Predigt zu Ps 73,28 (Gott nahe zu sein, ist mein Glück) Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! (2. Kor 13,13) Liebe Festgemeinde, Gott nahe zu sein, ist mein Glück. ein Satz aus der Bibel, ein Psalmwort, in der Formulierung der Einheitsübersetzung: unsere diesjährige Jahreslosung. Viele von Ihnen haben sich vielleicht schon mal zu Beginn des Jahres Gedanken zu diesem Satz gemacht. Ich auch. Und ich habe es jetzt noch mal für uns getan. Zu Beginn des Jahres gab es im Fernsehen eine berührende Dokumentation über das Thema Glück. Verschiedenste Menschen an verschiedensten Orten wurden gefragt, ob sie glücklich sind, was sie glücklich macht oder was ihnen zum Glück fehlt. Die Unglücklichen wurden gefragt, was sie tun, um glücklicher zu werden. Was waren die Antworten? Für manche der Befragten bedeuteten die Kinder das Glück, Familie, glücklich verheiratet sein, Beziehung, Freunde, den richtigen Beruf haben, eine Aufgabe haben, eine Gemeinschaft haben, dazu gehören. Was mich besonders berührte, waren die Antworten von Menschen in einer
Kinderkrebsklinik. Ein Ort, an dem man das Glück nicht auf den ersten Blick vermutet. Und doch fanden sich dort Menschen, die glücklich waren, die dort zumindest Momente des Glücks erlebten, viele natürlich, die Sehnsucht nach dem Glück hatten, das schon mal da war, das aber erst durch die Krankheit so richtig als Glück erkannt wurde: Gesundheit, Normalität, Alltag. Das, was früher selbstverständlich war - zu Hause sein können - oder was man früher gar nicht mal so sehr schätzte - in die Schule gehen - oder was für einen pubertierenden Jugendlichen sogar ätzend war - Sonntag früh mit der Familie am Frühstückstisch sitzen, mit der nervigen kleinen Schwester - das ist jetzt plötzlich, in der Situation der Krankheit, erstrebenswert. Das bedeutet jetzt Glück. Glück, das war für alle Befragten, ob im Krankenhaus oder auf der Straße, nichts Oberflächliches, nichts, was man sich mit Geld kaufen kann, sondern etwas, von dem man wusste: Es ist nicht selbstverständlich. Es kann auch zerbrechen. Die Antwort, die nicht vorkam, war: Gott nahe zu sein, ist mein Glück. Das mag daran liegen, dass nicht an den richtigen Orten gefragt wurde. Nachdem ich zugesagt hatte, in diesem Gottesdienst zur Jahreslosung zu predigen, habe
ich im Klinikum immer mal wieder Menschen dazu gefragt, und zwar vor allem glaubende Menschen, Christen. Vier Antworten und Reaktionen möchte ich Ihnen heute erzählen: Eine Frau z.b. mit einer schweren Krebserkrankung erzählte, wie sie vor der OP im Bett lag, mit Blick aus dem Fenster, und sie hatte das gewisse Gefühl: Egal, was passiert, es wird gut sein, wie es ist. Ich bin in Gottes Hand. Gott ist mir nahe. Da war ein Moment tiefsten Vertrauens und völligen Einverstandenseins mit dem, was ist. Und das war für sie auch irgendwie Glück. / Eine andere Frau mit einem Tumor im Kopf sagte (am Tag vor der OP): Ich bin ein glücklicher Mensch. Ich bete jeden Tag zu Gott. Gott hört mir immer zu. Er hat immer ein offenes Ohr für mich. Er hat mir immer geholfen. Neun Operationen hatte die Frau schon hinter sich. Und gut überstanden. Und diese würde sie auch gut überstehen. Darauf vertraute sie. Auch für sie stimmte dieser Satz. Statt zu fragen Was hab ich dem lieben Gott nur getan, dass ich so leiden muss?, war sie dankbar, dass er immer wieder half. / Eine andere Frau hingegen, begann zu weinen, als ich sie fragte. Und sie erzählte von ihrer Angst: Sie kann nicht mehr allein in ihrer Wohnung bleiben. Sie war ja schon bereit, ins Heim zu gehen. Aber sie hatte Angst, dass sie nicht mal ein kleines Zimmerchen mehr für sich allein haben würde. Ob diese Angst realistisch war oder nicht, konnte ich in diesem Moment nicht beurteilen. Die Bedingung des Glücks war
für diese Frau im Grunde recht bescheiden: ein kleines Zimmer für sich allein, wo sie die Tür hinter sich zu machen und ungestört für sich sein kann. Und es war offensichtlich, dass sie in dieser ungewissen Situation nicht sagen konnte: Gott nahe zu sein, ist mein Glück. Nein, vielmehr war für sie die Nähe Gottes in diesem Moment ihres Lebens fraglich: gebrechlich, wie sie war, angewiesen auf Hilfe, von ihren Angehörigen anscheinend nicht richtig Ernst genommen. Sie müssen wissen, liebe Schwestern und Brüder, dass dieser Satz Gott nahe zu sein, ist mein Glück. aus dem Zusammenhang gerissen ist. Im Zusammenhang des 73. Psalms kann man sehen, wie sehr auch dieser Mensch zuerst gehadert hat: Wie kann es sein, dass die Gottlosen erfolgreich sind, gesund und ein glückliches Leben haben? Menschen, die ohne Rücksicht auf Gottes Gebote ihren Vorteil suchen, deren Herz überläuft von bösen Plänen, die von oben herab reden und voller Anmaßung und Hochmut sind. Und er selbst, der, wie er sagt, sein Herz rein hielt und seine Hände in Unschuld wusch, er wurde täglich geplagt.... Wir erfahren nicht, worin diese Plagen bestanden. Aber wir erfahren, dass der Beter fast verzweifelt wäre. Fast hätte er Gott verraten. Da sann ich nach, um das zu begreifen; es war eine Qual für mich, bis ich dann eintrat ins Heiligtum Gottes und begriff, wie sie enden. Der Beter wendet sich nicht ab von Gott, sondern er wendet sich Gott zu, indem er ins
Heiligtum eintritt. Und schließlich begreift er, wie flüchtig und wie wenig tragfähig manches scheinbare Glück ist. Er selbst hingegen so hat er erkannt - hat ein beständiges Glück. Er hat Gott auf seiner Seite. Er beschließt, von jetzt ab, fest mit Gott zu rechnen, selbst mitten im Unglück. Die Erkenntnis Gott nahe zu sein, ist mein Glück. steht nicht am Anfang, sondern am Ende, nach einem langen Prozess der Auseinandersetzung, auch des Haderns, auch der Verbitterung. Vielleicht hat es Jahre gedauert... Manchmal ist ein solcher Satz im Kopf. Und ich stimme ihm auch zu. Aber der Weg vom Kopf ins Herz kann lang sein. Dazwischen steht das Leid, das mich getroffen hat, der Blick zum anderen, dem es scheinbar besser geht als mir, und eine große Sehnsucht, die mich umtreibt. Aber zu guter Letzt wendet sich der Sinn des Beters, und das ist nichts, was wir selber machen können, sondern das ist Geschenk, dass er schließlich aus tiefstem Herzen sagen kann: Ich aber bleibe immer bei dir, du hältst mich an meiner Rechten. Du leitest mich nach deinem Ratschluss und nimmst mich am Ende auf in Herrlichkeit... Gott nahe zu sein, ist mein Glück. Wir haben gehört, dass Menschen etwas oft erst als Glück ansehen können, wenn sie begriffen haben, dass es nicht selbstverständlich ist. So ist es auch mit der Nähe zu Gott. Der Beter des 73. Psalms hatte lange Zeit das Gefühl, Gott fern zu
sein, von Gott verlassen zu sein, im Stich gelassen worden zu sein. Und plötzlich wendet sich sein Sinn, sein Herz, sein Gefühl. Plötzlich begreift er, dass es ein Glück ist: in der Gegenwart Gottes leben zu dürfen, Gott nahe zu sein, gerade angesichts der Tatsache, dass er es auch schon anders erlebt hat. Dass sich sein Herz wendet, das ist nicht sein eigenes Werk. Aber dass er nachdenkt, dass er in den Tempel geht, dass er sich Gott zuwendet, statt ihm den Rücken zu kehren, dass er mit ihm redet, statt sich über ihn zu beklagen, das ist etwas, das er selbst machen kann, das wir selbst machen können, auch mitten im Unglück. Eine junge Frau, die als Patientin in unsere Gottesdienste im Raum der Stille gekommen war und jetzt, nach ihrer Entlassung, weiter kommt, blieb auf meine Frage auf dieses Bibelwort hin eigenartig stumm. Sonst war sie immer sehr aufgeschlossen, obwohl sie nicht christlich aufgewachsen war, oder vielleicht gerade darum, war sie interessiert an der Bibel und an den Fragen des Glaubens. Aber mit diesem Satz Gott nahe zu sein, ist mein Glück. konnte sie überhaupt nichts anfangen. Im Nachdenken über diese Frau hatte ich die wichtigste Erkenntnis im Zusammenhang des Themas: dass es nämlich Menschen braucht, die solchen Menschen von Gott erzählen. Mich, ja, auch die professionelle Krankenhausseelsorgerin, die sich des Glückes
bewusst ist, dass Gott mit ihr ist in jeder Begegnung; die ihren Dienst in der Gewissheit tut, dass sie nicht allein ist, sondern im Bunde mit der Macht des Lebens. Auch angesichts von Unbegreiflichem, kaum Erträglichem, vertraue ich darauf (meistens jedenfalls), dass diese Macht, die unser begrenztes Leben übersteigt, uns nah ist, näher als unsere eigene Haut, in jedem Atemzug, und uns letztlich trägt. Und auch Sie braucht es, berufliche und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Caritas und Diakonie, um hinter einem verständnisvollen Blick, einem zarten Streicheln, einem innigen Händedruck, Gottes Händedruck ahnen zu lassen, Gottes Streicheln, Gottes Blick. Sie alle braucht es, Christinnen und Christen verschiedenster Konfession in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen des Alltags, die um das Glück der Nähe Gottes wissen, denen man das abspürt und die davon erzählen, unaufdringlich, aber mit offenem Herzen. Manchmal ist es schwer. Da geht es uns selbst so, wie dieser Frau, von der ich erzählt habe, die in ihrer Angst zu weinen begann: wenn eine Traurigkeit drückt, wenn wir erschöpft sind, wenn zu wenig Personal da ist, wenn Sie genau wissen, was Ihre Schützlinge brauchen und Sie es ihnen nur allzu gern geben wollen, Sie es aber in der bestehenden Struktur einfach nicht stemmen können und Sie das Gefühl haben, dass Ihre Hilferufe nicht gehört werden.
Und auch dann gibt es den Weg, den der Beter des 73. Psalms und viele andere Beter vor uns gingen: Gott in den Ohren liegen, es ihm klagen, es ihm ans Herz legen. Und letztendlich darauf vertrauen: Ich tue, was ich kann. Und was meine Möglichkeiten übersteigt, das überlasse ich dir, Gott, der du nahe bist, der du mehr Kraft und mehr Möglichkeiten hast als ich. Nicht allein die Glaubensgewissheit, sondern gerade auch das Ringen, die Nachdenklichkeit, die Erfahrung, dass uns die Gewissheit auch abhanden kommen kann, macht uns glaubwürdig und einladend. Das ist jedenfalls meine persönliche Erfahrung. Und nun möchte ich Sie einladen, mit mir zusammen einzustimmen in den Schluss des 73. Psalms, so wie ihn Martin Luther übersetzt hat. Vielleicht kann ihn der eine oder die andere zuerst nur mit dem Mund sprechen, aber wir tun es doch in der Hoffnung, dass das Herz nachfolgt:... (EG 733) Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.