Baustein 6 Sprache und Gender Sprachfähigkeit und kommunikativen Kompetenzen zu entwickeln sind generelle Ziele von Schule. Darüber hinaus stellt Sprache das wichtigste Instrument der Wissensvermittlung in allen Fächern dar. Das Thema Sprache und Geschlecht berührt unterschiedliche Aspekte und führt für die verschiedenen Fächer auch zu unterschiedlicher Bedeutung. Zum einen ist: Sprache Ausdruck des Geschlechterverhältnisses. Dies wird in jeglicher Kommunikation und in allen Fächern deutlich, wirkt sich aber im Besonderen auf den Deutschunterricht aus. Zum anderen unterscheiden sich Mädchen und Jungen sowohl in der von ihnen verwendeten Sprache als auch in ihren sprachlichen Interessen. Dies ist wiederum bedeutsam für alle Fächer, insbesondere für den Deutsch- und den Fremdsprachenunterricht. 1. Geschlechtsspezifische Asymmetrien des Sprachsystems Bis heute bestimmen grammatische Strukturen unsere Sprache, die den Eindruck erwecken können, dass der Mann die Norm ist, und die Frau mehr die Ausnahme, das Ungewöhnliche, dass explizit erwähnt werden muss. Beispiele hierfür sind: Scheinbar neutrale Wörter maskuliner Personenbezeichnungen (z.b. der Kollege oder männliche Berufsbezeichnungen) können im Singular nur durch maskuline Formen der Personenoder Possessivpronomina wieder aufgenommen werden. Substantivische Indefinitpronomina (z.b. jeder, jemand, man, niemand, mancher, einer) und Interrogativpronomina (z.b. wer) sind mit dem nominalen Rückbezug unter Verwendung der maskulinen Form auch dann zu verbinden, wenn eindeutig auf weibliche Personen Bezug genommen wird (z.b. Jemand sucht seinen Lippenstift). 2. Anregungen zum geschlechtergerechten Formulieren Das geschlechtergerechte Formulieren folgt zwei Grundprinzipien: Sichtbarmachung Frauen und Mädchen sollen sprachlich sichtbar gemacht werden. Weibliche Personen sollten nicht in einer männlichen Form mitgemeint werden, sondern ausdrücklich mit weiblichen Personenbezeichnungen genannt werden. Sarah möchte Programmierer werden. Sarah möchte Programmiererin werden. Symmetrie Frauen und Mädchen sollen gleichwertig und symmetrisch benannt werden. Unsere Mädchen und Herren hatten viel Spaß. Familie Martin Bauer Unsere Frauen Männer Unsere Damen und Herren Unsere Mädchen und Jungen Familie Bauer Familie Sabine und Martin Bauer 39
Es gibt verschiedene Strategien, Frauen und Männer sichtbar zu machen: Die weibliche und männliche Form werden vollständig benannt ( vollständige Paarform ) mit den Konjunktionen und, oder, bzw. (z.b. Bürger und Bürgerinnen) mit Schrägstrich (anstelle der Konjunktion) (z.b. der/die Erziehungsberechtigte, Lehrer/Lehrerinnen) oder die Sparschreibung : Schrägstrich innerhalb eines Wortes (z.b. Lehrer/innen, Schüler/innen) Mit einem großen I (SchülerInnenparlament). Bei beiden Sparschreibungen muss die sogenannte Weglassprobe beachtet werde: Wird der Schrägstrich bzw. die Endung In oder Innen weggelassen, muss die übrig bleibende Form ein korrektes Wort ergeben (Negativ-Beispiel: Schulärzt/in). Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Personen zu benennen, ohne Auskunft über ihr Geschlecht zu geben 1. Besitzanzeigende Fürwörter weg lassen statt: der Wähler/die Wählerin oder seine /ihre gesetzliche Vertreter/in die Wahlberrechtigten oder ihre gesetzliche Vertretung 2. Wörter verwenden, die im Singular und im Plural neutral sind Die Person, die Persönlichkeit sowie alle Zusammensetzungen mit -kraft, -hilfe -person (z.b. Lehrkraft, Lehrperson) Der Mensch, Elternteil Das Kind, Mitglied, Individuum 3. Wörter verwenden, die im Plural neutral sind, im Singular jedoch Auskunft über das Geschlecht der bezeichneten Person geben die Lehrenden, die Vorsitzenden, die Beschäftigten, die Studierenden, die Beauftragten, die Betreuten, die Anwesenden, die Teilnehmenden, die Jugendlichen 4. Funktions- Institutions- und Kollektivbezeichnungen Anstelle der Person wird die Funktion, die Institution oder das Kollektiv genannt. Das Ministerium, der Vorsitz, die Leitung, die Direktion, das Personal, das Team 40
statt: zum zweiten Mal wurde eine Frau Ministerin Zum zweiten Mal wurde eine Frau mit der Leitung des Ministeriums betraut. 5. Umformulierungen Es gibt verschiedene Möglichkeiten einen Satz umzuformulieren: Beispielsatz: Die Fahrtkostenhilfe gebührt nur jenen Schülern und Schülerinnen, die auch Heimhilfe beziehen. Umformulierung mit Pronomen Die Fahrtkostenhilfe gebührt nur jenen, die Die Fahrtkostenhilfe gebührt allen, die Wer Fahrtkostenhilfe beantragt, muss den Heimhilfe-Bezug nachweisen. Wer Heimhilfe bezieht, hat auch ein Anrecht auf Fahrtkostenbeihilfe. Umformulierungen mit ist zu (modularer Infinitiv) Bei Ersuchen um Fahrtkostenhilfe ist der Heimhilfe-Bezug nachzuweisen. Passiv statt Aktiv Statt: Die Teilnehmerinnnen und Teilnehmer des Workshops erstellten einen Wunsch-Lehrplan. Im Workshop wurde ein Wunsch-Lehrplan erstellt. Wer statt er statt: Der Nutzer städtischer Sportanlagen wer städtische Sportanlagen nutzt Adjektive statt männlicher Personenbezeichnung Statt: Rat des Arztes ärztlicher Rat 7. Kreative Lösungen finden Am erfolgreichsten ist das Formulieren geschlechtergerechter Texte, wenn die verschiedenen Möglichkeiten je nach Kontext sinnvoll miteinander kombiniert werden. 41
Sowohl die Textsorte als auch der Inhalt und der Zweck des Schriftstückes haben einen Einfluss auf die Wahl der Personenbezeichnungen. 3. Das Kommunikationsverhalten der Geschlechter Auch im aktiven verbalen Kommunikationsverhalten sind geschlechtsspezifische Unterschiede festzustellen. Das typische weibliche Sprechen ist eher gekennzeichnet durch das Prinzip der Abschwächung. Dadurch wird der Eindruck der Unsicherheit und der Trivialität des Gesagten vermittelt. Erreicht wird das z. B. durch: Die Einschränkung der Gültigkeit (es scheint, dass ) Das Infragestellen oder die Bitte um Zustimmung (ist es nicht so, dass ) Selbstabwertung, Herausforderung von Kritik (das ist nur so eine Idee ) Die Art und Weise wie Jungen und Männer reden, täuscht dagegen mehr Sicherheit, Selbstvertrauen, Autorität vor als wirklich vorhanden. Trömmel-Plötz 6 kommt bei einem Vergleich des männlichen und des weiblichen Sprachverhaltens zu folgenden Ergebnissen: Männer ergreifen häufiger das Wort und reden im Allgemeinen länger als Frauen. Sie unterbrechen Frauen systematisch, während Frauen Männer kaum unterbrechen. Männer bestimmen die Themen und kontrollieren den Gesprächsverlauf. Frauen unterstützen und harmonisieren den Gesprächsverlauf. Bezogen auf das Gesprächsverhalten von Jungen und Mädchen im Unterricht lässt sich ähnliches feststellen. 4. Geschlechtsspezifische Unterschiede beim Schriftsprachenerwerb Untersuchungen haben immer wieder Belege für Unterschiede zwischen den sprachlichen Lernvoraussetzungen von Mädchen und Jungen erbracht: Mädchen sind bereits am Schulanfang den Jungen bei schriftsprachlichen Aufgaben überlegen, z.b. beim Vergleich von Schriftwörtern, beim Schreiben eigener Wörter bzw. des eigenen Namens. Zwar können weniger Jungen als Mädchen am Schulanfang bereits lesen. Aber die Jungen, die als Frühleser zur Schule kommen, erbringen bessere Leistungen als die Mädchen. Sie können ihren Vorsprung jedoch nicht halten. Am Ende der Grund- 6 Trömel-Plötz,Senta: "Vatersprache Mutterland", Beobachtungen zu Sprache und Politik, Frauensoffensive, München, 1993 42
schulzeit verfügen Mädchen im Durchschnitt über eine größere Lesefertigkeit, Lesedauer und Lesefreude. Über die Jahre hinweg bleiben die Mädchen den Jungen beim Lesen und Schreiben überlegen. Beim Schreiben dominieren sie nicht nur in der Rechtschreibung. Beim Schreiben freier Texte ist ihr Leistungsvorsprung sogar noch größer. Mädchen schreiben längere Texte als Jungen und profitieren deshalb zusätzlich von einem größeren Übungseffekt. Mädchen haben zudem größeres Interesse am Schreiben und Lesen als Jungen. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich, dass Jungen nicht nur weniger lesen als Mädchen, sie lesen auch anders. Jungen lesen bevorzugt Comics-, Sach- und Gebrauchstexte und dort zeigen sie auch eine deutlich bessere Leseleistung als bei erzählenden Texten, die von Mädchen bevorzugt werden. Auch beim Schreiben zeigt sich, dass Jungen für sie bedeutsame Wörter in wesentlich größerem Umfang richtig schreiben als andere, selbst wenn es sich um besonders schwierige Wörter handelt. 5. Anregungen für den Unterricht Möglichkeiten mit Schülern und Schülerinnen, sprachlichen Asymmetrien und Diskriminierungen von Mädchen und Frauen in der Schule auf die Spur zu kommen 7 : 1. Im Schulgebäude wird nach Beispielen gefahndet bzw. schulische Institutionen werden auf Geschlechtsneutralität hin untersucht. Die Ergebnisse werden auf einer Wandzeitung veröffentlicht und sind Grundlage für eine Diskussion. Beispiele: Schülerbücherei, Lehrertoilette, Schülerzeitung, Streitschlichter etc. 2. Schülerinnen und Schüler zählen in ihren Schulbüchern aus, wie oft Mädchen mitgemeint sind. Fragestellung könnte beispielsweise sein: Wie oft kommen die Bezeichnungen Schüler und Freund/Freunde vor? Wer ist damit gemeint? Jungen? Mädchen? Jungen und Mädchen? Sucht euch in der Tischgruppe drei Textstellen aus und formuliert sie so um, dass auch die Mädchen direkt angesprochen werden. 3. Schülerinnen und Schüler suchen in Zeitschriften und Zeitungen nach Bildunterschriften, Schlagzeilen, kurzen Texten, in denen Mädchen bzw. Frauen mit dem falschen Geschlecht bezeichnet werden und schneiden diese aus. Daraus wird eine Collage gemacht. Beispiel: Die Astrid-Lindgren-Schule ermittelte ihren Lesekönig. Gewonnen hat Astrid Schmid. Auf einem zweiten Plakat werden positive Beispiele aufgeklebt, z.b. Astrid Schmidt wurde als Lesekönigin an der Astrid-Lindgren -Schule ermittelt. 7 Die folgenden Anregungen sind der Broschüre Koedukation in der Schule reflektieren, weiterentwickeln, neu gestalten herausgegeben vom Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, NRW, erschienen im Verlag für Schule und Weiterbildung, DruckVerlag Kettler GmbH, entnommen.. 43
4. Mit folgender Aufgabenstellung kann das Problem der Repräsentanz des Weiblichen im Sprachsystem und die Prägung durch den Sprachgebrauch bewusst gemacht werden: 1. Bilde einen Satz mit trinkt. 2. Nenne einen beliebigen Vornamen. 3. Nenne zwei berühmte Schriftsteller. 4. Nenne die entsprechenden weiblichen Bezeichnungen: Bäcker Physiker Kapitän General Bauherr Bundeskanzler 5. Nenne die entsprechenden männlichen Bezeichnungen: Kindergärtnerin Krankenschwester Hebamme Putzfrau Marktfrau Sekretärin Arzthelferin 44
6. Didaktisch-methodische Hinweise Methode Inhalte Ziele Materialien Zeit Vortrag Geschlechtsspezifische Asymmetrien des Sprachsystems Anregungen zum geschlechtergerechten Formulieren Das Kommunikationsverhalten der Geschlechter Sensibilisierung für einen gendergerechten Sprachgebrauch Aufzeigen von alternativen Möglichkeiten zur Sichtbarmachung und Herstellung von Chancengleichheit im Sprachgebrauch Power Point Folien sprache und gender.ppt 15 Min. Geschlechtsspezifische Unterschiede beim Schriftspracherwerb Diskussion Vorstellung und Diskussion der obigen Unterrichtsvorschläge Sammeln von Anregungen für den Unterricht Siehe Kapitel Anregungen für den Unterricht auf der der vorherigen Seite 15 Min. Diskussion Fragestellung: Welche Erfahrungen wurden mit Sprache und Sprachgebrauch in den jeweiligen Schulen/in den Klassen bisher gemacht? - mit Kollegen/Kolleginnen - mit Schüler/Schülerinnen Sammeln von Anregungen für den Unterricht und die Schulpraxis 15 Min. Wo werden Ansatzpunkte für einen veränderten Sprachgebrauch gesehen? GESAMTZEIT 45 Min. 45