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1 Enzym-Wirkungsweise (Abb. 1) Heute werde ich über die Wirkungsweise von Enzymen sprechen. Ohne Katalysatoren, das heisst alleine durch thermischen Zusammenstoss der reagierenden Moleküle, laufen die meisten chemischen Reaktionen relativ langsam ab. Unterschiedliche Funktionen der Lebewesen, wie Sehen oder Hören, brauchen aber außerordentlich schnell ablaufende, außerordentlich spezifische und außerordentlich harmonisierte chemische Reaktionen. Die Evolution des Lebens auf der Erde brachte allmählich solche Verbindungen hervor, die die Beschleunigung der biochemisch wichtigen chemischen Reaktionen zu den benötigten Geschwindigkeiten gewährleisten, mit dem üblichen Ausdruck katalysieren können. Katalysatoren heißen in der Biochemie Enzyme. Enzymatische Reaktionen können sogar Milliarden mal schneller ablaufen als die entsprechenden unkatalysierten Reaktionen. Neben ihrer theoretischen Bedeutung hat Enzymforschung auch eine praktische Wichtigkeit. Einige Krankheiten lassen sich nämlich auf den Defekt oder auf das Fehlen eines Enzyms zurückführen. Andere Krankheiten können durch Hyperaktivität eines Enzyms ausgelöst werden. Außerdem kann die Bestimmung der Enzymaktivität im Blutplasma oder in Gewebeproben für die Diagnose bestimmter Krankheiten behilflich sein. Darüber hinaus sind viele Medikamente durch ihr Zusammenspiel mit einem Enzym wirksam. Schließlich verwenden Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie Enzyme in großen Mengen. Die Enzymforschung begann am Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als Buchner entdeckte, dass die Gärung von Zucker nicht nur mit lebenden Hefezellen beschleunigt werden kann, wie früher die Vitalisten behaupteten, sondern auch mit einer aus ihnen isolierten Substanz. Erst 50 Jahre später konnte Sumner beweisen, dass alle Enzyme Proteine sind. Die Natur der Enzymwirkungsweise wurde aber erst in den dreißigen Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts von Haldane erkannt. Er

2 postulierte, dass die Essenz der enzymatischen Katalyse eine gewisse Verzerrung des Substrats durch schwache Bindungswechselwirkungen zwischen dem Enzym und seinem Substrat ist. (Abb. 2) Wie gesagt, Enzyme sind Proteine mit einem Molekulargewicht zwischen 12.000 und über eine Million. Die katalytische Aktivität einiger Enzyme hängt nur von ihrer Zusammensetzung und Konformation ab. Andere Enzyme brauchen zusätzliche chemische Komponenten, die so genannten Cofaktoren, um Aktivität verrichten zu können. Cofaktoren sind entweder anorganische Ionen, wie Kupfer, Eisen oder Zink, oder organische Moleküle, wie Biocytin oder Coenzym- A. Organische Cofaktoren werden auch als Coenzyme bezeichnet. Einige Enzyme erfordern für ihre Aktivität sowohl ein Coenzym als auch ein Metall-Ion. Wenn er fest und ständig an ein Enzym gebunden ist, wird ein Cofaktor als prostethische Gruppe bezeichnet. Ein Enzym mit festgebundenem oder vorläufig gebundenem Cofaktor nennt man Holoenzym, seinen Proteinanteil alleine Apoenzym oder Apoprotein. Einige Enzyme können von Lebewesen nicht synthetisiert werden; deshalb müssen sie mit der Nahrung aufgenommen werden. Solche Coenzyme heissen Vitamine. (Abb. 3) Was die Benennung der Enzyme betrifft, tragen viele die Nachsilbe "-ase" nach dem Namen ihrer Substrate; zum Beispiel katalysiert Urease die Hydrolyse von Harnstoff. Andere Enzyme tragen die Nachsilbe "-ase" nach der Beschreibung ihrer Tätigkeit; zum Beispiel katalysiert DNA-Polymerase die Polymerisation von Nukleotiden zu DNA. Es gibt aber Enzyme, deren Namen mit ihren Substraten oder Tätigkeiten nichts zu tun haben, wie Pepsin oder Trypsin. Bedauerlicherweise hat manchmal ein und dasselbe Enzym zwei oder mehr Namen, oder haben zwei unterschiedliche Enzyme denselben Namen. Wegen dieser Mehrdeutigkeit und der ständig wachsenden Zahl neu entdeckter Enzyme ist ein internationales System für die Benennung und Klassifizierung der Enzyme

3 eingeführt worden. Nach diesem System werden die Enzyme in sechs Klassen eingeordnet: Oxidoreduktasen, Hydrolasen, Lyasen, Isomerasen und Ligasen. Nach dem internationalen Bennennungssystem ist jedem Enzym eine 4-stellige Nummer zugewiesen, deren erste Ziffer sich auf seine Klasse bezieht. Bei dem projizierten Beispiel ist dies die Ziffer 2, weil es sich um eine Gruppentransfer-Reaktion handelt, um den Transfer einer Phosphorylgruppe von ATP an D-Glucose. Die zweite Ziffer bezieht sich auf die Enzymsubklasse, hier Phosphotransferase, die dritte Ziffer auf die Akzeptorgruppe, hier Hydroxilgruppe, und die vierte Ziffer auf das Akzeptor-Molekül, hier D-Glukose. Die Bedeutung dieser Ziffern kann man auf einer langen Liste ablesen. Im Weiteren werden wir aber die traditionellen Benennungen verwenden. (Abb. 4) Um zu verstehen, wie Enzyme die chemischen Reaktionen beschleunigen, müssen wir uns zuerst mit den allgemeinen Energieverhältnissen der unkatalysierten chemischen Reaktionen beschäftigen. Aus energetischem Gesichtspunkt befindet sich jede chemische Verbindung in einem metastabilen Zustand, wie ein Spielball auf dem Grund einer Grube an der Hillseite. Der Ball in der Grube hat Potentialenergie, die der freien Enthalpie der Moleküle entspricht. Um den Ball in das Tal herunterrollen zu lassen, muss man ihn zuerst auf den Rand der Grube heben und damit eine Energiebarriere überwinden, weil dabei die Potentialenergie des Balles erhöht wird. Die dazu verbrauchte Energie heisst Aktivierungsenergie, bei chemischen Reaktionen freie Aktivierungsenthalpie. Nach dem Herunterrollen bekommt der Ball eine Bewegungsenergie, die der Summe seiner früheren Potentialenergie und der aufgebrauchten Aktivierungsenergie entspricht. In chemischen Reaktionen dient die freie Aktivierungsenthalpie dazu, die in der Reaktion beteiligten Bindungen der reagierenden Moleküle aufzubrechen.

4 Nach dieser Überlegung betrachten wir eine einfache monomolekulare Reaktion, in der aus einem einzigen reagierenden Stoff (S) ein einziges Produkt (P) entsteht, wie bei der bereits erwähnten Isomerisierung von D-Glucose zu D- Fructose. Sowohl auf dem unkatalysierten, als auch auf dem enzymatischen Weg lauft diese Reaktion spontan ab, weil die freie Enthalpie des Produkts niedriger ist als die des reagierenden Stoffes. Auf dem unkatalysierten Weg muss aber diese Reaktion eine hohe Energiebarriere überwinden. Nur die schnellsten Lösungsmittelmoleküle können die dazu benötigte freie Aktivierungsenthalpie liefern, durch produktive Zusammenstösse mit Molekülen des reagierenden Stoffes. Der enzymatische Weg dieser Reaktion, in der der reagierende Stoff als Substrat bezeichnet wird, besteht aus drei Phasen. In der ersten Phase bildet sich ein Enzym- Substrat-Komplex. In der zweiten Phase wandelt sich dies zu einem Enzym- Produkt-Komplex. In der dritten Phase löst sich das Produkt vom Enzym ab. Nicht nur das Substrat und das Produkt sonder auch der Enzym-Substrat-Komplex und der Enzym-Produkt-Komplex befinden sich in einem metastabilen energetischen Zustand. Jede der drei Übergänge aus einem dieser metastabilen Zustände in den anderen braucht freie Aktivierungsenthalpie, die aber von gleicher Größenordnung sind wie die durchschnittliche thermische Energie der Lösungsmittel-Moleküle. Was die Geschwindigkeit (V) einer unkatalysierten monomolekularen Reaktion betrifft, ist sie proportional zu der Konzentration des reagierenden Stoffs (S) und der Geschwindigkeitskonstante (k). Die Geschwindigkeitskonstante ist ihrerseits umgekehrt proportional zu dem Logarithmus der freien Aktivierungsenthalpie. Je kleiner also die freie Aktivierungsenthalpie ist, desto größer wird die Geschwindigkeitskonstante und dadurch die Reaktionsgeschwindigkeit; und zwar in einem logarithmischen Maß. Dies ist der energetische Grund dafür, dass enzymatische Reaktionen viel schneller ablaufen,

5 als die entsprechenden unkatalysierten Reaktionen. Der Maßstab der Beschleunigung kann sogar 10 17 betragen. Bei mehrphasigen enzymatischen Reaktionen, in denen mehrere Energiebarrieren vorliegen, bestimmt die Phase mit der höchsten Aktivierungsenhtalpie die Geschwindigkeit der Gesamtreaktion, weil ihre Geschwindigkeit am niedrigste ist. So ist bei der dargestellten dreiphasigen enzymatischen Reaktion der Übergang vom Enzym-Substrat-Komplex zum Enzym-Produkt-Komplex die geschwindigkeitsbestimmende Phase. Es muss betont werden, dass Enzyme, ebenso wie anorganische Katalysatoren, keine Wirkung auf die Richtung oder auf das Gleichgewicht der chemischen Reaktionen haben, nur auf ihre Geschwindigkeit. (Abb. 5) Jetzt kommen wir zu der Frage, wie Enzyme die dramatische Erniedrigung der freien Aktivierungsenthalpie der chemischen Reaktionen verwirklichen. Die Bindung eines Substrats von einem Enzym erfolgt im Allgemeinen durch mehrere nicht-kovalente Wechselwirkungen. Damit ihre Zahl möglichst hoch wird und das Substrat in der bestmöglichen Orientierung Stellung nimmt, haben Enzyme ein taschenförmiges aktives Zentrum, wo ihre an der Substrat-Bindung beteiligten funktionellen Gruppen das Substrat in den optimalen Positionen umgeben. Dieses Phänomen heisst Komplementarität. Das so gebundene Substrat verändert dann die räumliche Anordnung der funktionellen Gruppen im aktiven Zentrum, während das so veränderte aktive Zentrum des Enzyms seinerseits das Substrat deformiert. Dadurch werden die Zahl und die Stärke der nicht-kovalenten Wechselwirkungen zwischen Enzym und Substrat noch höher. Mit anderen Worten wird die Komplementarität während der Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes verbessert. Coenzyme, die in der projizierten Abbildung eine gelbe Farbe haben, und auch die anorganischen Cofaktoren tragen zur Maximierung der Komplementarität des Enzyms zu seinem Substrat bei.

6 Die nicht-kovalenten Wechselwirkungen zwischen der - von der Substrat- Bindung veränderten - Struktur des aktiven Zentrums und der - von dem veränderten aktiven Zentrum deformierten - Struktur des Substrats lockern die kovalente Bindung des Substrats auf und erniedrigen dadurch die Enthalpie derjenigen Bindung, die in der nächsten Phase der enzymatischen Reaktion gelöst werden soll. Das ist der strukturelle Grund für die Erniedrigung der zur Spaltung dieser Bindung benötigten freien Aktivierungsenthalpie. (Abb. 6) Bei bimolekularen enzymatischen Reaktionen gelten alle Prinzipien, die ich bei der Auseinandersetzung der monomolekularen enzymatischen Katalyse erwähnt habe. Darüber hinaus orientiert das Enzym beide Substrat-Moleküle so präzise, dass ihre an der Reaktion beteiligten funktionellen Gruppen dicht nebeneinander liegen. Auf dem unkatalysierten Reaktionsweg müssen dagegen die reagierenden Moleküle mit günstiger Geschwindigkeit, aus günstiger Richtung an günstigen intramolekularen Stellen produktiv zusammenstoßen. Zum Beispiel entsteht bei einem produktiven Zusammenstoss eines Alkoholmoleküls mit einem Karbonsäureamid-Molekül ein Zwischenprodukt, das eine positive und eine negative Komplettladung in einer ungünstigen Position enthält. Daher zerfällt dieses Zwischenprodukt mit viel größer Wahrscheinlichkeit zu den Ausgangsmolekülen als zu den Produktmolekülen, einem Estermolekül und einem Amidmolekül. Enzyme können die Wahrscheinlichkeit der letzterwähnten Zerfallmöglichkeit auf zwei Reaktionswegen erheblich erhöhen. Sie können entweder mittels Hydroxid- und Hydronium-Ionen, oder mittels Protonendonatorund Protonenakzeptor-Molekülen die Position der positiven und negativen Ladungen in dem Zwischenprodukt so verändern, dass ein anderes Zwischenprodukt entsteht, das seinen Zerfall zu einem Estermolekül und einem Amidmolekül bevorzugt. Wenn die Reaktion mit Hilfe von Hydroxid- und Hydronium-Ionen stattfindet, wird sie als spezifische Säure-Base-Katalyse

7 bezeichnet, in dem anderen Fall als allgemeine Säure-Base-Katalyse. Die letzterwähnte Möglichkeit kommt in der Biochemie sehr häufig vor, weil in den aktiven Zentren von Enzymen Protonendonator-Protoneneakzeptor-Paare in günstigen Positionen vorhanden sind. Die häufigsten Protonendonator- Protoneneakzeptor-Paare sind Aminosäureresten, die eine positiv oder eine negativ geladene Seitenkette enthalten, wie Glutaminsäure oder Lysin, oder eine Seitenkette mit partialer Negativladung wie Serin oder Tyrosin. (Abb. 7) Eine andere, wichtige Art der bimolekularen enzymatischen Katalyse heisst kovalente Katalyse. Bei der kovalenten Katalyse wird neben schwachen Wechselwirkungen auch eine kurzlebige, kovalente Bindung zwischen dem Enzymmolekül und einem der Substratmoleküle, oder zwischen dem Enzymmolekül und einem Teil eines Substratmoleküls hergestellt. Betrachten wir dies am Beispiel der Hydrolyse einer Peptidbindung. Auf dem unkatalysierten Reaktionsweg muss ein Wassermolekül mit günstiger Geschwindigkeit aus günstiger Richtung an günstiger Stelle der Peptidbindung produktiv zustoßen. Die von α-chymotrypsin katalysierte Reaktion besteht aus zwei wichtigen Phasen. Bei der ersten Phase stellt eine elektronegative Hydroxylgruppe des Enzyms durch eine nukleophile Reaktion eine kovalente Einfachbindung mit dem Carbonyl-Teil des Substratmoleküls her. Dabei wird die Peptidbindung zwischen den Kohlenstoff- und Stickstoffatomen gelöst, ein Wasserstoffion aufgenommen und es entsteht eine endständige Aminogruppe an dem freiwerdenden Teil des Substratmoleküls. In der zweiten Phase spaltet sich die kovalente Bindung zwischen dem gebundenen Substratteil und dem Enzym unter Aufnahme eines Hydroxidions und Bildung einer endständigen Carboxylgruppe an dem anderen Substratteil. Beide Phasen brauchen eine viel niedrigere freie Aktivierungsenthalpie als die der unkatalysierten Reaktion. Daher läuft die enzymatische Reaktion viel schneller ab.

8 (Abb. 8) Bei der Beschreibung der energetischen Verhältnisse der enzymatischen Reaktionen habe ich bisher mit dem freien-enthalpie Teil ihrer Enthalpie operiert. Ihr Entropie-Teil wurde nicht erwähnt, obwohl die Energieverhältnisse der enzymatischen Reaktionen auch von der Entropie beeinflusst werden können. Zum Beispiel werden bei der Bildung des Enzym- Substrat-Komplexes mehrere, von dem Enzym und dem Substrat früher gebundene Wassermoleküle freigesetzt. Dadurch nimmt die Unordnung, das heisst die Entropie in dem Reaktionssystem zu, weil die Zahl der frei-beweglichen Moleküle größer wird. Dagegen wird bei der Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes die Möglichkeit der freien Rotation der funktionellen Gruppen um Einfachbindungen im Substratsmolekül aufgehoben. Dadurch nimmt die Ordnung im Reaktionssystem zu und seine Entropie ab. Darüber hinaus nimmt die Entropie in einer enzymatischen Reaktion ab, wenn die Zahl der entstehenden Moleküle kleiner ist als die der reagierenden Moleküle, wie bei Polymerisationsreaktionen. In dem entgegengesetzten Fall, wie bei Hydrolysereaktionen, nimmt die Entropie zu. Was die Reaktionsgeschwindigkeit betrifft, kann man Folgendes feststellen: Obwohl dabei die Entropie abnimmt, bewirkt die Erhöhung der Ordnung in einem Reaktionssystem die Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit durch Erniedrigung der freien Aktivierungsenthalpie. Sehen wir dies am Beispiel von drei ähnlichen unkatalysierten Reaktionen. Bei jeder dieser Reaktionen handelt es sich um die Bildung eines Carbonsäureanhydrids aus einem Ester und einer Carbonsäure unter Freiwerden von Alkohol. Im ersten Fall können sich die Reaktionspartner voneinander unabhängig frei bewegen. Im zweiten Fall befinden sich sowohl Ester als auch Carbonsäure in dem gleichen Molekül. Dadurch wird ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dies bedeutet die Erhöhung der Ordnung in dem System. Jedoch können sowohl der Esterteil, als auch der Carbonsäureteil des Moleküls um drei Einfachbindungen frei rotieren, im Gegensatz zum dritten Fall,

9 bei dem ihre Positionen fix sind. Dies bedeutet eine weitere Erhöhung der Ordnung im Reaktionssystem. Im Vergleich mit der ersten Reaktion ist die Geschwindigkeit der zweiten Reaktion um 10 5 mal, die der dritten Reaktion um 10 8 mal höher.