SOWI-ARBEITSPAPIER NR. 36. Detlef Bald DAS PARADIGMA DER SICHERHEITSPOLITIK IN DEUTSCHLAND: DIE RECHTE DER VIER MÄCHTE

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Transkript:

SOWI-ARBEITSPAPIER NR. 36 Detlef Bald DAS PARADIGMA DER SICHERHEITSPOLITIK IN DEUTSCHLAND: DIE RECHTE DER VIER MÄCHTE München, im April 1990

1. Das A und 0 der deutschen Staaten ist das Ende des Nationalsozialismus, die allgemeine Kapitulation: die Urkunde über die bedingungslose Kapitulation vom 8. Mai 1945. Die Berliner Deklaration vom 5. Juni 1945 bestimmte, die Regierungen der Vier Mächte übten die "höchste Gewalt" aus -die "supreme authority" über alle Behörden, Verwaltungen und der Regierung, also die deutsche Staatsgewalt. Sie Übernahmen "damit die höchste Macht in Deutschland... einschließlich der gesamten Macht, über die die deutsche Regierung verfügt hat". Ziel u.a. war, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, "damit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der Welt bedrohen kann". Ob man diese Erklärung, die ursprünglich als Kapitulationsurkunde zwischen den Siegermächten ausgehandelt worden war, oder die vorbereitenden Verhandlungen - das Londoner Protokoll (12. Sept. 1944), das Londoner Abkommen (14. Nov. 1944) sowie das Potsdamer Abkommen (2. Aug. 1945) -der Drei bzw. Vier Mächte nimmt: in diesen Vereinbarungen wurden die völkerrechtlich wirksamen Übereinkünfte der Vier Mächte formuliert, was mit der obersten Kompetenz in Deutschland geschehen solle und wer darüber verfügen könne. Diese behielten die Vier Mächte als originäre Rechte. Diese Rechte wurden mehrfach bekräftigt. Die USA beispielsweise betonten in ihrer Erklärung über die Beendigung des Kriegszustandes in Deutschland (24. Okt. 1951), der Status und die Rechte der Vereinigten Staaten "und anderer Besatzungsmächte" blieben davon unberührt, da sie sich "aus der Tatsache des Sieges über Deutschland und die Übernahme der obersten Macht durch die Alliierten" ableiteten. Oder der entsprechende Beschluß des Präsidiums des Obersten Sowjets (25. Jan. 1955), in dem das Weiterbestehen der internationalen Abkommen, Rechte und Verpflichtungen in gleicher Weise herausgestellt wurde. Derartige Feststellungen und Interpretationen finden sich zu allen historisch relevanten Ereignissen in der deutschen, Ost und West gleichermaßen betreffenden Nachkriegszeit bis in die Gegenwart. Für den Zusammenhang der Außen- und Sicherheitspolitik - nicht nur des Jahres 1990 - und der Möglichkeiten und Bedingungen der Entwicklung hin zu einem deutschen Staat im internationalen Konsens ergeben sich aus dem Fortwirken der Rechte von 1945 wesentliche Konsequenzen (wobei in diesem Beitrag die Berliner Situation nicht näher dargelegt wird): a) Weder Deutschland West noch Deutschland Ost ist für sich allein fähig und befugt, aus eigener Machtvollkommenheit Entscheidungen oder Interessen für ein vereintes Deutschland und dessen sicherheitspolitische Einbindung durchzusetzen. b) Beide zusammen - Deutschland West plus Deutschland Ost sind dazu nicht handlungsfähig. c) Die Vertragslage und erhebliche Identitäten der Interessen der Vier Mächte lassen zu und garantieren, daß sie ihre Vorbehaltsrechte ausüben und ausüben können.

d) Veränderungen bzw. Umwandlungen des völkerrechtlichen status quo sind für die beiden deutschen Staaten allein im Konsens mit den Vier Mächten möglich. e) Auch wenn rechtliche Fixierungen nicht mit politischer Realität oder der Chance der Umsetzung gleichzusetzen sind, sind Deutschland West und Ost in ein komplexes Netzwerk eingefügt, das mehr als nur ein Ausdruck der internationalen Reputation ist; es bildet einen Grund ihrer Staatlichkeit. Daraus folgt das politische Gebot, dieses Netzwerk nicht im internationalen Dissens aufzugeben. Auch völkerrechtliche Umwandlung geht nicht ohne konsensuale Fundierung. 2. Die Begründung für das Fortwirken der 1945 formulierten Grundsätze der Vier Mächte zum eigenen Schutz und dem der Nachbarn vor möglichen Aggressionen des deutschen Staates mit Militär, wie die Geschichte es lehrte, liegt schließlich auch darin, daß diese in vielfältigen weiteren Abkommen, vor allem aber in allen zentralen völkerrechtlichen Verträgen der Bundesrepublik Deutschland und DDR wieder aufgenommen worden sind. Die Vorbehaltsrechte sind keine abstrakte Rechtsfigur oder Rechtsfiktion, sondern sie stellen konstitutive Rahmenbedingungen für die Staatsräson beider Staaten dar; sie begründen deren Handlungsspielraum nach außen und begrenzen diesen zugleich; zuletzt hatte Bundeskanzler Helmut Kohl sie gegenüber den Mitgliedern der Europäischen Gemeinschaft und der NATO im Dezember 1989 feierlich als Bindung für die Bundesrepublik Deutschland bekräftigt. Beide Staaten haben infolgedessen in den historischen Prozessen der Übertragung der Souveränität seit 1949 keinen Status eines unabhängigen Nationalstaates (klassischer Prägung) erhalten. Ihnen wurde jeweils eine bedingte Souveränität übertragen. Im Deutschlandvertrag - im Mai 1955 in Kraft getreten -heißt es für die Bundesrepublik Deutschland, sie "werde die volle Macht eines souveränen Staates... haben" (Art. 1) - es ist die "full authority", die die Westmächte gewähren, wohingegen sie sich selbst die "supreme authority'' für die Bundesrepublik Deutschland und Deutschland als Ganzes entsprechend den Festlegungen von Potsdam vorbehalten (Ähnliches bestätigte die DDR im Jahr 1955). Das Fortwirken der 1945 formulierten Vorbehaltsrechte hat darüber hinaus eine historische Reflexion in der Charta der Vereinten Nationen. Daß die alliierten Positionen nicht obsolet geworden sind, verdeutlichen zunächst die Erklärungen der Vier Mächte anläßlich des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zur UNO. Am 9. November 1972 wurde festgestellt, die UNO-Mitgliedschaft ändere nichts am Status der beiden deutschen Staaten, so daß die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte nicht "berührt" würden. Darüber hinaus signalisiert der Beitritt zur UNO die Anerkennung der Charta der Vereinten Nationen auch durch die Deutschen selbst. In ihr sind gewisse Vorbehaltsrechte gegenüber Deutschland festgeschrieben, zumindest aber werden in der "Feindstaatenklausel" diese Rechte zusätzlich legitimiert. Danach dürfen "Zwangsmaßnahmen" (Art. 53) ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates von

allen Vier Mächten gemeinsam ergriffen werden. Hinsichtlich dieser Vorbehalte wird präzisiert: "Maßnahmen, welche die hierfür verantwortlichen Regierungen infolge des zweiten Weltkriegs in bezug auf einen Staat ergreifen oder genehmigen, der während dieses Krieges Feind eines Unterzeichnerstaats dieser Charta war, werden durch diese Charta weder außer Kraft gesetzt noch untersagt." (Art. 107) Die einseitigen Erklärungen der Vier Mächte, fußend auf der Lage durch die allgemeine Kapitulation, begleiten kontinuierlich seit 1949 die Geschichte der deutschen Staaten; insofern sind sie völkerrechtlich relevant. Sie sind eingebettet in das allgemeine Völkerrecht durch die Charta der Vereinten Nationen. Die deutschen Staaten ihrerseits haben diese Rechtslage und -auslegung angenommen. 3. Hinsichtlich der Sicherheitspolitik ergeben sich gravierende Rahmendaten, die für die Voraussetzungen des Wandels - präziser ist festzustellen für diesen Bereich: für die Lösung der Probleme des status quo, um einen Wandel zu ermöglichen - ihre Relevanz uneingeschränkt haben. Bundeswehr und NVA sind wohl "Kinder des Kalten Krieges" (wie es in der verniedlichenden Semantik heißt). In diesem Sinne sind sie eigenständige Streitkräfte zweier deutscher Staaten. Allerdings wird ihre Existenz, Organisation und Struktur überlagert von den Interessen und dem politischen Willen der heutigen Vertragspartner der NATO und des Warschauer Vertrages, einschließlich der damaligen Besatzungsmächte; auf jeden Fall gilt: beide deutsche Staaten sind hinsichtlich ihrer Sicherheitsarchitektur abhängig von den Bündnissen, die mit der Vier Mächte-Vertrags- und Interessenlage verwoben sind. Sicherheit vor Deutschland ist dabei die eine Säule des Daches, das zugleich von der anderen, Sicherheit für Deutschland, getragen wird. Für die Seite der Bundesrepublik Deutschland ist die völkerrechtliche Lage im wesentlichen aus drei Verträgen abzuleiten, dem Deutschland-, dem WEU- und den NATO-Vertrag ("Pariser- und Bonner Verträge"). a) Der in der Version vom 23. Oktober 1954 am 5. Mai 1955 in Kraft getretene Deutschlandvertrag legt die Vorbehaltsrechte in der bis heute gültigen Form und Fassung fest: "Im Hinblick auf die internationale Lage, die bisher die Wiedervereinigung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrags verhindert hat, behalten die Drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung." (Art. 2)

Diese 4 Bedingungen oder Inhalte gilt es im Auge zu behalten, wenn Wandel möglich werden soll; denn sie haben Auswirkungen auf die militärbezogenen und sicherheitspolitischen Regelungen. Und es heißt weiter: "Die Bundesrepublik bekräftigt ihre Absicht, sich durch ihre Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, die zur Erreichung der gemeinsamen Ziele der freien Welt beitragen, mit der Gemeinschaft der freien Nationen völlig zu verbinden." (Art. 3, 2, 1) Mit dieser Vereinbarung ist die feste Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Bündnis, die NATO, gelungen. Völkerrechtlich bedeutet der Verzicht auf national eigenständige Militärpolitik eine hochrangige Verpflichtung, auch da sie im Zusammenhang mit der Übertragung der Souveränität an die Bundesrepublik eingegangen wurde. Deutsche Soldaten (West) wurden dadurch in die NATO integriert und Truppen der NATO-Staaten wurden gemäß weiterer NATO-Abkommen (vor allem bis 1963; Klärung mit Frankreich 1966) in der Bundesrepublik Deutschland stationiert. Die militärbezogenen und sicherheitspolitischen Regelungen haben noch eine weitere, sehr wesentliche Dimension im Deutschlandvertrag: "Die von den Drei Mächten bisher ausgeübten oder innegehabten und weiterhin beizubehaltenden Rechte in Bezug auf die Stationierung von Streitkräften in Deutschland werden von den Bestimmungen dieses Artikels nicht berührt (Art. 4, 2, 1) Die sicherheitspolitischen Vorbehaltsrechte der Alliierten werden damit nicht nur uneingeschränkt bestätigt, sondern sie erhalten im Anschluß daran die positive Formulierung: "Die Bundesrepublik ist damit einverstanden, daß vom Inkrafttreten der Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag an Streitkräfte der gleichen Nationalität und Effektivstärke wie zur Zeit dieses Inkrafttretens in der Bundesrepublik stationiert werden dürfen." (Art. 4, 2, 2) In Verbindung mit dem Truppenvertrag, der zur gleichen Zeit abgeschlossen wurde und in dem dieselbe Formulierung ("Effektivstärke", ergänzt durch den Hinweis auf "zusätzliche Streitkräfte") auftaucht, bedeutet diese Regelung, daß unabhängig von oder neben den Streitkräften des NATO-Bündnisses gewissermaßen "nationale Kontingente" der Drei Mächte in der Bundesrepublik Deutschland stationiert werden können. Wichtig ist, daß in Art. 4, 2, 1 auf die bisher ausgeübten oder innegehabten "und weiterhin beizubehaltenden Rechte in Bezug auf die Stationierung von Streitkräften in Deutschland" die Rede ist. Das sind die alten Besatzungsrechte, die wieder aufgenommen und vertraglich bestätigt

wurden. Diese Dimension ist keine NATO-Angelegenheit; sie fußt auf dem Potsdamer Abkommen. Für die militärische Präsenz der Drei Mächte in der Bundesrepublik Deutschland (bzw. in Deutschland) gibt es also zwei in der Qualität unterschiedliche Rechtsquellen, zum einen die NATO-Vertragslage und zum anderen das Recht aus der occupatio bellica von 1945; beide wurden 1955 völkerrechtlich (erneut) fixiert. b) Politische Erklärungen für diese rechtlich doppelte Festschreibung, nicht-deutsche militärische Kontingente in der Bundesrepublik Deutschland stationieren zu können, lassen sich aus dem WEU-Vertrag gewinnen. Der ursprünglich als Brüsseler Vertrag vom 17. März 1948 verfaßte Text eines kollektiven Bündnisses wurde von den Benelux-Staaten, Frankreich und Großbritannien für den Fall unterschrieben, um die "Wiederaufnahme einer deutschen Angriffspolitik" zu verhindern. Die Umwidmung dieses Vertrages in WEU im Oktober 1954 im Zusammenhang mit den Verhandlungen der Pariser- und Bonner Verträge veränderte einfach die Zielsetzung, indem man an Stelle dieses Textes setzte, "die Einheit Europas zu fördern". Der eigentliche Vertragszweck (R. Geiger) aber war, Rüstungskontrolle und Rüstungsbeschränkung in der Bundesrepublik Deutschland zu sichern. Neben den wirtschaftlichen Restriktionen für die Rüstungsproduktion (auch: A-, B- und C-Waffenverzicht) wurden in den WEU-Protokollen ebenso die Truppenhöchstgrenzen sowie die Bewaffnung der Bundeswehr festgelegt. Das Sekretaritat der WEU übt das Recht aus, wirtschaftliche Betriebe der Rüstungsindustrie sowie Depots der Bundeswehr zu inspizieren, sofern sie nicht der NATO unterstehen. c) Der NATO-Vertrag hat die Bundeswehr in "nachgeordnete Stellen" der NATO eingebunden; gemeint ist die integrierte Kommandostruktur, wie sie auf der Londoner Neun-Mächte-Konferenz vom 23. Oktober 1954 für SACEUR im Blick auf den deutschen Beitritt entworfen worden war. Alle einsatzfähigen und assignierten Truppen der Bundeswehr sind dieser Befehlsgewalt unterworfen. Die völkerrechtliche Vertragslage für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, wie sie durch die Kapitulation 1945 entstanden und durch viele, auch völkerrechtlich bindende Verträge von der Bundesrepublik gegenüber den Drei Mächten vereinbart, bzw. 'bestätigt' worden ist, bedeutet also a) daß die Bundeswehr-Westintegration aus der Sicht der Drei Alliierten den 'deutschen Beitrag zur Verteidigung des Westens' in der Weise einbindet, daß Potential, Einsatzbedingungen und Verfügungsgewalt der Bundeswehr - in hohem Maße gesichert - international kontrolliert werden können;

b) daß neben oder über den Bündnisverpflichtungen originäre, besatzungsrechtlich begründete Vorbehalte der Drei Mächte seitens der Bundesrepublik Deutschland anerkannt werden, die - potentiell und prinzipiell - die Stationierung 'nationaler' Kontingente der Drei Mächte zulassen. 4. Die Lage der DDR und der NVA unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der für Deutschland (West) geschilderten. Die Aussagen im folgenden beschränken sich -nur kursorisch - auf die allgemeine Ebene, die ihren Bezug auf das Potsdamer Abkommen hat. In der Erklärung über die Souveränität der DDR, die die Sowjetunion am 25. März 1954 abgab, werden diejenigen Vorbehalte generell gemacht, "die mit der Gewährleistung der Sicherheit im Zusammenhang stehen und sich aus den Verpflichtungen ergeben, die der Sowjetunion aus dem Viermächteabkommen erwachsen". War dies noch eine einseitige Erklärung, so wird sie - auch im Jahre 1955 - auf die völkerrechtlich bindenden Basis eines Vertrages gestellt, nämlich im Vertrag über die Beziehungen der Sowjetunion und der DDR vom 20. September 1955; wichtig ist, daß der Vorbehalt sich auf Deutschland als Ganzes sowie auf den Friedensvertrag bezieht. Wieder aufgegriffen werden diese Vorbehalte in den Freundschaftsverträgen mit der Sowjetunion vom 12. Juni 1964 (Art. 9) und vom 7. Oktober 1975. 5. Die Bundesrepublik Deutschland und die DDR, bzw. die Bundeswehr und die NVA, sind prinzipiell und strukturell von den Vier Mächten in die Bündnisse ähnlich eingebunden. Die politische Ost- und Westintegration der Staaten erfolgte in einem besonderen Ausmaß über die Streitkräfte. Diese Prozesse und Bindungen gewährten die jeweils typische Souveränität, jedoch sicherten sie zugleich die internationale Kontrolle auf vertraglichem Wege. Nationalstaatliche Souveränität und Internationalisierung des deutschen Militärs in Ost und West wurden in diesem Modell miteinander verkoppelt. Daneben und rechtlich übergeordnet wurden die Rechte und Verpflichtungen der Vier Mächte - (1.) sowohl der Drei Mächte für die Bundesrepublik Deutschland als auch der einen Macht für die DDR und (2.) der Vier Mächte für Deutschland als Ganzes - uneingeschränkt für die genannten Bereiche aufrechterhalten; in den Verträgen vor allem des Jahres 1955 wurden sie völkerrechtlich von beiden Staaten anerkannt und bekräftigt. Daraus ergeben sich weitreichende Bedingungen und Folgerungen für die Handlungsspielräume der deutschen Staaten bezüglich einer neuen Friedens- und Sicherheitsordnung zueinander, gegenüber den Vier Mächten und den NATO- bzw. Warschauer-Vertrags-Partnern (via KSZE):

a) Militär- und sicherheitspolitisch verlangt die völkerrechtliche Lage in Deutschland, wenn es zu einem Wandel kommen soll, die genuinen Rechte der Vier Mächte, die aus der Kapitulation abgeleitet werden, in Rechnung zu stellen. Diese Rechte stehen im Einklang mit den internationalen Sicherheitsbedürfnissen der europäischen Nachbarn. Die Vier Mächte nehmen dabei eigene machtpolitisch relevante Positionen wahr; ihre Interessen sind nicht identisch mit einer Bündniszugehörigkeit. Da die Vier Mächte gleiche Rechte haben, ist die Zustimmung aller Vier erforderlich. b) Da auf westlicher Seite die Ansicht im Harmel-Bericht, einem politisch zentralen Dokument der NATO mit breitestem Konsens, vertreten ist, Deutschland bilde den "Kern der gegenwärtigen Spannungen in Europa", besteht ein politischer Anknüpfungspunkt zur Reform des alten Sicherheitssystems in Europa, wenn diese Bedingung der Spannung nicht mehr oder nicht mehr so besteht. Schließlich kann über eine sicherheitspolitisch neue Struktur in Deutschland eine Wandlung der machtpolitischen Position der entscheidenden Großmächte, der Sowjetunion und der USA, in Europa herbeigeführt werden. Das alte sicherheitspolitische Paradigma ist gestaltungsfähig. c) Ein wesentliches Ziel der bestehenden Bündnisorganisationen war die präzise und weitreichende, die gesicherte Kontrolle deutschen militärischen Machtpotentials. Jede Lösung, die eine Veränderung des status quo anstrebt, muß als hochrangiges Ziel einschließen: Garantie der Nicht-Unkontrollierbarkeit deutscher Streitkräfte oder gesicherte Gewißheit für alle Nachbarn Deutschlands und darüber hinaus, daß von deutschem Boden für sie (und das heißt: aus ihrer Sicht) keine Bedrohung ausgehen kann. d) Ein Weniger an gesichertem Frieden ist weder für die Nachbarn (sie haben diplomatisch Einfluß über den Weg der KSZE) noch für die Vier Mächte (Weg über friedensvertragliche oder -ähnliche Regelung) akzeptabel; keiner wird seine Sicherheit und die Stabilität in Mitteleuropa als Sicherheit eines status quo ante - nämlich der von vor 1945, definiert zugungsten eines deutschen Nationalstaates - zulassen. Kein status quo minus der Sicherheit wird in Europa - Ost und West -zustimmungsfähig, realisierbar und vertragsfähig werden. Eine allgemeine, gemeinsame und gesicherte Friedensordnung muß an die Stelle der alten, vom Militär dominierten antagonistischen Sicherheitssysteme treten. Die Last der deutschen Geschichte führt nach Jahrzehnten die beiden deutschen Staaten sehr hart auf die gemeinsamen Bedingungen ihrer Souveränität - 1945 und 1955 - zurück. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Bundesrepublik Deutschland und DDR kaum. Der wirtschaftliche und politische Erfolg des einen Staates kann nicht aus eigener Kraft die komplexe Signatur seines Völkerrechtsrahmens aufheben. Ob allein die

Rechte der Vier Mächte oder die Verträge von 1955 herangezogen werden, ändert nichts an deren Gemeinsamkeit, nämlich daß ohne sie die Bundesrepublik Deutschland und die DDR nicht denkbar sind. Diese Rechtslage bindet beide deutsche Staaten gleichermaßen - eine Art außenpolitisches, aber gemeinsames Grundgesetz. Deutschland nach 1945 kann als Territorium besonderer (politischer und völkerrechtlicher) Qualität bezeichnet werden. Nur von dort her kann sich eine neue Staatsräson ableiten, um Einheit der Deutschen mit dem Frieden in Europa zu verbinden. Im Blick auf die Vorbereitung, die Konzepte und Auseinandersetzungen für die Entwicklung der Beziehungen sowohl nach innen - zwischen den deutschen Seiten - als auch nach außen gelten allerdings noch weitere Voraussetzungen, um einen Konsens und Ausgleich der Gegensätze sowie der Unterschiedlichkeiten zu ermöglichen. Dafür eignet sich ein Wort des Bundespräsidenten, Richard von Weizsäcker, das er im Jahr 1989 in Berlin gesprochen hat: "Zum Frieden gehört es, sich gegenseitig nicht festzunageln auf konfrontative Äußerungen, die es auf jeder Seite gibt. Besser ist es, an positive Ansätze der anderen Seite anzuknüpfen, die auch auf beiden Seiten vorkommen." Literatur und Quellennachweise: Arbeitsgemeinschaft für Völkerrecht (Hrsg.): Völkerrecht. Dokumente, 3 Bände. Köln 1973 Bundesgesetzblatt, Teil II Däubler, Wolfgang: Stationierung und Grundgesetz. Reinbek 1982 Geiger, Rudolf: Grundgesetz und Völkerrecht. München 1985 Kimminich, Otto: Die Souveränität der Bundesrepublik. Hamburg 1970 Sartorius, Bd. I, II