O S T E U R O P A 1 0. A u g u s t 2 0 1 5 Die osteuropäischen Emerging Markets weisen sehr unterschiedliche Vermögensbeziehungen mit dem Rest der Welt auf. Während Russland ein Netto-Guthaben gegenüber dem Ausland hat, haben Volkswirtschaften ein Netto- Defizit. Die unterschiedlichen Vermögenspositionen geben Aufschluss über die Verwundbarkeit gegenüber der anstehenden amerikanischen Zinserhöhung. Wir erwarten, dass die US-Notenbank im September damit anfangen wird, ihre Zinsen langsam anzuheben. Höhere Zinsen in den USA bedeuten, dass es unattraktiver wird, in Schwellenländern zu investieren. Das Verhältnis von Chance zu Risiko ändert sich zu Gunsten der entwickelten Märkte. Die Ankündigung des damaligen US-Notenbankchefs Bernanke im Mai 2013, dass die expansive Geldpolitik der Amerikaner irgendwann ein Ende finden wird, gab den Marktteilnehmern ein Gefühl für die Abhängigkeit der Emerging Markets (EM) von den Geldgeberländern: Die EM-Wechselkurse brachen ein. Viele argumentieren seitdem, dass die anstehende US- Zinserhöhung an den Märkten bereits eingepreist ist. Wir sind aber skeptisch, besonders bei Volkswirtschaften, deren Nettoauslandsvermögen negativ ist. 1 Das Nettoauslandsvermögen in Relation zur Wirtschaftsleistung zeigt an, wie stark eine Volkswirtschaft Änderungen der globalen Liquiditätslage ausgesetzt sind. Unter den wichtigsten Emerging Markets zählen Ungarn, Polen und die Türkei zu den gefährdetsten Kandidaten (siehe Abbildung) letztere durch Nullzinspolitik und Quantitative Easing der großen Notenbanken mit schlechteren Werten als vor der Finanzkrise. Dabei treiben oft zu geringe Ersparnisse, z.b. durch unterentwickelte Rentensysteme, oder ein ineffizienter Fiskus die Volkswirtschaften in die Abhängigkeit des ausländischen Geldes. Die Geldpolitik der Geldgeberländer sowie politische Ereignisse in den Schwellenländern haben deshalb, vor allem über den Vertrauenskanal, oft signifikante volkswirtschaftliche Folgen. Nur die russische Wirtschaft schneidet im Stichjahr 2014 ausnahmsweise als Klassenbeste ab, vor allem wegen des Energieexports. Darüber hinaus Russland: Der Rubel fährt weiter Achterbahn. Türkei: Die Türkei hat elf Wochen nach den Wahlen noch immer keine Regierung, erklärt aber dem Islamischen Staat und vor allem der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) den Krieg. Polen: Die erstarkende Opposition ist auf Anti-Banken-Kurs. 1 Das Nettoauslandsvermögen ist die Summe aus Auslandsvermögen und Auslandsschulden. Dabei werden alle Vermögen des Staates, der Unternehmen und von Privatpersonen in einem Land berücksichtigt, egal ob Direkt- oder Portfolioinvestitionen. Nettoauslandsvermögen ausgewählter Emerging Markets Russland China Südafrika Philippinen Indien Brasilien Mexiko Indonesien Türkei Polen Ungarn In % des BIP. Quellen: Internationaler Währungsfonds, Staatliches Amt für Statistik der Volksrepublik China, Zentralbank Indonesiens, Zentralbank Polens, Zentralbank Südafrikas, Berenberg. BIP- -67-61 -54-46 Russland -3,6-1,0 0,5 Türkei 2,6 3,2 3,3 Polen 3,4 3,3 3,6 In % gegenüber Vorjahr. Quelle: Berenberg Inhaltsverzeichnis -32-33 -18 - -75-50 -25 0 25 50-12 -14 18 17 2014 2007 Russland Der Rubel fährt weiter Achterbahn Seite 2 Türkei Krieg statt Koalition Seite 3 Polen Banken im Fadenkreuz der Politik Seite 4 1 Osteuropa 10. August 2015 1/5
RUSSLAND Der Rubel fährt weiter Achterbahn Im Herbst 2014 begann die wilde Fahrt des Rubels. Damals läutete die Notenbank eine neue Geldpolitik ein: ab November ließ sie den Rubel frei schwanken. Frei schwankende Wechselkurse reagieren aber sensibler auf Fundamentaldaten und die Investorenstimmung. Der Krieg in der Ukraine ließ beides einbrechen und nach der geldpolitischen Wende folgte die russische Währung Schritt; vom 1. November bis zum 15. Dezember fiel sie auf 65 Rubel pro US-Dollar ( 33 %). Ein Notfall: Die Notenbank hob den Zins um satte 600 Basispunkte auf 17 %. Doch der Rubel fiel weiter. Die hohen Zinsen ließen den heimischen Finanzsektor fast kollabieren, bis die Notenbank Ende Januar 2015 anfing, die Zinsen wieder zu senken. Ein Lockerungszyklus begann; etwas Vertrauen kehrte zurück. Der Rubel erholte sich und legte von Jahresbeginn bis Mitte April um mehr als 17 % zu. Die große Rubel Rallye hellte die Stimmung auf. Die zwischenzeitlich auf nahezu 17 % gestiegene fiel ebenfalls wieder. Diese Achterbahnfahrt ging der Notenbank aber zu schnell. Die Exportpreise fluktuierten zu stark. Deshalb kauften die Notenbanker von März bis Juli US-Dollar offiziell, um die Devisenreserven aufzubauen, aber mit der Folge, dass der Rubel nicht mehr erstarkte. Exporte sollten zudem günstig gehalten werden. Parallel wurde der Zins fortwährend gesenkt, mittlerweile schon wieder auf 11 %. Denn die russische Wirtschaft ist in der Rezession. Diese dürfte nun noch länger andauern. Grund dafür ist das Tauwetter zwischen dem Westen und dem Iran. Nach dem Atomdeal vor drei Wochen brach der Ölpreis ein und damit die wichtigste Einnahmequelle der russischen Wirtschaft. Außerdem ist die Lage in der Ostukraine alles andere als entspannt. Die USA intensivierten kürzlich erst ihre Sanktionen. So stieg im Juli wieder der Druck auf den Rubel, ebenso wie die aktuellsten szahlen. Wir erwarten zudem, dass der Lockerungszyklus im September pausiert aber nicht beendet! werden könnte. Während die Fed im September anziehen wird, wird die russische Notenbank den Leitzins bis Ende 2015 vermutlich wieder unter 10 % gedrückt haben. Ukraine-Krieg, heimische Wirtschaftsschwäche und die Zinsen in den USA werden vorerst weiter den Takt für die Rubelentwicklung vorgeben. Wir sehen also nicht, dass die Achterbahnfahrt des Rubels vorbei ist. Im Gegenteil: Der neue Gleichgewichtskurs wird erst erkennbar, wenn die russische Wirtschaft über einige Quartale hinweg gewachsen ist, in der Ostukraine echte Waffenruhe herrscht und in den USA die Zinsen gestiegen sind. Bis dahin sind kurze, stabilisierende Interventionen der Notenbank aber möglich ein dirty float also. Mehr aber auch nicht, denn dafür hat die Notenbank zu wenig Reserven und die russische Wirtschaft zu wenig Kraft. Der Rubel bleibt also weiter wild. Rubel gegenüber Haupthandelswährungen 60 25 20 15 10 5 sraten und Notenbankziel in %; = ohne Lebensmittel- und Rubel in US-Dollar Rubel in Euro 0 Jan 14 Apr 14 Jul 14 Okt 14 Jan 15 Apr 15 BIP -3,6-1,0 0,5 14,9 8,6 7,5 Arbeitslosigkeit 6,8 7,0 6,5 Haushalt -2,8-2,9-2,0 Leistungsbilanz 3,5 3,0 1,8 104 88 72 56 Osteuropa 10. August 2015 2/5
TÜRKEI Krieg statt Koalition Elf Wochen nach den Parlamentswahlen hat die Türkei immer noch keine Regierung. Bei den Wahlen holte die pro-kurdische HDP 13 % und rang der regierenden AKP die absolute Mehrheit ab. Jetzt ist eine Koalition notwendig. Doch der Koalitionspoker steht kurz vor dem Abbruch; zu groß sind die Unterschiede zwischen den Parteien. Außerdem ist Präsident Erdogans Wunsch nach einer mächtigeren Rolle für sein Amt zu recht höchst umstritten. Wir erwarten deshalb, dass es im Herbst zu Neuwahlen kommt. Bis dahin wird die AKP alles versuchen, die türkischen Wähler wieder auf ihre Seite zu holen. Die wirtschaftliche Entwicklung eignet sich dafür jedoch wenig: Wichtige Reformen blieben aus und die Wirtschaft wuchs in den letzten vier Quartalen bloß um 2,3 %, während die außenwirtschaftliche Verwundbarkeit der Türkei blieb: Die kurzfristige Auslandsverschuldung steht aktuell (Mai) bei 125 Mrd. US-Dollar bzw. etwa 16 % des BIP etwa dem gleichen Wert im Mai 2014. Der niedrige Ölpreis übersetzte sich nicht in ein substanziell fallendes Leistungsbilanzdefizit oder fallende : bis Mai stieg letztere sogar. Die Lira wurde zu einer der größten Schwächlinge unter den Emerging Market-Währungen. Die Landeswährung litt unter der steigenden politischen Unsicherheit im Lande sowie der anstehenden Zinserhöhung in den USA. So entschied sich die AKP-Übergangsregierung für die nationale Karte und den Kampf gegen den äußeren Feind, um Stimmen zu holen. Entsprechend wurde der Anschlag des IS Ende Juli im südtürkischen Suruc als Vorlage für einen Strategiewechsel genutzt: Ankara erklärte dem Islamischen Staat den Krieg, bekämpft seitdem jedoch überwiegend kurdische Stellungen und stellt Teile der HDP unter Terrorverdacht. Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) ebenfalls eine Feindin des IS antwortet mit Anschlägen. Jahre der Versöhnung zwischen Regierung und der größten Minderheit der Türkei etwa 20 % der Bevölkerung sind Kurden stehen auf dem Spiel. Dabei wäre eine Allianz zwischen PKK und Ankara gegen den IS wünschenswert. Zudem ist unklar, ob die Rechnung der AKP aufgeht. Es ist gut möglich, dass Neuwahlen wieder eine Koalition verlangen. All das erhöht die Unsicherheit unter Investoren, türkischen Haushalten und Unternehmen. Da hilft auch nicht, dass die türkische Notenbank ihre Geldpolitik vereinfachen möchte in Anerkennung des Umstandes, dass sie kaum jemand versteht und vor allem, weil nach der amerikanischen Zinserhöhung (erwartet im September) ausländische Investoren weniger willig sein werden, in Länder wie die Türkei zu gehen. In Summe setzt die erhöhte politische Unsicherheit die türkische Volkswirtschaft also überproportional stark internationalen Preisschocks aus. Lira gegenüber Haupthandelswährungen 110 90 70 16 13 10 7 sraten und Notenbankziel in %; = ohne Lebensmittel- und Lira in US-Dollar Lira in Euro 4 Jan 14 Apr 14 Jul 14 Okt 14 Jan 15 Apr 15 Jul 15 BIP 2,6 3,2 3,3 8,0 7,6 7,2 Arbeitslosigkeit 10,0 10,1 10,0 Haushalt -1,8-2,0-2,0 Leistungsbilanz -5,3-5,1-5,2 60 Osteuropa 10. August 2015 3/5
POLEN Banken im Fadenkreuz der Politik Der Überraschungssieg des nationalkonservativen Kandidaten Duda bei den Präsidentschaftswahlen im Mai ging wie ein Ruck durch die politische Landschaft Polens: Die aktuell regierende liberalkonservative Volksplattform verliert immer mehr an Zustimmung, während die nationalkonservative Recht und Gerechtigkeitspartei Stimmen gewinnt. Zudem werden am linken Rand des politischen Spektrums viele neue Parteien gegründet; politisch tendenziell progressiv orientierte Wutbürger wenden sich von der Volksplattform ab. So werden die Meinungsumfragen immer deutlicher: Bei den Parlamentswahlen am 25. Oktober bekommt Polen mit der Recht und Gerechtigkeitspartei sehr wahrscheinlich ein neue Regierung stärkerer Populismus und eine unvorhersehbare Steuerpolitik dürften damit einhergehen. Unsere Sorge um die polnische Wirtschaftspolitik festigt sich mit der steigenden Beliebtheit der Recht und Gerechtigkeitspartei: Präsident Duda hat sich an mehrmals dafür ausgesprochen, dass die Notenbank eine aktivere Rolle spielen soll. Nun werden 2016 fast alle Direktoriumsmitglieder der Notenbank neubesetzt, inklusive ihrem Präsidenten Belka. Wir erwarten, dass die Neubesetzungen gänzlich dem Präsidenten und seiner Partei, und damit auch seinen Ansichten näher stehen dürften. Die traditionell eher zurückhaltende polnische Geldpolitik dürfte dann ein Ende finden. Darüber hinaus gewinnt die Idee von höheren Steuern für Banken und Supermärkte an Zustimmung. Derweil beschloss das Parlament gegen die Regierungspartei (!) ein Gesetz zum Umgang mit den privaten polnischen Schulden in Schweizer Franken. Diese belaufen sich auf rund 144 Mrd. Zloty, was 34 Mrd. Euro bzw. 8 % des polnischen BIP entspricht. Vor dem Lehman-Kollaps nahmen viele Polen Kredite zu günstigeren Zinsen in Schweizer Franken auf. Mit der Krise wendete sich das Blatt: Der starke Franken, vor allem der Frankenschock im Januar 2015, verwandelte die Kredite zur Last für viele Polen und die Opposition forderte, die Last auf die Banken zu schieben. Wenn das Gesetz von Senat und Präsidenten bestätigt wird (was wahrscheinlich ist), dürften nun Haushaltsschulden und Hypotheken in Schweizer Franken in Zlotys umgewandelt werden. Grundlage wäre ein hypothetischer Referenzkredit in Zloty. 90 % der Differenz zum über die Jahre immer teurer gewordenen Frankenkredit müssten die polnischen Banken tragen. Für die Wirtschaft bedeutet das: Die Banken werden weniger profitabel, ausländische Banken würden sich zurückziehen, die Kreditvergabe dürfte leiden und die wirtschaftliche Aktivität ebenso. Der Zloty dürfte stärker schwanken. Für 2016 nehmen wir unsere BIP-Prognose also etwas nach unten, von 3,5 auf 3,3 %. Auch wenn Polen politisch und wirtschaftlich weiter relativ stabil bleibt, trübt sich unser Ausblick leicht ein. Zloty gegenüber Haupthandelswährungen 105 95 85 75 5 3 1-1 -3 sraten und Notenbankziel in %; = ohne Lebensmittel- und Zloty in Euro Zloty in Franken -5 Jan 14 Apr 14 Jul 14 Okt 14 Jan 15 Apr 15 BIP 3,4 3,3 3,6-0,4 1,4 2,2 Arbeitslosigkeit 10,8 10,0 9,5 Haushalt -3,0-2,9-2,6 Leistungsbilanz -1,4-1,6-2,1 104 88 72 56 Osteuropa 10. August 2015 4/5
IMPRESSUM Autor Wolf-Fabian Hungerland Economist +49 (0) 35 0 60-8165 wolf-fabian.hungerland@berenberg.com Berenberg Makro erscheint zu folgenden Themen: Konjunktur und Geldpolitik Währungen Rohstoffe Emerging Markets Osteuropa Trends www.berenberg.de/publikationen Wichtige Hinweise: Dieses Dokument stellt keine Finanzanalyse im Sinne des 34b WpHG, keine Anlageberatung, Anlageempfehlung oder Aufforderung zum Kauf von Finanzinstrumenten dar. Es ersetzt keine rechtliche, steuerliche und finanzielle Beratung. Die in diesem Dokument enthaltenen Aussagen basieren auf allgemein zugänglichen Quellen und berücksichtigen den Stand bis zum Tag vor der Veröffentlichung. Nachträglich eintretende Änderungen können nicht berücksichtigt werden. Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG Neuer Jungfernstieg 20 20354 Hamburg Telefon +49 350 60-0 www.berenberg.de info@berenberg.de