Ausgabe 1/2012 März 2012

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Transkript:

11 Forschung Denis Aydin, Martin Röösli Mobiltelefongebrauch und Hirntumorrisiko bei Kindern und Jugendlichen die CEFALO-Studie Auswirkungen möglicherweise erst nach einer langfristigen Exposition eintreten. Um festzustellen, wie ein potenzieller Schadstoff auf den Organismus wirkt und welche biologischen Prozesse involviert sein könnten, sind experimentelle Studien an Zellen oder Tieren hilfreich. Die Übertragbarkeit solcher Studienergebnisse auf den Menschen ist jedoch immer mit Unsicherheiten behaftet, so dass schlussendlich nur Langzeitstudien an Menschen endgültige Klärung bringen können. Diesen epidemiologischen Studien misst auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihren Risikoabschätzungen am meisten Gewicht bei [3]. Epidemiologische Studien zum Hirntumorrisiko von Kindern und Erwachsenen im Zusammenhang mit der Mobiltelefonnutzung werden in der Wissenschaft und der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Die IARC (International Agency for Research on Cancer) hat hochfrequente elektromagnetische Strahlung als möglicherweise kanzerogen klassiert (Gruppe 2B) [1]. In diesem Artikel wird die Aussagekraft epidemiologischer Studien zuerst allgemein und in einem zweiten Teil in Bezug auf die CEFALO-Studie diskutiert. CEFALO ist eine multizentrische Fall-Kontrollstudie zum Hirntumorrisiko von Kindern und Jugendlichen, die im Juli 2011 im Journal of the National Cancer Institute publiziert wurde [2]. Aussagekraft von epidemiologischen Studien Der wissenschaftliche Nachweis von Krebsrisiken durch Umweltschadstoffe ist besonders anspruchsvoll, weil die negativen Die Kohortenstudie ist das intuitiv am einfachsten verständliche epidemiologische Studiendesign. Bei einer Kohortenstudie wird eine Populationsgruppe (Kohorte) über einen bestimmten Zeitraum beobachtet und es wird analysiert, ob bei den exponierten Personen mehr Krankheitsfälle auftreten als bei den Nicht-Exponierten. Natürlich kann die Höhe der Exposition auch graduell berücksichtigt werden. Im Allgemeinen ist die Kohortenstudie die zuverlässigste epidemiologische Erhebungsmethode, insbesondere dann, wenn die Expositionserhebung prospektiv, also vor dem Auftreten der Krankheit, durchgeführt wird. Für seltene Krankheiten ist die Kohortenstudie jedoch sehr aufwendig, da die untersuchte Kohorte sehr groß sein muss, um statistisch robuste Aussagen machen zu können. Daher bietet sich bei der Erforschung der Ursachen von seltenen Krankheiten das Fall- Kontroll-Studiendesign als effiziente Alternative an. Fall-Kontroll- Studien kann man sich konzeptionell wie eine Kohortenstudie vorstellen. Der Unterschied ist jedoch, dass zuerst die erkrankten Personen (Fälle) identifiziert werden. Anschließend wird von den Gesunden nur eine zufällige Stichprobe in die Studie eingeschlossen, statt die gesamte Bevölkerung wie bei der Kohortenstudie. Damit muss man sehr viel weniger Personen untersuchen oder kontaktieren. Die Studie ist entsprechend effizienter, da die statistische Aussagekraft in erster Linie durch die Anzahl Fälle bestimmt wird. Diesen Vorteil erkauft man sich aber mit zwei Nachteilen. Erstens ist es eine Herausforderung, eine repräsentative Kontrollgruppe zu rekrutieren. Ist dem nicht so, spricht man von Selektionsbias. Zweitens muss die Expositionsabschätzung im Allgemeinen retrospektiv erfolgen. Die dritte grosse Herausforderung von Fall-Kontrollstudien und anderen epidemiologischen Studien sind Störgrössen (Confounder). Diese drei Punkte sind im Folgenden im Zusammenhang mit den Mobilfunkstudien etwas detaillierter erläutert.

12 EMF Spectrum Forschung Selektionsbias In einer Fall-Kontrollstudie müssen Kontrollpersonen so ausgewählt werden, dass jede Person, die im Krankheitsfall in die Studie eingeschlossen worden wäre, potentiell als Kontrollperson ausgewählt werden kann. Nur so ist sichergestellt, dass die Kontrollgruppe repräsentativ für die Bevölkerung ist. Die Teilnahme der Patienten und Kontrollpersonen an einer Studie ist jedoch grundsätzlich freiwillig. In jeder Studie wird es Personen geben, die sich zwar als Studienteilnehmer eignen würden, aber nicht mitmachen wollen oder können. Wenn die Teilnahmebereitschaft zufällig ist und nicht von anderen Faktoren abhängt, dann stellt das für die Studie kein Problem dar. Oft unterscheiden sich jedoch Nicht-Teilnehmende in wesentlichen Merkmalen systematisch von Studienteilnehmenden, und typischerweise ist die Teilnahmebereitschaft für Patienten grösser als für Kontrollen. In diesem Fall spricht man von Selektionsbias. So hat man beispielsweise Indizien, dass in der INTERPHONE-Studie mehr Kontrollpersonen mitgemacht haben, die selber ein Mobiltelefon besitzen, als Personen ohne Mobiltelefon [4]. Dies hatte zur Folge, dass der Anteil der regelmässigen Mobiltelefonbenutzer bei den Kontrollpersonen überrepräsentiert war, was erklärt, warum in der INTERPHONE-Studie regelmässiger Mobiltelefongebrauch scheinbar vor einem Hirntumor schützt. Expositionsabschätzung Die akkurate Expositionsabschätzung ist in allen epidemiologischen Studien eine Herausforderung. Bei Fall-Kontroll-Studien kommt erschwerend dazu, dass die Exposition retrospektiv erhoben werden muss. Die meisten Studien zur langfristigen Mobiltelefonnutzung beruhen auf Interviews. Dabei müssen sich die Studienteilnehmer an ihren vergangenen Mobiltelefongebrauch erinnern. Mehrere Studien haben gezeigt, dass diese Angaben zum Telefonierverhalten immer mit einer Ungenauigkeit behaftet sind [5-12]. Wenn sich diese Ungenauigkeiten nicht systematisch zwischen Patienten und Kontrollpersonen unterscheiden, spricht man von nicht-differentieller (zufälliger) Expositionsfehlklassifikation. Dies führt zu einer Unterschätzung der Expositions-Wirkungsbeziehung, falls die Exposition tatsächlich ein Risikofaktor ist. Ist die Exposition nicht mit der Gesundheit assoziiert, wird das Studienresultat durch zufällige Expositionsfehler im Allgemeinen nicht verfälscht. Besonders problematisch sind jedoch differentielle Fehler in der Expositionsabschätzung, das heißt, wenn Gesunde und Kranke systematisch andere Angaben über ihre Exposition machen. Das kann daher rühren, dass die Tatsache, dass man erkrankt ist, das Wahrnehmen und Berichten vergangener Expositionen beeinflussen kann; beispielsweise weil man einen Grund für die Krankheit sucht oder weil man sorgfältiger nachdenkt als gesunde Personen. Wenn Patienten ihre Exposition im Vergleich zu Kontrollpersonen systematisch überschätzen, führt dies zu einem falsch-positiven Zusammenhang zwischen der Exposition und der Krankheit. Dies wird auch als Recall Bias bezeichnet. Bei prospektiven Kohortenstudien, wo die Exposition vor dem Auftreten der Krankheit erhoben wird, kann dieses Problem nicht auftreten. Weil der retrospektive selbstberichtete Mobiltelefongebrauch mit großen Unsicherheiten behaftet ist, ist es von Vorteil, objektive Daten über das Ausmaß des Mobiltelefongebrauchs zu erhalten. Eine Möglichkeit ist, dass man für die Studienteilnehmer von den Mobilfunk-Netzbetreibern aufgezeichnete Daten anfordert. Die Kohortenstudie Fall-Kontroll-Studie Kohortenstudien sind beobachtende Studien, die in ihrem Ablauf mit der Zeitachse gehen, bei Fall-Kontroll-Studien ist der Blick in die Vergangenheit gerichtet.

13 Netzbetreiber zeichnen unter anderem die Anzahl und Dauer der ein- und ausgehende Anrufe auf und liefern somit verlässliche Daten über den Gebrauch eines Mobiltelefons. Die von den Netzbetreibern aufgezeichneten Daten sind allerdings ebenfalls mit gewissen Unsicherheiten behaftet. Um die Daten von den Netzbetreibern anzufordern, müssen sich die Studienteilnehmer an alle ihre bisherigen Telefonnummern erinnern. Gerade Jugendliche können sich möglicherweise nicht an alle Nummern erinnern, wenn sie aus Kostengründen Abonnements oder Betreiber häufig gewechselt haben. Aus den aufgezeichneten Daten wird auch nicht ersichtlich, wer das Mobiltelefon tatsächlich benutzt hat und ob die Anrufe mit einer Freisprechanlage durchgeführt wurden. Es ist durchaus möglich, dass Kinder ihr Mobiltelefon gelegentlich ihren Freunden ausleihen oder umgekehrt fremde Mobiltelefone benutzen. Bei Minderjährigen läuft das Mobiltelefonabonnement oft auf den Namen der Eltern. Zuletzt sind solche objektiven Daten oft nicht für alle Studienteilnehmer verfügbar. Außerdem sind die Netzbetreiber gesetzlich verpflichtet, die Daten nach einer bestimmten Zeit zu löschen, in der Schweiz nach sechs Monaten. Insgesamt ist es äußerst komplex abzuschätzen, wie sich bei einer Studie Auswirkungen von Fehlern in der Expositionsabschätzung auf das Studienresultat auswirken. Häufig werden diese Fehler falsch eingeschätzt. Exemplarisch gezeigt hat sich dies nach der Publikation der neuesten Auswertung der dänischen Mobilfunkabonnenten-Kohortenstudie [13]. In dieser Studie wurde die Hirntumorhäufigkeit von Personen, die vor 1995 ein Handyabonnement besaßen, mit der restlichen dänischen Bevölkerung verglichen, um langfristige Auswirkungen zu untersuchen. Nach der Publikation der Resultate wurde die Studie teilweise heftig kritisiert, weil von den rund 700.000 Abonnenten rund 300.000 nicht identifiziert werden konnten (z.b. Geschäftsabonnenten). Diese Personen befanden sich folglich in der Vergleichsgruppe der Unexponierten und es wurde argumentiert, dass damit Expositionskontraste verwischt worden seien und deshalb das Risiko unterschätzt worden sei. Das trifft zwar grundsätzlich zu, jedoch nur in einem geringen Maße, da die Referenzgruppe sehr groß war (>4 Millionen Personen) und daher die Verdünnung durch die 300.000 falsch klassierten Personen gering war. Wichtig für die Validität der Studie ist aber die Tatsache, dass in der exponierten Gruppe tatsächlich nur Personen mit einem Abonnement waren. Damit fand keine nennenswerte Expositionsfehlklassifikation statt und es kann geschlossen werden, dass die Studie geeignet ist zu untersuchen, ob die Dauer der Handynutzung mit einem Hirntumorrisiko assoziiert ist. Der große Vorteil der Studie ist, dass differentielle Expositionsfehlklassifikation mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Die Frage aber, ob das Ausmaß der Handynutzung ein Risikofaktor ist, kann mit der dänischen Kohortenstudie nicht beantwortet werden, da die diesbezüglichen Angaben von den Mobilfunkbetreibern nicht verfügbar waren. Störgrößen (Confounder) Eine weitere Fehlerquelle bei epidemiologischen Studien ist die Möglichkeit, dass beobachtete Unterschiede in der Exposition zwischen Erkrankten und Gesunden nicht ursächlich auf die Exposition, sondern auf andere Faktoren, die mit der Exposition korrelieren, zurückzuführen sind. In diesem Fall spricht man von Confoundern. In Bezug auf das Hirntumorrisiko durch Mobiltelefone spielen Confounder mit großer Wahrscheinlichkeit keine große Rolle, da außer genetischen Prädispositionen und hohen Dosen von ionisierender Strahlung keine starken Risikofaktoren bekannt sind. Entsprechend ist die Möglichkeit für Confounding beschränkt. Es kann aber natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass es doch solche Risikofaktoren gibt, die bisher nicht identifiziert worden sind. CEFALO-Studie Methode In die CEFALO-Studie aufgenommen wurden Kinder und Jugendliche, die in den beteiligten Ländern zwischen 2004 und 2008 an einem Hirntumor erkrankten und zum Zeitpunkt der Diagnose 7 bis 19 Jahre alt waren. Für jeden Hirntumorpatienten wurden zwei gesunde Kontrollpersonen des entsprechenden Alters, Geschlechts und Wohnortes zufällig aus einem Bevölkerungsregister ausgewählt. Die Studiendaten wurden in persönlichen Interviews mit den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen sowie ihren Eltern erhoben. Bei allen Teilnehmenden, die schon mindestens 20 Mal ein Mobiltelefon benutzt hatten, wurde der Mobiltelefongebrauch bis zum Zeitpunkt der Diagnose detailliert erhoben. Gefragt wurde nach der Häufigkeit und Dauer des Mobiltelefongebrauchs in verschiedenen Zeitperioden, nach der zum Telefonieren bevorzugten Kopfseite und nach der Benutzung von Kopfhörern. Zusätzlich wurden die Studienteilnehmenden um die Erlaubnis gebeten, ihre Verbindungsdaten von den Netzbetreibern anzufordern. Neben dem Mobiltelefongebrauch wurden andere mögliche Risikofaktoren für Hirntumore wie Röntgenstrahlung, Infektionskrankheiten oder Kopfverletzungen in der Kindheit erhoben. Das Hirntumorrisiko wurde evaluiert, indem mittels konditionaler Regressionsanalyse die Dauer und Intensität der Mobiltelefonbenutzung der Patienten mit derjenigen der gesunden Kontrollpersonen verglichen wurde. Die Auswertungen wurden mit einer Reihe von Sensitivitätsanalysen komplettiert. Beispielsweise wurde die in einem Krebsregister erfasste Hirntumor-Erkrankungshäufigkeit bei schwedischen Kindern und Jugendlichen im Alter von 5 bis 19 Jahren zwischen 1990 und 2008 mit verschiedenen hypothetischen Risiken verglichen unter Berücksichtigung der Anzahl der Mobiltelefonbenutzer in jedem Jahr. Ergebnisse Insgesamt nahmen 352 Patienten und 646 Kontrollpersonen an der Studie teil. Die Teilnahmerate betrug bei Patienten 83 % und

14 EMF Spectrum Forschung bei Kontrollpersonen 71 %. Ein regelmäßiger Mobiltelefongebrauch (mindestens 1 Anruf pro Woche über mindestens sechs Monate) wurde von 55 % der Patienten und von 51 % der Kontrollpersonen angegeben. Die Auswertungen ergaben insgesamt keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen dem regelmäßigen Gebrauch von Mobiltelefonen und dem Hirntumorrisiko (Odds ratio [OR] = 1,36, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,92-2,02). Für andere Expositionsmaße, wie die Zeit seit der ersten Mobiltelefonbenutzung oder die kumulative Anzahl und Dauer der Anrufe, war das Risiko ebenfalls nicht-signifikant erhöht. Es bestand keine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung. Beispielsweise war das Risiko für Teilnehmer, die seit mindestens 5 Jahren mit einem Mobiltelefon telefonierten, praktisch gleich wie für Kurzzeitbenutzer ( 3,3 Jahre) (OR = 1,26 [95 %-KI: 0,70-2,28] vs. OR = 1,35 [95 %-KI: 0,89-2,04]). Außerdem zeigte sich kein Zusammenhang zwischen der Mobiltelefonbenutzung und der Häufigkeit von Tumoren in den durch Mobiltelefone am stärksten exponierten Hirnregionen (Temporal- und Frontallappen sowie Kleinhirn) (OR = 1,00, 95 %-KI: 0,58-1,72). Auf der zum Telefonieren bevorzugten Kopfseite traten Tumore nicht häufiger auf, als auf der gegenüberliegenden Kopfseite. Die Daten der Netzbetreiber waren von einem Drittel der Teilnehmer mit Mobiltelefonabonnement verfügbar. Aus diesen Daten ergab sich für Kinder und Jugendliche mit der längsten Zeitspanne seit dem ersten Mobiltelefonvertrag (> 2,8 Jahre) ein um den Faktor 2,15 (95 %-KI: 1,07-4,29) erhöhtes Erkrankungsrisiko. Falls die Mobiltelefonbenutzung tatsächlich einen solchen Risikoanstieg verursachen würde, hätte die Häufigkeit von Hirntumoren in den letzten Jahren um rund 50 % ansteigen müssen. Schwedische Daten zeigen aber bei Kindern und Jugendlichen seit dem Jahr 2000 eher einen Rückgang als einen Anstieg der Hirntumorhäufigkeit (Abbildung 1). Diskussion und Schlussfolgerungen CEFALO ist die erste Fall-Kontroll-Studie zum Zusammenhang zwischen dem Mobiltelefongebrauch und dem Hirntumorrisiko bei Kindern und Jugendlichen. Viele Risikoschätzer sind etwas erhöht, jedoch nicht statistisch signifikant. Das bedeutet, dass die Ergebnisse insgesamt nicht auf ein erhöhtes Hirntumorrisiko hindeuten. Dennoch stellt sich die Frage, ob die leicht erhöhten Risiken als schwaches Indiz für einen Zusammenhang zu werten sind, da kein Hinweis gefunden wurde, dass die Ergebnisse der CEFALO-Studie durch selektive Beteiligung der Kontrollpersonen verfälscht sein könnten oder dadurch, dass Patienten ihren Mobiltelefongebrauch stärker überschätzen als Kontrollpersonen [12]. Obwohl ein erhöhtes Risiko nicht vollkommen ausgeschlossen werden kann, gibt es einige Muster in den Daten, die gegen einen ursächlichen Zusammenhang sprechen. Erstens ergaben die meisten Analysen keine einheitliche Dosis-Wirkungs-Beziehung. Zweitens war in den beim Mobiltelefonieren am stärksten exponierten Hirnregionen kein erhöhtes Risiko zu beobachten. Drittens hat die Hirntumorhäufigkeit bei Kindern und Jugendlichen in Schweden, von wo die neuesten Daten verfügbar sind, im Zeitraum zwischen 2000 und 2008 eher Abbildung 1. Geschlechts- und altersstandardisierte Häufigkeit von Hirntumoren bei schwedischen Kindern und Jugendlichen zwischen 5 und 19 Jahren für den Zeitraum von 1990 bis 2008 (schwarze ausgezogene Linie). Die gestrichelten Linien basieren auf den Resultaten der CEFALO-Studie und zeigen die erwartete Entwicklung der Hirntumorraten unter Annahme eines Zusatzrisikos von 36 % bei regelmäßiger Mobiltelefonbenutzung (ohne Berücksichtigung einer Latenzzeit, blaue Linie) und unter Annahme eines Zusatzrisikos von 115 % nach dreijähriger regelmäßiger Mobiltelefonbenutzung (rote Linie). ab- als zugenommen. Das auffälligste Resultat der CEFALO- Studie ist der statistisch signifikante Zusammenhang zwischen der Dauer seit dem ersten Mobiltelefonabonnement und der Hirntumorhäufigkeit bei der kleinen Gruppe von Teilnehmern, für die objektive Netzbetreiberdaten verfügbar waren. Objektive Daten gelten als weniger fehleranfällig als der selbstberichtete Mobiltelefongebrauch. Frappant ist jedoch der offensichtliche Gegensatz zwischen diesem Resultat und der Entwicklung der Hirntumorerkrankungen in den letzten 10 Jahren gemäß Krebsregister. Das deutet stark darauf hin, dass die beobachtete Assoziation nicht oder zumindest nicht in diesem Ausmaß kausal besteht. Eine mögliche Erklärung für das Zustandekommen eines fehlerhaften Resultats ist, dass Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen größere Anstrengungen unternommen haben könnten, weiter zurückliegende Daten zur Verfügung zu stellen. Das könnte auch alleine daher rühren, dass Patienten ihre Verträge bzw. Telefonnummern weniger häufig wechselten und so die von den Mobilfunkbetreibern verfügbaren Daten weiter in die Vergangenheit reichten. Damit würde der falsche Eindruck entstehen, dass Patienten tatsächlich früher mit der Mobiltelefonbenutzung begonnen haben als Kontrollpersonen. Eine andere Möglichkeit ist, dass Kinder, die bereits vor der Hirntumordiagnose Krankheitssymptome hatten, früher ein Mobiltelefonabonnement erhalten haben, um ihre Eltern im Notfall kontaktieren zu können. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Resultate der CEFALO-Studie nicht auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Mobiltelefongebrauch und dem Hirntumorrisiko von Kindern und Jugendlichen hindeuten. Ein hohes Risiko kann ausgeschlossen werden. Allerdings war die Benutzungsdauer in dieser Studie relativ gering. Daher lassen sich keine Aussagen über längere oder intensivere Mobiltelefonbenutzung ableiten.

15 Eine Stärke der CEFALO-Studie ist der Einbezug objektiver Daten zur Mobiltelefonbenutzung, die in bisherigen Studien kaum zur Verfügung standen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die retrospektive Beschaffung von objektiven Betreiberdaten ebenfalls fehlerbehaftet ist und nicht als Goldstandard angesehen werden kann. Das liegt daran, dass die Daten bei den Mobilfunkbetreibern teilweise nicht lange genug gespeichert werden oder nicht mehr auffindbar sind. Weitere Einschränkungen ergeben sich daraus, dass der eigentliche Benutzer des Telefons nicht immer zweifelsfrei identifiziert werden kann, oder dass sich die Studienteilnehmenden nicht mehr an frühere Telefonnummern erinnern. Teilweise gab es auffällige Inkonsistenzen bei den Angaben seit wann ein Mobiltelefonabonnement genutzt wird, wenn man die Interviewangaben mit den Daten der Mobilfunkbetreiber verglichen hat [14]. 8. Vrijheid, M., et al., Validation of short term recall of mobile phone use for the Interphone study. Occup Environ Med, 2006. 63: p. 237-243. 9. Samkange-Zeeb, F., G. Berg, and M. Blettner, Validation of self-reported cellular phone use. J Expo Anal Environ Epidemiol 2004. 14: p. 245-248. 10. Schuz, J. and C. Johansen, A comparison of self-reported cellular telephone use with subscriber data: agreement between the two methods and implications for risk estimation. Bioelectromagnetics, 2007. 28(2): p. 130-6. 11. Muscat, J.E., et al., Handheld cellular telephones and risk of acoustic neuroma. Epidemiology, 2002. 58(5): p. 1304-1306. Angesichts der weit verbreiteten Mobiltelefonbenutzung bei Jugendlichen und der Fehleranfälligkeit von Fall-Kontrollstudien in diesem Forschungsbereich sollten die Hirntumor-Erkrankungsraten bei Kindern und Jugendlichen in den nächsten Jahren anhand von Krebsregisterdaten sorgfältig kontrolliert werden. 12. Aydin, D., et al., Impact of random and systematic recall errors and of selection bias in case-control studies on mobile phone use and brain tumours in adolescents (CEFALO study). Bioelectromagnetics, 2011. 32(5): p. 396-407. 13. Frei, P., et al., Use of mobile phones and risk of brain tumours: update of Danish cohort study. BMJ, 2011. 343: p. d6387. Referenzen: 1. Baan, R., et al., Carcinogenicity of radiofrequency electromagnetic fields. Lancet Oncol, 2011. 12(7): p. 624-6. 14. Aydin, D., et al., Predictors and overestimation of recalled mobile phone use among children and adolescents. Prog Biophys Mol Biol, 2011. 107(3): p. 356-361. 2. Aydin, D., et al., Mobile phone use and brain tumors in children and adolescents: a multicenter case-control study. J Natl Cancer Inst, 2011. 103(16): p. 1264-1276. 3. IARC Monograph, Volume 80. Non-Ionizing Radiation, Part1: Static and Extremely Low-Frequency (ELF) Electric and Magnetic Fields. IARC monographsc on the evaluation of carcinogenic risks to humans. Vol. 80. 2002, Lyon, France: IARCPress. Autoren Denis Aydin arbeitet als Doktorand am Schweizerischen Tropen- und Public Health Institut in Basel. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören der Zusammenhang zwischen Mobiltelefongebrauch und Hirntumorrisiko bei Kindern (CEFALO) sowie der Einfluss von Fehlern in der Expositionsabschätzung des Handygebrauchs. 4. INTERPHONE Study Group, Brain tumour risk in relation to mobile telephone use: results of the INTERPHONE international case-control study. Int J Epidemiol, 2010. 39(3): p. 675-694. 5. Parslow, R.C., S.J. Hepworth, and P.A. McKineny, Recall of past use of mobile phone handsets. Radiat Prot Dosim, 2003. 106(3): p. 233-240. 6. Tokola, K., et al., Reducing overestimation in reported mobile phone use associated with epidemiological studies. Bioelectromagnetics, 2008. 29(7): p. 559-63. 7. Vrijheid, M., et al., Recall bias in the assessment of exposure to mobile phones. J Expo Sci Environ Epidemiol, 2009. 19(4): p. 369-381. Professor Dr. Martin Röösli ist Dozent an der Universität Basel und leitet den Bereich Umweltexpositionen und Gesundheit am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel. Im Bereich elektromagnetische Felder und Gesundheit hat Martin Röösli mehrere epidemiologische Studien durchgeführt. Er ist Autor zahlreicher Fachpublikationen und Mitglied in nationalen und internationalen Kommissionen zu umweltbedingten Gesundheitsrisiken. Kontakt: Denis Aydin Schweizerisches Tropen- und Public Health Institut Basel Socinstrasse 57, CH - 4002 Basel E-Mail: denis.aydin@unibas.ch http://www.swisstph.ch