Regionalforum Arbeitsmedizin 20. Mai 2011 Einbindung der Betriebsärzte in den Rehaprozess-Kasuistik aus einem Chemiebetrieb Dr. Michael Sehling, Schwetzingen
Chemiearbeiter K.L. Geburtsjahr 1957 Eintrittsdatum: 06.12.1976 Mittelständisches Chemieunternehmen ca. 550 Mitarbeiter, 50 % davon in der Produktion Tochterunternehmen eines Großkonzerns
Beschäftigt im Betrieb Schmelze/Spezialprodukte als Schichtführer. Stark mechanisierter Chemiebetrieb, weniger chemische Prozesse, Herstellung von Zusatzstoffen für die Gummiindustrie. Gelernter Bäcker
Erste längere AU-Zeit ab 24.05.2006 Mitteilung der LVA, Baden-Württemberg vom 06.07.2006: Stufenweise Wiedereingliederung mit Beginn 17.07. 30.07.2006 mit 3 Stunden täglich von der Rehabilitationsklinik empfohlen.
Termin am 10.07.2006 beim Betriebsarzt Diagnose Bandscheibenschaden 4-wöchiger Aufenthalt in Bad Krozingen, Rehaklinik Beginn der Wiedereingliederung mit 4 Stunden, Abschluss am 14.08.2006 mit vollschichtiger Wiederaufnahme der Tätigkeit. Seit 01.10.2007 50 % Schwerbehinderung
,,Ruhendes Arbeitsverhältnis nach 125 SGB III seit 01.05.2008 Nachricht durch Personalabteilung, dass das Integrationsteam zusammentreten soll. Dies geschieht am 08.12.2008 Votum: Keine Wiedereingliederung aus gesundheitlicher Sicht zur Zeit möglich.
17.02.2009 Brief des Anwalts von K.L., ein runder Tisch wird gewünscht. Dies wird von der Personalabteilung abgelehnt, mit dem Hinweis, der Betriebsarzt stehe in Kontakt mit dem Mitarbeiter und mit den behandelnden Ärzten. Ein Schonarbeitsplatz stünde nicht zur Verfügung.
06.04.2009 Erneuter persönlicher Kontakt beim Betriebsarzt Instabile (ursprünglich offene) Unterschenkelfraktur nach Autounfall vom 04.11.2006 (privater Unfall), mehrfach Nagelwechsel, seit Februar 2009 sei die Fraktur stabil. Die große Runde tritt am 27.04.2009 zusammen. Kein schweres Heben und Tragen, keine längere Strecken gehen, keine Leitern und Treppen.
Problematik: Auseinandersetzung mit dem Unfallgegner, bzw. dessen Versicherung. Das Unternehmen will/kann keinen Schonarbeitsplatz zur Verfügung stellen.
Kontakt zu Dr. Graf, ärztlicher Leiter DRVBW, Begutachtungsstelle Mannheim Bisher konnte eine intensive Übungsbehandlung wegen der Pseudarthrose nicht stattfinden, aber jetzt nach Stabilisierung wären intensive Auftrainierungsmaß nahmen erfolgversprechend und begründet. Rehaantrag wird am 11.05.2009 gestellt, ein zusätzliches Schreiben vom Betriebsarzt an die DRV-BW vom 12.05.2009.
Bewilligungsbescheid ergeht am 08.06.2009, Herr K.L. wird zur Rehamaßnahme am 17.07.2009 in die Klinik Sonnenhalde, Donaueschingen einbestellt. Stationärer Aufenthalt bis 14.08.2009.
Entlassungsdiagnosen: 1. Zustand nach U schenkelfraktur links11/2006 Pseudarthrosenbildung im Tibiaschaft, Nagelwechsel und Fibulaosteotomie 2. Coxarthrose beidseits, rechts stärker als links 3. Rezidivierendes HWS- und LWS Syndrom bei degenerativer Wirbelsäulenerkrankung, Zustand nach Bandscheibenvorfall L5/S1 3/2006 (konservativ) 4. Metabolisches Syndrom mit Adipositas (BMI 36), therapiepflichtige arterielle Hypertonie, leicht erhöhter Blutzucker.
Sozialmedizinische Beurteilung aus Für die zuletzt durchgeführte Tätigkeit als Chemielaborwerker mit häufigem Treppen steigen und häufigem schweren Heben besteht Arbeitsunfähigkeit auf Dauer. Es besteht jedoch vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten mit etwa 50 % sitzender Komponente, keine ausschließlich stehend oder gehende Tätigkeiten, keine kniend hockende Tätigkeiten, keine Tätigkeit mit Sprung- und Stauchbelastungen. Weiterhin sollten sämtliche Tätigkeiten rückengerecht und mit einem gewissen Wechselrhythmus durchführbar sein.
15.09.2009 Begutachtung durch den Arzt des Arbeitsamtes. Gehfähigkeit habe sich nur wenig verbessert, seit einem Jahr ausgesteuert, erhält jetzt kein Arbeitslosengeld mehr. Der Arbeitsamtsarzt empfiehlt Kontakt zum Betriebsarzt.
14.12.2009 betriebsärztliche Rückmeldung an die DRV-BW, 4 Monate nach Abschluss der Reha. Der Beschäftigte wird im Betrieb nicht mehr beschäftigt, weil keine Wiedereingliederung bisher möglich war. Sind weitere Leistungen zur Teilhabe erforderlich? Ja, falls ein Einsatz im alten Unternehmen in Frage kommt. Beratung durch den Rehafachberater gewünscht? Ja, sobald wir einen möglichen Arbeitsplatz identifiziert haben. Mittlerweile hat Herr K.L. Rentenantrag gestellt.
08.02.2010 erneute große Runde Restleistungsvermögen ist da, aber nicht so wie vor dem Unfall, kann jetzt eine Stunde am Stück gehen auch längere Zeit stehen, muss sich dann aber wieder hinsetzen. Welche Plätze werden in der nächsten Zeit frei, die auf dieses Leistungsbild passen würden?
Herr K.L. ist zu diesem Zeitpunkt über 3 Jahre aus der Produktion ausgeschieden. Vom Betriebsarzt wird eine Staplertätigkeit vorgeschlagen. Es wird eine betriebsärztliche Eignungsuntersuchung durchgeführt, mit der Fragestellung, ob er als Staplerfahrer geeignet ist. Gewicht zu diesem Zeitpunkt 98 kg bei einer Größe von 170 cm.
Rehabilitationsberaterin der Haftpflichtversicherung Haftpflichtversicherer unterstütze einen stufenweisen Wiedereingliederungsversuch. Als Dauer werden 6 Wochen vorgeschlagen, letztlich kommt dieser nicht zustande, da der Haftpflichtversicherer nicht bereit ist ihn zu finanzieren.
Erneuter Kontakt von Seiten des Betriebsarztes zum Rehaberatungsdienst der DRV Baden-Württemberg in Mannheim
Die DRV Baden-Württemberg unterstützt die Wiedereingliederung. Am 30.06. wird Kostenzusage erteilt, am 01.07.2010 beginnt die Wiedereingliederung. Voraussetzung ist die Rücknahme die Rentenklage durch Herrn K.L.
17.02.2011 Vorstellung beim Betriebsarzt seit Ende der Wiedereingliederungszeit d.h. seit September 2010 arbeitet K.L. wieder vollschichtig als Staplerfahrer, ist hoch motiviert und konnte sein Gewicht weiter leicht senken. Die Stoffwechsellage ist besser geworden, Rückenprobleme hat er keine, er trägt Kompressionsstrümpfe und besondere Sicherheitsschuhe
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und viele dankbare Rehapatienten für die Zukunft wünscht Ihnen Dr. Michael Sehling