Märchen:Theorie, Didaktik und Lernziele im Fremdsprachenunterricht

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Transkript:

Germanistik Joanna Rurainski Märchen:Theorie, Didaktik und Lernziele im Fremdsprachenunterricht Magisterarbeit

Märchen. Theorien, Lernziele, Didaktisierungen im Fremdsprachenunterricht. Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister Artium (M.A.) Universität Leipzig Philologische Fakultät Herder-Institut Vorgelegt von Joanna Rurainski Leipzig, den 12.12.2001

Inhaltverzeichnis 0 Einleitung 3 1 Märchen- Begriff, Ursprung, Typen, Merkmale 6 1.1 Zum Begriff Märchen 6 1.1.1 Definitionsprobleme 6 1.1.2 Ursprung der Märchen 8 1.1.3 Märchentypen 10 1.1.4 Funktion von Märchen 12 1.2 Exkurs: Die Brüder Grimm 13 1.3 Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich 14 1.3.1 Inhalt des Märchens 14 1.3.2 Märchenmerkmale am Beispiel des Märchens Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich 14 1.3.3 Inhaltliche Analyse und Deutung 20 1.3.4 Form und Stilistik 22 1.4 Grimms Märchen heute 23 1.4.1 Märchenneubearbeitungen 24 1.4.2 Parodien zum Froschkönig 25 2 Literarische Texte im Fremdsprachenunterricht. 28 2.1 Pragmatisch-funktionales Konzept 28 2.2 Paradigmenwechsel in der Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik 28 2.2.1 Märchen aus der Perspektive der Rezeptionsforschung (Fremdkulturelle Kontextperspektive) 29 2.2.2 Literarische Sprache als Rezeptionsbarriere 32 2.2.3 Konsequenzen der Rezeptionsforschung für den Fremdsprachenunterricht 33 2.3 Das Märchen als literarischer Text 34 2.4 Lernziele und Funktion von literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht (FSU) 36 2.5 Auswahlkriterien und Integrierung literarischer Texte im FSU 42 1

2.6 Textarten und das Niveau der Lernenden 45 2.6.1 Literarische Texte im Anfängerunterricht 45 2.6.2 Literarische Texte in der Mittelstufe 46 2.6.3 Literarische Texte in der Oberstufe 47 2.7 Arbeitsschritte bei der Behandlung literarischer Texte 48 2.8 Aufgaben und Übungsarten 51 3 Didaktisierungsvorschläge 53 3.1 Der Einsatz von Märchen in der Grundschule 53 3.1.1 Unterrichtsvoraussetzungen, -bedingungen und Ziele 53 3.1.2 Unterrichtsvorschläge zum Märchen Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich der Brüder Grimm 54 3.2 Der Einsatz von Märchen im Unterricht für Fortgeschrittene 57 3.2.1 Unterrichtsvoraussetzungen, -bedingungen und Ziele 57 3.2.2 Unterrichtsvorschläge zum Märchen Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich der Brüder Grimm 59 3.2.3 Unterrichtsvorschläge zum Gedicht von Rolf Krenzer Froschkönig 64 3.3 Zusätzliche Bemerkungen 66 4 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen 67 5 Literaturverzeichnis 70 6 Anhang (Unterrichtsmaterialien) 77 2

0 Einleitung Die Notwendigkeit Fremdsprachen zu erlernen, wird immer größer. Wir stehen als Menschheit am Beginn eines unendlichen Prozesses der intensivierten interkulturellen Kommunikation. Zwischen den einzelnen Ländern bestehen zahlreiche wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen, infolge dessen sich auch unsere Reisemöglichkeiten vergrößert haben. Große Entfernungen stellen heute keine unüberwindbaren Hindernisse mehr dar. Der Wohn- und/oder Arbeitsort wird aus unterschiedlichen Beweggründen gewechselt und das nicht nur innerhalb eines Landes. Auch im internationalen Maßstab ist eine größere Mobilität zu verzeichnen. Dies führt dazu, daß heute innerhalb einer Gesellschaft viele Kulturen zusammen leben und dementsprechend ein Kulturaustausch stattfindet. Auch das Internet macht es möglich, daß jeder zu jedem an jedem Ort der Welt ständig Kontakt halten kann. Dabei hat es die Wanderschaft der Menschen nicht verhindert (Konrád 2001). Dieser Kulturaustausch ist ein Prozeß, der nicht zu verhindern oder zu verlangsamen ist. Engere Kontakte zwischen den Kulturen sind aber nur dann möglich, wenn auch die Sprache und Kultur des Ziellandes kennengelernt wird. Allein durch die Verschiedenheit unseres Erdteils ist der Zwang zum Lernen (zumindest) einer Fremdsprache gegeben. Im 21. Jahrhundert sollte das Unbekannte nicht länger als fremd oder gar als feindlich verstanden werden. Voneinander zu lernen ist zusehends etwas Individuelles und geht dabei über die Stereotypen der Nationen hinaus. Wir erlernen Klischees, um sie korrigieren zu können. Der heutige Fremdsprachenunterricht (FSU) steht nun vor der schwierigen Aufgabe, einerseits die fremde Sprache, andererseits zugleich aber auch einen Einblick in die Kultur des Zielsprachenlandes zu vermitteln. Er sollte die kommunikative Kompetenz fördern und dazu beitragen, daß der Schüler die ihm im Unterricht begegnende fremde Welt besser versteht. In dieser Auseinandersetzung soll seine eigene Welt deutlichere Konturen annehmen. Von daher ist es sehr wichtig, im fremdsprachigen Unterricht Themen zu besprechen, die an die Lebenserfahrungen der Lernenden anknüpfen. Von Bedeutung ist einerseits die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz, aber nicht nur durch Nachahmen von Dialogen, sondern durch freies und eigenes Sprechen, und andererseits die Entwicklung der Lese- und Verstehensdidaktik. Diesen Bedürfnissen muß der heutige Fremdsprachenunterricht entgegenkommen. 3

Eine Möglichkeit dies zu erreichen, bietet der Einsatz von Literatur im Fremdsprachenunterricht. Verschiedene Aufgaben und Übungen können mit Hilfe literarischer Texte, die der Entwicklung der kommunikativen Kompetenz dienen sollen, gestellt werden. Literarische Texte geben den Schülern die Möglichkeit, eigene Erfahrungen miteinzubeziehen. Von diesen Grundgedanken ausgehend möchte ich mich in der vorliegenden Magisterarbeit mit dem Einsatz von Märchen und modernen Märchenbearbeitungen im Fremdsprachenunterricht beschäftigen. Hierbei stellen sich folgende Fragen: Wie ist es möglich Märchen im Fremdsprachenunterricht einzusetzen. Welche Übungsmöglichkeiten gibt es? Welche Ziele können durch den Einsatz dieser literarischen Gattung im Fremdsprachenunterricht erreicht werden? Welche sprachlichen und inhaltlichen Märchenmerkmale können dem Fremdsprachenlehrer als Ansatzpunkte bei der Vermittlung im Literatur- und Sprachunterricht dienen? Um dies zu erreichen möchte ich im ersten (theoretischen) Teil meiner Arbeit zunächst herausarbeiten, was wir unter einem Märchen verstehen, wie wir es definieren und welche Märchentypen existieren. Auch möchte ich knapp die wissenschaftliche Diskussion über den Ursprung der Märchen skizzieren. Als ein Beispiel dieser Volkserzählungen werde ich in diesem Teil das Märchen Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich auf Inhalt, Form und Stilistik hin analysieren, wobei ich mich besonders auf Lüthis Gattungsmerkmale des Märchens stütze. Im folgenden Kapitel stelle ich dar, auf welche Resonanz die Grimmschen Märchen heute stoßen und nenne einige Gründe für so zahlreiche Parodien, Witze und Märchenbearbeitungen. An konkreten Beispielen bekannter, gegenwärtiger Autoren wie Rolf Krenzer und Janosch möchte ich aufzeigen, wodurch sich diese Parodien und Neubearbeitungen von der Grimmschen Fassung unterscheiden und worin Ähnlichkeiten bestehen. Im zweiten, ebenfalls theoretischen Teil meiner Arbeit möchte ich mich mit dem Einsatz literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht von methodischer Seite her beschäftigen. Ich werde die Ergebnisse der Rezeptionsforschung und Response Theory skizzieren, welche die aktive Rolle des Schülers in den Mittelpunkt der Arbeit mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht gestellt haben. In diesem 4

Zusammenhang halte ich es für notwendig, die Eigenschaften eines literarischen Textes auf inhaltlicher und sprachlicher Ebene zu bestimmen. Außerdem stellt sich die Frage nach den Auswahlkriterien, die für die Wahl des Textes in Frage kommen. In den darauffolgenden Kapiteln möchte ich aufzeigen, welche Ziele mit dem Einsatz von Märchen im Fremdsprachenunterricht zu erreichen sind, denn nicht jeder literarischer Text eignet sich für jede Zielgruppe. Es ist sehr wichtig das Sprachniveau der Lernenden zu berücksichtigen. Deshalb möchte ich untersuchen, welche Textsorten für welches Sprachniveau geeignet sind. In diesem Zusammenhang stellt die Phasenbildung im Rahmen des Interpretationsgesprächs einen wichtigen Punkt dar. Im letzten Kapitel möchte ich darstellen, welche Arten der Aufgaben und Übungen zu den literarischen Texten unterschieden werden. Im sich daran anschließenden dritten (praktischen) Teil möchte ich einige Didaktisierungsvorschläge anbieten. Hier werde ich zeigen, welche Übungsmöglichkeiten das Märchen Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich und dessen moderne Bearbeitungen bieten. Als Ansatzpunkte im Fremdsprachenunterricht können der Inhalt und die Stilistik des Textes sowie seine Analyse dienen, die ich im ersten Teil der Arbeit herausgearbeitet habe. Ebenso können die Unterschiede und Ähnlichkeiten mit den modernen Versionen von Rolf Krenzer und Janosch im Unterricht bearbeitet werden. Ich möchte Unterrichtsvorschläge zu Grimms Originalfassung des Froschkönigs (für die Grundschule ab dem 4. Lernjahr und für Fortgeschrittene) und zu Rolf Krenzers Gedicht Der Froschkönig vorlegen. Die Übungsvorschläge werden nach der kommunikativen Methode ausgearbeitet. Dabei werden die Zielgruppe, die zu erreichenden Ziele, die Sozialformen und Unterrichtsmaterialien bestimmt. Den Unterrichtsverlauf möchte ich nach den, im zweiten Teil der Arbeit dargestellten Phasen zum Einsatz literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht gestalten. Die Unterrichtsvorschläge werden in Form einer Tabelle verfaßt und enthalten einen didaktischen Kommentar, in dem die zu erreichenden Ziele, Funktionen und Sozialformen im Fremdsprachenunterricht beschrieben werden. Dem Anhang habe ich Übungen für den Fremdsprachenunterricht beigefügt. 5

1 Märchen - Begriff, Ursprung, Typen 1.1 Zum Begriff: Märchen Zu Beginn der Arbeit erscheint es zunächst notwendig einen Überblick über Begriff, Definitionen und Merkmale von Märchen zu geben. Hierbei stütze ich mich insbesondere auf die Analysen des auf dem Gebiet der Märchenforschung verdienten Max Lüthi. Laut Lüthi sind Märchen, Märlein (mhd. maerlin) die Verkleinerungsformen zu Mär (ahd. Mari f.,mhd. Maere f. und n. Kunde, Bericht, Erzählung, Gerücht ). Unter maere wurde ursprünglich die Nachricht, die Antwort auf eine Frage, das Gerücht, eine Erdichtung, die Erzählung einer bemerkenswerten Begebenheit verstanden. Lüthi hebt jedoch hervor, daß sich die Bedeutung des Begriffs Märchen im Laufe der Zeit wandelte. Durch die Übertragung dieses Begriffes auf unwahre Geschichten bekam es zunächst einen negativen Anstrich. Erst mit der Entstehung der berühmten Feenmärchen, den Märchen aus Tausend und einer Nacht, dem literarischen Schaffen Herders und anderen Vertretern des Sturms und Drangs, den Märchensammlungen von Bechstein, den Brüdern Grimm, den Dichtungen der deutschen Romantiker und Andersens im 19. Jahrhundert hat sich die Bedeutung des Begriffs Märchen vom Negativen: Erzähl mir keine Märchen ins Positive: So schön wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht gewendet (Lüthi 1962: 1). Weiterhin stellt Lüthi fest, daß im Unterschied zum Deutschen, in dem das Wort Märchen eine konkrete Gattung bezeichnet und schärfer als in den meisten anderen Sprachen gegen Sage, Legende, Fabel, Novelle, Schwank abgegrenzt ist (ebd.: 2f.), dieser Begriff in anderen Sprachen auch andere, benachbarte Gattungen mit einschließt. 1 Im deutschen Sprachraum haben sich relativ feste Definitionen durchgesetzt, während in anderen europäischen und nicht europäischen Sprachen stärkere Schwankungen und Übergänge festzustellen sind (Brednich 1999: 254). 1.1.1 Definitionsprobleme Wenn wir selbst versuchen zu definieren, was ein Märchen ist, stellen wir fest, daß dies gar nicht so einfach ist. Obwohl wir diese Form der Dichtung von Kindheit an kennen, fällt es uns sehr schwer, das Märchen und seine Eigenarten zu bestimmen. 1 engl. folk tale oder legend ; fairy tale 6

Zunächst unterscheiden wir prinzipiell zwischen Kunst- und Volksmärchen. Unter Kunstmärchen verstehen wir im Allgemeinen Erzählwerke namentlich bekannter Autoren, die deren Inhalt individuell erfunden haben (z.b. Brentano, Puschkin). Im Gegensatz zu diesen erfundenen Märchen bezeichnen wir Erzählungen, die auf volkstümliches, anonymes Erzählgut zurückgehen und sich durch mündliche Überlieferung bewahrt haben, als Volksmärchen 2. Diese Märchen, zu deren Prototyp die Grimmschen Märchen gehören, sind das eigentliche Thema meiner Arbeit. Bei genauerer Betrachtung der Märchendefinitionen stellt sich heraus, daß eine richtige auch den Fachleuten große Schwierigkeiten bereitet. Viele Definitionen wurden verfaßt, jedoch läßt sich an jeder etwas aussetzen, immer wurde etwas Entscheidendes vergessen (Hetmann 1999: 13). Zum Begriff des Märchens gehört, daß es von Mund zu Mund und von Volk zu Volk weitergegeben wurde. Eng mit dem Begriff Märchen, sowohl des Kunst- als auch des Volksmärchens, sind Zauber, Wunder, Übernatürliches verbunden, wie es zahlreiche Definitionsversuche bezeugen. Bolte/Polivka definieren das Märchen wie folgt: Unter einem Märchen verstehen wir seit Herder und den Brüdern Grimm eine mit dichterischer Phantasie entworfene Erzählung besonders aus der Zauberwelt, eine nicht an die Bedingungen des wirklichen Lebens geknüpfte wunderbare Geschichte, die hoch und niedrig mit Vergnügen anhören, auch wenn sie diese unglaublich finden (Bolte/Polivka 1992: 4). Laut dieser Begriffsbestimmung steht das Märchen in einem engen Zusammenhang mit Zauber. Sie gibt jedoch keinen Hinweis auf die Form, die Sprache und den Stil des Märchens. Stith Thompson definiert das Märchen als: [...] eine Geschichte von einiger Länge, die eine Folge von Motiven oder Episoden umfaßt. Es spielt in einer unwirklichen Welt ohne bestimmte Orte oder Charaktere und ist erfüllt vom Wunderbaren. In dem Nie- und Nirgendsland töten Helden ihre Feinde, erben Königreiche und heiraten Prinzessinen (Thompson zitiert nach: Hetmann 1999: 14). Thompsons Definition enthält also einen Hinweis auf den Inhalt (Motive und Episode) des Märchens. Aber auch daran läßt sich einiges aussetzen. Es geht nicht immer um Prinzessinnen, Heiraten und Königreiche. Die Ansicht, daß die Märchenhelden keine franz. legende, conte de fees (Zipes 1992: 23). 2 Zu einer ausführlicheren Definition des Kunstmärchens, sowie der Märchen im Allgemeinen siehe auch Metzler Literatur Lexikon 7