SS 2002 Sachversicherung Seite 1 I. Kraftfahrtversicherung 1.1 Gliederung der Kraftfahrtversicherung Die Kraftfahrtversicherung zählt zur Sach- und sonstigen Vermögensversicherung (vgl. Büchner, F.: Grundriß der Individualversicherung; 9. Auflage VVW Karlsruhe). Kraftfahrtversicherung a) Kraftfahrthaftpflichtversicherung (KH-Versicherung) b) Kraftfahrtvoll(kasko)versicherung (Vollversicherung) c) Kraftfahrtteil(kasko)versicherung (Teilversicherung) d) Kraftfahrtunfallversicherung (K-Unfallversicherung) e) Kraftfahrt(reise)gepäckversicherung unabhängig davon ferner f) Kraftfahrtrechtsschutzversicherung (eher zu Rechtsschutzversicherung gehörend) g) Kraftfahrt- und Pannenversicherung oder Verkehrs-Service-Versicherung (unter Assistance-Gesichtspunkten von zunehmender Bedeutung ; eher zu technischen Versicherungszweigen gehörend) Aufgrund ihrer Bedeutung und ihres Bekanntheitsgrades werden wir uns im folgenden hauptsächlich mit der Kraftfahrthaftpflichtversicherung für PKW beschäftigen. 1.2 Grundlegende Aspekte der Kraftfahrtversicherung Neben der Lebens- und Krankenversicherung stellt die Kraftfahrtversicherung einen der bekanntesten und wirtschaftlich bedeutendsten Zweige der privaten Versicherungswirtschaft dar. Die Bruttobeitragseinnahmen der Kraftfahrtversicherung betrugen in Deutschland im Jahr 2001 (2000) ca. 41,7 Mrd. DM (39,8 Mrd. DM) und damit 2001 rund 50% des gesamten Schaden- und Unfallbeitragsaufkommens; incl. Kredit und Rechtsschutz. 1 Die K-Versicherung wird auch häufig als Schlüssel- oder Einstiegssparte des Versicherungsgewerbes bezeichnet, da die K-Versicherung bei vielen jungen Menschen den ersten Versicherungsvertrag darstellt, den sie selbst abschließen. Unter diesem Aspekt werden derartige Verträge, die zu Beginn der Laufzeit nicht selten einen eher defizitären Verlauf aufweisen, als Investitionen betrachtet. Aufgrund der häufigen Änderungen (Fahrzeugwechsel, Schadenfälle usw.) der Versicherungsverträge erfordert die K-Versicherung einen 1 Jahrbuch 2001 Die deutsche Versicherungswirtschaft VVW Karlsruhe.
SS 2002 Sachversicherung Seite 2 nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand, der durch den verstärkten EDV-Einsatz bewältigt wird und zu einer relativ niedrigen Kostenquote führt. Damit spielt sich in diesem Bereich ein harter Wettbewerb ab. Nach der Einführung des gemeinsamen Binnenmarkts ist zu erwarten, daß es neben einem Preis- auch einen Bedingungswettbewerb geben wird. Die K-Versicherung wird auch von vielen als die Schicksalssparte der Versicherungswirtschaft angesehen, da wirtschaftliche Entwicklungen (wie z.b. der erste Ölpreisschock 1973) sich sehr schnell und deutlich im Kraftfahrtbereich ausgewirkt haben. Bemerkenswert ist auch die Wandlungsfähigkeit der K-Versicherung, die laufend an geänderte Verhältnisse und Bedürfnisse angepaßt wurde - insbesondere nach der Deregulierung Mitte 1994. Die Entwicklung des Bonus-Malus-Systems und die Kaskotarife sind hierfür Beispiele. Diese Wandlungsfähigkeit wird sich auch in nächster Zukunft erweisen, nachdem u.a. - angestoßen durch die Deregulierung des europ ischen Marktes - im Ausland bereits bestehende Bedingungen auch in Deutschland möglich sind (vgl. hierzu auch das Kapitel über die K- Versicherung im Ausland). 1.3 Statistische Zahlen zur Kraftfahrtversicherung Bruttobeitragseinnahmen (Mrd.): 1996 1997 1998 (geschätzt) Individualversicherung insgesamt (GDV) 233 238 243 Lebensversicherung (o. Beitr. aus RfB) 93 97 103 2 Private Krankenversicherung 34 36 38 Kraftfahrtversicherung (KfZ-Haftpflicht, Voll- und Teilkasko, Insassen-Unfall) 42 41 39 davon entfallen auf: Kraftfahrthaftpflicht 26 25 24 Fahrzeugvollkaskoversicherung 12 11 11 Fahrzeugteilkaskoversicherung 4 4 3,5 Insassen-Unfallversicherung 0,6 0,6 0,5 Quelle: Jahrbuch GDV (1998) 2 Beeinflußt durch eine Bestandsübertragung zu einem Mitgliedsunternehmen.
SS 2002 Sachversicherung Seite 3 Bruttobeitragseinnahmen (Mio.) und Schadenquote 3 (%): Beitragseinnahmen insgesamt Schadenaufwand insgesamt 1996 Mrd. DM Quote 1997 Mrd. DM Quote 1998 (geschätzt) Mrd. DM Quote 42 41 39 38 88,7 % 36 92,7 % 38 97,4 % Quelle: Jahrbuch GDV (1998) Die Schadenquoten in der Kraftfahrthaftpflichtversicherung betrugen 1996: 100,6 %; 1997: 106,8 ( und 1998 ca. 113,3 %. Weitere Zahlen zur Kraftfahrtversicherung Anzahl der Fahrzeuge (PKW) in der Haftpflichtversicherung in Mio. 1996 1997 47,4 (35,8) 48,1 (36,1) Anzahl der Haftpflichtschäden (PKW) in Mio. 4,1 (3,1) 4,0 (3,1) Anzahl Teilkaskoversicherung (PKW) in Mio. 20,3 (15,5) 20,1 (15,1) Anzahl der Teilkaskoschäden (PKW) in Mio. 1,7 (1,5) 1,6 (1,4) Schadenaufwand Teilkaskoversicherung 2,537 2,308 Schadendurchschnitt Teilkaskoversicherung 1.470 1.443 Anzahl Vollkaskoversicherung (PKW) in Mio. 15,4 (13,9) 16,1 (14,6) Anzahl der Vollkaskoschäden (PKW) in Mio. 2,6 (2,4) 2,5 (2,2) Schadenaufwand Vollkaskoversicherung 8,77 8,23 Schadendurchschnitt Vollkaskoversicherung 3.341 3.276 3 Anteil Schadenaufwand an den Bruttobeitragseinnahmen; bei der Berechnung wurden genauere, nicht gerundete Werte zugrunde gelegt.
SS 2002 Sachversicherung Seite 4 Quelle: Jahrbuch GDV 1996 In Westdeutschland sank die Zahl der Verkehrstoten mit 6526 im Jahr 1995 auf den niedrigsten Wert seit Bestehen der Unfallstatistik (1953), mit weiterhin sinkender Tendenz. Der höchste Wert wurde 1970 mit 19.193 Verkehrstoten erreicht. Die Unfallzahlen in den neuen Bundesländern waren anfangs deutlich schlechter als in den alten Bundesländern, sie haben sich zwischenzeitlich aber weitgehend angeglichen. Zur Entwicklung des Schadenbedarfs und der Schadenhäufigkeit: Wie zu erwarten ist, sind die Entwicklungen des Schadendurchschnitts und der Löhne und Gehälter eng korreliert und zunehmend (unterliegt damit eindeutig inflationären Einflüßen), während die Schadenhäufigkeit in der gleichen Zeit eher rückläufig ist (vgl. auch die Übersicht des HUK-Verbandes für die Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung HUK Verband (1998) und Asmus (1994) S. 49), obwohl die Kraftfahrzeugdichte in diesem Zeitabschnitt deutlich zugenommen hat (siehe nachfolgende Grafik der Entwicklung des Kfz-Bestands aus Asmus (1994) S. 38). Jahresübersichten Die mit unterschiedlichem Volumen abgeschlossenen einzelnen Jahresstatistiken wurden auf der Basis des Beitragsvolumens bezogen auf die K-Haftpflichtversicherung jeweils auf 100% hochgerechnet.
SS 2002 Sachversicherung Seite 5 Jahres- Anzahl der Schaden- Schaden - einheiten Schäden aufwand Häufigkeit Durch- Bedarf (jeweils auf 100% erhöht) auf 1.000 1) schnitt DM 1) DM 1) 1 2 3 4 5 6 1962 10.687.374,0 1.954.932 1.392.878.980 183 713 131 1963 11.459.277,0 2.137.243 1.632.201.527 187 764 142 1964 12.271.695,0 2.184.443 1.908.977.902 178 874 156 1965 12.812.701,0 2.219.408 2.161.988.686 173 974 169 1966 13.815.620,0 2.330.286 2.519.533.293 169 1.081 182 1967 14.385.211,0 2.270.200 2.551.250.740 158 1.124 177 1968 15.078.488,0 2.370.272 2.820.859.228 157 1.190 187 1969 15.874.552,0 2.509.858 3.236.740.710 158 1.290 204 1970 17.252.680,0 2.926.547 4.337.019.863 170 1.482 251 1971 18.137.307,3 2.532.244 4.626.252.418 140 1827 255 1972 18.972.345,7 2.508.315 5.355.097.557 132 2.135 282 1973 19.896.524,3 2.485.001 5.742.214.805 125 2.311 289 1974 20.684.342,1 2.319.547 5.829.223.948 112 2.513 282 1975 21.461.696,7 2.406.377 6.621.387.624 112 2.752 309 1976 22.637.294,4 2.719.601 7.613.413.630 120 2.799 336 1977 23.636.153,8 2.918.653 8.532.216.151 123 2.923 361 1978 24.732.555,9 3.163.356 9.464.349.996 128 2.992 383 1979 25.878.590,0 3.300.406 9.940.289.422 128 3.012 384 1980 26.963.572,6 3.331.275 10.755.943.004 124 3.229 399 1981 27.543.269,9 3.346.777 11.159.443.753 122 3.334 405 1982 28.103.561,1 3.235.300 11.209.095.326 115 3.465 399 1983 28.815.308,8 3.333.206 12.197.997.171 116 3.660 423 1984 29.531.071,4 3.396.499 12.620.539.030 115 3.716 427 1985 30.013.057,7 3.541.943 12.984.267.312 118 3.666 433 1986 30.619.855,8 3.691.949 13.909.054.013 121 3.767 454 1987 31.396.629,1 3.842.975 17.701.016.679 122 3.825 468 1988 32.293.950,0 3.898.671 15.612.749.840 121 4.005 483 1989 33.303.984,4 3.748.536 15.554.148.523 113 4.419 467 1990 34.367.859,5 3.756.022 16.354.139.495 109 4.354 476 1991 35.504.522,8 3.729.467 17.189.445.879 105 4.609 484 1992 36.421.016,6 3.738.997 18.382.169.605 103 4.916 505 1993* 45.246.289,6 4.412.455 22.948.909.194 98 5.201 507 1994* 45.822.475,4 4.288.182 24.148.326.159 94 5.631 527 1995* 46.794.357,2 4.256.219 25.066.002.093 91 5.889 536 1996* 47.422.170,0 4.058.649 25.019.252.306 86 6.164 528 1997 48.147.000,0 3.972.000 25.514.000.000 83 6.424 533 1998 48.805.000,0 4.054.000 26.216.000.000 83 6467 537 1999 2000 49.683.000,0 50.634.000,0 4.199.000 3.974.000 26.707.000.000 25.936.000.000 85 78 6360 6.527 541 509 1) Es handelt sich bei den ausgewiesenen Werten um Meßwerte, bei denen die Bestandsverschiebungen innerhalb der Tarifgruppen, Stärkegruppen und Schaden-/Schadenfreiheitsklassen nicht berücksichtigt sind. * ) ab 1993 einschließlich Tarifgebiet Ost
SS 2002 Sachversicherung Seite 6 1000 900 800 700 600 500 400 Schadendurchschnitt Schadenhäufigkeit 300 200 100 0 1962 1965 1968 1971 1974 1977 1980 Jahr 1983 1986 1989 1992 1995 Abbildung 1.3.1: Entwicklung der Schadenhäufigkeit und der Schadendurchschnitte in der Kfz- Haftpflichtversicherung im Vergleich zur Lohn- und Gehaltsentwicklung in den alten Bundesländern Der Grund hierfür ist hauptsächlich in den in den letzten Jahren gestiegenen Sicherheitsstandards, wie z.b. ABS, und in der Verlangsamung des Verkehrsflußes aufgrund der hohen Verkehrsdichte zu sehen. Zur Entwicklung des Kraftfahrzeugbestands: Der Bestand an Kraftfahrzeugen wächst stetig. Im Jahr 1990 waren es 35,75 Millionen, dazu kommen weitere 6,9 Millionen in den neuen Bundesländern. Ein verlangsamtes Wachstum ist zwischen 1973 und 1975 aufgrund des Ölpreisschocks zu verzeichnen. (vgl. die nachfolgenden Abbildungen aus Asmus (1994) S. 38 ff.) Entwicklung des Kraftfahrzeugbestands 50 45 40 35 Millionen 30 25 20 Bestand 15 10 5 0 1962 1965 1968 1971 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 Jahr Abbildung 1.3.2: Bestand an Kraftfahrzeugen (bezogen auf die alten Bundesländer)
SS 2002 Sachversicherung Seite 7 2.100 2.000 1.900 1.800 1.700 1.600 1.500 1.400 1.300 1.200 1.100 1.000 1.079 Straßenverkehrsunfälle insgesamt 1.923 550 540 530 520 510 500 490 480 470 460 450 440 430 420 20 19 18 17 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7 443 14,5 Verunglückte dabei Getötete 1962 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 433 7,3 Abbildung 1.3.3
SS 2002 Sachversicherung Seite 8 Schadenbegriffe: Als Maßzahlen für (versicherte) Schäden werden vor allem folgende Größen verwendet: Schadenhäufigkeit = Zahl der gemeldeten Schäden pro Jahr versicherte Jahreseinheiten versicherten Jahreseinheiten = auf ein Jahr (360 Tage) normierter Bestand an versicherungstechnischen Einheiten Schadenaufwand = Zahlungen + Schadenrückstellungen für gemeldete Schäden +Abwicklungsergebnis Schadendurchschnitt = Schadenaufwand Zahl der gemeldeten Schäden Schadenquote = Schadenaufwand verdiente Beiträge 4 Schadenbedarf = Schadenhäufigkeit Schadendurchschnitt Schadenaufwand versicherte Jahreseinheiten 4 verdiente Beiträge = versicherungsperiodenabgegrenzte Beiträge