BMBF-A-27/01 Redebeitrag MinDirig Peter Greisler Bundesministerium für Bildung und Forschung Auf dem Weg zu einem Europäischen Hochschulraum anlässlich des Fachbereichstags Soziale Arbeit Hamburg, 11. Juni 2008
- 2 - Anrede, Im bisherigen Verlauf des Vormittags haben wir schon Einiges gehört zu Aufgaben und Selbstverständnis des Fachbereichs Soziale Arbeit. Viele Themen, die Sie beschäftigen, stehen in mittelbarem oder unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bologna-Prozess, der viel Arbeit, aber auch frischen Wind in die Hochschulen gebracht hat. Lassen Sie mich als Vertreter des BMBF und als Mitglied der internationalen Bologna Follow-up Group daher nun ein paar generelle Gedanken zu dem europaweiten Hochschulreformprozess, seinen Zielen und auch Herausforderungen beitragen. I. Als die damals noch 30 europäischen Bildungsminister 1999 in Bologna die Erklärung unterzeichneten, mit der sie die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Hochschulraums bis 2010 beschlossen, hätte kaum jemand geglaubt, dass es bis dahin tatsächlich zu so einem grundlegenden Wandel in der deutschen und europäischen Hochschullandschaft kommen würde. Nach außen am meisten wahrgenommenes Element des Bologna- Prozesses ist die Umstellung auf die gestufte Studienstruktur. Die Hintergründe für dieses Ziel waren vielfältig: Um mehr Mobilität in Europa zu erreichen, sollten die Strukturen näher aneinander angeglichen werden, ohne jedoch alles gleich machen zu wollen. Der Bologna-Prozess war und ist aber auch eine Möglichkeit, durch internationalen Vergleich, Lernen von den Nachbarländern und durch
- 3 - Selbstverpflichtung, nationale Probleme in Angriff zu nehmen. Aus deutscher Sicht war es daher z.b. auch interessant, die überlange Studiendauer oder die hohen Abbrecherquoten in den Griff zu bekommen. Bis zum Sommersemester 2008 sind in Deutschland zwei Drittel aller Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt worden. Ungefähr jeder fünfte Studierende an deutschen Hochschulen ist in die neuen Studiengänge eingeschrieben. Und 11% aller Hochschulabsolventen hält einen Bachelor- oder Mastertitel in der Hand. Diese Zahlen zeigen zweierlei: Erstens, es tut sich Einiges in Deutschland. Und zweitens, für eine Bewertung der Reformen ist es eigentlich noch zu früh, denn der große Schwung an Absolventen der neuen Studiengänge steht uns noch bevor. Dennoch möchte ich gerne auf ein paar durchaus ermutigende Ergebnisse der Statistiken und jüngerer Untersuchungen hinweisen. Betrachtet man die BA-Absolventen und ihre Studiendauer, so zeigt sich, dass sie im Schnitt über alle Fächer 6,9 Semester studiert haben, das ist nur wenig mehr als die durchschnittliche Regelstudienzeit der Bachelor-Studiengänge von 6,3 Semestern. Das ist ein großer Erfolg, wenn man bedenkt, dass viele Studierende in den Diplom-, Magisterund Staatsexamensstudiengängen unnötig lang ihre Ausbildung ausgedehnt haben.
- 4 - Auch die Studienabbrecherzahlen weisen bei genauer Betrachtung positive Entwicklungen auf. Insgesamt ist ein ganz leichter Rückgang der Abbrecherzahlen (von 22 auf 21%) festzustellen, wobei der Rückgang an den Universitäten deutlicher ausfiel, während an den Fachhochschulen sogar mehr Abbrecher zu verzeichnen waren. Gerade in Bereichen wie den Sprach- und Kulturwissenschaften, aber auch bei den Sozialwissenschaften leisten die Bologna-Reformen aber offensichtlich einen Beitrag zu Verringerung der Zahl der Studienabbrecher. So sind der Rückgang der Abbrecherrate in den Sozialwissenschaften an den Universitäten von 27% auf 10% und im Sozialwesen an den Fachhochschulen von 16% auf 13% (jeweils Absolventenjahrgänge 2004 und 2006) sehr erfreuliche Ergebnisse der HIS Untersuchung. II. Weniger sichtbar, aber nicht weniger wichtig ist die Umstellung von der Input- auf die Outcome-Orientierung. Die Bologna-Reformen bringen es mit sich, dass, salopp gesprochen, die Zählerei von Semesterwochenstunden verdrängt wird von der Frage: Welche Kompetenzen und Fähigkeiten bringt ein Studierender mit? Welche Kompetenzen und Fähigkeiten erwirbt er oder sie? und das kann übrigens auf ganz unterschiedliche Weise passieren. Und schließlich: Was kann der Student, die Studentin am Ende eines Ausbildungsabschnittes oder des gesamten Studiums? Ein entscheidendes Instrument in diesem Zusammenhang ist die Einführung eines Qualifikationsrahmens. Mit ihm soll größere Transparenz über die Qualifikationen geschaffen werden und dadurch
- 5 - wiederum werden die Übergänge zwischen einzelnen Stufen, unterschiedlichen Bildungsbereichen und auch über Landesgrenzen hinweg ermöglicht. Für die einzelnen Fachbereiche muss dieser Qualifikationsrahmen konkretisiert und mit Inhalten ausgefüllt werden; eine Aufgabe, die im Mittelpunkt ihres heutigen Treffens steht. Ich verstehe das so, dass Sie die Debatte über einen europäischen Qualifikationsrahmen nutzen wollen, um ihr Fach internationaler und wettbewerbsfähiger zu machen. Die Auseinandersetzung mit den Fragen, was lehren wir eigentlich, was sollen unsere Studierenden können, welche Berufe können sie später ergreifen, wie bereiten wir sie darauf vor? und das mit europäischen Kollegen, wird das Fach stärken, das Studium attraktiver machen und Perspektiven eröffnen. Es zwingt Sie, zu definieren, wo Ihr Potenzial liegt und dann werden Sie es auch vertreten. Und dass gute soziale Arbeit ein Wettbewerbsvorteil ist, wird dabei auch immer mehr Menschen auffallen. Sie dürfen sich nur nicht im Bürokratismus verheddern und nicht den gesunden Menschenverstand bei der Anwendung Ihres Qualifikationsrahmens ausblenden. Da bin ich aber sicher, dass Ihnen das gelingt. III. Zum Stichwort gesunder Menschenverstand : Der Bologna-Prozess ist ein Prozess, der sich weiterentwickelt durch gegenseitiges Lernen voneinander. Es gibt verzeihen Sie die Anglizismen sowohl ein top-down, als auch ein bottom-up und ganz viel peer to peer. Damit sind auch schon die Akteure beschrieben:
- 6 - unter anderem Minister und ihre Beamten, viel wichtiger schon die Stakeholder, und vor allem Sie selbst, die Akteure an den Hochschulen. Und ich denke doch, dass wir damit dem gesunden Menschenverstand eine Chance gegeben haben. Glauben Sie also bitte keinem, der Ihnen sagt: du musst das jetzt machen, weil der Bologna-Prozess es so will, auch wenn es völliger Blödsinn ist, So etwas gibt es nicht! Wer diese Auffassung vertritt, blockiert vernünftige Entwicklungen. Bei Ihnen habe ich den Eindruck, dass Sie nicht blockieren, sondern gestalten wollen. Das können Sie auch. Sie sehen die Chance einer Verbesserung der Position der Fachhochschulen. Soziale Arbeit ist ja besonders dort stark vertreten. Ein großer Fortschritt für die Fachhochschulen ist tatsächlich, dass die Abschlüsse BA und MA von Fachhochschulen und Universitäten gleichermaßen vergeben werden. Hier gibt es künftig Konkurrenz und Sie haben durchaus gute Chancen. IV. Und jetzt sage ich noch etwas, damit es Diskussionsstoff gibt: Das Promotionsrecht werden Sie auf diesem Weg nicht bekommen. Nicht, weil ich glaube, die Reservierung des Promotionsrecht für die Universitäten sei in jedem einzelnen Fall gut begründet und gerechtfertigt. Nicht in jedem Einzelfall, aber schon im Großen und Ganzen. An den Universitäten wird mehr geforscht und sie sind insgesamt von ihrem Leitbild her stärker auf Forschung ausgerichtet und haben auch mehr Zeit für diese Aufgabe. Sie alle beobachten, dass das Tabu angegriffen wird. Ich verstehe, dass Sie das ermutigt. Die außeruniversitären Einrichtungen wollen
- 7 - das Promotionsrecht, zunehmend gibt es verschiedene Varianten von Doktoranden-Programmen und Promotionsmodellen im In- und Ausland, es gibt bereits gemeinsame Promotionen und gemeinsame Graduiertenkollegs. Es gibt Bewegung in Sachsen und jetzt auch den Koalitionsvertrag hier in Hamburg. Andererseits gibt es auch starke Kräfte, die das Tabu ständig erneuern. Auch nicht ganz ohne Grund: Wie sichern Sie dann Qualitätsstandards? Wie schaffen Sie Transparenz für die Arbeitgeber, was welche Promotion bedeutet? Wo haben Sie an den Fachhochschulen wirklich die kritische Masse? Was bedeutet das für die Karrieremöglichkeiten des Nachwuchses? Was wir durchaus wollen, ist die Zusammenarbeit von Universitäten und Fachhochschulen, auch im Promotionsbereich. Und was auch in Ordnung ist, ist dass Sie Ihre guten Ideen in Forschung umsetzen wollen. Gerade in Bereichen wie der sozialen Arbeit muss man darüber nachdenken, da das Thema an den Universitäten wenig vertreten ist. Nun werden Fachhochschulen ausgebaut, um mehr Lehre zu bewältigen. Sie sind so erfolgreich, weil die Länder an Ihnen schätzen, dass sie praxisnahe gute Lehre effizient durchführen. Dieses Profil ist auch eine Chance für Sie. Da ist Ihre Stärke, die sie nicht aufgeben sollten. Wenn Sie mehr Zeit zum Forschen verwenden, geht diese bei der Lehre verloren. Darüber müssen Sie mit den Ländern reden. Wenn die Länder Ihnen Zeit zum Forschen geben, dann stehen Ihnen die Fördermöglichkeiten des BMBF offen. Das gilt auch für die DFG. Es gilt aber erst Recht für unsere BMBF-Programme, die zum Teil sehr anwendungsorientiert sind. Von den Bekanntmachungen zur
- 8 - Dienstleistungsforschung und zur Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt höre ich, dass sich dennoch wenig Fachhochschulen bewerben und dann auch - mit positiven Ausnahmen - relativ schlecht abschneiden. Die Antragsberatung wird zu spät wahrgenommen und Sie spielen Ihre Stärke, die Verbindung zu den Praxispartnern, zu wenig aus. Das sollte als Einstieg für unsere Diskussion genügen. Auf diesen Gedankenaustausch freue ich mich schon. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.