Tara Brach EINFÜHRUNG IN DIE. Meditation

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Transkript:

Tara Brach EINFÜHRUNG IN DIE Meditation

Inhalt Ein Geschenk an die Seele 9 1. Der Anfang 10»Das Wichtigste ist, sich an das Wichtigste zu erinnern«12 Die heilige Pause 12 Übung: Sich an das Wichtigste erinnern 14 2. Die vier edlen Wahrheiten 16 Unzufrieden mit der Wirklichkeit 17 In der Trance der Kontrolle 18 Freiheit ist möglich 19 Es gibt einen Weg 20 3. Der Weg 23 Die innere Haltung 24 Einen geeigneten Rahmen schaffen 25 Unterstützung für die Praxis geschickte Mittel 28 Körperpräsenz mit wachen Sinnen 29 Einen Anker wählen 30 Zurückkommen 30 Hier sein 32 Beim Atem ankommen 33 Meditation: Beim Atem ankommen 34 Erkennen und zulassen 36 Häufig auftretende Schwierigkeiten 38 Der Buddha in uns 41 4. Im Körper zu Hause sein 44 Das Leben so wahrnehmen, wie es ist 45 Schmerz ist unvermeidlich, Leiden nicht 46 Meditation: Sich dem Leben im Körper öffnen 47 Lieben, was ist 51 5. Von der Welle zum Ozean 52 Die zwei Flügel des Erwachens: weises Verstehen und Mitgefühl 53 Wie entsteht Leiden? 54 Evolutionär sinnvolle Verhaltensmuster 55»Mit mir stimmt etwas nicht«56 Von den Wellen zum Ozean finden 58 Meditation: Von den Wellen zum Ozean finden 61 Wenn die Welle weiter ansteigt 66 Ein Ausdruck dessen, was wir wirklich sind 67 4 5

6. Erwachen aus der Trance der Gedanken 69 Das Gefängnis ist offen 69 Die Gedanken bemerken 70 Übung: Die Art der Gedanken bemerken 71 Gedanken und Wirklichkeit 73 Übung: Der Unterschied zwischen Denken und Lebendigkeit 75 Gedanken als Auslöser für Stimmungen 76 Übung: Das eigene Denken erforschen 77 Wahrnehmen und aufwachen 79 Meditation: Der innere Raum 81 Sich des Denkens im Alltag bewusst werden 83 Meditation: Ja sagen zu dem, was ist 86 7. Meditation im Alltag 90 Eine Fülle von Methoden 91 Bewusstheit ist immer möglich 92 Verbindlichkeit mit Hintertür 93 Gemeinsam geht s leichter 95 Entspannt und neugierig 95 Die informelle Praxis den Ball da weiterspielen, wo er hingefallen ist 97 Innehalten und den Körper spüren 98 Eins nach dem anderen tun 99 Das Leben trotz Stress wahrnehmen 100 8. Das Herz erwecken 103 Hinter die Maske schauen 104 Eine Frage der Perspektive 104 Uns aus der Spur bringen lassen 105 Die Alchemie des Mitgefühls 108 Meditation: Durch die Augen eines anderen schauen 109 Das Gute im anderen erkennen 112 Mitgefühl mit sich selbst 113 Meditation der Herzensgüte 114 9. Die Früchte des Erwachens aus der Trance 121 Verbundenheit, Lebendigkeit und Transparenz 122 Hinweise für das Aufrechterhalten der Meditationspraxis 124 Über die Autorin 126 Weitere Quellen zum Thema Meditation 127 6 7

Ein Geschenk an die Seele Das Wichtigste ist, sich an das Wichtigste zu erinnern. Alte Weisheit aus dem Zen-Buddhismus»Allein, mir diese Zeiten der Stille zu nehmen, ist für meine Seele ein Geschenk«, sagte kürzlich ein Teilnehmer meiner Kurse. Viele Menschen wenden sich heutzutage der Meditation zu, um innerlich zur Ruhe zu kommen. Aus dem Hamsterrad unserer unermüdlichen Geschäftigkeit herauszutreten, unser ständiges Streben nach irgendetwas anzuhalten, ist vielleicht wirklich eines der größten Geschenke, das wir unserer Seele machen können. Meditation unterstützt uns darin, über unser konditioniertes, gewohntes Denken hinauszuwachsen und die weite, strahlende Natur unserer natürlichen Bewusstheit und Präsenz zu erleben. Sie ist ein Weg zurück zu uns selbst. Auf den folgenden Seiten finden Sie alles, was Sie für erste Erfahrungen mit Meditation brauchen: Informationen, Inspirationen und konkrete Anleitungen. Gehen Sie es mit entspanntem Interesse an und widmen Sie sich den Übungen und Meditationen mit dem Ernst, der Leichtigkeit und der Ausdauer eines neugierigen Kindes. Seien Sie geduldig mit sich. Der Weg zu mehr Offenheit und innerer Freiheit erschließt sich leichter, wenn er mit einer entspannten, freundlichen Haltung begangen wird. 8 9

Der Anfang 1. Der Anfang Meditation lässt sich als eine Art Geistestraining beschreiben, das dazu dient, aus unserer eingeschränkten Wahrnehmung aufzuwachen und die umfassendere Natur der Wirklichkeit, unser innerstes Wesen, zu erkennen. Ich verwende gerne den Ausdruck: Meditation offenbart unsere innere Güte, unsere Buddha-Natur. Durch die Praxis der Meditation finden wir im Lauf der Zeit immer mehr zurück nach Hause zu einer Ganzheit des Seins und erkennen unsere natürliche Weisheit und unser natürliches Mitgefühl. Dieses Nach-Hause- Zurückkehren wird individuell unterschiedlich empfunden: Manche nehmen es als ein tiefes Entspannen in einen inneren Frieden hinein wahr, bei anderen zeigt es sich als ein Zustand grundlosen Glücksgefühls, und für wieder andere ist es die Freiheit des Herzens, rückhaltlos zu lieben. Durch die Praxis der Meditation werden wir immer mehr fähig, dem Leben zu dienen und es gleichzeitig auszukosten. Ist das nicht eine wundervolle Kombination: zu dienen und zu genießen? Es gibt eine große Bandbreite an Meditationsmethoden. Alle großen spirituellen Wege kennen Formen der Versenkung in die unendliche Präsenz, in die all unsere Erfahrungen eingebettet sind. In dieser Einführung stelle ich die buddhistische Meditation vor. In der buddhistischen Tradition gibt es grundsätzlich zwei Kategorien von Meditationsmethoden: ZZ ZZ Den Weg der Stille, bei dem die Praktizierenden üben, die Aufmerksamkeit auf einen Punkt zu fokussieren, zum Beispiel auf den Atem an der Nase oder beim Heben und Senken der Bauchdecke. Der Fokus wird immer wieder zu diesem Punkt zurückgeholt, bis der Geist zur Ruhe kommt. Den Weg der Einsicht. Statt den Geist auf einen Punkt zu konzentrieren, wird bei diesem Ansatz das Gewahrsein geöffnet. Die Einsichts-Meditation zielt darauf ab, mit dem Leben so zu sein, wie es ist, und in dieser Präsenz Einsicht in die Natur der Wirklichkeit zu gewinnen. Ich möchte Sie hier in diese Einsichts-Meditation einführen, die auch Vipassana genannt wird. Vipassana ist das Pali-Wort für Einsicht oder klares Sehen. Die Konzentration spielt auch hier als Hilfsmittel eine Rolle. 10 11

»Das Wichtigste ist, sich an das Wichtigste zu erinnern«diese Weisheit aus der Tradition des Zen-Buddhismus beschreibt den allerersten Schritt in die Meditation: langsamer werden und sich überlegen: Was ist mir wirklich wichtig? Allein, indem wir uns diese Frage stellen, fangen wir an, zu uns selbst zurückzufinden. Der erste Schritt ist, sich seiner inneren Absicht, seiner Ausrichtung, bewusst zu werden. Was ist mein dringendstes Herzensanliegen? Wenn wir damit verbunden sind, kann sich der Prozess auf wundervolle Weise entfalten. Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen: Wenn ich geschäftig bin, bin ich nicht besonders feinfühlig. Ich kann mich zwar konzentrieren, aber es fehlt mir eine gewisse Sensibilität. Um wirklich präsent zu werden, innezuhalten, hier zu sein, bedarf es einer inneren Entscheidung. Wir beginnen diesen Weg deshalb mit der Frage: Bin ich bereit, innezuhalten? Bin ich bereit, mir jetzt und hier Raum zu geben, um zu mir zu kommen, um gegenwärtig zu sein? Der Weg der Meditation erfordert die Bereitschaft, innezuhalten und aus unserer Geschäftigkeit herauszutreten, damit sich unser Herz wieder frei öffnen kann. Die heilige Pause Echte Gegenwärtigkeit ist nur zu erreichen, wenn wir bereit sind, innezuhalten. Das ist der zweite Schritt. Wir neigen dazu, rastlos durch unseren Alltag zu eilen, immer auf dem Weg zu dem, was als Nächstes kommt. Ist Ihnen schon aufgefallen, wie oft wir innerlich mehr bei dem sind, wo wir gerade hinwollen, als bei dem, wo wir gerade sind? Wir leben in einer stark beschleunigten Kultur. Unser Geist und unser Körper sind ständig in Bewegung. 12 13

Spüren Sie ganz bewusst: Ich mache jetzt Pause. Nehmen Sie sich Zeit, anzukommen, zurückzukehren zu Ihrem eigentlichen Sein. Und spüren Sie dann den Fragen nach: Was ist wirklich wichtig für mich? Was ist mir in meinem Leben wichtig? Was ist mir an der Meditation wichtig? Was bringt mich dazu, mich damit zu beschäftigen? Und lauschen Sie dann nach innen, als ob Sie Ihrem Herzen zuhörten. Was liegt mir zutiefst am Herzen? Übung: Sich an das Wichtigste erinnern Sobald Sie diese Übungsanleitung durchgelesen haben, legen Sie das Buch einen Moment zur Seite und schließen die Augen. Setzen Sie sich aufrecht und entspannt hin. Nehmen Sie sich etwas Zeit, Ihren Körper zu spüren. Das aufrechte Sitzen unterstützt uns darin, aufmerksam und wach zu sein. Achten Sie jedoch darauf, sich nicht zu verkrampfen. Die Wirbelsäule ist aufrecht, das Kinn etwas zurückgenommen, die Schultern können sich nach hinten und unten entspannen. Entspannen Sie sich in das hinein, womit Sie dabei in Berührung kommen. Verweilen Sie dort in entspannter Aufmerksamkeit. Seien Sie sich bewusst, dass Sie hier sind, genau hier. Nehmen Sie sich zum Schluss noch einen Moment Zeit, dem Wert dieses Innehaltens, dieser heiligen Pause, nachzuspüren. 14 15

Die vier edlen Wahrheiten 2. Die vier edlen Wahrheiten Den größten Teil unseres Alltagslebens verbringen wir wie in einer Trance. Wir sind zielorientiert oder angstgetrieben und nicht bei uns selbst. Mit Hilfe der Meditationspraxis können wir uns daran erinnern, wer wir wirklich sind. Wer schaut gerade durch diese Augen? Wer hört gerade diese Geräusche? Wir tauchen in eine wache, innere Stille ein, einen Raum der Bewusstheit, in all das, was nur hier und jetzt zu erfahren ist. Die Legende berichtet davon, wie der Buddha sich kurz nach seiner Erleuchtung auf den Weg machte, anderen seine Erkenntnisse mitzuteilen. Die Menschen staunten über seine außergewöhnliche Ausstrahlung und seine friedvolle Präsenz und fragten ihn, wer er sei.»seid Ihr ein himmlisches Wesen oder ein Gott?Nein«, antwortete der Buddha.»Seid Ihr ein Heiliger oder Weiser?«Wieder verneinte der Buddha.»Seid Ihr eine Art Magier oder Zauberer?Nein.Aber was seid Ihr dann?«der Buddha antwortete:»ich bin erwacht.buddha«bedeutet»der Erwachte«. Meditation ist der Weg des Erwachens zu dem, was wir in unserer Essenz sind. Der Buddha fasste diesen Weg auf sehr elegante und einfache Weise in seinen berühmten vier edlen Wahrheiten zusammen. Sie erzählen von der Realität des Leidens und der Möglichkeit der Befreiung vom Leiden. Diese vier edlen Wahrheiten sind auch heute noch für jeden von uns unmittelbar nachvollziehbar. Jeder von uns kann intuitiv spüren, dass es möglich ist, freier, liebevoller und wacher zu sein. Unzufrieden mit der Wirklichkeit Die erste der vier edlen Wahrheiten erkennt an, dass Existenz Leiden ist und wir das Leben anders haben wollen, als es ist. Und in jedem Moment, in dem wir etwas anderes wollen als das, was ist, entsteht ein gewisses Ausmaß an Leiden. Wir kämpfen gegen die Realität an. Das kann von allgemeiner Verdrossenheit bis zu dramatischer Auflehnung reichen. Die erste der vier edlen Wahrheiten bezieht sich auf die weit verbreitete Unzufriedenheit, die sich bei vielen Menschen in Form von Rastlosigkeit zeigt, als eine Unruhe, die es ihnen schwer macht, im gegenwärtigen Moment zu verweilen. Es kann eine große Erleichterung sein, sich bewusst zu machen, dass wir alle naturgemäß dazu neigen, mit der Wirklichkeit im Unfrieden zu sein, uns Sorgen zu machen, deprimiert zu sein oder gegen die Realität anzukämpfen. Wir brauchen dies nicht mehr als persönliche Schwäche anzusehen, son- 16 17

dern können es eher als eine Gegebenheit annehmen, mit der sich alle Menschen auseinandersetzen müssen. In der Trance der Kontrolle Die zweite der vier edlen Wahrheiten benennt die Ursache des Leidens. Wir wollen das Angenehme festhalten und mehr davon haben. Das Unangenehme hingegen versuchen wir wegzudrängen oder zu ignorieren. In den meisten Lebenssituationen gibt es Angenehmes und Unangenehmes. Wir versuchen also, meistens unsere Erfahrung zu manipulieren und zu kontrollieren. Nur sehr selten wollen wir das Leben einfach so sein lassen, wie es ist. Ich bezeichne dieses chronische Kontrollbedürfnis als Trance, in der buddhistischen Lehre wird es auch als Schlafzustand, aus dem es zu erwachen gilt, beschrieben. Wenn wir ständig damit beschäftigt sind, zu steuern und zu manipulieren, können wir das Leben nicht klar erkennen und nicht bei uns selbst ankommen. Der unablässige, aber vergebliche Versuch, unsere Erfahrungen zu kontrollieren, führt dazu, dass wir uns auf ganz persönliche Weise unzulänglich fühlen. Nicht nur, dass irgendetwas fehlt oder nicht richtig ist, sondern mit mir ist etwas nicht richtig. Ich bin irgendwie unzulänglich, mangelhaft. Und dann rackern wir uns ab, um uns zu verbessern, um»richtig«zu werden. In unserer Unzufriedenheit mit dem, wie die Dinge sind, sind wir nicht zu Hause in der Welt, nicht zu Hause bei uns selbst. Aus meiner Sicht ist unser Leiden letztendlich Heimweh. Überprüfen Sie es selbst, indem Sie sich hin und wieder fragen: Bin ich jetzt, in diesem Moment, in diesem Körper zu Hause, in diesem Herzen, in dieser Person? Freiheit ist möglich In der Waldorfschule meines Sohnes hörte ich die Geschichte von einer Kunstlehrerin, die ihre Erstklässler in kleinen Gruppen an Tischen malen ließ. Ein Mädchen schien besonders eifrig bei der Sache zu sein. Die Lehrerin stellte sich hinter sie und fragte, was sie denn male.»ich male Gott«, antwortete die Kleine, in ihr Werk vertieft. Die Lehrerin lächelte und sagte:»aber Süße, niemand weiß, wie Gott aussieht.«doch ohne auch nur den Stift abzusetzen oder den Kopf zu heben, antwortete die Kleine:»Wenn ich fertig bin, wissen sie s.«18 19