Vorlesung im Wintersemester 06/07 Einführung in die Geschichte der Sozialen Arbeit Dozentin: Prof. Dr. Sabine Hering Roter Hörsaal: Mo, 16-18 Uhr
Leitfragen: 1.) Aus welchen Bedingungen heraus entsteht der Wohlfahrtsstaat? 2.) Welche Entwicklungen und Transformationsprozesse kennzeichnen die jeweiligen sozialpolitischen Konzepte? 3.) Welches Maß an Konvergenz und Divergenz der wohlfahrtsstaatlichen Strukturen hat sich in Europa vollzogen? 4.) Wie sieht das sozialpolitische Profil der EU aus?
Die Geschichte der Wohlfahrtspflege wird allgemein aus folgenden Wurzeln abgeleitet: - Ausrichtung auf das christliche Almosenwesen - aus Merkantilismus und Calvinismus - aus den Gedanken der Aufklärung - aus dem Aufbau der bürgerlichen Gesellschaft - und der Industrialisierung
Das heißt: Historisch rekonstruiert wird nur ein Ausschnitt aus der Geschichte Westeuropas Es fällt heraus: - Südeuropa mit den spezifischen Strukturen des Katholizismus - Osteuropa mit seinen agrarischen Strukturen - und das wirtschaftlich unterentwickelte Nordeuropa
Teil A - die klassischen Wohlfahrtstaaten -
1.) Was ist typisch für Deutschland im europäischen Vergleich? - Die Wohlfahrt liegt in der Hand der Kirchen und der Kommunen - Dem deutschen Vereinswesen fehlt es im Vergleich zu England an dem ökonomischen und an dem liberal politischen Hintergrund
1.) Was ist typisch für Deutschland im europäischen Vergleich? - Nach der gescheiterten Revolution von 1848 dient das soziale Engagement als Ersatz für verbotene politische Aktivitäten (Frauenbewegung) - Zunehmendes Ineinandergreifen von Staat, Kommunaler Verwaltung und Vereinswohltätigkeit (3 Ebenen-Modell)
2.) Was ist typisch für England? - Armengesetz von 1834 schafft das Prinzip der Mildtätigkeit ab und verschärft die Unterstützungsrichtlinien: Less Eligibility - Anpassung der Wohlfahrt an kapitalistische Erfordernisse - Subordination der Kommunen unter die Zentralregierung
2.) Was ist typisch für England? - Koordination der privaten Wohlfahrt durch die Charity Organization Society (COS). Klare Trennung zum Staat. - Geringe Bedeutung der Kirchen, da deren Vermögen von Seiten des Staates konfisziert wurde (Staatskirche)
3.) Was ist typisch für Schweden? - eine spät einsetzende Industrialisierung - die daraus folgende bis ins 20. Jahrhundert andauernde Armut des Landes - starke gemeinschaftsorientierte Traditionen
3.) Was ist typisch für Schweden? - eine schwach entwickelte Trennung von Staat und Gesellschaft - eine starker wohlfahrtsstaatlicher Impuls infolge der Industrialisierung seit den 60er Jahren (Musterstaat), ohne damit soziale Probleme beseitigen zu können. starke gemeinschaftsorientierte Traditionen
4.) Was ist typisch für Holland? - ein Musterstaat anderer Art - Armengesetzgebung 1854 nach dem Vorbild Englands - Aber: Kein Zentralismus, sondern eine Dominanz der freien Verbände
4.) Was ist typisch für Holland? - Stringentestes Modell der Subsidiarität (der Staat zahlt, kontrolliert aber nicht) - Gesamtentwicklung als Folge der spanischen Besatzungszeit (Misstrauen gegenüber Obrigkeit; Basisorientierung)
5.) Was ist typisch für Italien? - Durch Abschaffung der Monarchie und Industrialisierung im 19. Jahrhundert früh einsetzende Arbeiter/Frauenbewegung - Daraus entsteht ein dichtes Netz sozialer Einrichtungen: Schulen, Krankenhäuser, Waisenhäuser etc.
5.) Was ist typisch für Italien? - Diese werden schrittweise in staatliche Einrichtungen überführt (Gemeinwohl vor individuellen Ansprüchen - Wohltätigkeit von Staat und Kirche sind getrennt. - Kirche fokussiert die Wohlfahrt von Mutter und Kind
Teil B - Profil unterschiedlicher untypischer Staaten -
1.) Was ist typisch für Spanien und Portugal? - Aufrechterhaltung von Monarchie und Feudalismus - Wenig Industrie, viel Agrarwirtschaft - Soziale Arbeit in den Händen der Kirche und feudaler philatropischer Gruppen
1.) Was ist typisch für Spanien und Portugal? - Spätes Einsetzen der Professionalisierung - Späte Anpassung des Almosen/Bettelwesens ans kapitalistische Erfordernisse
2.) Was ist typisch für die osteuropäischen Staaten? - Aufgrund der Okkupation durch Preußen, Österreich und Russland (teilweise auch die Türkei) keine eigenständige Entwicklung - späte Industrialisierung, Dominanz der Agrarkultur vordringliche Aufgabe: Versorgung der ländlichen Regionen
2.) Was ist typisch für die osteuropäischen Staaten? - andere religiöse Grundlagen: orthodoxe Kirche, große Anteile jüdischer Bevölkerung - Vor allem in Polen und Ungarn: wichtige Beiträge zur internationalen Wohlfahrtsentwicklung zwischen 1918 und 1940 - seit 1945: sozialpolitische Modelle nach dem Vorbild der Sowjetunion
Teil C - Resümee bezüglich Divergenz und Konvergenz -
Die westlichen und östlichen Wohlfahrtsnationen haben im Wesentlichen die gleiche Entwicklung vollzogen, auch wenn der Osten dies mit einer Verzögerung von 20-30 Jahren getan hat.
Die Unterschiede zwischen der Entwicklung seit 1945 sind erheblich, aber nicht so grundsätzlich wie allgemein angenommen
Seit 1989 hat ein zügiger Anpassungsprozess der osteuropäischen Länder an den Westen stattgefunden, der sich vor allem auf den Wiederaufbau der Ausbildungseinrichtungen bezogen hat.
Teil D - Das sozialpolitische Profil der EU -
- Europäische Union hat bisher keinen Schwerpunkt Soziales - Wenn es zu einer Integration der Wohlfahrts-pflege in der EU kommen sollte, stellt sich für Deutschland vorrangig das Problem der Freien Wohlfahrtspflege
In Bezug auf die Sozialpolitik beschränkt sich das bisher gültige Vertragswerk auf folgende Punkte: - die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten in sozialen Fragen, - den Grundsatz der gleichen Entlohnung von Männern und Frauen bei gleicher Arbeit, - die Gleichwertigkeit der Ordnungen über die bezahlte Freizeit,
In Bezug auf die Sozialpolitik beschränkt sich das bisher gültige Vertragswerk auf folgende Punkte: - sie soziale Sicherung von Arbeitskräften, die in ihrem Berufsleben der Beschäftigung in verschiedenen Mitgliedsstaaten nachgehen, - die Errichtung eines Europäischen Sozialfonds mit der Aufgabe, die Beschäftigungsmöglichkeiten im Gemeinsamen Markt zu verbessern.
Schriftliche Ergänzungen zur Sitzung finden Sie - wie gewohnt - im Internet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit