Weihbischof Karlheinz Diez Rundfunkansprache 05.07.2015 Thema Wunder (HR 2) Sechs Minuten noch im Wankendorf Stadion in Bern. Keiner wankt. Der Regen prasselt unaufhörlich hernieder... Und wann sieht man ein solches Endspiel - so ausgeglichen, so packend. Jetzt Deutschland am linken Flügel durch Schäfer. Schäfers Zuspiel zu Morlock wird von den Ungarn abgewehrt und Bozsik, immer wieder Bozsik, der rechte Läufer der Ungarn. Er hat den Ball verloren, diesmal gegen Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen Rahn schießt Toooooor! Toooooor! Toooooor! Toooooor! Tor für Deutschland!... Aus, aus, aus!!! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister Wer kennt sie nicht, die legendäre Reportage von Herbert Zimmermann beim Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in Bern? 3:2 endete das Spiel Deutschland gegen Ungarn. Als Wunder von Bern ist es in die Geschichte eingegangen. Für viele standen die Ungarn schon vor dem Anpfiff als Weltmeister fest, in der Vorrunde hatten sie klar gesiegt. Und auch die ersten Spielminuten rückten ein mögliches Wunder in weite Ferne. Schon nach acht Minuten führten die Ungarn 2:0. Und doch passierte es. Deutschland holte auf, Rahn schoss das entscheidende Tor zum 3:2. Deutschland wurde Weltmeister, die Mannschaft hatte das Wunder geschafft. Aber ist das Wunder von Bern wirklich ein Wunder? Oder war es einfach nur Glück und Geschick, Taktik und hartes Training? Sicher hat einfach nur alles gepasst, als Rahn geschossen hat. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Das war wunderbar, aber noch lange kein Wunder. Kann der Abschnitt aus dem Markusevangelium, der heute in den katholischen Kirchen vorgetragen wird, bei einer Antwort helfen? Von dort brach Jesus auf und kam in seine Heimatstadt; seine Jünger begleiteten ihn. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, staunten und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Wunder, die durch ihn 1
geschehen! Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab. Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. Und er konnte dort kein Wunder tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben. Mk 6, 1-6 Musik 1_MoF_Frantisek Xaver Brixi_Adagio_Titel 5 Was ist das also, ein Wunder? Die Definition ist nicht einfach. Ich möchte so beginnen: Ein Wunder ist ein Ereignis, für das es keine physikalische Erklärung gibt. Wunder passen nicht in unsere Naturgesetze hinein. Sie sind nicht mit wissenschaftlichen Methoden zu erklären und sprengen sozusagen das, was die Wissenschaft an Regelwerk für das Funktionieren der Welt aufgestellt hat. Die Kräfte der Natur können nicht für die Erklärung des Wunders herhalten wie beispielsweise für das Wachsen einer Rose. Viele Menschen denken beim Betrachten einer Rose an ein Wunder, so schön wie sie ist. Aber sie ist eben nur ein Ergebnis der Natur, d.h. die Naturwissenschaft der Biologie kann akribisch genau erklären, wie aus einem kleinen Samenkorn unter bestimmten Bedingungen wie Luft, Erde, Sonne und Wasser ein kleines Pflänzchen entsteht, das zu einer Rose wird. Alles ist erklärbar. Bei einem wirklichen Wunder geht das genau nicht. Ein Wunder ist also ein Geschehen, das nach den Regeln unserer Welt überhaupt nicht geschehen kann, eben ein nicht erklärbares Ereignis. Wunder sind also Zeichen dafür, dass es eine höhere Ordnung gibt, etwas, das über den engen Horizont unseres Denkens und Erklärens hinausgeht. Und noch etwas kommt hinzu: Ein Wunder bedarf eines sinnenhaften Zeichens. Das heißt, es muss für die Menschen auch wirklich wahrnehmbar sein. Sie müssen es erfahren, spüren, vielleicht sogar anfassen können. Christen glauben, ein Wunder passiert dann, wenn Gott handelt. Um die 30 Wunder sind in den Schriften des Neuen Testamentes überliefert. Wunder, die Jesus gewirkt hat: Er hat Kranke geheilt und Tote auferweckt, er hat Dämonen ausgetrieben, Sättigungs- und Rettungswunder geschehen lassen. Jesus 2
hat mit ihnen ein Zeichen seiner Allmacht gegeben. Er hat Zeichen und Wunder gewirkt, um die Menschen zum Glauben zu führen. Musik 2_MoF_Frantisek Xaver Brixi_Allegro_Titel 10 Ganz anders scheint es auf den ersten Blick beim Evangelium des heutigen Sonntags zu sein. Da bleibt der Erfolg aus. Jesus ist mit seinen Jüngern in seine Heimatstadt Nazareth zurückgekehrt und hat in der Synagoge gelehrt. Und die Reaktion der Nachbarn und Bekannten auf ihn fällt nicht so aus, wie man es vielleicht erwarten könnte. Denn immerhin muss sein Ruf Jesus schon vorausgeeilt sein. Er, der Sohn der Maria, der Zimmermann, tritt doch ganz anders auf als seine Zeitgenossen. Der Evangelist Markus berichtet unmittelbar vor diesem Evangelium von anderen Wundern, z.b. wie Jesus den Seesturm stillt, einen Besessenen befreit, die kleine Tochter des Jairus von den Toten auferweckt und eine blutflüssige Frau heilt. Jesus hat sich den Menschen also als Herr über die Naturgewalten und Krankheiten und sogar als Herr über Leben und Tod offenbart. Alle diese Wunder waren auch in Nazareth bekannt, sie hatten sich wie ein Lauffeuer verbreitet und eigentlich müssten die Nazarener ihren Jesus stolz mit offenen Armen empfangen. Und so predigt er in der Synagoge seines Heimatortes, doch die Reaktion auf ihn ist blanke Ablehnung. Mehr noch, übersetzt man den griechischen Originaltext wörtlich, steht dort: Sie gerieten außer Fassung. Jesus wird abgelehnt. Seine Wundertaten scheinen keinen Eindruck zu machen. Die Menschen tuscheln über ihn, versuchen, seine Identität neu zu erklären. Ist das nicht der Sohn der Maria? Sie trauen ihm nicht so recht, immerhin ist er doch nur einer von ihnen, ein Zimmermann. Aber Jesus hat die Ablehnung schon erwartet. Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie im vertrauten Kreis zuhause, weiß er. Und dann kommt der entscheidende Satz: Und er konnte dort kein Wunder tun! Warum?- so fragt man. Warum kann Jesus an bestimmten Orten oder unter bestimmten Bedingungen Wunder tun oder eben nicht tun? Der Sohn Gottes kann doch immer Wunder wirken! Er ist größer als alles, was man überhaupt denken kann! Und so ist die Antwort hier nicht bei Jesus selbst zu suchen. Denn er kann immer in göttlicher Vollmacht handeln. Die Antwort liegt bei den Menschen. 3
Jesus wunderte sich über ihren Unglauben, so schreibt der Evangelist Markus. Glaube und Wunder oder eben Unglaube und keine Wundertaten hängen eng zusammen. Habt ihr keinen Glauben? so fragt Jesus seine Jünger, als sie voller Angst waren vor dem Sturm auf dem See. Das Wunder bedarf des Glaubens. Wo das Vertrauen und der Glaube in Jesu Vollmacht fehlen, da wirkt er keine Wundertaten, so wie in seiner Heimatstadt Nazareth. Der Glaube geht dem Wunder voraus. Die Menschen in seiner Heimat haben Anstoß an Jesus genommen, haben ihn abgelehnt, haben eben nicht an ihn geglaubt. Wo Menschen auch heute Vertrauen und Glauben in Jesu Vollmacht haben, da spüren sie seine Macht und seine Wirkkraft. Im Wunder offenbart sich Jesus Christus selbst, da zeigt er sein Wesen und seine Allmacht. Es geht also darum, sich Gott ganz zu öffnen, von ihm das Größere, Bessere, Tiefere zu erwarten, als es sich Menschen jemals ausdenken können. Wunder sind aber nicht das Gegenteil von Vernunft, nur weil ihre Entstehung nicht erklärt werden kann. Wunder führen über Raum und Zeit hinaus in eine ganz andere Wirklichkeit, die Gott selber ist. Wer sich dieser Wirklichkeit, die mit dem menschlichen Verstand allein nicht erfasst werden kann, verschließt, der kann auch keine Wunder erwarten. Was heißt das für heute? Passieren immer noch Wunder oder sind sie nur in den Schriften des Neuen Testamentes zu finden, so als etwas, das lange vergangen ist und nur für die Menschen von damals von Bedeutung war? Sicher, da gibt es die Heilungswunder, die aus Lourdes berichtet werden, dem berühmten Marienerscheinungsort in Frankreich. Schwerkranke sind voll Vertrauen und Hoffnung dorthin gepilgert und einige haben eine Heilung erfahren, die sich wissenschaftlich nicht erklären lässt. Da spricht man von einem Wunder. Aber zugegeben, sie passieren dort nicht oft und die Kirche prüft sehr genau, um die Heilungen als echte Wunder anzuerkennen. Steht sie sich da nicht selbst im Weg? Nein, sie muss mit dem Begriff des Wunders sehr behutsam umgehen. Was inflationär geschieht, wird irgendwann nicht mehr ernst genommen. Aber der Begriff Wunder darf auch nicht zu eng gefasst werden, so denke ich, Wunder fangen schon viel früher an. Sie fangen an, wenn Menschen sich für Gott öffnen und ihn in ihr Leben lassen. Vor kurzem habe ich einen Satz gelesen, der nicht im Neuen Testament steht, der aber Jesus zugeschrieben wird: Wer sich wundert, wird das Königreich erlangen. Der 4
geistliche Schriftsteller Johannes Bours hat ihn umgewandelt und drückt ihn so aus: Nur wer sich wundern kann, wird Gott erfahren können. Das heißt doch, Gott ist größer als alles, was Menschen sich ausdenken und ausrechnen können, größer als alle Erwartungen und Vorstellungen. Sich wundern heißt, staunen können vor dem Geheimnis Gottes. Musik 3_MoF_Frantisek Xaver Brixi_Allegro_Titel 12 Heute ist man es gewohnt, alles zu planen, zu erklären und festzulegen. Selbst Geburten per Kaiserschnitt werden heute für einen konkreten Tag eingeplant und stehen als Termin im Kalender. Das Leben ist durchorganisiert. Kindergarten, Schule, Ausbildung, Beruf, Familie, Freizeit. Alles scheint irgendwie planbar und machbar zu sein, aber alles spult sich oft nur noch ab. Das macht unzufrieden und fördert nicht selten die Suche nach einem neuen Event, einem Kick, den es vorher noch nicht gegeben hat. Aber selbst auf den neuesten Kick folgt nur eine kurze Phase der Befriedigung. Und schon ist man wieder auf der Jagd nach etwas Neuem, frei nach dem Motto: schneller, höher, weiter. Und am Ende bleibt oft die totale Erschöpfung. Niemand kann immer nur mithalten. Ich meine, hinter dieser Jagd verbirgt sich unbewusst die Sehnsucht nach Gott. Auf die Frage, aus welcher wichtigen geistlichen Lebensregel heraus er denn lebe, sagte einmal jemand: Sich alles von Gott geben lassen. Ein schöner, tiefer Satz. Wer sich alles von Gott geben lässt, wird die Hände nicht in den Schoß legen. Aus dem Vertrauen auf Gottes gute Fügung heraus passieren die kleinen Wunder des Alltags. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht; meine Wunder des Lebens kamen nie mit Pauken und Trompeten. Sie kamen leise und unerwartet und immer dann, wenn ich mit meinen Möglichkeiten am Ende war. Wunder gibt es sie gibt es immer wieder. Dies lässt staunen und dankbar sein, wie sehr Gott den beschenkt, der ihm vertraut. Musik 4_MoF_Jones, Tambling_Jubelt, jauchst und singt_titel 13 Zum Nachhören als Podcast http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=43760 5