Papst Benedikt XVI. Der Gottesglaube heute

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Transkript:

Lieferung 9 Hilfsgerüst zum Thema: Papst Benedikt XVI. Josef Ratzinger Der Gottesglaube heute 1. Primat des Geistes Glaube an Gott bedeutet eine Entscheidung für die Wahrheit, für den Sinn der Wirklichkeit (gegen die Gewohnheit). Papst Benedikt XVI.: Christlicher Glaube an Gott bedeutet zunächst die Entscheidung für den Primat des Logos gegenüber der bloßen Materie. Zu sagen:»ich glaube daran, daß Gott ist«, schließt die Option ein, daß der Logos, das heißt der Gedanke, die Freiheit, die Liebe nicht bloß am Ende, sondern auch am Anfang steht; daß er die ursprunggebende und umgreifende Macht allen Seins ist. 1 Papst Benedikt XVI.: Der Glaube bedeutet eine Entscheidung dafür, daß Gedanke und Sinn nicht nur ein zufälliges Nebenprodukt des Seins bilden, sondern daß alles Sein Produkt des Gedankens, ja selbst in seiner innersten Struktur Gedanke ist. Insofern bedeutet der Glaube in einem spezifischen Sinn Entscheidung zur Wahrheit, da für ihn das Sein selbst Wahrheit, Verstehbarkeit, Sinn ist und dies alles nicht bloß ein sekundäres Produkt des Seins darstellt, das irgendwo aufstand, aber dann keine strukturierende, 1 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 115.

2 Papst Benedikt XVI. maßgebende Bedeutung für das Ganze des Wirklichen haben könnte. 2 Die zwei Grundmöglichkeiten: die materialistische und die idealistische Papst Benedikt XVI.: Die vielen Antworten, die die Geschichte hervorgebracht hat, lassen sich letztlich auf zwei Grundmöglichkeiten zurückführen. Die erste, nächstliegende, würde etwa so lauten: Alles, was wir antreffen, ist im letzten Stoff, Materie; sie ist das einzige, was als nachweisliche Realität immer wieder übrigbleibt; sie stellt folglich das eigentliche Sein des Seienden dar der materialistische Weg. Die andere Möglichkeit weist in die entgegengesetzte Richtung. Sie sagt: Wer die Materie zu Ende betrachtet, wird entdecken, daß sie Gedachtsein, objektivierter Gedanke ist. So kann sie nicht das letzte sein. Vor ihr steht vielmehr das Denken, die Idee; alles Sein ist letzten Endes Gedachtsein und ist auf Geist als Urwirklichkeit zurückzuführen wir stehen vor dem»idealistischen«weg. 3 Was ist Materie? Papst Benedikt XVI.: Sehr abkürzend könnten wir sagen: Materie nennen wir ein Sein, das nicht selbst seinsverstehend ist, das also zwar»ist«, aber nicht sich selbst versteht. Die Reduktion allen Seins auf Materie als die primäre Form von Wirklichkeit behauptet folglich, daß den Anfang und den Grund allen Seins jene Form von Sein bildet, das nicht selber seinsverstehend ist; das heißt dann weiterhin, daß das Verstehen von Sein nur als ein sekundäres Zufallsprodukt im Lauf der Entwicklung sich einstellt. 4 Was ist Geist? Papst Benedikt XVI.: Damit ist zugleich auch die Definition von»geist«gewonnen er ist als das sich selbst verstehende Sein zu beschreiben, als Sein, das bei sich selber ist. Die idealistische Lösung der Seins- 2 Ebd. 3 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 119. 4 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 119 120.

Der Gottesglaube heute 3 problematik besagt demgemäß die Vorstellung, daß alles Sein Gedachtsein eines einzigen Bewußtseins ist. Die Einheit des Seins besteht in der Identität des einen Bewußtseins, dessen Momente die vielen Seienden sind. 5 Die christliche Position: Papst Benedikt XVI.: Christlicher Gottesglaube fällt weder mit der einen noch mit der anderen Lösung einfach zusammen. Gewiß, auch er wird sagen: Sein ist Gedachtsein. Die Materie verweist selbst über sich hinaus auf das Denken als das Vorgängige und Ursprünglichere. Aber entgegen dem Idealismus, der alles Sein zu Momenten eines umfassenden Bewußtseins werden läßt, wird der christliche Gottesglaube sagen: Das Sein ist Gedachtsein aber doch nicht so, daß es nur Gedanke bliebe und daß der Schein der Selbständigkeit sich dem näher Zusehenden als bloßer Schein erwiese. Christlicher Glaube an Gott bedeutet vielmehr, daß die Dinge Gedachtsein von einem schöpferischen Bewußtsein, von einer schöpferischen Freiheit her sind und daß jenes schöpferische Bewußtsein, das alle Dinge trägt, das Gedachte in die Freiheit eigenen, selbständigen Seins entlassen hat. Darin überschreitet er jeden bloßen Idealismus. Während dieser, wie wir eben festgestellt haben, alles Wirkliche als Inhalte eines einzigen Bewußtseins erklärt, ist für die christliche Ansicht das Tragende eine schöpferische Freiheit, die das Gedachte wiederum in die Freiheit eigenen Seins setzt, so daß es einerseits Gedachtsein eines Bewußtseins und andererseits doch wahres Selbersein ist. 6 Von daher ist die Schöpfung geistig. Objektiver Geist stammt von subjektivem Geist. Papst Benedikt XVI.: Er bedeutet ja nichts anderes als die Überzeugung, daß der objektive Geist, den wir in allen Dingen vorfinden, ja, als den wir die Dinge in zunehmendem Maß verstehen lernen, Abdruck und Ausdruck ist von subjektivem Geist und daß die gedankliche Struktur, die das Sein hat und die wir 5 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 120. 6 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 120.

4 Papst Benedikt XVI. nachdenken können, Ausdruck eines schöpferischen Vordenkens ist, durch das sie sind. 7 der Kern des Schöpfungsbegriffs nach Papst Benedikt XVI.: Das Modell, von dem aus Schöpfung verstanden werden muß, ist nicht der Handwerker, sondern der schöpferische Geist, das schöpferische Denken. Zugleich wird sichtbar, daß die Freiheitsidee das Kennzeichen des christlichen Gottesglaubens gegenüber jeder Art von Monismus ist. An den Anfang allen Seins stellt er nicht irgendein Bewußtsein, sondern eine schöpferische Freiheit, die wiederum Freiheiten schafft. Insofern könnte man in einem höchsten Maße christlichen Glauben als eine Philosophie der Freiheit bezeichnen. Für ihn bedeutet nicht ein allumfassendes Bewußtsein oder eine einzige Materialität die Erklärung des Wirklichen insgesamt; an der Spitze steht vielmehr eine Freiheit, die denkt und denkend Freiheiten schafft und so die Freiheit zur Strukturform allen Seins werden läßt. 8 Galileo Galilei und das Buch der Natur Galilei: Die Mathematisierung der Naturwissenschaft Papst Benedikt XVI.: Sagen wir es genauer: In dem alten pythagoreischen Wort von dem Gott, der Geometrie treibt, drückt sich die Einsicht in die mathematische Struktur des Seins aus, die das Sein als Gedachtsein, als gedanklich strukturiert begreifen lernt; es drückt sich die Erkenntnis aus, daß auch die Materie nicht einfach Un-sinn ist, der sich dem Verstehen entzieht, sondern daß auch sie Wahrheit und Verstehbarkeit in sich trägt, die gedankliches Erfassen möglich macht. Diese Einsicht hat in unserer Zeit durch die Erforschung des mathematischen Aufbaus der Materie, ihrer mathematischen Denkbarkeit und Verwertbarkeit, eine unerhörte Dichte gewonnen. Ein- 7 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 116. 8 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 120 121.

Der Gottesglaube heute 5 stein sagt darüber einmal, daß in der Naturgesetzlichkeit»sich eine so überlegene Vernunft offenbart, daß alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dagegen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist«. Das will doch wohl sagen: All unser Denken ist in der Tat nur ein Nachdenken des in der Wirklichkeit schon Vorgedachten. Es kann nur auf eine armselige Art versuchen, jenes Gedachtsein, das die Dinge sind, nachzuvollziehen und darin Wahrheit zu finden. 9 Gott als die Wahrheit ist aber meiner Meinung nach nicht der Garant unserer Wahrheit. Der Gottesbeweis von der Wahrheit her Augustinus: In uns finden wir Wahrheiten vor, und zwar Wahrheiten der Mathematik, der Ethik und der Religion. Sie müssen eine Ursache haben. Mein Geist kann nicht ihre Ursache sein, da sie ewig [veritates aeternae], unwandelbar und notwendig sind und wir nicht ewig usw. Wir können solche Wahrheiten nicht bestimmen, sondern nur entdecken und anerkennen. Hätte ich die Wahrheit erschaffen, dann dürfte ich sagen: meine Wahrheit. Aber die Wahrheit ist nicht meine Wahrheit und ist nicht deine Wahrheit noch die Wahrheit eines Dritten, sie ist unser aller Wahrheit. 10 So folgert Augustinus, daß diese Wahrheiten von einem ewigen, höchsten, unwandelbaren und notwendigen Wesen stammen müssen, nämlich von Gott. Denn Gott ist die Wahrheit. Nicolaus Cusanus: Wenn ich an die Wahrheit einer bestimmten Aussage glaube, dann glaube ich an die Wahrheit Thomas von Aquin: Das Sein einer Realität, 9 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 116. 10 Augustinus, Bekenntnisse, XII, 25.

6 Papst Benedikt XVI. nicht deren Wahrheit, verursacht die Wahrheit des Verstandes. 11 Papst Benedikt XVI.: Welt ist objektiver Geist; sie begegnet uns in einer geistigen Struktur, das heißt, sie bietet sich unserm Geist als nachdenkbar und verstehbar an. Von da aus ergibt sich der nächste Schritt. Zu sagen»credo in Deum Ich glaube an Gott«drückt die Überzeugung aus, daß objektiver Geist Ergebnis subjektiven Geistes ist und überhaupt nur als dessen Deklinationsform bestehen kann, daß anders ausgedrückt Gedachtsein (wie wir es als Struktur der Welt vorfinden) nicht ohne Denken möglich ist. 12 2. Der persönliche Gott Papst Benedikt XVI.: Hier steht das ganze Problem des Gottesglaubens vor uns: Einerseits wird die Durchsichtigkeit des Seins, das als Gedachtsein auf ein Denken verweist, gesehen, zugleich aber finden wir die Unmöglichkeit, dieses Denken des Seins mit dem Menschen in Beziehung zu bringen. Die Sperre wird sichtbar, die ein verengter und nicht genügend reflektierter Personbegriff für die Gleichsetzung von»gott des Glaubens«und»Gott der Philosophen«bietet. Bevor wir versuchen, hier vorwärtszukommen, füge ich noch ein zweites, ähnliches Wort eines Naturwissenschaftlers an. James Jeans sagt einmal:»wir entdecken, daß das Weltall Spuren einer planenden und kontrollierenden Macht zeigt, die etwas Gemeinsames mit unserem eigenen, individuellen Geist hat, nicht, soweit wir bis jetzt entdeckt haben, Gefühl, Moral oder ästhetisches Vermögen, sondern die Tendenz, auf eine Art zu denken, die wir in Ermanglung eines besseren Wortes Geometrie genannt haben«. Wieder finden wir dasselbe: Der Mathematiker entdeckt die Mathematik des Kosmos, das Gedachtsein der Dinge. Aber nicht mehr. Er entdeckt nur den Gott 11 Sum. th., I, q. 16, a. 1c. Vgl. In I Sent., d. 19, q. 5, a. 1, sol. 12 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 118.

Der Gottesglaube heute 7 der Philosophen. 13 Der Gott des Glaubens hingegen umfaßt auch so etwas wie das Schöne. das höchst überflüssige Wunder des Schönen Papst Benedikt XVI.: Der Mensch aber, der eine Anschauung des Ganzen sucht, wird viel eher sagen müssen: In der Welt finden wir objektivierte Mathematik vor, ohne Zweifel; in der Welt finden wir aber nicht weniger das unerhörte und unerklärte Wunder des Schönen vor, oder richtiger: In ihr gibt es Vorgänge, die dem vernehmenden Geist des Menschen in der Gestalt des Schönen erscheinen, so daß er sagen muß, der Mathematiker, der diese Vorgänge konstruiert hat, habe ein unerhörtes Maß an schöpferischer Phantasie entfaltet. 14 Papst Benedikt XVI.: Gott hat das Wesentliche dessen, was wir mit Person meinen, nämlich Bewußtsein, Erkennen und Lieben. Er ist insofern jemand, der reden und zuhören kann. Das ist, glaube ich, das Wesentliche an Gott. 15 Papst Benedikt XVI.: Wenn christlicher Glaube an Gott ist ein Glaube an die Personhaftigkeit jenes Sinnes zugleich Glaube daran, daß der Urgedanke, dessen Gedachtsein die Welt darstellt, nicht ein anonymes, neutrales Bewußtsein, sondern Freiheit, schöpferische Liebe, Person ist. 16 Papst Benedikt XVI.: [... ]darin zugleich Option für den Primat des Besonderen gegenüber dem Allge- 13 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 117. 14 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 118. 15 Papst Benedikt XVI., Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald (Stuttgart-München 2000), 84. 16 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 121.

8 Papst Benedikt XVI. meinen 17. Und das bedeutet Primat der Freiheit. Papst Benedikt XVI.: Das Höchste ist nicht das Allgemeinste, sondern gerade das Besondere, und der christliche Glaube ist so vor allem auch Option für den Menschen als das unreduzierbare, auf Unendlichkeit bezogene Wesen. Und darin ist er noch einmal Option für den Primat der Freiheit gegenüber einem Primat kosmisch-naturgesetzlicher Notwendigkeit. 18 Folge: Das Sein, das alles umfaßt und trägt, ist Bewußtsein, Freiheit und Liebe. Das heißt, daß die Welt unbegreiflich ist. Papst Benedikt XVI.: Die Folgen sind sehr weittragend. Denn das führt ja dazu, daß die Freiheit gleichsam als die notwendige Struktur der Welt erscheint, und dies wieder heißt, daß man die Welt nur als unbegreifliche begreifen kann, daß sie Unbegreiflichkeit sein muß. 19 Die innere Logik des christlichen Gottesglaubens zum Glauben an den dreieinigen Gott. Papst Benedikt XVI.: Wenn es so steht, daß die Person mehr ist als das Individuum, daß das Viele ein Eigentliches und nicht nur ein Sekundäres ist, daß es einen Primat des Besonderen vor dem Allgemeinen gibt, dann ist die Einheit nicht das einzige und letzte, sondern dann hat auch die Vielheit ihr eigenes und definitives Recht. Diese Aussage, die sich aus der christlichen Option mit einer inneren Notwendigkeit ergibt, führt von selbst auch zur Überschreitung der Vorstellung von einem Gott, der bloß Einheit ist. Die innere Logik des christlichen Gottesglaubens zwingt zur Überschreitung eines bloßen Monotheismus und 17 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 121. 18 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 121. 19 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 122.

Der Gottesglaube heute 9 führt zum Glauben an den dreieinigen Gott, von dem jetzt noch abschließend die Rede sein muß. 20 Papst Benedikt XVI.: Er [=Gott] ist nicht einfach Natur, sndern ist das, was ihr vorangeht und sie trägt. Er ist ein Wesen, das denken, reden, lieben und hören kann. Und Gott, so sagt uns der Glaube, ist seinem ganzen Wesen nach Beziehung. Das meinen wir, wenn wir ihn trinitarisch, dreifaltig nennen. Weil er in sich Beziehung ist, kann er auch Wesen schaffen, die wieder Beziehung sind und die sich auf ihn beziehen dürfen, weil er sie auf sich bezogen hat. 21 20 Papst Benedikt XVI., Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 123 124. 21 Papst Benedikt XVI., Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald (Stuttgart-München 2000), 84.