1.2 Eigenschaften der ganzen Zahlen

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Transkript:

Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau 13 1.2 Eigenschaften der ganzen Zahlen Dieser Abschnitt handelt von den gewöhlichen ganzen Zahlen Z und ihren Verknüpfungen plus und mal. Man kann die natürlichen Zahlen durch die sogenannten Peano-Axiome einführen; sie handeln von der Addition +1 und beinhalten insbesondere das Prinzip der vollständigen Induktion. Die Erweiterung von den natürlichen auf die ganzen Zahlen, also die Einführung der negativen Zahlen, kann man dann ohne allzu großen Aufwand konstruktiv durchführen. Wir verzichten in dieser Vorlesung auf eine solche detaillierte Begründung und nehmen die ganzen Zahlen als gegeben an. Allerdings fassen wir, um eine klare Grundlage zu geben, unter 1.2.1 und 1.2.2 die strukturellen Merkmale von N und Z einmal geordnet zusammen. Unter 1.2.3 besprechen wir dann die fundamentale Eigenschaft der Division mit Rest, die den Einstieg in das eigentliche Thema dieses Abschnittes liefert. Wir erinnern weiter an den bekannten Begriff einer Primzahl, also einer Zahl, die bezüglich Multiplikation nicht weiter zerlegt werden kann. Es ist wohlbekannt und nicht schwer zu zeigen, dass jede natürliche Zahl in ein Produkt von Primzahlen zerlegt werden kann. Deutlich schwieriger ist es, exakt und lückenlos zu begründen, dass eine solche Zerlegung eindeutig ist (bis auf die Reihenfolge der Faktoren). Zusammengenommen bilden diese beiden Tatsachen den sogenannten Fundamentalsatz der Arithmetik. Sein vollständiger Beweis liegt für uns eher am Rande, zentral und wichtig ist jedoch ein dabei benutztes Konzept, nämlich der größte gemeinsame Teiler, kurz ggt, zweier Zahlen sowie der euklidische Algorithmus, der den ggt berechnet. Hier liegt der Schwerpunkt des folgenden Abschnitts. Wir besprechen auch den sogenannten erweiterten euklidischen Algorithmus, mit dessen Hilfe man den ggt von zwei Zahlen a und b in der Form g = xa + yb mit x, y Z darstellen kann (sog. Lemma von Bezout ). 1.2.1 Beschreibung der natürlichen Zahlen: 1. Zu jedem Paar (a, b) N N natürlicher Zahlen ist eine Zahl a + b N definiert derart, dass für alle a, b, c N gilt (a) (a + b) + c = a + (b + c) (Assoziativgesetz) (b) a + b = b + a (Kommutativgesetz) 2. Wenn man eine Relation a < b zwischen Elementen a, b N durch a < b : x N : a + x = b, definiert, dann gilt für zwei beliebige Elemente a, b N genau eine der folgenden drei Alternativen: a < b oder a = b oder b < a. Man sagt auch: < ist eine totale Ordnung auf N. 3. Es gibt eine kleinste natürliche Zahl, bezeichnet mit 1. (Es gilt also 1 < x für alle x N mit x 1.) 4. Induktionsprinzip: Es sei M N eine Teilmenge, für die gilt (a) 1 M (b) x M x + 1 M. Dann ist M = N.

14 Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau In der üblichen Formulierung handelt das Induktionsprinzip von einer Aussage A(n), in deren Formulierung eine natürliche Zahl n vorkommt. (Z.B. kann die Aussage eine Summenformel für Summen der Länge n sein.) Das diesbezügliche Beweisprinzip lautet wie folgt: Beweis durch vollständige Induktion. Gegeben sei für jedes n N eine Aussage A(n). (I) Induktionsanfang. Die Aussage A(1) sei wahr. (II) Induktionsschritt. Für alle n N gelte: Wenn A(n) (die Induktionsvoraussetzung) wahr ist, dann ist auch A(n + 1) (die Induktionsbehauptung) wahr. Dann gilt die Aussage A(n) für alle n N. Zum Beweis betrachtet man die Menge M := {n N A(n) ist wahr} und wendet hierauf 1.2.1.4 an; es ergibt sich M = N. Man kann das Induktionsprinzip in etwas modifizierter Form auch für die Definition von gewissen Rechenoperationen oder Termen benutzen. Wir wollen das nicht weiter formalisieren, aber an einem typischen Beispiel erläutern, nämlich der Multiplikation natürlicher Zahlen. Die Multiplikation a b (meist einfach als ab geschrieben) wird durch Zurückführung auf die Addition definiert: 1 b := b, 2 b := b+b, 3 b := b+b+b := (b+b)+b, und so weiter. In dem und so weiter steckt das Induktionsprinzip: wenn a b schon definiert ist, für ein bestimmtes a N und alle b N, dann definiert man für beliebiges b N (a + 1) b := a b + b. Die so definierte Multiplikation erfüllt die üblichen Eigenschaften des normalen Zahlenrechnens, die wir hier nicht mehr separat auflisten, da sie gleich bei den ganzen Zahlen noch einmal vorkommen. 1.2.2 Beschreibung der ganzen Zahlen: 1. Die ganzen Zahlen Z enthalten die natürlichen Zahlen N als Teilmenge. 2. Zu jedem Paar (a, b) Z Z ganzer Zahlen ist eine Zahl a + b Z definiert derart, dass für alle a, b, c Z gilt (a) (a + b) + c = a + (b + c) (Assoziativgesetz) (b) a + b = b + a (Kommutativgesetz) Für a, b N hat + die frühere Bedeutung. 3. Es gibt ein Element 0 Z mit 0 + a = a für alle a Z. 4. Zu jedem Element a Z gibt es ein Element a Z (das sogenannte Negative zu a) derart, dass a + ( a) = 0 ist. 5. Zu jedem Paar (a, b) Z Z ganzer Zahlen ist eine Zahl a b Z definiert derart, dass für alle a, b, c Z gilt (a) (a b) c = a (b c) (Assoziativgesetz) (b) a b = b a (Kommutativgesetz) Für a, b N hat a b die frühere Bedeutung. 6. Für je drei Zahlen a, b, c Z gilt a (b + c) = a b + a c (Distributivgesetz).

Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau 15 7. Die unter 1.2.1.2 gegebene Definition für a < b definiert auch auf ganz Z eine totale Ordnung. Für jedes a Z gilt genau eine der drei Alternativen 0 < a oder a = 0 oder a < 0. Die aufgelisteten Eigenschaften lassen sich später mit den Begriffen Verknüpfung, neutrales Element, inverses Element, Gruppe, Ring kürzer ausdrücken. Wir verlassen nun den Bereich der Beschreibung und halten nun eine grundlegende Eigenschaft der ganzen Zahlen als Satz fest. Satz 1.2.3 (Division mit Rest in Z) Sei a Z und m N. Dann gibt es eindeutig bestimmte Zahlen q Z und r {0, 1,..., m 1} so, dass a = qm + r. q heißt der Quotient, r heißt der Rest von a bei Division durch m. Der Beweis beruht auf folgendem Hilfssatz: Jede nach oben beschränkte Menge ganzer Zahlen besitzt ein größtes Element. Dieser Hilfssatz wird auf die Menge M := {z Z zm a} angewendet. Bezeichnung Der Rest von a bei Division durch m wird mit a mod m oder a % m bezeichnet. Beispiele: m = 6 : 23 = 3 6 + 5 Rest r = 5 23 mod 6 = 5 2 = 1 6 + 4 Rest r = 4 2 mod 6 = 4 4 = 0 6 + 4 Rest r = 4 4 mod 6 = 4 m = 17 : 100 = 5 17 + 15 Rest r = 15 100 mod 17 = 15 50 = 3 17 + 1 Rest r = 1 50 mod 17 = 1 Man sagt, dass a durch m teilbar ist, wenn die Division aufgeht, d.h. der Rest r = 0 ist. Die so definierte Teilbarkeitsrelation zwischen ganzen Zahlen a, b wird mit b a ( b teilt a bzw. a ist Vielfaches von b ) bezeichnet. Definitionsgemäß gilt also b a q Z : a = q b. Dieses kann natürlich auch definiert werden, ohne dass man vorher von der Division mit Rest gesprochen hat. Die Teilbarkeitsrelation wird im folgenden für beliebige a, b Z benutzt, d.h. b kann auch Null oder Negativ sein. Für die Verneinung schreiben wir b a. Der folgende Begriff ist sicher bekannt. Definition 1.2.4 Eine natürliche Zahl p mit p > 1 heißt Primzahl, falls sie nicht als Produkt zweier kleinerer Zahlen dargestellt werden kann. Mit anderen Worten: a, b N : p = ab = a = 1 b = 1.

16 Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau Primzahlen sind nicht nur ein klassisches Thema der Mathematik, sondern auch im Kontext dieser Vorlesung für die Konstruktion algebraischer Strukturen von großer Bedeutung, mit Bezug auf die Informatik etwa für viele Fragen der Codierung und Übertragung von Daten. Das Gleiche gilt für den (theoretischen wie algorithmischen) Umgang mit beliebigen ganzen Zahlen. Es ist lohnend, sich mit dieser Grundstruktur etwas ausführlicher zu beschäftigen. Der folgende Satz wird manchmal als Fundamentalsatz der Arithmetik bezeichnet. Satz 1.2.5 (Eindeutige Primfaktorzerlegung natürlicher Zahlen) a) Zu jeder natürliche Zahl n > 1 existieren Primzahlen p 1, p 2,..., p r derart, dass p 1 p 2... p r. b) Diese Zerlegung ist eindeutig bis auf die Reihenfolge der Faktoren. D.h., wenn auch n = q 1 q 2... q s ist mit q j prim für j = 1,..., s, so ist r = s, und wenn wir ferner p 1 p 2... p r und q 1 q 2... q r annehmen, so ist p i = q i für i = 1,..., r. 1.2.6 Der Beweis der Existenz einer solchen Zerlegung ist sehr leicht: wenn n schon selbst eine Primzahl ist, sind wir fertig. Anderenfalls schreibe n = a b, 1 < a < n, 1 < b < n. Wenn a und b Primzahlen sind, sind wir fertig. Anderenfalls kann einer der Faktoren weiter zerlegt werden, sagen wir b = c d, 1 < c < b. Einsetzen liefert p = a c d. Dieses Verfahren wird fortgesetzt, solange noch Faktoren nicht prim sind. Da die Anzahl der Faktoren immer größer wird, bricht das Verfahren nach höchstens m 1 Schritten ab, wobei m die größte Zahl mit 2 m n ist, und wir haben die gewünschte Zerlegung gefunden. Systematischer geht man wie folgt vor. Man schreibt vorbereitend die Primzahlen der Größe nach geordnet in eine Liste: p 1 = 2, p 2 = 3, p 3 = 5, p 4,..., p k. Dann überprüft man durch Probedivision die Teilbarkeit der gegebenen Zahl durch 2, 3,.... Sei p i die kleinste Primzahl mit p i n. Ersetze n durch n/p i und fahre so fort, wobei es reicht, nun mit der Primzahl p i zu beginnen. Dieser kleinste Primteiler p i ist tatsächlich klein, nämlich höchstens gleich n, es sei denn, n ist selbst prim (warum?!). Man muss die Liste der Primzahlen also nur bis zur Größe n anlegen, wenn n die zu zerlegende Zahl ist. Das letzte Argument halten wir als eigenständige Bemerkung fest: Bemerkung 1.2.7 Wenn eine natürliche Zahl n durch keine Primzahl p mit p n teilbar ist, dann ist n selbst eine Primzahl. Beispiel: 97 ist nicht durch 2, 3, 5, 7 teilbar, also Primzahl. Denn nach 7 ist 11 die nächste Primzahl und 11 11 > 97. Die Eindeutigkeit der Zerlegung in Primfaktoren ist erheblich schwieriger zu zeigen als die Existenz. Der Kern des Argumentes liegt in dem folgenden Hilfssatz über Primzahlen.

Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau 17 Lemma 1.2.8 Wenn eine Primzahl p ein Produkt teilt, so teilt sie wenigstens einen der Faktoren: k, l N : p kl = p k p l. Wenn allgemeiner eine Primzahl p ein Produkt a 1 a 2... a s teilt, dann teilt sie einen der Faktoren. Man kann dieses Lemma gern erst einmal glauben und benutzen, ohne es zu beweisen. Allerdings sollte man sich klar machen, dass die Aussage nicht einfach aus der Definition einer Primzahl folgt. Der Beweis wird am Ende dieses Abschnittes nachgetragen. 1.2.9 Beweis des Hauptsatzes 1.2.5, Teil b): Sei also p 1 p 2... p r = q 1 q 2... q s, wobei die p i und die q j Primzahlen sind. Wir beweisen die Behauptung durch Induktion über r, wobei wir voraussetzen, dass r s ist (sonst vertausche man die Rollen der p i und der q j ). Für r = 0 muss auch s = 0 sein, und es ist nichts zu zeigen. (Ein Produkt mit null Faktoren ist definitionsgemäßgleich 1.) Sei nun r 1, dann ist auch s 1. Wir wenden das Lemma 1.2.8 auf die Primzahl p = p 1 und das Produkt q 1 q 2... q s an. Es gilt p 1 q i für (wenigstens) einen der Faktoren q i. Bei passender Nummerierung der q j ist i = 1, also p 1 q 1. Da q 1 Primzahl ist, muss p 1 = q 1 sein. Wir teilen nun beide Seiten durch p 1 und wenden die Induktionsannahme auf die Gleichung p 2 p 3... p r = q 2 q 3... q s an. Es folgt r 1 = s 1 und p 2 = q 2,..., p r = s r bei geeigneter Nummerierung, also die Behauptung. Wir werden unten den Beweis von Lemma 1.2.8 nachtragen und dafür den größten gemeinsamen Teiler zweier Zahlen benutzen. Dieser Begriff ist sowohl theoretisch als auch für diverse rechnerische Fragen von größter Bedeutung. Deshalb wollen wir das Konzept und die zugehörigen Algorithmen ausführlich darstellen. Satz 1.2.10 (Satz vom größten gemeinsamen Teiler) Gegeben seien zwei ganze Zahlen a und b. Dann gibt es eine natürliche Zahl g mit folgenden Eigenschaften: (1) g a g b, (2) d Z : d a d b = d g. In Worten: g ist ein Teiler von a und von b, und jede Zahl, die gleichzeitig a und b teilt, ist ein Teiler von g. Die Zahl g N 0 ist durch die Eigenschaften (1) und (2) eindeutig bestimmt. Sie wird mit ggt(a, b) bezeichnet und heißt größter gemeinsamer Teiler von a und b. Zwei Elemente a, b Z heißen teilerfremd, wenn ihr größter gemeinsamer Teiler gleich 1 ist. Beispiel: a = 45, b = 21, g = 3 a = 198, b = 42, g = 6 Die Menge der positiven gemeinsamen Teiler von 198 und 42 ist die Menge T = {1, 2, 3, 6}. Tatsächlich ist die Zahl 6 nicht nur das größte Element dieser Menge, sondern T besteht aus den Teilern von 6, wie in Teil (2) des Satzes gefordert. Der Beweis des Satzes von ggt wird sich aus folgendem Verfahren ergeben.

18 Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau 1.2.11 Der Euklidische Algorithmus 1. Eingabe: a Z, b N. 2. Teile a durch b mit Rest r. 3. Ersetze a durch b, ersetze b durch r. 4. Wiederhole Schritt 2 und Schritt 3 mit den neuen Zahlen. Führe dieses durch bis der Rest 0 wird. Dieses geschieht in endlich vielen Schritten, da b (bzw. r) im Laufe des Verfahrens immer kleiner wird. 5. Ausgabe: der letzte von Null verschiedene Rest Beispiel: Eingabe a = 198, b = 42 198 : 42 = 4 Rest 30 42 : 30 = 1 Rest 12 30 : 12 = 2 Rest 6 12 : 6 = 2 Rest 0 Ausgabe: 6 Zum Beweis des Satzes 1.2.10 vom ggt zieht man sich leicht auf den Fall b > 0 zurück. Damit ergibt sich der Satz aus folgendem Lemma: Satz 1.2.12 Gegeben a Z und b N, so hat die mit dem euklidischen Algorithmus bestimmte Zahl g die beiden in Satz 1.2.10 genannten Eigenschaften (1) und (2). Beweis: Dieser ergibt sich aus einer Anlayse des Algorithmus. Hierzu schreibt man sich die verschiedenen Rekursionsschritte noch einmal als Reihe von Gleichungen hin. Zunächst machen wir das im obigen Beispiel: (1) 198 = 4 42 + 30 (2) 42 = 1 30 + 12 (3) 30 = 2 12 + 6 (4) 12 = 2 6 Für Eigenschaft (1) argumentiert man von unten nach oben: (4) 6 12 (3) 6 6 und 6 12 = 6 30 (2) 6 12 und 6 30 = 6 42 (1) 6 30 und 6 42 = 6 198 Für Eigenschaft (2) argumentiert man von oben nach unten. Sei d gegeben mit d 198 und d 42. (1) d 198 und d 42 = d 30 (2) d 42 und d 30 = d 12 (3) d 30 und d 12 = d 6 Nun der allgemeingültige Beweis: Wir haben die drei Variablen a, b, r, weiter sei l die Anzahl der Rekursionen, also r l = 0. a b r a 1 b 1 r 1 wobei a 1 = b b 1 = r a 2 b 2 r 2 wobei a 2 = b 1 b 2 = r 1. a l 1 b l 1 r l 1 a l b l r l = 0 wobei a l = b l 1 b l = r l 1

Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau 19 An jeder Stelle k gilt a k = q k b k + r k mit q k Z a k = b k 1, b k = r k 1 für k 1 Beweis der Eigenschaft (1) für die Zahl g = b l : a l = q l b l g b l 1 und g r l 1 g b l 2 und g r l 2. g b 1 und g r 1 g b und g r = g a l = g a l 1 = g a l 2 = g a 1 d.h. g b = g a Beweis der Eigenschaft (2) für die Zahl g = b l : Sei d ein gemeinsamer Teiler von a und b d a und d b = d r d a 1 und d b 1 = d r 1. d a l 1 und d b l 1 = d r l 1 Also gilt d g, wie gewünscht. Satz 1.2.13 (Lemma von Bezout) Der größte gemeinsame Teiler g zweier ganzer Zahlen a und b besitzt eine Darstellung g = xa + yb mit x, y Z. Dieses kann man leicht durch Rückwärts-Einsetzen in der obigen Reihe von Gleichungen zeigen. Für die tatsächliche Berechnung von x und y ist dieses Verfahren allerdings äußerst unzweckmäßig, ebenso für die Programmierung auf dem Computer. Ein praktisches Verfahren zur gleichzeitigen Berechnung des ggt und der Koeffizienten x und y erhält man, indem man den euklidischen Algorithmus so erweitert, dass neben a k, b k, r k noch zwei weitere Folgen x k und y k sukzessiv berechnet werden, für die in jedem Schritt r k = x k a + y k b gilt. Am Ende der Rechnung (genauer beim Schritt k = l 1) ergibt sich dann g = x l 1 a + y l 1 b. Diese Idee wird im folgenden Satz und seinem Beweis ausgeführt. Satz 1.2.14 (Der erweiterte euklidische Algorithmus) Gegeben seien ganze Zahlen a, b Z, b 0. Definiere induktiv endliche Folgen durch a k, b k, r k, q k, x k, y k Z a 0 := a, b 0 := b; r k := a k mod b k, q k := (a k r k )/b k solange b k 0; a k+1 := b k ; b k+1 := r k für k 0; x 2 := 1; y 2 = 0; x 1 := 0; y 1 = 1; x k := x k 2 q k x k 1, y k := y k 2 q k y k 1 Sei l der kleinste Index mit r l = 0. Dann gilt für den größten gemeinsamen Teiler g := b l = r l 1 von a und b die Gleichung g = x l 1 a + y l 1 b.

20 Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau Beweis: Wir überlegen uns, wie man Zahlen x k, y k Z definieren muss, um in jedem Schritt die Gleichung x k a+y k b = r k zu erfüllen und werden zwangsläufig auf obige Gestalt kommen. Es gilt r 0 = a q 0 b r 1 = a 1 q 1 b 1 = b q 1 r 0 = b q 1 (a q 0 b) = q 1 a + (1 + q 1 q 0 )b. Wir müssen also x 0 := 1, y 0 := q 0 und x 1 = q 1, y 1 = 1 + q 1 q 0 = 1 q 1 y 0 setzen. Sei schon gezeigt r k 1 = x k 1 a + y k 1 b r k = x k a + y k b. Dann erhält man Entsprechendes auch für den nächsten Rest r k+1 : r k+1 = a k+1 q k+1 b k+1 = b k q k+1 r k = r k 1 q k+1 r k = (x k 1 a + y k 1 b) q k+1 (x k a + y k b) = (x k 1 q k+1 x k )a + (y k 1 q k+1 y k )b Wir müssen also x k+1 := x k 1 q k+1 x k und y k+1 := y k 1 q k+1 y k setzen. Mit den obigen Werten für k = 2, 1 bleibt diese allgemeine Rekursionsformel auch für x 0, y 0, x 1, y 1 richtig, denn sie liefert die oben berechneten Werte. Beispiele zum erweiterten euklidischen Algorithmus: Es sei a = 113, b = 77. k a b q r x y 2 1 0 1 0 1 0 113 77 1 36 1 1 1 77 36 2 5 2 3 2 36 5 7 1 15 22 3 5 1 5 0 Ergebnis: x = 15, y = 22. Probe: 15 113 + ( 22) 77 = g = 1. Es sei a = 19934, b = 3766. k a b q r x y 2 1 0 1 0 1 0 19934 3766 5 1104 1 5 1 3766 1104 3 454 3 16 2 1104 454 2 196 7 37 3 454 196 2 62 17 90 4 196 62 3 10 58 307 5 62 10 6 2 365 1932 6 10 2 5 0 Ergebnis: x = 365, y = 1932. Probe: 365 19934 + 1932 3766 = g = 2. Wir tragen nun den bisher nicht gegebenen Beweis des Haupt-Lemmas zur eindeutigen Primfaktorzerlegung nach.

Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau 21 1.2.15 Beweis des Lemmas 1.2.8. Der Beweis beruht wesentlich auf der Existenz von ggt s. Wir benutzen g := ggt(p, a), h := ggt(p, b). Es gilt g p; weil p eine Primzahl ist, bestehen nur die Möglichkeiten g = 1 oder g = p. Entsprechend kann nur h = 1 oder h = p sein. Wir diskutieren nun die verschiedenen Möglichkeiten. 1. Fall g = p. Wegen g a folgt dann p a, wie gewünscht. 2. Fall h = p. Entsprechend folgt dann p b. 3. Fall g = 1 und h = 1. Jetzt benutzen wir zwei Mal das Lemma von Bezout (Satz 1.2.13): Es gibt ganze Zahlen x, y, x, y mit xp + ya = 1, x p + y b = 1. Multiplizieren der beiden Gleichungen liefert xx p 2 + xy bp + yx ap + yy ab = 1. Nun verwenden wir die Voraussetzung p ab. Hieraus folgt, dass p die gesamte linke Seite der letzten Gleichung teilt. Also gilt p 1. Das ist unmöglich, also kann der 3. Fall gar nicht eintreten.

22 Lineare Algebra I WS 2015/16 c Rudolf Scharlau