Moderationstext Volkstrauertag Nele und Louis und Christian 15.11.2015 Nele (3) Guten Tag, wir sind eine Schülergruppe des Kopernikus-Gymnasiums und präsentieren hier den Lebensweg eines Jungen. Mein Name ist Nele, Louis (4) und mein Name ist Louis. Wir möchten Sie mitnehmen auf eine Reise in die Vergangenheit, in die Jahre ab 1927. Es geht um Karl Günter Perthun. Und alles, was Sie jetzt sehen und hören werden, ist dokumentarisch, also wahr und wirklich. Nele (5 + 6) Beginnen wir mit der Familie im hohen Norden, in Flensburg. Der Vater ist seit 1922 Soldat in der Reichswehr der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik. Den damaligen Bestimmungen gemäß darf er sich absolut nicht politisch betätigen. Die Mutter stammt aus einem mittelständischen Haushalt und kümmert sich auch nur darum. Louis (7 + 8 + 9) Dann wird der erste Sohn Karl Günter geboren, aber alle nennen ihn später nur Günter. In der Kindheit in Flensburg ist alles idyllisch und geht seinen Gang. Alles ist geregelt, alles ist in Ordnung. Bald werden die Geschwister geboren, hier ein typisches Foto dieser Zeit. Nele (10) Im Jahr 1936 wird Karl Günter eingeschult, wir sehen ihn hier fröhlich mit der damals typischen Ausstattung: kurze Hose, Ranzen, Brotbeutel und Schultüte. Gleichzeitig bauen die Nationalsozialisten ihre Dominanz im Staat während der Zeit ihrer Machtergreifung in ungeheurem Tempo aus. Louis (11) Von all dem bekommt die Familie kaum etwas mit. Seine Großeltern werden bald schon von den Nazis geehrt. Wir sehen das Mutterkreuz und eine Ordensspange für den Großvater als Teilnehmer am 1. Weltkrieg.
Nele (12) Schon beginnt in den Schulen und in den Vereinen der Psychodruck auf die Kinder, damit sie Mitglied in der Hitlerjugend werden. Hier sehen wir ein Mahnschreiben der HJ an die Eltern. Wir lesen dieses ungeheuer suggestive und drohende Mahnschreiben vor: Christian aus dem Off Zum letzten Mal wird zum Appell geblasen. Die Hitlerjugend tritt heute mit der Frage an Dich heran: Warum stehst Du noch außerhalb der Reihen der Hitlerjugend? Wir nehmen doch an, daß Du Dich zu unserem Führer Adolf Hitler bekennst. Dies kannst Du jedoch nur, wenn Du Dich gleichzeitig zu der von ihm geschaffenen Hitlerjugend bekennst. Es ist nun an Dich eine Vertrauensfrage: Bist Du für den Führer und somit für die Hitlerjugend, dann unterschreibe die anliegende Aufnahmeerklärung. Bist Du aber nicht gewillt, der HJ beizutreten, dann schreibe uns dies auf der anliegenden Erklärung. Wir richten heute einen letzten Appell an Dich. Tue Deine Pflicht und reihe Dich bis zum 31. Mai des Jahres ein bei der jungen Garde des Führers. Heil Hitler Louis (12) Und die Eltern müssen unterschreiben, dass ihr Sohn nicht gewillt ist, in die HJ einzutreten mit Angabe der Gründe, des Berufs und der Arbeitsstelle. Nele (13) In der Volksschule werden allmählich einige Unterrichtsinhalte gegen Nazi-Inhalte ausgetauscht. Der Lehrer selbst zeigt deutlich, wo er steht. Eine Ähnlichkeit mit Himmler ist unverkennbar. Louis (14) Im Dezember 1936 wird das Gesetz über die Hitlerjugend veröffentlicht. Christian aus dem Off: 1 Die gesamt deutsche Jugend innerhalb des Reichsgebietes ist in der Hitlerjugend zusammengefasst. 2 Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen. Louis Ab nun müssen alle Kinder ab 10 Jahren in die HJ. Karl Günter tritt 1937 ein, als Pimpf, wie man damals sagte. Wir sehen ihn hier in seiner Kluft, er ist 10 Jahre alt. (15) HJ-Abende und Wochenendaktionen wechseln sich ab jetzt mit dem üblichen Familienleben und der normalen Kindheit ab. Zuhause experimentiert er und ein Chemiebaukasten fliegt in die Luft, ganz normale Erlebnisse eben.
Nach kurzer Zeit besteht Karl Günter in seiner HJ-Kameradschaft die sogenannte Pimpfenprobe, den Pflichttest, um sozusagen ehrenhaft und endgültig in die HJ aufgenommen zu sein. Christian aus dem Off: 70-Meterlauf in maximal 15 Sekunden Weitsprung 3,50 m Schlagballweitwerfen 25 Meter Eine Minute Luftanhalten Teilnahme an einer eintägigen Fahrt Kenntnis des Aufbaus und der Führerschaft des Deutsches-Jungvolk-Fähnleins Kenntnis des Deutschlandliedes, des Horst-Wessel-Liedes und des Hitlerjugend- Fahnenliedes Kenntnis der Schwertworte des Hitlerjungen Jungvolkjungen sind hart, schweigsam und treu Jungvolkjungen sind Kameraden. Des Jungvolkjungen Höchstes ist die Ehre. Lebenslauf Hitlers (sechs bis zehn Sätze) Nele Die HJ bemüht sich, den Erziehungseinfluss der Eltern zu beschränken. Hitler hat das in seiner Rede in Reichenberg vor NS-Führern sehr deutlich gemacht: CD-Einspielung Hitler-Rede von Reichenberg Nele Die sogenannte Reichskristallnacht, die wir heute Progromnacht nennen, erlebt Karl Günter in Düsseldorf. Später berichtet die Mutter, wie er abends entsetzt nach Hause kommt und von brennenden Geschäften und zersplitterten Scheiben berichtet. Seine Fragen danach, was das denn sei, werden von den Eltern nicht beantwortet. Louis(16) Am 1. September 1939 beginnt der Angriff der deutschen Wehrmacht auf Polen. Karl Günter ist 12 Jahre alt und verfasst Gedichte mit der typischen Nazi-Terminologie. Viele Bücher über den ersten Weltkrieg, vor allem Berichte von Frontkämpfern stehen in seinem Bücherschrank.
Nele (17) Während der Vater erst in Polen, dann in Frankreich im Krieg ist, verlaufen die ersten Kriegsjahre wie für die meisten Deutschen eher unauffällig. Im Herbst 1943 geht Karl Günter mit seinem Fähnlein ins Allgäu. Dort ist ein Lager der Kinderlandverschickung, und die Hitlerjungen verbringen unbeschwerte Wochen, aber militärisch strukturiert und ideologisch total ausgerichtet. (18) Daneben gibt es viel Sport und Wettkampf in allen möglichen Disziplinen, aber auch vormilitärische Ausbildung. Hier sehen wir die Siegerurkunde bei der Tischtennismeisterschaft. Louis (19 + 20) Kaum ist er zurück, wird Karl Günter als Luftwaffenhelfer im Norden Düsseldorfs eingesetzt. Hier sehen wir ein Nazi-Propaganda-Plakat, das zum heldenhaften Einsatz der Jungen auffordert. Mit 16 Jahren waren sehr viele HJ-Jugendliche daran beteiligt und auch verpflichtet, bei anfliegenden Bombern die Flugabwehr an den Kanonen zu verstärken. Auf diese Weise wurden sie neben der vormilitärischen Ausbildung mit dem Krieg konfrontiert. Nele (21) Am 1. März 1944 geht Karl Günter mit 16 Jahren von der Schule, um wie auf dem Zeugnis steht einen Beruf zu ergreifen. Tatsächlich aber wurde er nun mit vielen anderen HJ-Jugendlichen zum Aufräumen in den Städten nach Bombenangriffen eingesetzt. Darüber schreibt er aus Köln an seine Schwester: Christian aus dem Off (22 + 23) Liebe Rita, für dein Passbild meinen besten Dank. Ich kann Dir natürlich keins schicken, du hast sicher auch von der Masse der Terrorangriffe auf Köln gehört. Es waren furchtbare Tage. Du kannst Gott danken, dass du so etwas nicht mitmachen brauchst. Wir haben seit Samstag, also 1 Woche kein Licht und kein Wasser. Ich schreibe jetzt bei einer Kerze. Darum auch die Schlangenlinien. Von morgens bis abends sind wir im Einsatz zum Aufräumen. Nun herzliche Grüße, Günter Louis (24 + 25) Die nächste Station: Mitte Juli 1944 wird Karl Günter zur Wehrmacht einberufen. Gleich schickt er eine Karte von der Grundausbildung aus Geldern an seine Schwester und schimpft über den Kasernenhof und dass sich niemand so richtig um die jungen Leute kümmert. In seinem Fotoalbum findet man ein Foto von seiner Vereidigung auf Adolf Hitler persönlich. Nele (26 + 27) Inzwischen sind die Alliierten an der Normandieküste gelandet und haben eine zweite Front gegen die deutsche Wehrmacht aufgebaut. An seinen Vater, der ja in Nordfrankreich stationiert ist, schreibt Karl Günter diesen Brief:
Christian aus dem Off : Heute bin ich nun zur Wehrmacht eingezogen worden. Ich bin bei der InfanterieNachrichten, weil du auch dabei warst. Ich liege in der Kaserne in Geldern. Mit zwei Düsseldorfern und sechs Hagenern sind wir auf unserer Stube. Wir sind nun alle gespannt, wie es weitergehen wird. Louis (28) Nach kurzer Ausbildung geht es zunächst nach Freiberg und dann zum Jahreswechsel an die Front in Oberschlesien. Karl Günter ist 17 Jahre alt. Die ehemaligen Hitlerjungen sind alles Militärische gewohnt, sie kennen die Waffen, die Ausrüstung, die Befehle und die Hierarchien und werden sehr schnell in die Einheiten der Wehrmacht eingebunden. Nele (29 + 30) Es gibt Berichte über erbitterte Kämpfe in Oberschlesien, also auf damals deutschem Gebiet im Süden von Breslau. Die Rote Armee ist auch hier überlegen und dringt immer weiter vor. Die Weiterleitung der Feldpost funktioniert noch. Karl Günter schreibt am 30.01.1945 einen Brief an die Heimat: Christian auf der Bühne Ihr Lieben! Sicher habt ihr schon auf Post von mir gewartet. Aber es ist mir kaum möglich, euch überhaupt Nachricht zukommen zu lassen, da hier keine Feldpoststelle ist. Eine Feldpostnummer haben wir auch noch nicht, so dass ihr noch nicht wiederschreiben könnt. Aber ich weiß ja, dass es euch gut geht. Wahrscheinlich gebe ich den Brief einem Verwundeten mit. Vor zwei Tagen haben wir hier angegriffen und drei Ortschaften zurückgewonnen. Die Russen haben bei ihrem Rückzug alle Männer im Alter von 15 bis 60 Jahren in einer Scheune zusammengetrieben und erschossen, die Frauen vergewaltigt. Heute habe ich mich mal wieder gewaschen, nach einer Woche. Leider habe ich Vatis Feldpostnummer nicht mehr, sodass ich Vati überhaupt nicht schreiben kann. Morgen hat Vati ja Geburtstag. Meine restlichen Sachen habe ich von Freiberg aus im Paket zugesandt. Hoffentlich kommen sie an. Die Papiersachen darin bewahre bitte auf, bis ich mal in Urlaub kommen sollte. Sonst weiß ich nichts zu berichten, als dass es mir ganz gut geht. Euch allen nun alles Gute und herzliche Grüße an alle, Euer Günter Louis (31) Wir sehen hier das letzte Foto von Karl Günter in Uniform. Er ist Offizieranwärter und bei den Funkern, also bei der Nachrichtentruppe. Er erlebt nun im Frühjahr, wie um ihn herum gestorben und verletzt wird und schreibt am 16. Februar 1945 den nächsten Brief. Ist das schon eine Vorahnung? Hören wir genau hin: Christian auf der Bühne (32) Ihr Lieben! Heute komme ich mal wieder dazu, euch einige Zeilen zu senden. Von euch habe ich noch keine Post erhalten. Die Verbindung ist leider nicht mehr die alte. Gestern
war ich ein halbes Jahr Soldat. Vor einem Jahr war ich als Luftwaffenhelfer auf Heimaturlaub in Flensburg. Wie ist doch die Zeit vergangen. Wenn wir einen Monat weiter sind, wird wohl die Entscheidung gefallen sein. Gebe Gott, dass es bald so weit ist. Er hat das Schicksal meiner vielen Kameraden bestimmt, wann fällt meins? Man darf nicht denken. Euch allen in der Heimat alles Gute und herzliche Grüße, euer Günter. Nele (33) Zwei Wochen später, am 03. März 1945, schreibt Karl Günter einen weiteren Brief. Inzwischen sind die Amerikaner und die Briten schon längst in Westdeutschland, um und in Berlin wird gekämpft, der Krieg ist längst verloren. Im letzten Jahr des 2. Weltkriegs sind mehr deutsche Soldaten gefallen als in den fünf Jahren davor seit 1939 zusammen. Christian auf der Bühne Ihr Lieben! Heute habe ich endlich wieder Zeit, euch meine Grüße zu senden. Vor drei Tagen haben wir hier angegriffen. Etwa 400 Russen hatten wir eingeschlossen und sind vernichtet worden. Von euch habe ich noch immer keine Post. Durch Zufall hörte ich, dass schon südlich Düsseldorf gekämpft wird. Es ist doch gut, dass wir nicht mehr dort wohnen. Nun herzliche Grüße an alle, euer Günter Louis (34) Seit dem 03.März 1945 gilt Karl Günter als vermisst. Wie starb er und wo? Wir wissen es nicht. Das Rote Kreuz berichtete viele Jahre später nach einer Suchanzeige über das, was man über seine Einheit in Erfahrung bringen konnte. Nur ganz wenige haben überlebt, viele sind im Wald- und Sumpfgebiet irgendwie und irgendwo geblieben, manche wurden über die Grenze versprengt und verschwanden im Gebiet von Partisanen. Kriegsgefangene gab es dort keine. Nele (35) Wir haben nun die Stationen des kurzen Lebens von Karl Günter, den alle nur Günter nannten, gemeinsam durchlebt. Wir haben Fragen: Hatte er Schuld? Hatte er eine Chance? Machte das alles Sinn? Was lernen wir von Dir? (Den letzten Satz auf der Folie noch nicht vorlesen) Christian steht auf, zieht die Militärsachen aus und richtet den Appell an das Publikum: Gerade war ich Karl Günter, aber mein Name ist Christian Ich bin 17 Jahre alt und Schüler am Kopernikus-Gymnasium in einem Kurs Erziehungswissenschaft bei Herrn Falhs-Abels. Jetzt stehe ich hier 70 Jahre später, und wir gedenken der Toten der Kriege. Und ich als junger Mensch sage: Liebe Erwachsene, liebe Entscheider, handelt so, dass wir nicht irgendwann auch so
etwas erleben müssen. Gebt viel Geld in anderen Ländern aus, vermindert unseren Wohlstand in Deutschland, fördert das Leben woanders oder was auch immer, aber verhindert Krieg. Louis Wir gedenken der Toten, Karl Günter ist einer von ihnen. Zum Abschluss möchten wir dazu einladen, uns gemeinsam ein Lied anzuhören, dass Udo Lindenberg vor vielen Jahren geschrieben hat und das nach unserer Meinung noch sehr aktuell ist. Hören wir einfach zu. Dabei zeigen wir einige Bilder von den Gedenkstätten, die es inzwischen für die Toten der deutschen Bundeswehr, der Armee in unserer Demokratie, gibt. Wozu sind Kriege da? (36) CD-Song und Folien 36 bis 45 Dann zeigen wir noch als Abspann die Folie 46 und 47 Dank beim Publikum für das Zuhören und für die Aufmerksamkeit.