Im Ausland sind Koalitionen Pflicht

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Transkript:

Informationen aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln Tarifsysteme 04.12.2014 Lesezeit 3 Min Im Ausland sind Koalitionen Pflicht Die komplizierten Tarifverhandlungen der Bahn mit den konkurrierenden Gewerkschaften EVG und GDL haben das IW Köln veranlasst, einmal über den deutschen Tellerrand hinauszuschauen wie handeln Arbeitgeber und Gewerkschaften anderswo Löhne und Arbeitsbedingungen aus? Gibt es dort einen Zwang zur Tarifeinheit?

Das Miteinander von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Betriebsräten ist in vielen Ländern gesetzlich geregelt. Das erleichtert die Tarifverhandlungen, denn Gesetze geben die Spielregeln vor. Es wird zum Beispiel festgelegt, wie zu verfahren ist, wenn mehrere Gewerkschaften in einem Betrieb für dieselbe Arbeitnehmergruppe Tarifverträge aushandeln wollen. Geregelt wird auch, wann der Gesetzgeber den Geltungsbereich eines Tarifvertrags auf Nichtbeteiligte ausweiten kann und welche Regeln bei Arbeitskämpfen gelten.

Nicht festgelegt ist, ob Tarifverhandlungen auf Unternehmens-, Branchen- oder gesamtwirtschaftlicher Ebene stattfinden müssen. Das können die Verhandlungspartner also selbst entscheiden. Während Deutschland insbesondere auf Branchentarifverträge setzt, arbeiten andere Industrieländer öfter mit Mischsystemen: Firmentarifverträge. Sie spielen in praktisch allen Ländern eine wichtige Rolle. In Kanada und den USA werden Tarifverhandlungen fast ausschließlich auf dieser Ebene geführt. In Japan gibt es sogar mehr als 26.000 Betriebsgewerkschaften, die zwar nur in einzelnen Betrieben verhandeln, sich aber auf der Branchenebene über Dachverbände koordinieren. In keinem anderen Land sind die Verhandlungen ähnlich stark dezentralisiert. Aber auch in Deutschland verhandeln Gewerkschaften mit Konzernleitungen etwa bei Volkswagen, der Bahn und Lufthansa über die Arbeitsbedingungen ihrer

Mitglieder. Branchentarifverträge. Sie finden sich häufig in Australien, Deutschland, Frankreich, Italien und selbst in Japan. In Frankreich und Deutschland sind die Branchentarifverträge zum Teil noch regional differenziert, etwa im Handel oder im Gastgewerbe. Gerade in Deutschland werden Branchentarifverträge auch als Flächentarifverträge bezeichnet, weil die Abschlüsse für verschiedene Regionen ähnlich oder identisch ausfallen. An diesen Branchen- oder Flächentarifverträgen hatte sich hierzulande in den 1990er Jahren eine intensive Diskussion entzündet. Die Unternehmen empfanden sie als zu starr. Im Laufe der Debatten wurde der Flächentarifvertrag dann schrittweise durch Öffnungsklauseln flexibilisiert. Seit dem Pforzheimer Abkommen im Jahr 2004 dürfen etwa Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie in Absprache mit Vertretern der Arbeitnehmer zum Beispiel Betriebsräten für eine gewisse Zeit von zentral ausgehandelten Tarifnormen abweichen. Dieses Verfahren hat sich als sehr effizient erwiesen und in Krisenzeiten Arbeitsplätze gesichert. Wie viele Arbeitnehmer aber fallen überhaupt unter einen Tarifvertrag? Eine Recherche des IW Köln zeigt, dass das von Land zu Land sehr verschieden sein kann. Demnach ist die Tarifbindung der Beschäftigten in Deutschland mit etwa 60 Prozent höher als in den angelsächsischen Ländern und in Tschechien, aber niedriger als in Frankreich oder Italien. Allerdings hängt der Anteil der tarifgebundenen Beschäftigten auch stark von der Branche ab (Grafik). Nach einer Faustformel sind Tarifverträge in nicht marktbasierten Dienstleistungsbereichen also etwa im öffentlichen Dienst in den meisten Ländern weit verbreitet. In der Land- und Forstwirtschaft sowie im marktbasierten Servicebereich zum Beispiel bei unternehmensnahen Dienstleistern fallen dagegen nur sehr wenige Beschäftigte unter einen Tarifvertrag. Die über alle Branchen hinweg hohe Tarifbindung in Frankreich und Italien lässt sich damit erklären, dass dort der Staat den Geltungsbereich von Tarifverträgen ausweitet. Zum einen werden Tarifverträge oft für allgemeinverbindlich erklärt sie gelten also

für alle Betriebe einer Branche (Grafik). Zum anderen werden Tarifverträge auf nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer übertragen (Erga-Omnes-Regelungen). Bleibt die Frage, wie einzelne Staaten mit konkurrierenden Tarifverträgen umgehen. In Polen können zwar mehrere Gewerkschaften Tarifverhandlungen führen, sie müssen dies aber gemeinsam tun. Der Abschluss konkurrierender Tarifverträge in einem Betrieb oder einer Branche durch verschiedene Gewerkschaften ist nicht möglich. In Frankreich dürfen nur Gewerkschaften Tarifverträge abschließen, die einzeln oder gemeinsam mindestens 30 Prozent der Stimmen bei den Betriebsratswahlen gewonnen haben. Dies führt dazu, dass die Gewerkschaften Koalitionen bilden müssen. Gewerkschaften, die eine Mehrheit der Arbeitnehmer vertreten, können gegen Tarifverträge von Minderheitsgewerkschaften Einspruch erheben. Kernaussagen in Kürze: Das Miteinander von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Betriebsräten ist in vielen Ländern gesetzlich geregelt. Während Deutschland insbesondere auf Branchentarifverträge setzt, arbeiten andere Industrieländer öfter mit Mischsystemen. Nach einer Faustformel sind Tarifverträge in nicht marktbasierten Dienstleistungsbereichen also etwa im öffentlichen Dienst in den meisten Ländern weit verbreitet.