z.b. Auto fahren). 4. Aufmerksamkeit 4.1 Selektive Aufmerksamkeit Bei der selektiven Aufmerksamkeit geht es um die Möglichkeit, sich auf einen speziellen Vorgang zu konzentrieren. Dadurch wird gleichzeitig allen anderen Vorgängen eine untergeordnete Wichtigkeit zugewiesen. Man wendet sich von den vorigen Aufgaben willentlich ab. Die selektive Aufmerksamkeit wird durch das oben genannte LCCS erreicht. Durch dieses System ist es möglich bestimmten Reizen des Kurzzeitgedächtnisses einen Weg zu bahnen und anderen Reizen das Tor zuzuschlagen. Der Schlüssel ist hierbei der als Tor fungierende Nucleus reticularis thalami. Als Beispiel kann man ein einfaches Experiment anführen, bei dem die Erwartungen des Probanden komplett oder leicht modifiziert erfüllt werden. So konzentriert sich der Proband auf einen bestimmten Punkt auf einem Monitor und erwartet dort ein 4
Symbol zu erkennen. Falls dieser Auftritt, soll er eine Taste drücken. Um dieses bewusste Zuwenden im EEG sichtbar zu machen, werden so genannte langsame Hirnpotentiale gemessen. Für eine bessere Konzentration auf diesen speziellen Vorgang tritt eine Negativierung im EEG auf. Je größer diese Negativierung ist, umso höher ist die Fokussierung auf eben diese Aufgabe. Alle anderen Reize können nur noch schlecht bearbeitet werden, da die limitierten Ressourcen voll auf diesen einen Vorgang konzentriert werden. Wenn nun der erwartete Reiz auftritt werden die geplanten Reaktionen ausgeführt, die Taste wird gedrückt. Wenn das Symbol aber an einem anderen Ort auf dem Monitor erscheint, muss er sich zunächst von dem erwarteten Punkt lösen und sich dem Symbol zuwenden. Durch dieses Mismatch muss zunächst das LCCS neue Ressourcen im Gehirn aktivieren um eine Erkennung des Symbols zu gewährleisten. Diese Tatsachen kann wiederum anhand des EEGs gemessen werden. 4.2 Ereigniskorrelierte Potentiale Die ereigniskorrelierten Potentiale geben Informationen über den Zeitverlauf und die Stärke der Informationsverarbeitung wieder. Man misst mit ihnen also den Verlauf der Integration von Reizen. So werden unbekannte Reize als stärkere Ausschläge gemessen als uns bekannte. Bekannte Stimuli weisen 20 50 ms nach Eintreffen eine geringere Positivierung der langsamen Hirnpotentiale und im späteren Verlauf eine geringere Negativierung auf. Wenn der Reiz uns unbekannt ist sind die Ausschläge deutlich stärker. Allerdings ist zunächst die Negativierung lokal begrenzt. Erst in der späteren Verarbeitung des Reizes und in der Generierung einer bewussten Antwort werden mehrere Areale miteinander verschaltet. Durch diese nicht ortsspezifische Suche nach einer Lösung zeigt sich auch das Zusammenspiel aller Zentren des Gehirns. Genau dieses ist auch bei dem oben genannten Beispiel der Fall. Die Abläufe nach dem Erscheinen des Symbols also Bewertung und Tastendruck wurden vom Gehirn durch Negativierung der dafür zuständigen Areale gebahnt. Allerdings wurde die Erwartung beim Mismatch enttäuscht. Somit musste zunächst die Erkennung auf einen anderen Ort gerichtet werden. Anschließend erfolgte der Tastendruck als Reaktion auf das Erkennen. Eine neue Lösung der Reizverarbeitung wurde generiert. Literatur: Birbaumer, N. & Schmidt, R. F. (2003). Biologische Psychologie. Berlin: Springer, S. 515-541; Pritzel, M., Brand, M.& Markowitsch, H. J. (2003). Gehirn und Verhalten. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag, S. 472-475. 5