PSYCHIATRISCHE UND PSYCHOSOMATISCHE VERSORGUNG IN GEFAHR! DIE POLITIK MUSS FATALE FEHLENTWICKLUNG STOPPEN! ALTERNATIVEN SIND MÖGLICH! Bericht über eine Fachanhörung der Initiative "Weg mit PEPP" am 9.10.2013 in Berlin "Schaffen Sie dieses unglückselige Gesetz wieder ab! Lassen Sie sich nicht von den Gesetzen des Profits befehlen, der Humanität den Garaus machen. Helfen Sie mit, aus Menschen in seelischen Ausnahmezuständen wieder wirklich seelisch stabile Menschen zu machen." (Brigitte Richter, Vorsitzende von Pandora, einem Verein für Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener am 9.10. 2013 in Berlin) Während einer Fachanhörung am 9.10.2013 in Berlin wurden Politiker/innen mit Argumenten gegen das pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) konfrontiert. Aus allen fachlichen Stellungnahmen ging hervor, dass die hinter dem oben zitierten Appell stehenden Befürchtungen der Betroffenen keineswegs als übertrieben anzusehen sind. VORGESCHICHTE Die Initiative Weg mit PEPP" wurde im Juli 2013 von sozial- und gesundheitspolitischen Bewegungen 1, der Gewerkschaft Verdi und dem Paritätischen Gesamtverband gegründet, nachdem die zahlreichen aus der Psychiatrie kommenden Einwände gegen die Einführung von PEPP kein Gehör gefunden hatten. Im Gegenteil: Gegen den ausdrücklichen Widerstand von allen Fachverbänden, Angehörigen und Betroffenen und trotz verweigerter Zustimmung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) wurde am 1. Januar 2013 die Testphase des neuen Entgeltsystems in Gang gesetzt. Dieses Vorgehen wurde einseitig per Verordnung von dem damaligen FDP-geführten Bundesgesundheitsministerium festgelegt, obwohl die empirische Grundlage für das PEPP- System völlig unzureichend ist und der Kommerzialisierung psychiatrischer Kliniken unter Aufgabe unverzichtbarer Errungenschaften der Gemeindepsychiatrie der Weg bereitet wird. 1 Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte, Medico International, Attac Deutschland, Soltauer Initiative für Sozialpolitik und Ethik
Die Initiative richtete folgenden öffentlichen Appell an die Bundesregierung: Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den DRGs ("Fallpauschalen") fordern wir die kommende Bundesregierung auf, das Pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) nicht einzuführen. Diesem Appell schlossen sich in wenigen Tagen zahlreiche ärztliche Klinikleitungen, Chefärztinnen und Chefärzte, Fachverbände, Psychotherapeuten, Sozialverbände, Verbände Psychiatrie-Erfahrener und Angehöriger sowie eine Vielzahl von Einzelpersonen an. Mittlerweile sind es mehr als 5600 Unterzeichnende. Ein Hintergrundpapier der Initiative mit Argumenten, die deutlich machen, warum PEPP an den Bedürfnissen psychisch kranker Menschen vorbei geht, findet sich auf der Webseite www.weg-mit-pepp.de/presse. DIE FACHANHÖRUNG AM 9.10.2013 IN BERLIN Eingeladen waren die Mitglieder des jüngsten Bundestags-Gesundheitsausschusses sowie weitere Gesundheitspolitiker/innen. Bis auf die CDU folgten Vertreter/innen alle Fraktionen der Einladung. Alle bei der Anhörung anwesenden Fachvertreter/innen machten in ihren Stellungnahmen deutlich, dass das System PEPP mit Anforderungen, die an eine humane, sich an der Un-Behindertenrechtskonvention orientierende Psychiatrie zu stellen sind, nicht zu vereinbaren ist. "Das Pauschalierende Entgeltsystem wird den psychiatrischen Krankheitsverläufen und damit den Bedürfnissen der Betroffenen nicht gerecht", stellte Professor Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, in seinem Eingangsstatement fest. "Psychisch kranke Menschen brauchen meist eine Sektoren-übergreifende, integrierte Versorgung. Anreize, die sich nur auf die Klinik beziehen und eine schnelle Entlassung belohnen, gefährden die fachgerechte Behandlung vor allem psychisch schwer kranker Menschen." Professor Peter Kruckenberg, Ärztlicher Direktor in Rente der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Bremen-Ost sowie Beisitzer der Aktion Psychisch Kranke (APK) sagte: "Die bisherige Umsetzung des Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes kurz KHRG von 2009 durch die Deutsche Krankenhausgesellschaft sowie die Gesetzlichen und Privaten Krankenversicherungen widerspricht dem Gesetzesauftrag und hat schon jetzt erhebliche negative Einflüsse auf die Krankenversorgung. Die neue Bundesregierung muss umgehend für einen Kurswechsel sorgen."
Wir hatten uns bei einem vom Gesundheitsminister vorgelegten neuen Gesetz zur Krankenhausbehandlung in der Psychiatrie ein Reformgesetz gewünscht; stattdessen kam ein neues Abrechnungssystem, das vorgibt, transparent und leistungsgerecht zu sein, es aber nicht ist.. Die PEPP-Befürworter geben vor, das System bildet den Aufwand psychiatrischer Behandlung ab. Das ist nicht der Fall: PEPP wird umgekehrt die psychiatrische Behandlung zurichten, und zwar so, dass gut vergütete Leistungen und Erkrankungen bevorzugt werden. PEPP behauptet, objektiv zu sein, die Realität abzubilden. Dabei ist klar, dass heutzutage jedes Abrechnungssystem Anreize setzt: Anreize, eher die Leistungen zu erbringen, die für die Krankenhäuser hohe Erlöse bringen. Es gibt keinen Anreiz zu Ambulantisierungen, früheren Entlassungen, Berücksichtigung des sozialen Umfeldes. Durch das PEPP-System wird eine rückwärtsgewandte, bettenorientierte Psychiatrie erhalten und zementiert. So Dr. Ingrid Munk, Leiterin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Vivantes Klinikum Berlin/Neukölln (Arbeitskreis der Chefärztinnen und Chefärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland / ACKPA). Klare Worte fand auch Professor Andreas Heinz, Klinikdirektor der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité und stellv. Vorsitzender der Aktion Psychisch Kranker (APK) in einem den Veranstaltern zugesandten, mit der APK abgestimmten, Papier: Mit größter Sorge sehen wir die Auswirkungen auf die Ausstattung der Kliniken mit therapeutischem Personal. Die Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen ist sprechende Medizin und die Zeit des therapeutischen Personals im Kontakt mit Patienten und Angehörigen das wichtigste Medium für die Behandlung. Diese muss individualisiert auf das aktuelle Befinden und das gesamte Lebens- und Beziehungsgefüge des Patienten ausgerichtet werden. Insbesondere fehlen die Voraussetzungen für die qualifizierte Realisierung der regionalen Pflichtversorgung. Je schlechter die Personalausstattung, umso mehr Patienten müssen mit geschlossenen Türen und hohen Dosen von Psychopharamaka in Verbindung mit einem Gerichtsbeschluss zurück gehalten werden, weil die Zeit für Gespräche fehlt, Patienten von dem Nutzen ihrer Behandlung zu überzeugen. PEPP erhöht den Dokumentationsaufwand erheblich zu Lasten der Zeit mit Patienten. Ein großer Teil der Dokumentation hat keinen Nutzen für das Entgeltsystem, wird aber dennoch weiter eingefordert und erhöht den systembedingten Misstrauensaufwand zwischen Klinkund Kassen-Seite. Der weiterhin steigende Bedarf für Krankenhausbehandlung (mehr Patienten, medizinischer Fortschritt) kann nach den vorgesehenen Regelungen für Mehrleistungen von den Kliniken nur unzureichend aufgefangen werden. Die Kliniken müssen mehr leisten ohne mehr Personal, oder die Kliniken vermeiden die Behandlung von betriebswirtschaftlich ungünstigen Patienten. Dies wird zu Lasten von den schwerer kranken Patienten gehen, deren Behandlungsbedarf schlecht planbar ist.
Es sei zu befürchten dass PEPP die Behandlungsqualität verschlechtert. Die Absenkung der Tagesentgelte nach Verweildauerstufen setzt fatale betriebswirtschaftliche Anreize, Patienten loszuwerden, deren Behandlungsbedarf dem Schema nicht entspricht." Zudem könne der steigende Bedarf für Krankenhausbehandlungen mit PEPP nur unzureichend aufgefangen werden. Die im neuen System fehlenden Vorgaben für das notwendige Personal (Auslaufen der Psychiatrie-Personalverodnung / Psych-PV) werden zum Personalabbau führen, obwohl doch der mitmenschliche Kontakt für die Behandlung entscheidend sei. Auch lasse die Fokussierung auf stationäre Behandlungen bewährte Formen flexibilisierter Therapien insbesondere ambulant im Krankenhaus und im Lebensfeld unberücksichtigt. Professor Thomas Pollmächer, Vorsitzender der Bundesdirektorenkonferenz Verband leitender Ärzte und Ärztinnen der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie betonte: "Seit einigen Wochen gibt es Belege dafür, dass wirklich tagesbezogen kalkulierte Entgelte möglich sind, deshalb muss diese Alternative zum PEPP-System jetzt zwingend praktisch geprüft werden". Nach Darstellung der von allen relevanten Fachverbänden getragenen Kritik an PEPP, erläuterte Pollmächer die Kriterien, an denen sich ein an den Bedürfnissen psychisch kranker Menschen orientiertes, sachgerechtes Vergütungssystems messen lassen muss: Es müsse den tatsächlichen Leistungsverlauf abbilden. Es müsse möglichst wenig verweildauerbezogene Anreize (in beide Richtungen) bieten. Diagnosen dürften keine prominente Rolle spielen. Es sollte in der Lage sein, die Entgelte für verschiedene Behandlungssettings zu harmonisieren. Es müsse eine bedarfsadaptierte Behandlung im Verlauf fördern. Es müsse finanzielle personelle Standards sichern. Es müsse die Pflichtversorgung fördern. Es müsse in der Lage sein, die Mittel an Veränderungen von Morbidität und Inanspruchnahme anzupassen. Nach ausführlicher Darstellung eines von Fachleuten durchkalkulierten alternativen Systems fasste Pollmächer zusammen: Primär tagesbezogene kalkulierte Entgelte (TEPP) sind empirisch auf derselben Datenbasis kalkulierbar wie PEPP Entgelte. Sie bilden den Leistungsverlauf nahezu perfekt ab und sind deshalb, was die Verweildauer angeht, nahezu anreizneutral.
Frau Dr. Munk ergänzte: Zukunftsmodelle psychiatrischer Versorgung unsere europäischen Nachbarn zeigen es uns sind flexibel, stationär-ambulant übergreifend, personenzentriert und bieten so genanntes Home Treatment als Behandlung zu Hause an. Mit PEPP bewegen wir uns weg davon. Wir brauchen die Politik! Die Psychiatrie ist ein medizinisches Fach, das aufgrund ihrer spezifischen Ausübung von Hoheitsrechten politischer und sozialer Einflussnahme und Kontrolle bedarf. Nur so kann auch Inklusion verwirklicht werden, wie sie in der UN- Behindertenrechtskonvention gefordert wird. Es kann nicht ernsthafter Wille der Politik sein, das Rad vor die Zeiten der Psychiatrie-Reform zurückzudrehen. Es droht eine Verschlechterung der Behandlungsqualität, gerade für die Schwerkranken, mit weiterem Personalabbau. Krankenhausbehandlung mit wenig Personal, das war die Realität der Anstalten. Es kam zu Hospitalisierung und Chronifizierung: Die Psychiatriereform und in der Folge die Einführung der Psychiatrie-Personalverodnung (Psych-PV) schafften Abhilfe; jetzt droht eine Rückwärtsentwicklung. Auch Prof. Peter Kruckenberg richtete abschließend nochmals einen Appell an die Verantwortlichen in der Politik: Aus den Forderungen der Verbände können Perspektiven für einen Kurswechsel abgeleitet werden. Soweit dazu gesetzliche Novellierungen erforderlich sind, müssen diese in der neuen Legislaturperiode kurzfristig entschieden werden, damit weiterer Schaden von der psychiatrischen-psychotherapeutischen psychosomatischen Versorgung abgewendet werden kann. Aus den Besonderheiten psychischer Erkrankungen ergeben sich andere konzeptionelle Ansätze als in der Somatik für die Ermittlung des angemessenen und notwendigen Behandlungsaufwands nach der Grundkonzeption der konzeptionsgeleiteten und bei konsequenter Umsetzung sehr erfolgreichen Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV). Eine entsprechende Weiterentwicklung der Psych-PV für eine praktikable tagesbezogene Ermittlung des Behandlungsaufwands entsprechend den Anforderungen des KHRG ist nicht schwierig. Entsprechende Einstiegsmodelle liegen vor. Eines wird in Hanau aktuell modellhaft erprobt. Nach Ansicht Kruckenbergs sei auch beim Bundesrat eine große Bereitschaft zu erwarten, einen Kurswechsel hin zu einem alternativen Entgeltsystem zu unterstützen. Eine entgegengesetzte Entwicklung wäre aus fachlichen, organisatorischen, wirtschaftlichen und humanitären Gründen nicht zu verstehen und würde keine Akzeptanz finden. Michael Krömker (ver.di-fachkommission Psychiatrische Einrichtungen) betonte die Notwendigkeit ausreichenden Fachpersonals: Sollte PEPP, so wie bisher vorgesehen, umgesetzt werden, dann droht der Psychiatrie das gleiche Schicksal wie der somatischen Medizin nach Einführung der DRGs. Darum brauchen wir eine gesetzliche Personalbemessung um dem Personalabbau entgegenzuwirken. Bei weiterer Reduzierung
von Personal - und ich spreche von Fachpersonal - ist eine sinnvolle Versorgung psychisch kranker Menschen nicht mehr zu gewährleisten. Mit einer vehementen Stellungnahme gegen PEPP meldete sich aus dem Publikum ein Vertreter der Deutschen Fachgesellschaft psychiatrische Krankenpflege (DFPP). U.a. sei unfassbar, dass die größte Berufsgruppe, die in der Klinik am meisten Zeit mit den Patienten verbringe, kaum berücksichtigt werde. Der Pflegeaufwand ist als kostentrennendes Merkmal in PEPP nicht rein gerechnet worden. Im Falle der Umsetzung von PEPP sei mit einem massiven Abbau von Pflegepersonalstellen zu rechnen. Die anwesenden PolitikerInnen äußerten sich wie folgt: PEPP müsse sich an dem Maßstab der UN-Behindertenkonvention messen lassen. Politik benötige Druck, man müsse nah dran bleiben, bis die Koalition stehe und übersichtliche Handreichnungen für PolitikerInnen bereit stellen. Im Übrigen liege ein SPD-Papier zur Gesundheitspolitik vor. (Mechthild Rawert, SPD-Fraktion) Wie es bisher war, könne es nicht bleiben. Die Anforderungen der Enquete-Kommission an die Einrichtungen und Kliniken der Psychiatrie seien zu beachten. Es gebe einen erheblichen Veränderungsbedarf in der psychiatrischen Versorgung. Wir brauchen Veränderung in Richtung Chance zur Gesundheit, aber da müssen sich auch die Krankenhäuser verändern. Das muss mit in die Debatte, ob wir PEPP einführen oder nicht. Wir brauchen ein Moratorium. Psychiatrie sei allerdings ein Spezialistenthema und schwer zu vermitteln. Man solle PolitikerInnen in Kliniken einladen und ihnen praktische Beispiele nahe bringen. (Maria Klein-Schmeink, Die Grünen-Fraktion) Die Linke habe nicht nur das PsychEntgeltgesetz abgelehnt, sondern auch Anfang 2013 die Abwicklung von PEPP im Bundestag beantragt. Es ist für uns nicht hinnehmbar, dass die Fehlsteuerung der DRGs jetzt in der Psychiatrie noch potenziert wird. Es wird die Aufgabe der Opposition im Bundestag sein, gemeinsam mit Expertinnen und Experten, Patientenvertreterinnen und vertretern und Gewerkschaften ein Entgeltsystem zu entwickeln, das eine gute Behandlungsqualität und gute Arbeitsbedingungen fördert. Das PEPP wird nicht nur die Versorgung verschlechtern, sondern auch den menschenrechtlich bedenklichen Zwangsbehandlungen Vorschub leisten. (Florian Schulze, Die Linke-Fraktion) FAZIT Durch die in der Fachanhörung angeführten gravierenden Kritikpunkte sieht sich die Initiative Weg mit PEPP in der Forderung bestätigt, dass der geplante Umsetzungsprozess gestoppt werden und eine grundsätzlich neue politische Weichenstellung erfolgen muss. Der
oder die nach der Wahl amtierende Bundesgesundheitsminister/in wäre gut beraten, eine neutrale Expertenkommission zur Bewertung des PEPP-Systems und der vorliegenden Alternativen zu berufen, damit so ein Vorschlag entwickelt werden kann, der die stationäre und ambulante Behandlung verknüpft, empirische Befunde beachtet und vor allem primär an den Bedürfnissen psychisch erkrankter Menschen ausgerichtet ist. Kontaktwünsche mit den ReferentInnen bitte an renate.schernus@t-online.de oder an paternoga2000@yahoo.de