Manuskript Beitrag: Dreckschleuder Diesel Pkw schmutziger als Lastwagen Sendung vom 5. April 2016 von Hans Koberstein und Joe Sperling Anmoderation: Seit Jahren halten Dieselautos die Grenzwerte im Labor ein und überschreiten sie auf der Straße. Seit Jahren erzählt die Industrie, das sei normal, geht nicht anders. Und seit Jahren nickt ein Verkehrsminister nach dem anderen dazu. Unsere Autoren haben dazu eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute lautet: Es geht doch! Und übrigens auch das - seit Jahren. Die schlechte: Das gilt leider nur für Lastwagen. Denn bei denen gab es schon 2003 einen Abgasskandal. Hans Koberstein und Joe Sperling über verblüffende Parallelen zwischen damals und heute und den noch verblüffenderen Unterschied: Die kleinen PKW sind offenbar größere Dreckschleudern als LKW. Text: Wenn Leszek Muchowski seinen 40-Tonner an die Tankstelle fährt, tankt er seit Jahren gleichzeitig aus zwei Zapfsäulen in zwei unterschiedliche Tanks das ist inzwischen ganz normal. Ich tanke Adblue und Diesel. Das ist jetzt was? Das ist jetzt AdBlue. Genau. Seit wann ist das so, dass man AdBlue tankt beim Lastwagen fahren? Also, ich fahre schon prinzipiell seit fast zehn Jahren.
Ja, ist das üblich? Das ist üblich, ja. AdBlue ist flüssiger Harnstoff und macht giftige Dieselabgase sauber. Muchowski fährt für die Spedition Kobernuss in Uelzen, und die hat überwiegend Mercedes-Laster der strengsten Schadstoffklasse 6 im Fuhrpark. Früher waren Lkw als Stinker verschrien. Das hat sich inzwischen grundsätzlich geändert, durch moderne Abgasreinigungstechnik mit sogenanntem SCR-Kat und AdBlue. O-Ton Hubertus Kobernuss, Inhaber Kobernuss Spedition & Logistik: Die Abgase werden innerhalb des Katalysators durch Edelmetallfilter geführt und am Ende wird eine Abgasnachbehandlung mit Einspritzung von AdBlue durchgeführt, sodass die Anlage im Prinzip wie eine Chemiefabrik arbeitet und dafür sorgt, dass die gesetzlichen Normen eingehalten werden. Tatsächlich halten die modernen Lastwagen den gesetzlichen Grenzwert für Stickoxide auf der Straße ein. Das war nicht immer so. 2003 registrierten die Behörden viel zu hohe Werte für das giftige Stickstoffdioxid in der Atemluft. Der Verdacht damals: Die Lastwagen halten sich auf der Straße nicht an die Grenzwerte. Das Umweltbundesamt hat damals die verdächtigen Laster untersucht und festgestellt: Im vorgeschriebenen Prüfzyklus im Labor waren die Lkw-Motoren sauber. Doch im Normalbetrieb stellte die elektronische Motorsteuerung um auf schmutzig. Axel Friedrich hat damals als Beamter die behördliche Untersuchung geleitet und hat Manipulationen bei der Software festgestellt. O-Ton Axel Friedrich, ehemaliger Leiter Verkehrsabteilung Umweltbundesamt: Wir haben bei einem Daimler-Lkw die elektronische Steuereinheit geöffnet und nachgewiesen, dass dieses Fahrzeug auf den Prüfzyklus optimiert war. Das heißt, im realen Leben waren die Emissionen viel, viel höher als auf dem Prüfstand. Das konnten Sie in der Software feststellen? O-Ton Axel Friedrich, ehemaliger Leiter Verkehrsabteilung
Umweltbundesamt: Wir konnten feststellen, dass die Messpunkte eben optimiert waren. Das kann man relativ einfach feststellen. Damals war die Welt noch viel einfacher elektronisch. Ein Abgasskandal mit manipulierter Software, genauso wie heute bei VW. Daraufhin wurden die Gesetze geändert, für Lkw. Die sind heute auch auf der Straße sauber, dank hoher AdBlue- Eindüsung. O-Ton Hubertus Kobernuss, Inhaber Kobernuss Spedition & Logistik: Unsere Flotte hat einen Durchschnittsverbrauch von circa fünf bis sieben Prozent Adblue. Fahren wir durch die Berge, dann haben wir schon einen Adblue-Verbrauch, der schon über die 7 Prozent hinausgeht. Wenn wir in der Ebene eine Leerfahrt haben, dann liegen die Verbräuche schon unter fünf Prozent. AdBlue hat die Lkw sauber gemacht. Und dennoch ist in deutschen Städten die Belastung mit Stickstoffdioxid immer noch viel zu hoch. Schuld daran sind heute Pkw mit Dieselmotor, die auf der Straße viel mehr Stickoxide rausblasen als im Labor. Dabei haben moderne Dieselautos die gleiche moderne AdBlue- Technik wie Lkw. Zum Beispiel dieser Opel Insignia Turbodiesel, Schadstoffklasse Euro VI. Autoexperte Stefan Carstens zeigt uns die Abgasreinigung. Dieses AdBlue, wässrige Harnstofflösung wird hier injiziert. Und dieses hilft mir hier in dem SCR-Kat die Entstickung vorzunehmen. Eigentlich beste Technik, um das giftige Stickoxid aus dem Abgas zu filtern Voraussetzung: Aus dem mitgeführten Tank wird genügend AdBlue eingedüst. Wird nur wenig AdBlue eingespritzt, bläst das Auto zu viel giftiges Stickoxid in die Luft. Wie viel AdBlue verbraucht wird darüber entscheidet das Motorsteuergerät, das Gehirn des Autos, mit Software von General Motors. Der Opel hat also alles, um sauber zu sein. Trotzdem bläst der Opel Insignia laut ADAC EcoTest 240 Milligramm Stickoxide pro Kilometer in die Luft - dreimal so viel, wie der Grenzwert vorsieht. Woran liegt das? Spritzt der Opel Insignia zu wenig AdBlue ein? Das wollen wir überprüfen. Zuerst füllen wir den AdBlue-Tank voll. Den Kanister mit dem Harnstoff kann man an der Tankstelle kaufen. Das Nachfüllen ist mühsam und umständlich. Wir fahren fast 3.800 Kilometer, Autobahn und Stadtverkehr.
Dann tanken wir den AdBlue-Tank wieder voll. Das Ergebnis: Unser Insignia hat 238 Liter Diesel verbraucht, und nur 1,35 Liter AdBlue. Das bedeutet einen AdBlue-Verbrauch pro Liter Diesel von gerade einmal 0,57 Prozent. Das Ergebnis überrascht den Autoexperten Stefan Carstens: viel zu wenig AdBlue. Ein Lkw muss dagegen auf jeden Liter Kraftstoff bis zu sieben Prozent AdBlue eindüsen, um sauber zu sein, viel mehr als der Insignia. Sind Lkw und Pkw vergleichbar? Die Verbräuche lassen sich übertragen. Das kann man durchaus so stehen lassen, ja. Auf den Pkw. Auch auf den Pkw, ja. Und welchen Zweck hat die AdBlue-Unterdosierung beim Pkw? Den Zweck der Kundenfreundlichkeit. Nur so ist es im Moment möglich, mit relativ kleinen AdBlue-Tankvolumina bis zum nächsten Wartungsintervall zu kommen. Und welchen Vorteil hat das? Dass der Kunde nicht zum Kanister greifen muss, sondern der Kunde soll im Prinzip gar nicht mitkriegen, dass er ein SCR-System an Bord hat, das einen zusätzlichen Betriebsstoff erforderlich macht. Wir fragen Opel, wie der geringe AdBlue-Verbrauch zu erklären ist. Opel gibt kein Interview und antwortet schriftlich, der geringe Verbrauch sei branchenüblich. Zitat: Bezogen auf den Dieselverbrauch liegt der industrieweite Durchschnittsverbrauch von AdBlue bei etwa einem Prozent. Viel zu wenig AdBlue, zu viel giftiges Stickoxid auf der Straße - nach diesem Prinzip arbeitet auch dieser VW Sharan mit eingebauter Abschalteinrichtung. Eine solche Abschalteinrichtung
hat den VW-Dieselgate-Skandal ausgelöst. Der Sharan gehört Felix Domke, der ist Software-Experte und Hacker. Das ist ein Motorsteuergerät, das ist sehr ähnlich dem, was in meinem Auto verbaut ist. Und in diesem Chip befindet sich die Software des Motorsteuergerätes. Da ist die Abschalteinrichtung drin? Dort ist die Abschalteinrichtung einprogrammiert, ja. Felix Domke verbindet sein Laptop mit dem Motorsteuergerät seines Sharan und fährt los. Ihm ist es als Erstem gelungen, die VW-Software zu knacken. Er zeigt uns, was die Abschalteinrichtung in der Praxis bewirkt. Wir versuchen jetzt gerade den Prüfzyklus so nachzufahren, dass die Motorsteuersoftware denkt, wir wären auf dem Prüfstand. Es klappt. Die Software glaubt, wir wären im Prüfzyklus und schaltet auf sauber. Jetzt können wir sehen, dass AdBlue dosiert wird - und zwar relativ viel. Was bedeutet das bezüglich der Stickoxide? Die werden jetzt reduziert. Das heißt, das Auto ist sauber? Das Auto fährt im Moment sauber, ja. Dann fährt Domke normal, ohne Rücksicht auf den Prüfzyklus. Das Auto schaltet um auf Normalbetrieb. Es wird jetzt AdBlue dosiert, allerdings wesentlich weniger, als wenn wir uns im Prüfzyklus befinden würden. Das Auto ist jetzt schmutziger als im Prüfzyklus.
Im Prüfzyklus sauber im Straßenbetrieb ungesund. So verhalten sich viele moderne Dieselautos. Das zeigt dieser Untersuchungsbericht des niederländischen Prüfinstituts TNO. Das hat sich unter anderem den Mercedes C220 CDI näher angeschaut. Auch der hat AdBlue-Eindüsung, und ist bei den Laborprüfungen sauber, aber auf der Straße schmutzig. Zitat: Es scheint, dass auf dem Rollenprüfstand eine andere Strategie zur Reduzierung von NOx genutzt wird als auf der Straße. Laut TNO blies der Mercedes C220 CDI im Schnitt auf der Straße 643 Milligramm giftige Stickoxide in die Luft das Achtfache des Grenzwerts. Dabei kann Mercedes auch sauber. Beispiel der Mercedes Actros. Der 18-Tonner emittierte gerade einmal 250 Milligramm pro Kilometer und hielt damit den Lkw-Grenzwert ein. Der Mercedes-Laster ist auf der Straße viel sauberer. Warum gelingt das Daimler nicht auch beim Pkw? Wir fragen nach bei Daimler. Auf diese Frage erhalten wir keine Antwort. Stattdessen droht Daimler, Zitat: ( ) dass wir uns jederzeit rechtliche Schritte vorbehalten, sollten Falschbehauptungen oder unberechtigte Vorwürfe das Ansehen unseres Unternehmens beschädigen. Für Axel Friedrich wiederholt sich die Geschichte. Damals waren die Lkw manipuliert und auf der Straße schmutzig. O-Ton Axel Friedrich, ehemaliger Leiter Verkehrsabteilung Umweltbundesamt: Man hat ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich erkenne die gleichen Aussagen von 2003 heute wieder. Genau die gleichen Dinge, genau die gleichen Umgehungsmaßnahmen, genau die gleichen Optimierungen. Das heißt, es hat sich nichts geändert. O-Ton Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe: Die Folgen sind sehr drastisch. Über 10.000 Menschen sterben im Moment pro Jahr an den Folgen dieser Giftgasemissionen von Diesel Fahrzeugen. Das muss man sich mal im Verhältnis betrachten zu Verkehrsunfällen: Es sind fast dreimal mehr Todesfälle, die jedes Jahr in Deutschland auftreten, als durch Verkehrsunfälle. Leszek Muchowski kann bei seinem Lkw ein gutes Gewissen haben. Der emittiert weniger Stickoxide als ein Smart. Das wundert mich dann wirklich. Also, ich hätte nicht für
möglich gehalten, dass ein Laster mit 40 Tonnen sauberer unterwegs sein kann als ein Pkw. Das müsste nicht sein, die Technik ist längst da seit mehr als einem Jahrzehnt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.