Rechtsextremismus eine Bedrohung für Gesellschaft und Kirche? Dr. Britta Schellenberg, Ludwig- Maximilians- Universität München, Universität Bayreuth, Bayreuther Forum Kirche und Universität 05. Juli 2016
Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft Das Auseinanderfallen der Mitte Bevölkerung wird insgesamt liberaler. Abwertende Einstellungen gehen deutlich zurück. In einigen Gegenden und Milieus nehmen sie jedoch stark zu. - Übersteigerter Nationalismus/Chauvinismus 2002: 18,3%, 2016: 16,7%; Ausländerfeindlichkeit/Rassismus 2002: 26,9%; 2016: 20,4%; Antisemitismus 2002: 9,3%, 2016: 4,8%; Sozialdarwinismus 2002: 5,2%, 2016: 3,4; Verharmlosung NS 2002: 4,1%, 2016: 2,1% - Insges. starke Kritik an Politikern, Parteien und Medien; bei autoritär- antidemokratischem Milieu zunehmende Ablehnung, auch der Polizei - Stärker werdende Gewaltakzeptanz bei rebellisch- autoritärem Milieu (insg. 7,3%) - Geschlossenes rechtsextremes Weltbild 2002: 9,7%, 2016: 5,4% *Daten: Decker et al. Deutliche Unterschiede: Stadt/Land, Alt/Jung, Ost/West
Einstellungen Feindseligkeiten gegenüber bestimmten Gruppen legen zu: Gegenüber Muslimen, Roma und Sinti, Flüchtlingen und Homosexuellen Beispiele aus Umfrage- Fragenkatalogen: Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. 41,1% (2009: 21,4%) "Durch die vielen Muslime hier fuḧle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land. 50% (2009: 32,2%) Sinti und Roma neigen zur Kriminalitaẗ. 58,5% (2011: 44,2) Homosexualität ist unmoralisch. 24,8% (2009: 15,7%, 2014: 11,6%) Die demokratischen Parteien zerreden alles und lo sen die Probleme nicht. 74% Politiker nehmen sich mehr Rechte heraus als normale Bu rger. 76%
Verhalten Etablierung und Erfolg einer rechtspopulistischen Partei. AfD bindet Großteil der rechtsradikal eingestellten Wähler. Mobilisierung im Netz und Hassäußerungen. Aggressiver und brutaler; anonym und mit Klarnamen; 5-10% der Postings Medien Mobilisierung der Straße: Demonstrationen. Pegida und Ableger, Flüchtlingsfeindliche Kundgebung Mobilisierung auf der Straße: Gewalt. Enorme Zunahme, seit 2014/15 auch gegen Politiker, Flüchtlingshelfer und Journalisten
Radikalisierung und Hasskriminalität. Daten Staatlich 22.960 rechtsmotivierte Straftaten (+ 35%), Fremdenfeindliche Straftaten besonders hoch: 8.529 1.029 Gewalttaten 75 Gewalttaten und Sachbeschädigungen auf PolitikerInnen und Parteibüros Zivilgesellschaftlich Gewalttaten 1.468, Rassistische Gewaltdelikte besonders hoch: 1.056 (Beratungsstellen/Monitoring, nur Ostdeutschland, inkl. Berlin, und NRW) 1.100 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, 142 Brandanschläge (Pro Asyl & Amadeu Antonio Stiftung) 49 Übergriffe auf JournalistInnen, davon 29 Gewalttaten (Europ. Zentrum für Presse- u. Medienvertreter) Tätige in Flüchtlingshilfe, Engagierte gegen Rassismus und Rechtsextremismus werden zur Zielscheibe
Die Radikalisierung bestimmter Gruppen Neonazis, Rassisten und Wutbürger Logik der selbsternannten Voksvertreter : Verteidigung eines völkischen Wir ist nötig = Selbstverteidigung. Durch Notwehrlage sind Straftaten in letzter Konsequenz nicht mehr Straftaten, sondern ein Akt der Selbstverteidigung. => Radikalisierungsprozesse der Teilnehmenden: Sie schreiten zur Tat und begehen Vorurteilskriminalität und ähnliche Rechtsbrüche. Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln. Festerling
Wer ist betroffen? NSU- Opfer... Foto Keupstraße ist überall vom NSU Ermordete n-tv: nach Utøya, 2011 dpa (18.10.15): Henriette Reker, Kölner Oberbürgermeisterin
Wie ist Kirche betroffen? Beispiel: Sommer 2013 In einer bayerischen Kleinstadt wird eine russlanddeutsche Frau mit ihren beiden Kindern getauft. Ihr Mann, Russe mit kasachischem Pass, ist bereits orthodox getauft. Die Familie ist engagiert, der Mann geht regelmäßig in den Männerkreis der Gemeinde. Dann besucht er an einem Abend das städtische Volksfest. Kurz danach ist er tot, von Neo- Nazis erschlagen, weil er dort Russisch sprach. Kirche, KirchenvertreterInnen, ChristInnen, Menschen durch Hassrede, Vorurteilskriminalität und Bedrohungen Foto: Oberprex ELKB
Wie ist Kirche betroffen? Vorurteile und Ausgrenzung in der Kirche und durch ChristInnen Beispiele für verletzende Äußerungen: Der hat zu mir Neger gesagt! Was fällt dem ein? Ich bin Deutscher ; Die ist Zigeunerin. Da musst Du aufpassen! Die klauen ; Der Islam ist gefährlich, dem kann man nicht trauen ; oder: Ihr gehört nicht hierher! (von Ehrenamtlichen im Gemeindehaus zu einem russischsprachigen Kind, das zum Kindergottesdienst geht). Besonders problematische Bereiche: - Altenhilfe (Vorurteile/Rassismus) - Jugendsozialarbeit (Rechtsextreme Organisationen) - Ländliche und strukturschwache Räume (hier auch breitere Ansiedlungsversuche, bspw. Oberprex) Diskussionsbeiträge einzelner Teilnehmenden zu spezifischen Themen werden mit negativen Kommentaren gegen stets personifizierte Feindbilder & Themen wie soziale Gerechtigkeit, prekäre Beschäftigung, Kinderschutz, Kriminalität oder heimische Natur verknüpft.
Organisatorische Entwicklungen Vormals feste politische Grenze werden flüssig: Rechtspopulisten, Rechtsextreme, Neokonservative und Rechtsliberale Es gibt tragfähige Netzwerke: Neu Rechte Medien (politically incorrect, Junge Freiheit, Sezession) Neu Rechte Think Tanks (Institut für Staatspolitik, politically incorrect), AfD, Organisationsteams von Demonstrationen (z.b. PEGIDA), rassistische und antisemitische Burschenschaften Organisationen treten zunehmend selbstbewusst in die Öffentlichkeit
Resümee: Liberalisierung, Polarisierung und Radikalisierung Immer weniger Rassisten und extrem rechts Eingestellte in Deutschland Aber aktuelle Feindbildkarrieren : Muslime, Roma und Sinti, Flüchtlinge und Homosexuelle Veränderter populistischer Sprachgebrauch Ethnopluralismus statt Rassentrennung Zunahme der Hetze & verbalen Aggressivität, insbes. im Netz Wachsende Radikalisierung und Gewalttätigkeit in bestimmten Gruppen und Gegenden (Sachsen) Probleme des staatlichen Umgangs & der Normorientierung (vgl. NSU- Desaster): Institutioneller Rassismus bleibt Immer mehr Menschen engagieren sich aktiv gegen Menschenverachtung und Rechtsextremismus, viele sind in Flüchtlingshilfe aktiv
Bürgerschaftliche Gegenstrategien Klar machen, wofür man selbst steht (z.b. Nächstenliebe, Menschenrechte, Stärken von z.b. Vielfalt hervorheben) und was nicht akzeptiert wird (Menschenverachtung wie Rassismus, Antisemitismus etc.). Klarstellen, wer in unserer demokratischen Gesellschaft dazugehört und wer Regeln des friedlichen Zusammenlebens bricht. Rassismus thematisieren Antidiskriminierungsperspektive stärken. Perspektive von Betroffenen stärken! Mit rassistischen und rechtsextremen Organisationen und Diskursen argumentativ & rechtlich auseinandersetzen. Rechte und Gesetze nutzen und notfalls einklagen.
Danke für Ihre die Aufmerksamkeit!