Tötungsdelikte an Kindern, ihrer Mutter und/oder ihrem Vater im Zusammenhang mit Partnerschaftskonflikten, Trennung bzw. Scheidung Konsequenzen für die Jugendhilfe ein exploratives Praxisforschungsprojekt finanziert von der Stiftung Deutsche Jugendmark 03.11.2014 Stadt Karlsruhe, Dr. Susanne Heynen 1
Forschungsfrage Unterstützen wir die Überlebenden ausreichend? Jugendhilfe, 43, 6, 2005, (s. auch Kavemann & Kreyssig (2007). Handbuch Kinder und häusliche Gewalt
Überblick Allgemeine Ausgangslage - Prävalenz Tötungsdelikte an Kindern - Prävalenz Tötungsdelikte an Partnerin oder - Wer sind die Täter/-innen? - Versuchte / Tötungsdelikte in Karlsruhe Partner Forschungsprojekt - Was machen andere? Diskussion
Prävalenz Tötungsdelikte an Kindern
Straftaten gegen das Leben < 6-Jährigen ca. 0.29 je 10.000 Altersgleiche** (1997-2007) bundesweit 6 - < 14-Jährige 0.14 je 10.000 Altersgleiche (1997) > 0.08 (2006) In meisten Fällen gibt es eine Vorbeziehung zw. Opfer und Täter/-in. 231 von 357 minderjährigen Todesopfern (64,7%) 1985-1990 wurden von Eltern getötet (Schlang, 2006). 27 Fälle getöteter Kinder in Brandenburg 2000-2005 allein 6 Fälle von Beziehungsdramen und Sorgerechtsstreits (Leitner & Troschet, 2008). Quelle: Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration NRW (2010). Studie Kindeswohlgefährdung (S. 25). **Innerhalb der Europäischen Union gilt eine Krankheit dann als selten, wenn von ihr nicht mehr als 5 von 10.000 Personen betroffen sind.
Opferziffern 1997 2006: 911 Opfer vollendeter vorsätzlicher Tötungsdelikte an Kindern < 6 Jahre (jährlich durchschnittlich 90 Fälle). Höynck, 2010
Alter der Opfer
Täterinnen und Täter
KFN Tötungsdelikte an Kindern
Beziehungsgewalt in der Schwangerschaft BMFSFJ (2004): Lebenszeitliches Ereignis, bei dem Gewalt durch Partner zum 1. Mal auftritt Schwangerschaft Geburt des Kindes 10% 20% Größtes Risiko für Fehlgeburten, Prävalenz nicht bekannt Tötung der Schwangeren
Beziehungskonflikte / Trennungsdelikte Kind/-er Geschwister Ehemalige/Partnerin (und Gewalttäter, Suizid) Ehemalige/Partnerin und Kind/Ungeborene Gesamte Familie Unterstützer/-innen 2011 wurden in Deutschland 313 Frauen Opfer von Mord und Totschlag. In 154 Fällen waren die Tatverdächtigen der Ehemann, Freund o. Ex-Partner (Süddeutsche, 23.05.2012). Die Zahl der betroffenen Kinder ist nicht bekannt.
Prävalenz tödlich endender Partnerschaftskonflikte Tötungsdelikte in Deutschland 2009: 2218 Fälle Tötungsdelikte im sozialen Nahraum machen die Hälfte aller Fälle aus im internationalen Vergleich sehr niedrige Mordrate im europäischen Vergleich an vierter Stelle Statistisches Bundesamt, 2010
Tödlich endende Partnerschaftskonflikte Datenerhebung aus teilstrukturierten Interviews Befragung von Beziehungstäter/-innen und zwei Kontrollgruppen (strafrechtlich auffällige und strafrechtlich unauffällige Personen) Qualitative Besonderheiten tödlich endender Beziehungskonflikte: Fortschreitende Einengung des Verhaltensspielraums des späteren Täters im zermürbenden Beziehungskonflikt Sog. letzte Aussprache als tatauslösender Vorgang (Steck, 2005)
Auffälligkeit biographischer Dimensionen (Steck, 2005) Belastungsfaktoren in der Herkunftsfamilie Entwicklungsauffälligkeiten Zeichen sozialer Deklassierung in Jugend und Erwachsenenalter frühem Zeichen sozialer Desintegration
Größere Häufung bei tödlich endenden Partnerschaftskonflikten von: Konfliktverschärfenden Vorgänge und Ereignissen in den letzten Tagen oder Wochen (bis vier Wochen) vor der Tat Gewaltanwendung Selbstwertbelastende Ereignisse in der Trennungsszene Weniger gewaltfreie Bewältigungsversuche oder Versöhnungsgespräche Gefühl der starken emotionalen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Partnerin
Möglicher Kriterienkatalog männlicher Täter Einengung der Kognitionen und des Verhaltensspielraumes Heftiges Begehren einer klärenden Aussprache oder anders gearteten Beendigung des Konfliktes ohne Option der Trennung Biographische Hinweise auf grenzüberschreitende Aggression Dissozialer Lebensstil
Dynamik von Eskalationsprozessen im Kontext von Beziehungsgewalt Häufige Merkmale Täterbild ist heterogen. Täter sind in der Mehrzahl Männer. Alkohol- und Drogenkonsum kann Rolle spielen. Bildungsniveau ist nicht ausschlaggebend. Teil tödlich endender Beziehungskonflikte ist Polizei unbekannt. vgl. Jarchow et al. 2009, Rabitz-Suhr, 2010
Täterinnen Beeinträchtigtes Selbstbild im Bezug zum anderen Geschlecht. Kein deutliches Profil bezüglich biographischer Besonderheiten und hinsichtlich der Dramatik der Tatanlaufzeit. Partnertötung der Frauen kann als Akt der Befreiung gedeutet werden. Bei der Tat ging es um die Trennung. These: Im Gegensatz zu Tötungsdelikten von Männern gegenüber Frauen bedeutet die Tötung für die Frauen eine Abkehr vom Ziel einer legalen Trennung.
Familiendrama an Sylvester: Vater tötet 6-jährigen Sohn in Karlsruhe-* Am letzten Tag des Jahres * ereignete sich in Karlsruhe-* ein furchtbares Familiendrama. Kurz vor 14.00 Uhr wurde die Polizei darüber verständigt, dass in dem Karlsruher Stadtteil eine Person von einem Balkon gesprungen sei. Die Beamten fanden vor Ort einen schwerverletzen *-jährigen Mann vor, der sich aus dem 2. OG seiner neu bezogenen Wohnung gestürzt hatte. http://www.mordort.de/morddetail/**
Strategie: Aus Fehlern lernen Großbritannien führt flächendeckende Serious Case Reviews durch. http://www.nottinghamcity.gov.uk/index.aspx?articleid=836: All Local Safeguarding Children Boards are required to conduct Serious Case Reviews in accordance with Working Together 2010. Verpflichtend bei: Tod eines Kindes bei vermuteter Misshandlung/Vernachlässigung Suizid Tötung eines Elternteils Tötungsdelikt durch ein anderes Kind, Jugendlicher
Strategie: Aus Fehlern lernen Vorgehen Berichte der beteiligten Institutionen Befragung der Familienmitglieder Overview Report (Bericht) durch unabhängige Professionelle Veröffentlichung im Netz, Bericht an die Regierung http://www.nottinghamcity.gov.uk/index.aspx?articleid=2720 Homepage, auf der Fallanalysen veröffentlicht werden. Beispiele zeigen, dass Eltern im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt vor, während und nach der Schwangerschaft bekannt werden (auch Gewalt der Frauen gegen gewalttätige Männer).
Praxisprobleme (Fegert et al., 2008) 40 Kinderschutzfälle in England Unzureichender Informationsaustausch Wenig aussagekräftige Diagnostik Ineffektive Entscheidungsprozesse Fehlende Zusammenarbeit zwischen Institutionen Unzureichende Dokumentation relevanter Informationen Fehlende Informationen über wichtige männliche Haushaltsmitglieder
Forschungsfragen 1. Welchen Hilfebedarf haben Kinder und Jugendliche Überlebende von innerfamiliären Tötungsdelikten? 2. 3. 4. 5. Wer hat ihnen geholfen? Welche Rolle spielen familiäre und professionelle Beziehungen für ihre Bewältigungsprozesse? Welche Konsequenzen ergeben sich für die Jugendhilfe? Welche Rollen spielen andere Institutionen? als
Praxisrelevanz Tötungsdelikte an Kindern und Eltern bei Trennungskonflikten verdienen die gleiche Aufmerksamkeit und fachliche Kompetenz wie nach Vernachlässigung / Misshandlung. Die Belastungen für Überlebende sind erheblich und beeinträchtigen die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen stark. Nach Erkenntnissen der Psychotraumatologie handelt es sich bei dem tödlichen Verlust eines Elternteils um ein besonders traumatisches Ereignis. Fachleute im Bereich der öffentlichen und freien Jugendhilfe müssen unter Zeitdruck in einer für die überlebenden Kindern existenziellen Krise adäquat reagieren. Das Gleiche gilt für Mitglieder des familiären Netzwerkes, Familiengericht, Schule
Forschungsmethode Aktenanalyse zum Einstieg 10-15 Fallstudien bzw. leitfadengestützte themenzentrierte Interviews mit überlebenden, inzwischen volljährigen Kindern, Angehörigen und mit den 'Fällen' vertrauten Fachleuten (Vormünder, Mitarbeitende des Sozialen Dienstes) Forschungswerkstatt mit Fachleuten Ggf. parallele Medienanalyse im Rahmen einer Bachelor- /Masterarbeit
Verknüpfung mit anderen Projekten 1. 2. 3. 4. 5. Projektgruppe vor Ort unter Einbezug der beteiligten Akteure Verschiedene Kooperationen zur Gewinnung von Interviewpartner/- innen und für Werkstattgespräch/Tagung Anknüpfung an strategische Entwicklungen zur Verbesserung des Gewaltschutzes z. B. Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen Ba.-Wü. Kooperation mit Forschungsinstituten wie Deutsches Jugendinstitut / Hochschulen zum fachlichen Austausch, Gewinnung von wiss. Hilfskräften, Bachelor-/Masterarbeiten