Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz Vollzugshinweise zum Schutz von Wirbellosenarten in Niedersachsen Teil 1: Wirbellosenarten des Anhangs II der FFH-Richtlinie mit höchster Priorität für Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen Eremit (Osmoderma eremita) (Stand Juni 2009, Entwurf) Inhalt 1 Lebensweise und Lebensraum 1.1 Charakteristische Merkmale 1.2 Lebensraumansprüche 2 Bestandssituation und Verbreitung 2.1 Verbreitung in Niedersachsen 2.2 Bestandssituation in Niedersachsen und Deutschland 2.3 Schutzstatus 2.4 Erhaltungszustand 2.5 Beeinträchtigungen und Gefährdungen 3 Erhaltungsziele 4 Maßnahmen 4.1 Schutz- und Entwicklungsmaßnahmen 4.2 Gebiete für die Umsetzung mit Prioritätensetzung 4.3 Bestandsüberwachung und Untersuchungsbedarf 5 Schutzinstrumente Abb. 1: Eremit (Foto: H. Bellmann) Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz NLWKN 1
1 Lebensweise und Lebensraum 1.1 Charakteristische Merkmale Die Art zählt innerhalb der Familie Scarabaeidae (Blatthornkäfer) zur Unterfamilie Cetoniinae (Rosenkäfer). Diese Unterfamilie wird gelegentlich als eigene Familie aufgefasst. Der Käfer ist ca. 24-39 mm groß und schwarzglänzend mit leicht metallischem Schimmer ( Erzschein ). Die Flügeldecken sind unregelmäßig punktiert. Der Käfer wird nach seinem markanten Geruch auch Juchtenkäfer genannt. 1.2 Lebensraumansprüche Der Eremit besiedelt alte, anbrüchige oder höhlenreiche Laubbäume (insbesondere Eichen, Linden, Rotbuchen, aber auch Obstbäume, Ulmen, Weiden, Kastanien u. a.) in lichten Wäldern mit hohem Totholzanteil (v.a. Mischwälder, Hartholzauen, Hutewälder). Ersatzweise auch in alten Streuobstbeständen, Kopf- und Schneitelbäumen sowie Baumreihen im Bereich historischer Teichanlagen, in Parkanlagen, Alleen und Solitärbäumen. Entwicklung in mulmgefüllten Höhlungen noch lebender Bäume. Entscheidend ist ein mäßig, aber ausreichend feuchter Holzmulmkörper (schwarzer Mulm!), der sich erst in entsprechend alten und mächtigen Bäumen mit adäquatem Stammdurchmesser bilden kann. Bevorzugt werden halboffene Habitate, wo eine ausreichende Erwärmung der Brutstätten gewährleistet ist. Fortpflanzung und Eiablage unter mitteleuropäischen Bedingungen vor allem im Juli und August in den tiefen Bereichen der Mulmhöhle Larvenstadium 3 bis 4 Jahre Die Lebens- und Flugzeit des Käfers beträgt nur wenige Wochen (ab Ende Juni, meist aber erst im Juli). Die sehr wärmeliebenden Käfer sind nur an heißen Tagen flugaktiv. Sie zeigen eine geringe Ausbreitungstendenz, solange ihnen die Brutquartiere zusagen. Viele Käfer verlassen ihre Baumhöhle nicht (daher der Name Eremit ). In einem Baum können sich über Jahrzehnte viele Generationen nebeneinander entwickeln. Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz NLWKN 2
2 Bestandssituation und Verbreitung 2.1 Verbreitung in Niedersachsen Infolge der vergleichsweise breiten ökologischen Amplitude ergibt sich keine sich unmittelbar aufdrängende, klare geographische Zuordnung. Vermutlich ist nur ein geringer Teil des aktuell besiedelten Gebietes bekannt (hohe Dunkelziffer). Karte 1: Nachweise des Eremiten (Osmoderma eremita) in Niedersachsen 2.1.1 Verbreitung in FFH-Gebieten Tab. 1: FFH-Gebiete mit besonderer Bedeutung für den Eremiten (sortiert nach Gebietsnummer) Nr. Name 1 043 Hasbruch 2 054 Herrenholz 3 059 Bentheimer Wald 4 072 Buchen- und Eichenwälder in der Göhrde (mit Breeser Grund) Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz NLWKN 3
Nr. Name 5 074 Elbeniederung zwischen Schnackenburg und Geesthacht 6 102 Beienroder Holz 7 297 Wald bei Burg Dinklage 8 377 Hallerbruch 9 399 Wälder im Solling bei Lauenberg 10 401 Wälder im südlichen Solling Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz NLWKN 4
2.2 Bestandssituation in Niedersachsen und Deutschland 2.2.1 Bestandssituation in Deutschland In Deutschland besitzt der Eremit überwiegend kleine, inselartige Restvorkommen; flächige Verbreitungsmuster finden sich fast nur noch im Osten Deutschlands. Karte 2: Verbreitung in Deutschland (Karte: BfN, www.bfn.de/0316_bewertung_arten.html) Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz NLWKN 5
2.2.2 Bestandssituation in Niedersachsen Vorkommenslücken z. T. real, z. T. durch Kenntnislücken bedingt. Die (bundesweite) Verantwortung Niedersachsens für den Erhalt der Art wird z. Zt. als durchschnittlich eingestuft. 2.3 Schutzstatus FFH-Richtlinie: Berner Konvention Bonner Konvention Anhang II prioritäre Art Anhang IV Anhang V Anhang II Anhang III Bundesnaturschutzgesetz: 10, Abs. 2, Nr. 10: besonders geschützte Art 10, Abs. 2, Nr. 11: streng geschützte Art 2.4 Erhaltungszustand Der Erhaltungszustand der Art in Niedersachsen wird in der atlantischen Region aktuell als schlecht bewertet, in der kontinentalen Region aktuell als günstig bewertet. Tab. 2: Bewertung des Erhaltungszustands (FFH-Bericht 2007) in Deutschland und Niedersachsen Kriterien atlantische Region kontinentale Region D NI D NI Range s s u g Population s g u g Habitat s g u g Zukunftsaussichten u g s g Gesamtbewertung s s s g x = unbekannt g = günstig u = unzureichend s = schlecht Für den Erhalt der Art sind Maßnahmen innerhalb und außerhalb von FFH-Gebieten durchzuführen. 2.5 Beeinträchtigungen und Gefährdungen Gefährdungsgrad Rote Liste Deutschland (1998): 2 Stark gefährdet Die Fundnachweise der einst häufigen Art waren in den letzten 50 Jahren bundesweit durchwegs rückläufig. Ursachen: Abnehmende Anzahl geeigneter Brutbäume infolge Intensivierung der Forstwirtschaft Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz NLWKN 6
Fällen von geschädigten Bäumen in Parkanlagen und Alleen, z. B. aufgrund der Verkehrssicherungspflicht Populationen in Kopfbäumen durch mangelnde Pflege gefährdet Baumaßnahmen (Wegebau) 3 Erhaltungsziele Ziele sind die Erhaltung und ggf. Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes des Lebensraumes, die Aufrechterhaltung und ggf. Wiederherstellung von stabilen, langfristig sich selbst tragenden Populationen sowie die Erhaltung bzw. Ausdehnung des Verbreitungsgebietes der Art. Details hierzu s. Tabelle 3. Tab. 3: Matrix zur Bewertung des Erhaltungszustands (Quelle: BfN [2009]: Überarbeitete Bewertungsbögen der Bund-Länder-Arbeitskreise als Grundlage für ein bundesweites FFH-Monitoring) Eremit Osmoderma eremita Kriterien / Wertstufe A B C Zustand der Population hervorragend gut mittel bis schlecht Metapopulationsgröße 3) > 60 besiedelte Bäume mit 20 60 besiedelte Bäume mit < 20 besiedelte Bäume mit BHD 4) < 60 cm oder > 30 besiedelte Bäume mit BHD > 60cm BHD < 60 cm oder 10 30 besiedelte Bäume mit BHD > 60 cm BHD < 60 cm oder < 10 besiedelte Bäume mit BHD > 60 cm Habitatqualität hervorragend gut mittel bis schlecht Lebensraum (Baumbestand) Potenzielle Brutbäume (zusätzlich zu den besiedelten; Anzahl Bäume pro BHD-Klasse [</> 60 cm] angeben) Waldentwicklungsphasen / Raumstruktur 5) > 60 potenzielle Bäume mit BHD < 60 cm oder > 30 potenzielle Bäume mit BHD > 60 cm > 3 Wuchsklassen und Anteil der Wuchsklassen 6 und 7 zusammen > 35% 20 60 potenzielle Bäume mit BHD < 60 cm oder 10 30 potenzielle Bäume mit BHD > 60 cm 2 3 Wuchsklassen und Anteil der Wuchsklassen 6 und 7 zusammen > 20 35 % oder reine Altholzbestände (Wuchsklasse 6/7) < 20 potenzielle Bäume mit BHD < 60 cm oder < 10 potenzielle Bäume mit BHD > 60 cm ausschließlich Wuchsklasse 1 5 oder Anteil der Wuchsklassen 6 und 7 zusammen < 20 % Beeinträchtigungen keine bis gering mittel stark Lebensraum (Baumbestand) Fortbestand (Expertenvotum mit Begründung, dabei soll auf die konkreten Gefährdungen eingegangen werden: Verkehrsicherung, Baumchirurgie (in städtischen Habitaten), Fällungen von Biotopbäumen) gesichert Beeinträchtigung auf bis zu 20 % der Fläche durch... Beeinträchtigung auf > 20 % der Fläche durch... Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz NLWKN 7
4 Maßnahmen 4.1 Schutz- und Entwicklungsmaßnahmen Gezielter Schutz alter, höhlenreicher Bäume, darunter vor allem auch der bekannten Brutbäume Erhalt und Entwicklung von lichten Laubmischwäldern sowie von Altholzinseln und Altholzstreifen an südexponierten Waldrändern Erhaltung, Pflege und Entwicklung alter Kopfweidenbestände und Streuobstwiesen sowie alter Baumbestände in Parks, Schlossgärten, Alleen und offenen Weidelandschaften Verzicht auf Maßnahmen der Baumchirurgie wie Ausbetonieren, Ausschäumen, Lüften oder Ausräumen von Baumhöhlen im Bereich aktueller und potenzieller Vorkommen des Eremiten Bei Verkehrssicherungsproblemen müssen ggf. spezielle Lösungen erarbeitet werden. Bei unvermeidlichen Fällungen sollte ein Hochstubben (so hoch wie möglich) stehen gelassen und vor eindringendem Regen geschützt werden. 4.2 Gebiete für die Umsetzung mit Prioritätensetzung Infolge der vergleichsweise breiten ökologischen Amplitude ergibt sich keine sich unmittelbar aufdrängende, klare geographische Zuordnung. Vermutlich ist nur ein Teil des aktuell besiedelten Gebietes bekannt (unbekannte Dunkelziffer). Die Schwerpunkte können sich aus landesweiter Sicht daher noch verschieben. Karte 3: Gebiete für die Umsetzung von Schutzmaßnahmen Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz NLWKN 8
4.3 Bestandsüberwachung und Untersuchungsbedarf Wegen der heimlichen Lebensweise ist mit einer erhöhten Dunkelziffer zu rechnen; intensive Nachsuche dürfte die Zahl der bekannten Populationen derzeit noch steigen lassen. In Anbetracht der Seltenheit der Art und der Empfindlichkeit der Populationen ist auf eine äußerst zurückhaltende, nicht-destruktive Erfassung des Bestandes zu achten. Der Erhalt der Population muss Vorrang vor der Erfassungsgenauigkeit haben! Nach der Grobabgrenzung erfolgt eine Übersichtsbegehung zur Ermittlung der Brutbäume mit Erfassung potenziell geeigneter Bäume mit mulmgefüllten Höhlungen und qualitative Besiedlungskontrolle (ganzjährig in schneefreier Zeit möglich, optimal vor dem Laubaustrieb im März / April bzw. nach Laubfall im Herbst). Verifizierung der aktuellen Besiedlung mittels Kontrollen der Brutbäume auf frischem Larvenkot (bis zu 9 mm große Kotballen, ähnlich kleinen Pellets) und gezielter Nachsuche auf Larven (bei Larvenkotnachweisen auf Vorhandensein von leeren Kokons, toten Käfern bzw. Käferresten) an drei Begehungsterminen von Mai bis September. Ergänzende Suche mit dem Fernglas nach Käfern (Imagines). Weitere Hinweise können z. B. Eulengewölle liefern, die im unmittelbaren Umfeld möglicher Brutbäume gefunden werden. Als Habitatfläche wird in der Regel der Lebensraum einer Metapopulation abgegrenzt (Baumbestand mit besiedelten und potenziell besiedelbaren Brutbäumen, die nicht weiter als 500 m vom nächsten besiedelten Brutbaum entfernt sind). 5 Schutzinstrumente Flächenschutzinstrumente (NSG, ND), um den Schutz der Art rechtlich gegenüber konkurrierenden Ansprüchen durchsetzen zu können und um Finanzierungsquellen zu erschließen Vertragsnaturschutz, z.b. nach der "Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung forstwirtschaftlicher Maßnahmen" (MU und ML) Bei Verkehrssicherungsproblemen müssen spezielle Lösungen erarbeitet werden. Impressum Herausgeber: Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) Fachbehörde für Naturschutz Postfach 91 07 13, 30427 Hannover www.nlwkn.de > Naturschutz Ansprechpartner im NLWKN für diesen Vollzugshinweis: Dr. Alexander Pelzer Zitiervorschlag: NLWKN (Hrsg.) (2009): Vollzugshinweise zum Schutz von Wirbellosenarten in Niedersachsen. Teil 1: Wirbellosenarten des Anhangs II der FFH-Richtlinie mit höchster Priorität für Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen Eremit (Osmoderma eremita). Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz, Hannover, 9 S., unveröff. Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz NLWKN 9 1F01