Modul 1 Grundrechtsschutz, Gewerbeund Wettbewerbsrecht für die Sicherheitsbranche



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Transkript:

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin Berlin School of Economics and Law Fernstudieninstitut Modul 1 Grundrechtsschutz, Gewerbeund Wettbewerbsrecht für die Sicherheitsbranche Studienbrief Teil 1.1 Grundrechte, Grundfreiheiten und Gewerberecht Master Security Management (MSM) Verantwortlicher Dozent: Prof. Dr. Hartmut Aden

Hartmut Aden* Grundrechte, Grundfreiheiten und Gewerberecht für die Sicherheitsbranche** * Der Autor, Prof. Dr. Hartmut Aden, lehrt Öffentliches Recht und Europarecht sowie Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin ** Auszug: Der vollständige Studienbrief wird nach Start des Fernstudiengangs Master Security Management (MSM) veröffentlicht.

Inhaltsverzeichnis Einleitung...3 1 Überblick: Rechtsebenen, Rechtsquellen und ihr Verhältnis zueinander...3 1.1 Rechtsebenen: Völkerrecht, Europarecht, nationales und subnationales Recht..3 1.1.1 Die Rechtsebenen.4 1.1.2 Das Verhältnis der Rechtsebenen untereinander 6 1.2 Rechtsquellen: Gesetzesrecht, Richterrecht und andere Quellen...8 1.2.1 Rechtliche Handlungsformen der EU, insbesondere Richtlinien und Verordnungen.8 1.2.2 (Parlaments-)Gesetze und Rechtsverordnungen im deutschen Bundes- und Landesrecht.....9 1.2.3 Richterrecht 9 1.2.4 Weitere Rechtsquellen...10 1.2.5 Soft Law als Rechtsquelle?... 10 1.2.6 Verwaltungsvorschriften: keine Rechtsnormen, aber trotzdem relevant 11 Anhang...12 Literaturverzeichnis...12 Links...12

Einleitung Dieser Studienbrief verfolgt mehrere Ziele: 1. Anknüpfend an vorhandene Rechtskenntnisse und praktische Erfahrungen wiederholt und vertieft er grundlegende Strukturen des Rechtssystems, die für die Sicherheitsbranche in Deutschland relevant sind. Im Mittelpunkt stehen das Verhältnis der verschiedenen Rechtsebenen zueinander, die deutschen Grundrechte und die EU-Grundfreiheiten, jeweils zugespitzt auf ihre Relevanz für die Sicherheitsbranche. 2. Darüber hinaus soll er den Leserinnen und Lesern praktische und methodische Hilfestellungen geben, um eigenständig mit Rechtsinformationen umzugehen und diese auf wissenschaftlichem Niveau auszuwerten, z. B. neue Gesetze und Gerichtsentscheidungen. 3. Da diese Fragen aufgrund des begrenzten Umfangs hier nicht in all ihren Facetten wissenschaftlich vertieft behandelt werden können, enthält der Text Hinweise auf weiterführende Quellen, die das behandelte Thema detaillierter und/oder wissenschaftlich vertieft darstellen. Der Studienbrief ist speziell für den neuen Master-Fernstudiengang Security Management konzipiert. Die jetzt vorliegende Fassung enthält nur den Anfangsteil. Die übrigen Teile werden zu Beginn des Wintersemesters veröffentlicht. 1 Überblick: Rechtsebenen, Rechtsquellen und ihr Verhältnis zueinander Lernziele dieses Abschnitts: Das systematische Durcharbeiten dieses Abschnitts soll Sie befähigen - die verschiedenen Rechtsebenen und ihr Verhältnis zueinander zu kennen, - die wichtigsten Rechtsquellen zu kennen und hinsichtlich ihrer rechtlichen Wirkung zu unterscheiden. 1.1 Rechtsebenen: Völkerrecht, Europarecht, nationales und subnationales Recht Für deutsche Wirtschaftsunternehmen, z. B. aus der Sicherheitsbranche, stehen häufig Vorschriften des deutschen Bundes- und Landesrechts im Mittelpunkt dessen, was sie bei unternehmerischen Entscheidungen zu beachten haben. So regelt die Gewerbeordnung (GewO), ein Bundesgesetz, die zentralen Rahmenbedingungen des Sicherheitsgewerbes (Voraussetzungen für das selbständige Betreiben eines Bewachungsunternehmens oder einer Detektei; Qualifikationsanforderungen an die Unternehmensleitung und das Personal usw.). Daneben gibt es weitere Rechtsebenen, die die Wirtschafts- und Lebenspraxis in Deutschland maßgeblich prägen: Das Europarecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, das internationale, teilweise globale Völkerrecht und das Kommunalrecht der Städte, Landkreise und Gemeinden. Aden 3

1.1.1 Die Rechtsebenen Staatenübergreifend/weltweit: Völkerrecht 27 EU-Staaten Europarecht/ EU-Recht Nationalstaat In Deutschland: Bundesrecht Gliedstaaten in föderalen Systemen In Deutschland: Landesrecht Lokal (in Deutschland u.a.: Städte/Gemeinden/Kreise) Kommunalrecht Abbildung 1: Rechtsebenen im Überblick ( Aden 2011) Kernelemente des Völkerrechts sind Verträge und Abkommen zwischen Staaten oder zwischen Staaten und internationalen Organisationen, mit denen gemeinsame Ziele definiert und Wege zum Erreichen dieser Ziele vereinbart werden. So wurden z. B. im Jahr 1997 im Kyoto-Protokoll Ziele für die Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen vereinbart, die für die Erderwärmung und daher für den Klimawandel verantwortlich gemacht werden. Das Europarecht ist das Recht der Europäischen Union (EU). Es wird daher auch als EU-Recht bezeichnet. Die EU ist in ihrer heutigen Form am 1. Dezember 2009 entstanden. In ihr ist die 1957 gegründete Europäische Wirtschaftsgemeinschaft aufgegangen, die später als Europäische Gemeinschaft bezeichnet wurde. 1 Auf den ersten Blick hat die EU Ähnlichkeiten mit anderen internationalen Organisationen wie z. B. den Vereinten Nationen, die ebenfalls aus Vereinbarungen zwischen Staaten hervorgegangen sind. Doch gehen die Kompetenzen der Europäischen Union wesentlich weiter. Sie kann Recht erlassen, das nicht nur für die EU-Mitgliedstaaten, sondern unmittelbar für alle Menschen und Unternehmen in den EU-Staaten verbindlich ist. Um diese Besonderheit zu betonen, wird das EU- Recht auch als supranationales Recht bezeichnet. Bitte beachten: Mit dem Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten ist, wurden die Gründungsverträge in Vertrag über die Europäische Union (EUV) und Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) umbenannt. Zugleich hat sich die Nummerierung der Artikel geändert. Wenn Sie Literaturquellen verwenden, die vorher erschienen sind, ist zu beachten, dass sie sich auf die alten Bezeichnungen und Nummerierungen beziehen, die bei manchen Aspekten auch inhaltlich abweichen. Das Europarecht hat eine große Bedeutung für die unternehmerische Tätigkeit. Die grenzüberschreitende wirtschaftliche Betätigung innerhalb der EU ist durch die EU-Grundfreiheiten geschützt. So regeln z. B. europarechtliche Vorschriften, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen Angehörige anderer EU-Staaten in Ihrem Betrieb beschäftigen oder Arbeitnehmer in einem anderen EU-Land tätig werden dürfen (Arbeitnehmerfreizügigkeit). Deutsche Sicherheitsunternehmen haben nach den EU-Grund- 1 Ausführlich zur Entwicklung: Chalmers/Davies/Monti 2010, S. 9 ff. 4

freiheiten das Recht, auch Aufträge in anderen EU-Staaten zu übernehmen und umgekehrt ausländische Unternehmen in Deutschland (Dienstleistungsfreiheit). Unternehmen können ihren Sitz in ein anderes EU-Land verlegen oder dort eine Zweigniederlassung eröffnen (Niederlassungsfreiheit). 2 Lange Zeit beharrten viele Mitgliedstaaten darauf, das Recht der Öffentlichen Sicherheit in nationaler Hoheit zu belassen, so dass die EU hier nur wenige Kompetenzen hatte. Inzwischen ist aber auch hier ein starker Europäisierungstrend zu beobachten, 3 der sich mit dem Vertrag von Lissabon weiter verstärkt hat. Trotz der großen Bedeutung des EU-Rechts bildet weiterhin das nationale Recht (in Deutschland: Bundesrecht) den zentralen Bezugspunkt für unternehmerische Entscheidungen. Für die Sicherheitsbranche sind dies die speziellen Regelungen der Gewerbeordnung und der Bewachungsverordnung, aber auch vielfältige Regelungen anderer Rechtsgebiete, z. B. aus dem Bau- und Immissionsschutzrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Strafrecht, Strafprozessrecht usw. Nur das nationale Recht ist bis heute eine vollständige Rechtsordnung, in der die Politik beanspruchen kann, alle Fragen zu regeln, die ihr wichtig erscheinen. Die EU ist dagegen nur für die (inzwischen relativ umfangreichen) Politikfelder und Rechtsgebiete zuständig, für die ihr die Mitgliedstaaten in den Gründungsverträgen (heute: Vertrag über die Europäische Union EUV und Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AEUV) Kompetenzen übertragen haben. In einem föderalen System wie der Bundesrepublik Deutschland kommt eine weitere Rechtsebene hinzu: das Recht der Teilstaaten, in Deutschland das Landesrecht. Das zentralstaatliche Recht, in Deutschland also das Bundesrecht, bildet in föderalen Staaten allein keine vollständige Rechtsordnung. Nach den Regeln der Art. 70 bis 74 des Grundgesetzes (GG) sind die Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern verteilt. Ursprünglich stand dahinter die Idee, dass die Länder den Vortritt bei der Gesetzgebung haben sollten. Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. (Art. 70 Abs. 1 GG) Hintergrund dieser Regelung sind die schlechten Erfahrungen mit der Bündelung der Gesetzgebungskompetenzen bei einem starken Zentralstaat in der Phase, in der das nationalsozialistische Regime den Föderalismus in Deutschland faktisch abgeschafft hatte. Das unter dem Einfluss der Alliierten Besatzungsmächte entstandene Grundgesetz ist hierzu als Gegenentwurf zu verstehen. Allerdings haben sich die Gewichte in der über 60-jährigen Staatspraxis der Bundesrepublik Deutschland zum Bund hin verschoben. Immer mehr Politikfelder wurden in die Listen der Art. 73 und 74 GG aufgenommen, die dem Bund Gesetzgebungskompetenzen für einzelne Sachmaterien zuweisen. Gerade für den Sicherheitsbereich liegen dennoch auch heute noch viele wichtige Gesetzgebungskompetenzen bei den Ländern, da das Grundgesetz keine Kompetenzzuweisung an den Bund enthält, sondern bewusst den Ländern diese Aufgaben überlässt. Dies gilt insbesondere für das Polizeirecht, das die Befugnisse der Länderpolizeien bei der Gefahrenabwehr regelt. Diese Landespolizeigesetze tragen unterschiedliche Bezeichnungen, in Berlin z. B. Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG). Diese Gesetze regeln auch einige Fragen, die bei der Zusammenarbeit zwischen der Polizei 2 Überblick bei Chalmers/Davies/Monti 2010, S. 744 ff. 3 Vgl. Aden/Busch 2006. Aden 5

und privaten Sicherheitsunternehmen auftauchen können, z. B. die in engen Grenzen mögliche Weitergabe von Polizeidaten an nicht-staatliche Stellen im Rahmen der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung. Seit der Föderalismusreform 2006 haben die Länder auch die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht (Demonstrationen), da die Bundeskompetenz für dieses Rechtsgebiet aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG gestrichen wurde. Nach der Grundregel des Art. 70 GG, nach der die Länder die Gesetzgebungskompetenz haben, wenn das Grundgesetz nicht dem Bund die Kompetenz zuweist, ist die Gesetzgebungszuständigkeit für das Versammlungsrecht mit der Streichung aus dem Grundgesetz an die Länder gefallen. Einzelne Länder haben bereits eigene Versammlungsgesetze erlassen. Für die Länder, die (noch) nicht von ihrer Kompetenz Gebrauch gemacht haben, gilt das Versammlungsgesetz des Bundes nach einer Übergangsregelung weiter (Art. 125a Abs. 1 GG), kann aber durch die Bundesgesetzgebung nicht mehr geändert werden. Die meisten Staaten haben eine weitere Rechtsebene für den lokalen Bereich, in Deutschland das Kommunalrecht für die kommunalen Gebietskörperschaften (Städte, Gemeinden, Landkreise u. ä.). Für lokale Angelegenheiten haben die deutschen Kommunen ein Selbstverwaltungsrecht (Art. 28 Abs. 2 GG), z. B. für die Planung von Bebauungsgebieten und Grünflächen. Hierfür erlassen die Kommunen Satzungen. Kommunale Satzungen regeln ebenfalls wirtschaftsrechtlich relevante Sachverhalte, z. B. die Zulässigkeit von Gewerbebetrieben in bestimmten Gebieten. Für die Sicherheitsbranche können auch Benutzungsordnungen für kommunale Einrichtungen relevant sein, die ebenfalls als Selbstverwaltungsangelegenheit per Satzung geregelt werden. 1.1.2 Das Verhältnis der Rechtsebenen zueinander Bei dem Nebeneinander verschiedener Rechtsebenen stellt sich für Rechtsanwender in Unternehmen, Behörden, Gerichten usw. die Frage, in welchem Verhältnis diese Rechtsebenen zueinander stehen. Gibt es eine klare Hierarchie in dem Sinne, dass die eine Rechtsebene immer Vorrang vor der anderen hat? In diesem Abschnitt wird gezeigt, dass diese Frage nicht für alle Fälle gleich beantwortet werden kann. Tendenziell ist zwar die geografisch weiterreichende Ebene wichtiger als die weniger weitreichende Ebene. Dies führt aber nicht in allen Fällen zu einem absoluten Vorrang. Regelungen wie die des Grundgesetzes, die bestimmen, welche Rechtsebene für welche Sachmaterien Gesetzgebungskompetenz hat (siehe voriger Abschnitt), tragen dazu bei, Konflikte zwischen den Rechtebenen zu vermeiden. Dennoch ist es für rechtsstaatliche Systeme wichtig, dass klare Regelungen über die Normenhierarchie bestehen. Denn nur so können sich die Betroffenen darauf verlassen, dass die Rechtsordnung im Zweifelsfall Regeln und Entscheidungsverfahren bereithält, die bestimmen, welche Rechtsebene unter welchen Voraussetzungen Vorrang hat. Für Unternehmen ist dies ebenso wie für die Bürgerinnen und Bürger ein wichtiges Elemente von Rechtssicherheit und damit ein Funktionselement des Rechtsstaats. Bundesrecht bricht Landesrecht. (Art. 31 GG) Wegen der weitgehend klaren Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen durch Art. 70 bis 74 GG kommt es nur selten vor, dass die Länder Recht erlassen, das in offenem Widerspruch zum Bundesrecht steht. Kommt dies dennoch vor, so trifft das Grundgesetz eine eindeutige Vorrangregelung für das Bundesrecht. 6

In Streitfällen entscheidet das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Es kann Landesrecht für nichtig erklären, nicht nur wenn es mit dem Grundgesetz kollidiert, sondern auch wenn es im Widerspruch zu anderem Bundesrecht steht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, konkretisiert durch 13 Nr. 6, 76-79 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG)). Häufiger kommen Konflikte zwischen dem Bund und den Ländern über die vielen Rechtsgebiete vor, auf denen die Verwaltungen der Länder Bundesrecht anwenden und ausführen müssen. Denn der Bund selber verfügt nur über einen kleinen Verwaltungsapparat. Änderungen von Bundesgesetzen, z. B. der Gewerbeordnung oder des Sozialrechts, können schnell zu erheblichen Mehrbelastungen für die Länderverwaltungen führen. Die Kommunen sind zwar im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung, die gemäß Art. 28 Abs. 2 GG Verfassungsrang hat, beim Erlass von Satzungen weitgehend autonom. Doch sie müssen sich an Vorgaben des höherrangigen Rechts halten. So können die Kommunen zwar eigenständig Bebauungspläne erlassen, müssen aber dabei die übergeordneten Regeln des Baugesetzbuches des Bundes einhalten, die z. B. verhindern sollen, dass die Landschaft durch Bauten außerhalb der Ortschaften zersiedelt wird. Betroffene können die Vereinbarkeit von (Bau-)Satzungen mit dem höherrangigen Recht von Oberverwaltungsgerichten prüfen lassen ( 47 Verwaltungsgerichtsordnung, VwGO). Auch wenn Kommunen per Satzung Gebührenordnungen festlegen, sind sie nicht völlig frei. Sie müssen sich an landesrechtliche Vorgaben zur Gebührenhöhe halten, außerdem an den bundesweit geltenden Rechtsgrundsatz, dass Gebühren der Kostendeckung, nicht aber der Gewinnerzielung dienen. Der Gründungsvertrag der Europäischen (Wirtschafts-)Gemeinschaft aus dem Jahr 1957 machte keine klaren Aussagen zum Verhältnis des europäischen zum mitgliedstaatlichen Recht. Bereits in den 1960er Jahren urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass im Kollisionsfall das Europarecht Vorrang vor dem mitgliedstaatlichen Recht hat. 4 Eine Kollision führt nicht dazu, dass die betreffenden mitgliedstaatlichen Rechtsnormen nichtig sind. Doch treten sie in der Anwendung hinter die kollidierenden europarechtlichen Vorschriften zurück. Mit dem Vertrag von Lissabon haben die Mitgliedstaaten dies erstmals explizit anerkannt. Vorrang des EU-Rechts vor dem mitgliedstaatlichen Recht Die Konferenz weist darauf hin, dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben. (Erklärung Nr. 17 zum Vertrag von Lissabon) Auch völkerrechtliche Vereinbarungen sind im Verhältnis zum Recht der Mitgliedstaaten grundsätzlich insofern verbindlich, als die Mitgliedstaaten darin konkrete Verpflichtungen übernehmen. Die tatsächliche Wirkung ist allerdings differenzierter zu sehen. Zunächst müssen unterzeichnete völkerrechtliche Verträge ratifiziert und damit auch innerstaatlich verbindlich gemacht werden. Oft unterzeichnen Staaten einen Vertrag, lassen sich aber mit der Ratifizierung viel Zeit. Auch fehlt es vielen internationalen Verträgen an wirksamen Kontrollmechanismen. Ob die beteiligten Staaten die vereinbarten Ziele tatsächlich umsetzen, bleibt daher oftmals ungewiss. Im Verhältnis zum nationalen Recht genießt das Völkerrecht in Deutschland den gleichen Rang in der Normenhierarchie wie ein Bundesgesetz. Nur die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, also besonders anerkannte Rechtsgrundsätze, gehen den Bundesgesetzen vor und binden die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar (Art. 25 GG). 4 Ausführlich zur Entwicklung: Chalmers/Davies/Monti 2010, S. 184 ff. Aden 7

1.2 Rechtsquellen und rechtliche Handlungsformen: Gesetzesrecht, Richterrecht und andere Quellen Rechtsanwender werden schnell damit konfrontiert, dass es nicht nur verschiedene Rechtsebenen gibt, sondern die Rechtsebenen auch jeweils verschiedene Arten von Rechtsnormen oder rechtsähnlichen Dokumenten erzeugen. Der folgende Abschnitt gibt einen Überblick über wichtige Rechtsquellen und rechtliche Handlungsformen und erörtert, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Rechtsquellen und rechtliche Handlungsformen Der Begriff rechtliche Handlungsformen ist vor allem für das Europarecht entwickelt worden 5 und eignet sich darüber hinaus als Oberbegriff für die Ausprägungen, die Rechtsnormen in einem politischen System haben können. Der Begriff Rechtsquelle stammt aus der Rechtstheorie und bezeichnet die Erkenntnisquellen, aus denen normative Schlüsse für rechtliche Entscheidungen gezogen werden. Neben den Gesetzen und Rechtsverordnungen gehören hierzu weitere Quellen wie insbesondere das Richterrecht. 1.2.1 Rechtliche Handlungsformen der EU, insbesondere Richtlinien und Verordnungen Der Vertrag von Lissabon hat die Struktur der rechtlichen Handlungsformen reformiert, die zentralen Elemente aber so belassen, wie sie seit 1957 etabliert sind. 6 Richtlinien und Verordnungen sind die beiden zentralen rechtlichen Handlungsformen. Unterscheidung von Richtlinien und Verordnungen laut Art. 288 AEUV (bis 2009: Art. 249 EGV) Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Bei der Verordnung zeigt sich erneut die besondere Stellung des supranationalen EU-Rechts: Die EU kann Recht erlassen, das nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch für Unternehmen und alle Menschen in den Mitgliedstaaten unmittelbar verbindlich ist.richtlinien wenden sich zunächst nur an die Mitgliedstaaten. Diese müssen zum Erreichen der Ziele ihr innerstaatliches Recht anpassen. Versäumt der Mitgliedstaat allerdings die Umsetzung, so können auch Richtlinien nach der Rechtsprechung des EuGH unter Umständen unmittelbare Wirkungen entfalten, insbesondere wenn ihre Ziele individuelle Rechte begründen. 7 Praktisch relevant sind daneben auch Beschlüsse der EU-Gremien, die seit dem Vertrag von Lissabon auch offiziell in Art. 288 AEUV genannt sind. 8 5 Vgl. Bast 2006. 6 Zu den Reformansätzen im gescheiterten Verfassungsvertragsentwurf: Aden 2006. 7 Näher hierzu Streinz 2008, S. 153 ff. 8 Zur praktischen Relevanz zuvor: Bast 2006. 8

1.2.2 (Parlaments-)Gesetze und Rechtsverordnungen im deutschen Bundesund Landesrecht Für die Rechtspraxis in Deutschland sind (Parlaments-)Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes und der Länder die wichtigsten Rechtsquellen. Förmliche (Parlaments-)Gesetze werden von den Gesetzgebungsorganen erlassen, also auf Bundesebene von Bundestag und Bundesrat, auf Landesebene von den Landtagen. 9 Die zu regelnden Themen sind häufig sehr detailliert und technisch. Daher räumen das Grundgesetz und die Landesverfassungen den Parlamenten die Möglichkeit ein, Detailentscheidungen an die Regierungen zu delegieren. So können die Parlamente sich auf politisch wichtige Themen konzentrieren und die Regierungen ermächtigen, die Details in Form von Rechtsverordnungen zu regeln. Allerdings verpflichten die Verfassungen die Gesetzgeber, Inhalt, Zweck und Ausmaß der Verordnungsermächtigung im Parlamentsgesetz festzulegen (Art. 80 GG und Landesverfassungen, z. B. Art. 64 Verfassung von Berlin). Alle wesentlichen Entscheidungen, insbesondere für die Einschränkung von Grundrechten, müssen bereits im Parlamentsgesetz getroffen werden. Beispiel Die wesentlichen Regelungen für das Bewachungsgewerbe sind in 34a GewO (Gewerbeordnung) festgelegt worden, einem Parlamentsgesetz. Ergänzende Detailregelungen hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie in der Bewachungsverordnung getroffen. Zum Erlass einer solchen Verordnung ermächtigt 34a Abs. 2 GewO. 1.2.3 Richterrecht Manche Rechtssysteme kommen mit relativ wenig Gesetzesrecht aus. Dies gilt insbesondere für das britische und das US-amerikanische Rechtssystem, die dem so genannten Common Law zugrechnet werden. Hier bilden von Gerichten entschiedene Fälle, das so genannte Case Law, die zentrale Rechtserkenntnisquelle. Richterrecht ist aber auch in den kontinentaleuropäischen Rechtssystemen, die durch ein differenziertes Gesetzesrecht geprägt sind, eine wichtige Rechtsquelle. Denn Gesetze müssen notwendig abstrakt-generell für eine Vielzahl von Fällen gemacht werden. Zudem sind Gesetzgebungsentscheidungen in die Zukunft gerichtet und werden daher in der Anwendungspraxis auch mit neuen, im Gesetzgebungsverfahren noch nicht vorhersehbaren Lebenssachverhalten konfrontiert. Daher besteht eine Hauptaufgabe der Gerichte auch in den vom Gesetzesrecht geprägten Rechtssystemen darin, Gesetze auszulegen und zu entscheiden, ob neue Fallkonstellationen von einer gesetzlichen Regelung erfasst sind oder nicht. Viele Gerichtsentscheidungen werden in amtlichen Entscheidungssammlungen, Fachzeitschriften oder elektronischen Datenbanken veröffentlicht. Rechtsanwender und andere Gerichte können sich so auf bereits vorhandene Entscheidungen beziehen und begründen, inwieweit die zuvor entschiedenen Fallkonstellationen mit den neu zu entscheidenden vergleichbar sind oder nicht. 9 Abweichende Bezeichnungen in den Stadtstaaten: Abgeordnetenhaus (Berlin) bzw. Bürgerschaft (Bremen und Hamburg). Aden 9

1.2.4 Weitere Rechtsquellen In vielen Rechtsordnungen ist auch das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle anerkannt. Wenn es für eine Frage keine gesetzlichen oder richterrechtlichen Regeln gibt, kann die Rechtspraxis Gepflogenheiten entwickeln, die sich über das rein Faktische hinaus zu einem Recht verselbständigen. In einem durch ausdifferenziertes Gesetzesrecht geprägten Rechtssystem wie dem deutschen ist hierfür allerdings nur wenig Raum. Größere Bedeutung hat das Gewohnheitsrecht in Rechtssystemen, die nur lückenhaft kodifiziert sind, beispielsweise im Völkerrecht. Einige Rechtsordnungen beziehen sich auch auf religiöse Rechtserkenntnisquellen. Dies gilt ohnehin für das Kirchenrecht oder das Recht des Vatikans. Einige politische Systeme in der islamischen Welt beziehen sich auf Elemente der Scharia und damit ebenfalls auf eine religiöse Rechtsquelle. 1.2.5 Soft Law als Rechtsquelle? Seit einigen Jahren hat sich unter Rechts- und Politikwissenschaftlern eine intensive Diskussion entwickelt, ob auch Dokumente, die unter dem Begriff Soft Law ( weiches Recht ) zusammengefasst sind, eine Bedeutung als rechtliche Erkenntnisquelle haben können. Den Hintergrund dieser Diskussion bildet die Beobachtung, dass es neben den herkömmlichen Rechtsquellen Dokumente gibt, die zwar nicht unmittelbar beanspruchen, rechtliche Wirkungen zu erzeugen, von denen aber dennoch steuernde Wirkungen ausgehen. 10 Daher kommt die Idee, solche Dokumente nicht als hartes, verbindliches Recht, sondern als weiches Recht zu bezeichnen. Beispiele Ein Wirtschaftsministerium entwickelt ein Diskussionspapier zur Weiterentwicklung des Rechts der Sicherheitsunternehmen. Die Europäische Kommission veröffentlicht ein so genanntes Grünbuch oder eine Mitteilung, in der sie die Erfahrungen bei der Umsetzung der EU-Vorschriften zur Sicherheit von Produktionsanlagen ( Seveso-Richtlinien ) auswertet. Solche Dokumente zielen nicht unmittelbar darauf ab, Rechtswirkungen zu entfalten. Sie enthalten aber Vorschläge oder Diskussionsansätze, die trotzdem praktische Relevanz erlangen können, z. B. wenn sich Unternehmen an ihnen orientieren, wenn sie in neue Technik investieren. Bei solchen Entscheidungen spielt nicht nur das geltende, sondern auch das zu erwartende zukünftige Recht eine Rolle. Solche Soft Law-Dokumente sind sicherlich keine Rechtserkenntnisquelle im herkömmlichen Sinne. Manche Juristen kritisieren daher auch die Bezeichnung als Law (Recht). Dennoch können auch rechtlich unverbindliche Dokumente erhebliche Konsequenzen haben, wenn sich Akteure veranlasst sehen, das Vorgeschlagene freiwillig, also ohne förmliche Rechtspflicht, zu befolgen. Besonders relevant ist das Soft Law für die EU. Denn es ermöglicht die Darstellung des Wünschenswerten auch in Situationen, in denen sich eine verbindliche Regelung zu einem Problemlösungsansatz wegen fehlender Mehrheiten unter den 27 Mitgliedstaaten nicht durchsetzen 10 Ausführlich zu den verschiedenen Formen von Soft Law die Studien von Senden 2004 und Knauff 2010. 10

lässt. Manchmal wird auf diese Weise skizziert, was in einigen Jahren verbindliches Recht wird. Wenn sich manche Akteure in der Zwischenzeit schon freiwillig an die Vorgaben halten, trägt Soft Law sogar zum Sammeln von Erfahrungen und damit zur Verbesserung von zukünftigem Hard Law bei. 1.2.6 Verwaltungsvorschriften: keine Rechtsnormen, trotzdem relevant In der Praxis spielen auch Verwaltungsvorschriften eine wichtige Rolle. Sie sind keine Rechtsnormen, sondern Dokumente, mit denen innerhalb einer Behörde Handlungsanweisungen erteilt werden. Oft enthalten Verwaltungsvorschriften auch Hinweise, wie Verwaltungsmitarbeiter abstrakte Rechtsvorschriften auf bestimmte Fallgruppen anwenden sollen. Beispiele Der Bund-Länder-Ausschuss Gewerberecht hat als Mustererlass eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Vollzug des 34a der Gewerbeordnung und zur Bewachungsverordnung (BewachVwV) veröffentlicht. Darin wird u. a. näher erläutert, wie die zuständigen Landesbehörden einen Antrag auf Erlaubnis für ein Bewachungsunternehmen prüfen und entscheiden sollen. Auch in Polizeibehörden gibt es zahlreiche Verwaltungsvorschriften, insbesondere die bundesweit koordinierten Polizeidienstvorschriften (PDV) sowie Geschäftsanweisungen, Erlasse usw. Solche Verwaltungsvorschriften sind nur innerhalb der Verwaltung bindend. Dennoch kann es für Außenstehende wichtig sein, sich mit ihnen zu beschäftigen, insofern sie veröffentlicht sind. Manche Verwaltungsvorschriften erleichtern es, Behördenentscheidungen zu prognostizieren. So enthält z. B. die genannte Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu 34a GewO und zur Bewachungsverordnung Hinweise darauf, unter welchen Voraussetzungen die zuständigen Behörden die Erlaubnis für Bewachungsunternehmen erteilen werden. Diese Hinweise sind wesentlich konkreter als die gesetzlichen Vorschriften. Begründen Behörden auf der Basis von Verwaltungsvorschriften eine Verwaltungspraxis, die über einen längeren Zeitraum gleich bleibt, so kann eine Behörde sich damit sogar für zukünftige Fälle binden. Denn wenn sie ähnliche Fälle über lange Zeit auf eine bestimmte Weise entschieden hat, muss eine Behörde besondere Gründe haben, wenn sie hiervon abweichen will. Die rechtliche Wirkung folgt in solchen Fällen aber nicht aus der Verwaltungsvorschrift selbst, sondern aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Lernkontrolle 1. In welchem Verhältnis steht das EU-Recht zum deutschen Recht? 2. Wodurch unterscheiden sich Parlamentsgesetze und Rechtsverordnungen im deutschen Recht? 3. Wodurch unterscheiden sich Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union? 4. Für wen ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Vollzug des 34a der Gewerbeordnung und zur Bewachungsverordnung verbindlich? Vertiefungsaufgabe Das Land Berlin möchte ein Berliner Gesetz zur Regelung der Beschäftigungsverhältnisse im Bewachungsgewerbe erlassen. Prüfen Sie anhand der Bestimmungen der Art. 70 ff. GG, ob das Land Berlin hierfür die Gesetzgebungskompetenz hat. Aden 11

Anhang Literaturverzeichnis Aden, Hartmut (2006): Einfach oder komplex? Die rechtlichen Handlungsformen der europäischen Integration im Prozess der Konstitutionalisierung, in: Lemke, Christiane/Joachim, Jutta/Katenhusen, Ines (Hg.), Konstitutionalisierung und Governance in der EU Perspektiven einer europäischen Verfassung, Münster/Hamburg: Lit-Verlag, S. 111-137. Aden, Hartmut/Busch, Heiner (2006): Europäisierung des Rechts der Inneren Sicherheit, in: Roggan, Fredrik/Kutscha, Martin (Hg.), Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, 2. Aufl., Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag, S. 511-582. Bast, Jürgen (2006): Grundbegriffe der Handlungsformen der EU entwickelt am Beschluss als praxisgenerierter Handlungsform des Unions- und Gemeinschaftsrechts, Berlin/Heidelberg/New York: Springer. Chalmers, Damian/Davies, Gareth/Monti, Giorgio (2010): European Union Law, 2. Auflage, Cambridge, New York u.a.: Cambridge University Press. Knauff, Matthias (2010): Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen: Mohr Siebeck. Senden, Linda (2004): Soft Law in European Community Law, Oxford/Portland: Hart Publishing. Stober, Rolf/Olschok, Harald, Hg. (2004): Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, München: C.H.Beck. Streinz, Rudolf (2008), Europarecht, 8. Aufl., Heidelberg: C.F. Müller [Erschienen vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon; 9., aktualisierte Auflage angekündigt für September 2011.]. Links (Stand: Mai 2011) http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm (Zentrales Internetportal für das EU-Recht) [Hier finden Sie Primärrecht (EU-Vertrag, Vertrag über die Arbeitsweise der EU), das gesamte geltende Sekundärrecht (Richtlinien, Verordnungen, Beschlüsse usw.) und viele Soft Law-Dokumente.] http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de (Europäischer Gerichtshof) [Hier finden Sie Urteile des Europäischen Gerichtshofs mit den Schlussanträgen der Generalanwälte.] http://www.gesetze-im-internet.de/ (Deutsches Bundesrecht) [Auf dieser vom Bundesjustizministerium angebotenen Website finden Sie fast alle geltenden Bundesgesetze. Die Bundesländer bieten ähnliche Portale für das Landesrecht an.] http://www.bverfg.de/ (Bundesverfassungsgericht) [Auf den offiziellen Seiten des Bundesverfassungsgerichts finden Sie neben allgemeinen Informationen zum Gericht alle Entscheidungen, die seit dem 1. Januar 1998 ergangen sind.

Hinweis Dieser Studienbrief ist ausschließlich für den Gebrauch im Rahmen des Studiengangs Master Security Management (MSM) am Fernstudieninstitut der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin bestimmt. Fernstudieninsitut (FSI) der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin Alt-Friedrichsfelde 60 10315 Berlin HWR Berlin 2011. All rights reserved. Paper No. 00, 09/2009 Section Blindtexte & Wörter Editors Vorname Name Vorname Name www.fernstudieninstitut.de