Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen Positionspapier des Vorstands des Gesundheitsbeirats der Landeshauptstadt München

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Transkript:

Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen Positionspapier des Vorstands des Gesundheitsbeirats der Landeshauptstadt München Einführung Das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an körperlicher und seelischer Gesundheit ist als Menschenrecht weltweit anerkannt und in mehreren menschenrechtlichen Übereinkommen verankert. Es wird zum Großteil im Artikel 12 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) geregelt und enthält folgende Elemente: Verfügbarkeit: Funktionierende Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge, medizinische Einrichtungen und ärztliche Betreuungsdienste ebenso wie Programme müssen ausreichend verfügbar sein. Zugänglichkeit: Sie müssen für alle Menschen ohne Diskriminierung zugänglich sein. Dies bezieht sich auch auf die räumliche und die wirtschaftliche Zugänglichkeit. Annehmbarkeit: Sie müssen die medizinische Ethik berücksichtigen und kulturell angemessen sein. Dies bedeutet u. a. kulturelle, geschlechts- und altersbedingte Besonderheiten zu berücksichtigen. Qualität: Sie müssen wissenschaftlich / medizinisch geeignet und von guter Qualität sein. Deutschland hat im Dezember 1973 den UN-Sozialpakt ratifiziert und sich somit dazu verpflichtet, insbesondere gesellschaftliche Gruppen in verletzlichen Lebenslagen besonders zu unterstützen, um deren Recht auf Gesundheit zu sichern. 1

1. Gesetzlicher Rahmen Der Zugang zur Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen ist in den ersten 15 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland gegenüber gesetzlich Versicherten eingeschränkt und wird über 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) geregelt. Die Leistungen umfassen die medizinische Versorgung bei akuter Krankheit bzw. akutem Behandlungsbedarf, bei Entbindungen und sonstige zur Sicherung der Gesundheit unerlässliche Behandlungen. Auch benötigte Medikamente sowie Vorsorgeleistungen, wie z. B. die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Impfungen, Leistungen der ärztlichen Schwangerschaftsvorsorge und Hebammenleistungen, sind über das AsylbLG finanziert. Es gilt der Grundsatz der freien Arztwahl. Nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland sind Flüchtlinge leistungsberechtigt nach 2 AsylbLG und haben den gleichen Zugang zu medizinischen Leistungen wie alle gesetzlich Krankenversicherten. 2. Die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen in der Landeshauptstadt München Alle Flüchtlinge erhalten bei ihrer Ankunft in der Landeshauptstadt München zwei medizinische Untersuchungen. Einmal das sogenannte Erstscreening, das im Auftrag des Referats für Gesundheit und Umwelt (RGU) durchgeführt wird. Es ist freiwillig und wird allen neu ankommenden Flüchtlingen angeboten, bevor sie in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht werden. Der Umfang der Untersuchung richtet sich nach den geäußerten Beschwerden, allerdings wird in jedem Fall Temperatur gemessen und auf Anzeichen einer akuten Infektionskrankheit untersucht. Flüchtlinge mit akuten Erkrankungen werden umgehend zur weiteren Behandlung ambulant oder stationär überwiesen. Die zweite Untersuchung auf übertragbare Krankheiten ist für Flüchtlinge, die in einer Aufnahmeeinrichtung oder in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden, verpflichtend ( 62 AsylG). Die Untersuchung wird bei den in München verbleibenden Asylbewerberinnen und Asylbewerbern vom RGU durchgeführt, das auch unter Umständen eine entsprechende Behandlung veranlasst. Wird eine nicht meldepflichtige Krankheit diagnostiziert, so wird die Patientin oder der Patient informiert, und es wird eine medizinische Behandlung empfohlen. Zusätzlich zu der Untersuchung findet eine Aufklärung über die von der STIKO empfohlenen Impfungen statt. In der Landeshauptstadt München wurden zudem mehrere Angebote geschaffen, um den Zugang zur Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen zu erleichtern. So wurde beispielsweise in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne ein niederschwelliges Angebot zur medizinische Basisversorgung mit dem Verein REFUDOCS eingerichtet. Dort werden in einer Bereitschaftspraxis täglich außer am Wochenende Sprechstunden der Allgemeinmedizin und Pädiatrie gehalten. Zusätzlich finden dreimal wöchentlich gynäkologische Sprechstunden und einmal in der Woche eine psychiatrische Sprechstunde statt. Auch in den sogenannten Dependancen der Bayernkaserne (Außenstellen) bieten Ärztinnen und Ärzte Sprechstunden an. Zusätzlich unterhält das RGU einen aufsuchenden Dienst von Familienhebammen sowie Gesundheits- und Krankenpfleger/innen für Kinder und Erwachsene. Dieser Dienst besucht Familien in den Unterkünften und stellt eine wichtige Brücke in die medizinische Regelversorgung dar. Kinder und Erwachsene erhalten darüber ein kostenfreies Beratungsangebot zu gesundheitsrelevanten Themen und zur Erklärung des deutschen Gesundheitssystems und werden ggf. in das Regelsystem vermittelt. Um die Gesundheitsversorgung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen zu verbessern, wird auch in Übergangsklassen eine schulärztliche Untersuchung angeboten. In diesen Klassen haben die Kinder großteils einen Fluchthintergrund. 2

Des Weiteren finanziert das RGU einen Dolmetscherdienst, der den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch allen vom RGU bezuschussten Einrichtungen kostenfrei zur Verfügung steht. Insbesondere in der Arbeit mit Flüchtlingen wird dieser Dienst verstärkt genutzt. Zudem werden verschiedene Programme und Vereine im Bereich der Gesundheitsförderung und der Beratung für Flüchtlinge bezuschusst. Dazu gehört beispielsweise der Verein REFUGIO, der Psychotherapie, Sozialberatung, ärztliche Diagnostik und Begutachtung für Flüchtlinge und Folteropfer anbietet. Außerdem sind in den letzten Jahren gute Kooperationen und Netzwerke zwischen den zentralen Akteurinnen und Akteuren der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen aufgebaut und etabliert worden. Durch einen regelmäßigen Austausch können Probleme schneller gelöst und Antworten auf neue Herausforderungen gefunden werden. 3. Weiterer Handlungsbedarf und Empfehlungen des Gesundheitsbeirats Durch diese Angebote und Maßnahmen wird die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen in der Landeshauptstadt München verbessert. Um Flüchtlinge weiter darin zu unterstützen, ihr Recht auf das jeweils erreichbare Höchstmaß an körperlicher und seelischer Gesundheit und ihren Anspruch auf barrierefreien Zugang zur Infrastruktur der Gesundheitsversorgung zur Geltung zu bringen, empfiehlt der Gesundheitsbeirat der Landeshauptstadt München folgende Maßnahmen: 3.1 Verfügbarkeit Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen müssen die Kapazitäten in Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge, in medizinischen Einrichtungen, in ärztlichen Betreuungsdiensten und in Programmen, die sich an diesen Personenkreis richten, weiterhin entsprechend angepasst werden. Dabei geht es insbesondere um ausreichende Kapazitäten für das Erstscreening, die ärztliche Untersuchung und die Impfung von Flüchtlingen, für aufsuchende Dienste in den Gemeinschaftsunterkünften sowie für die Betreuung von werdenden Müttern durch Hebammen und für die zahnärztliche Versorgung. Auch im Bereich der ambulanten und stationären klinischen Versorgung von psychisch kranken Erwachsenen, aber auch Kindern und Jugendlichen sowie bei der pädiatrischen Versorgung von behinderten Kindern und Jugendlichen besteht Handlungsbedarf. Eine Vernetzung der Leistungserbringer untereinander zur Verbesserung der Verfügbarkeit vor allem im Bezug auf die Dienste der ambulanten psychiatrischen Versorgung ist notwendig. Im Hinblick auf die in den letzten zwei Jahren kontinuierlich ansteigende Zahl von Flüchtlingen, die in der Landeshauptstadt München ankommen, ist es in vielen Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge sowie der ambulanten und stationären Versorgung sowohl aus räumlichen als auch personellen Gründen sehr schwierig, dem zunehmenden Bedarf gerecht zu werden. Diese Situation kann zu einer verspäteten Diagnose und Behandlung von Erkrankungen führen, die wiederum eine Verschlechterung des Gesundheitszustands, die Chronifizierung von Beschwerden und erheblichen Leidensdruck für die Betroffenen zur Folge haben kann. In Anbetracht der sicher länger andauernden hohen Zuzugszahlen müssen grundlegende planerische und strategische Überlegungen angestellt werden, um entsprechende Kapazitäten zu erhöhen bzw. zusätzlich zu schaffen. 3

3.2 Zugänglichkeit Bürokratische Barrieren für den Zugang zur Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen müssen abgebaut werden. Einschränkungen bei der Gesundheitsversorgung, insbesondere bei der Behandlung von chronischen und psychischen Erkrankungen müssen aufgehoben werden. Um weitere bürokratische Hürden abzubauen, muss zudem die Vernetzung und die intensive Kooperation zwischen den relevanten Akteurinnen und Akteuren weiter ausgebaut und gefördert werden. Um die Zugänglichkeit für Flüchtlinge zu verbessern, müssen in den Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften niederschwellige Gesundheitsangebote (wie z. B. REFUDOCS) mit dem Ziel der Vermittlung ins reguläre Gesundheitssystem bereitgestellt werden. Um Leistungen nach dem AsylbLG zu beziehen, benötigen Flüchtlinge einen speziellen Krankenschein, der im Idealfall vor der anstehenden Behandlung vom zuständigen Sozialleistungsträger ausgestellt wird. Die Behandlung von chronischen Krankheiten und psychischen Erkrankungen wird bei akutem Behandlungsbedarf bzw. zur Sicherung der Gesundheit finanziert. Die Entscheidung über die Kostenübernahme liegt allerdings im Ermessen der örtlichen Sozialleistungsträger und setzt ggf. ein amtsärztliches Gutachten voraus. Diese bürokratischen Hürden erschweren und verzögern den Zugang zur Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen, was u.a. gesundheitswirtschaftliche Folgen hat. So belegte eine Studie vom Juli 2015 von Wissenschaftlern der Universität Bielefeld und des Universitätsklinikums Heidelberg, dass die Gesundheitsausgaben in Deutschland niedriger wären, wenn Flüchtlinge ohne bürokratische Hürden und ohne Leistungseinschränkungen Regelversorger wie Allgemein-, Haus- und Kinderärzte aufsuchen dürften. 3.3 Annehmbarkeit Um die Annehmbarkeit von Gesundheitsversorgung zu verbessern, muss die interkulturelle Kompetenz in Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge, in medizinischen Einrichtungen, in ärztlichen Betreuungsdiensten und in Programmen, die sich an diesen Personenkreis richten, weiter vorangetrieben werden. Dies kann durch Aus-, Fort- und Weiterbildung, aber auch durch die Anstellung von Migrantinnen und Migranten, die in einem medizinischen Heilberuf ausgebildet sind, erfolgen. Dafür sind ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren von ausländischen Abschlüssen und ein schneller Zugang zu einem Deutschkurs, in dem auch die fachspezifische Sprache erworben wird, notwendig. Auch Migrantinnen- und Migranten-Selbsthilfeorganisationen übernehmen mit ihren vielfältigen Angeboten eine wichtige Rolle der Vermittlung und erhöhen so die Annehmbarkeit. Bei der Begegnung von Patientinnen oder Patienten mit Ärztinnen oder Ärzten bzw. Gesundheitsfachkräften aus unterschiedlichen Kulturkreisen können Konflikte entstehen, die die Annehmbarkeit von Gesundheitsversorgung erschweren. Gründe für diese Konflikte sind beispielsweise kulturell und religiös geprägte Werthaltungen oder eine unterschiedliche Definition von Gesundheit und Krankheit. Eine wichtige Maßnahme dagegen ist die interkulturelle Öffnung der Einrichtungen im Gesundheitswesen, um Kulturwissen, kultursensible Kommunikation, die Vermeidung von Stereotypisierung, Selbstreflexion und kritische Toleranz zu fördern. In Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge sowie der ambulanten und stationären Versorgung in der Landeshauptstadt München wurden in den letzten Jahren schon einige Maßnahmen umgesetzt. Trotzdem muss die interkulturelle Öffnung im Münchner Gesundheitswesen weiter vorangetrieben und intensiviert werden, um dem zunehmenden Bedarf gerecht werden zu können. 4

3.4 Qualität Um die Qualität der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen sicherzustellen und die Betroffenen adäquat aufzuklären und zu versorgen, ist es dringend erforderlich, dass die Kommunikation barrierefrei gestaltet wird. Die Finanzierung und die Personalbesetzung von den dazu erforderlichen Dolmetschereinsätzen muss - auch bei einer Zunahme der Anzahl von Flüchtlingen in der Landeshauptstadt München - sichergestellt werden. Leistungserbringerinnen, Leistungserbringer im Gesundheitswesen müssen über die Möglichkeit einer Kostenübernahme von Dolmetschereinsätzen über das AsylbLG ausreichend informiert werden. Die kulturelle und sprachliche Vielfalt der Flüchtlinge bringt Hindernisse für die sprachliche Verständigung mit sich. Es ist fachlich unumstritten, dass die sprachliche Verständigung eine Grundvoraussetzung für das Gelingen und die Qualität von Beratungs-, Untersuchungs- und Behandlungsprozessen darstellt. Eine gelungene Kommunikation ist zum Beispiel für die Abklärung von Symptomen oder für den Zugang zu den Präferenzen einer Patientin oder eines Patienten notwendig. Der Einsatz von Dolmetscherinnen und Dolmetschern ist eine wichtige Maßnahme, um Kommunikationsprobleme in der Gesundheitsversorgung zu lösen und kann im Rahmen des AsylbLG finanziert werden, wenn die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt vorab bestätigt, dass er erforderlich ist. Für Beratungsprozesse können zudem in manchen Fällen Dolmetschereinsätze über den Dolmetscherdienst des RGU finanziert werden (siehe 2). Es kommt allerdings aufgrund von begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen immer öfter zu Engpässen. Dieses Problem wird sich mit den steigenden Zahlen an Flüchtlingen, die in der Landeshauptstadt München ankommen und auch bleiben, wahrscheinlich noch verschärfen. 3.5 Gesundheitsförderung Um die Flüchtlinge darin zu unterstützen, ihre eigenen Ressourcen und Gesundheitspotenziale wahrzunehmen, müssen für sie neben einem barrierefreien Zugang zur Gesundheitsversorgung auch gesundheitsförderliche Lebensbedingungen sichergestellt werden. Dazu gehören u. a. die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Einzelpersonen, Familien und Kindern bei der Unterbringung, eine adäquate psychische und soziale Betreuung, die Prävention von Gewalt, der Zugang zu einer ausgewogenen und kulturell angemessenen Ernährung, die Vermittlung von gesundheitsrelevanten Informationen, der Zugang zu Anlagen für Freizeitgestaltung und Bewegung sowie die Möglichkeit, eine Beschäftigung auszuüben bzw. ein Zugang zur Bildung. Diese Maßnahmen dienen nicht nur der Stärkung der Gesundheitsressourcen, -potenziale und dem Gesundheitsverhalten der Menschen, sondern auch der Vorbereitung ihrer Integration in Deutschland. Bei der ganzheitlichen Definition von Gesundheit spielen Wohn-, Lebens-, Arbeits- und Freizeitbedingungen eine entscheidende Rolle. Flüchtlinge müssen in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften leben. Die Verhältnisse sind sehr beengt und die Menschen müssen insbesondere in den Erstaufnahmestellen mit wenig Privatsphäre leben. Für Kinder fehlen Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten sowie Platz und Ruhe für Schularbeiten. Die Enge, die Unterschiedlichkeit der Menschen und die Nichterwerbstätigkeit, verbunden mit der Angst und Unsicherheit über den Aufenthaltsstatus wirken sich negativ auf die körperliche sowie psychische Gesundheit aus und können Aggressivität und Gewalt fördern. Die Situation ist insbesondere für alleinstehende Frauen, werdende Mütter bzw. Frauen in der Zeit nach der Geburt eines Kindes, für Kinder und Jugendliche sowie für kranke Menschen sehr problematisch. 5

Der Gesundheitsbeirat Der Vorstand des Gesundheitsbeirats Stephanie Jacobs Dr. Oliver Abbushi Ernst Brinckmann Referentin für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstdt München Vorsitzende Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, Bezirksstelle München Stadt und Land Bezirk Oberbayern Dr. Christoph Emminger Polina Hilsenbeck Norbert Matscheko Feyza Palecek Robert Schurer Mirjam Unverdorben-Beil Margot Wagenhäuser Ärztlicher Kreis- und Bezirksverband München FrauenTherapieZentrum München Querschnittsaufgabe Frauengesundheit Bayerische Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Pflegeberufe Donna Mobile Querschnittsaufgabe Migration AOK Bayern Direktion München Selbsthilfezentrum Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände München Im Gesundheitsbeirat sind die wesentlichen Akteurinnen und Akteure des Gesundheitswesens vertreten. Er berät den Stadtrat und die Stadtverwaltung in grundsätzlichen Fragen des Gesundheitswesens. Darüber hinaus dient er der gegenseitigen Beratung seiner Mitglieder und der Koordination von Maßnahmen des Gesundheitswesens. Gemeinsames Ziel ist es, die gesundheitliche Lage der Münchner Bevölkerung zu verbessern, insbesondere durch Gesundheitsförderung und Prävention, sowie durch strukturelle Änderungen der gesundheitlichen Versorgung. Die Geschäftsstelle des Gesundheitsbeirats der Landeshauptstadt München Susanne Winter, Geschäftsführerin Marion Chenevas, Geschäftsführerin Referat für Gesundheit und Umwelt Bayerstr. 28a 80335 München Fax: (089) 233-4 75 42 E-Mail: gesundheitsbeirat.rgu@muenchen.de Weitere Informationen zum Gesundheitsbeirat:. 6

Quellen Bozorgmehr Kayvan, Razum Oliver (2015) Effect of Restricting Access to Health Care on Health Expenditures among Asylum-Seekers and Refugees: A Quasi-Experimental Study in Germany, 1994-2013, PLoS ONE 10(7), Barcelona Butollo Willi und Maragkos Markos (2012): Gutachterstelle zur Erkennung psychischer Störungen bei Asylbewerbern - Abschlussbericht, Lehrstuhl Klinische Psychologie und Psychotherapie, Ludwig-Maximilians-Universität der Landeshauptstadt München Cremer Hendrik (2014): Policy Paper No. 26. Menschenrechtliche Verpflichtungen bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Empfehlungen an die Länder, Kommunen und den Bund, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin Deutsches Institut für Menschenrechte (2008): Ausführlicher Bericht zur Veranstaltung "Armut und Menschenrechte Das Recht auf Gesundheit" Deutsches Institut für Menschenrechte (2005): Die General Comments zu den VN- Menschenrechtsverträgen. Deutsche Übersetzung und Kurzeinführungen. Baden-Baden Ilkilic Ilhan (2010): Medizinethische Aspekte des interkulturellen Arzt-Patienten-Verhältnisses in Deutscher Ethikrat: Tagungsdokumentation Migration und Gesundheit. Kulturelle Vielfalt als Herausforderung für die medizinische Versorgung, Berlin Mahler, Claudia (2014): Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin Projektgruppe Asyl (2011): Modellprojekt für eine neue Erstaufnahmeeinrichtung in Bayern, der Landeshauptstadt München/Würzburg 7