Mein Semester abroad in Tartu, Estland Ein Erfahrungsbericht von Mara Röhrig Warum Estland? Warum Estland und wo liegt das überhaupt? Diese Frage habe ich gefühlt 1000 Mal gestellt bekommen, als ich meiner Familie und FreundInnen berichtete, dass ich mein Auslandssemester in Estland verbringen werde. Wieso meine Wahl darauf gefallen ist, war letztlich eher eine zufällige Entscheidung statt eine bewusste. Zuerst einmal wollte ich in den Norden, da die Natur dort ja wunderschön sein soll. Da ich bis dahin Estland selbst nicht auf dem Schirm hatte, zählte ich also eher Norwegen, Schweden und Finnland zu den nördlichen Ländern. Deshalb informierte ich mich über Finnland und entschied mich aber schnell wieder dagegen, da es dort an vielen Orten im Winter sehr sehr lange dunkel ist und auch die Lebenshaltungskosten bekanntlich hoch sind. Daher musste ich erneut einen Blick in die Belegungsliste der Austauschstädte werfen, die nun noch mehr von rot statt grün durchzogen war. Dabei fiel mir Tartu ins Auge. Da ich selbst nie davon gehört hatte, gab ich es bei Google ein und war sofort begeistert von den süßen Häusern und dem schönen Rathaus. Daraufhin las ich viele Erfahrungsberichte, die durchweg positiv waren und die mich neben weiteren Recherchen davon überzeugten, dass Tartu die richtige Stadt für mich sein könnte. Daher entschied ich mich dann bewusst für Tartu und fing an meine Bewerbung zu schreiben. Vorbereitung Nachdem ich wusste wo ich hin möchte, schrieb ich meine Bewerbung und reichte diese im Oktober meines dritten Semesters bei Herrn Quetsch ein. Dann war erstmal warten angesagt, denn die Bescheide der estnischen Universität über eine Zulassung zum Wintersemester gingen erst im April raus. Als ich dann eine Zusage erhielt, freute ich mich natürlich riesig und nahm die weiteren organisatorischen Punkte in Angriff. Dazu zählte auch das Grant Agreement, das die Kurse enthielt, die man im Ausland belegen möchte. Da die Kursliste des kommenden Semesters an der Uni Tartu aber noch nicht feststand, orientierte ich mich an der vorherigen. Letztendlich hatten sich ein paar Kurse geändert, was aber im Nachhinein problemlos geändert werden kann. Die Kurse musste ich auch mit meinen Dozierenden in Düsseldorf absprechen, ob diese anrechenbar sind. Dann wurde das Grant Agreement von Herrn Quetsch unterschrieben und bei Frau Sandmann eingereicht. Im Ausland musste man dieses dann noch von Frau Kalda unterschreiben lassen und mögliche Änderungen eintragen und an das International Office weiterleiten. Vor Ort muss man sich dann noch ein paar Dokumente unterzeichnen lassen, was aber keine große Hürde darstellte. Im Großen und Ganzen ist die Vorbereitung für ein Erasmus-Auslandssemester also recht einfach.
Unterkunft Um eine Unterkunft habe ich mich um einen Platz im Wohnheim beworben. Dazu gibt es ein Onlineportal, in dem man sich um einen Platz bewirbt. Die Zusage kam dann Ende Juli, also einen Monat bevor es für mich nach Estland ging. Ich kann nur für mich selbst sagen, dass ich sehr glücklich mit meinem Wohnheim war. Ich lebte mit vier weiteren Frauen in einer WG und teilte mir mit einer von diesen mein Zimmer. Deshalb war die Miete auch unschlagbar günstig: ich zahlte nie mehr als 120 Euro im Monat. Das Zusammenleben war sehr harmonisch und trug dazu bei, dass jede ihre Englischkenntnisse verbesserte und vielleicht bestehende Vorurteile abbauen konnten, da wir eine sehr internationale WG waren (Deutschland, Spanien, Südkorea, Ungarn und Weißrussland). Das Wohnheim bot die besten Voraussetzungen möglichst schnell möglichst viele Leute kennenzulernen und mit diesen eine gute Zeit zu verbringen. Ich würde mich auf jeden Fall wieder für Raatuse entscheiden. Universität Von der Universität war ich ebenfalls positiv überrascht. Zum einen von den schönen Gebäuden, die im Vergleich zu Düsseldorf wirklich ein Traum sind und zum anderen vom Kursangebot und dem Niveau der Lehrveranstaltungen. Ich habe hauptsächlich Fächer im Bereich Politik belegt sowie Estnisch für AnfängerInnen und einen Filmund Museumskurs, den ich nur empfehlen kann, wenn man die estnische Kultur besser kennenlernen mag. Ich habe auf jeden Fall viel gelernt und war auch durchweg mit allen Dozierenden sehr zufrieden, die im Vergleich zu Deutschland auch sehr offen und flexibel in Bezug auf Prüfungsverlegung waren. Vom Lernaufwand muss man sagen, dass viel gefordert wird und man auf jeden Fall auch während dem Semester viele Leistungen erbringen muss wie Reading tests oder Essays. In vielen Kursen muss man am Ende auch Hausarbeiten oder Klausuren schreiben. Die Einführungswoche der Uni eine Woche vor Semesterbeginn ist auf jeden Fall zu empfehlen, da am Anfang doch recht viel organisiert werden muss wie zum Beispiel die Anmeldung beim Bürgerbüro oder dem Ausstellen der Büchereikarte. Ein kleiner Tipp: Falls ihr euch eine ESN- oder ISIC-Card ausstellen lassen wollt, dann nehmt auf jeden Fall Passfotos von Zuhause mit. Davon habe ich wirklich ein paar gebraucht, unter anderem auch für die Beantragung des Russlandvisums für die Reise, die von der Uni organisiert wurde. Tartu Tartu ist eine süße, kleine Stadt im Süden Estlands und ist mit ihren knapp 100.000 EinwohnerInnen die zweitgrößte Stadt Estlands. Ich habe sie von Anfang an ins Herz geschlossen und vor allem die Rüütli-Straße war bei uns internationalen Studierenden sehr beliebt mit ihren zahlreichen Cafés, Restaurants und Bars. Sehr cool und alternativ ist das Möku, das während dem Tag ein Café und abends dann eine Bar ist, in der auch viele ESN-Events oder Konzerte und Filmabende stattfinden.
Da Tartu sehr überschaubar ist, ist auch alles problemlos zu Fuß zu erreichen. Günstig einkaufen kann man vor allem im Konsum, im Maxima oder im Rimi. Comarket ist ein bisschen teurer, allerdings direkt neben dem Wohnheim Raatuse 22. Etwas außerhalb liegt das Einkaufszentrum Lounakeskus. Dorthin fahren aber auch kostenlose Busse. Hier gibt es beispielsweise ein Möbelgeschäft und viele Bekleidungsgeschäfte sowie eine Eislaufbahn. Im Sommer lohnt es sich eine Kanutour auf dem Emajögi zu unternehmen und im Dezember ist der Weihnachtsmarkt im extra aufgebauten und sehr schön geschmückten Weihnachtswald auf dem Rathausplatz auf jeden Fall einen Besuch wert. Tartu Town Hall zur Weihnachtszeit Reisemöglichkeiten Estland ist das nördlichste Land des Baltikums und auch das kleinste. Reisen ist hier sehr günstig, sei es mit dem Bus oder durch Mieten eines Autos. Wir haben alle sehr viel unternommen und waren in Schweden, Finnland, Lettland, Litauen und Russland. Nach Stockholm, Helsinki und St. Petersburg kommt man ab Tallinn mit der Fähre bzw. dem Schiff. Nach Tallinn dauert es ab Tartu zwei Stunden mit dem Bus. In Lettland ist die Hauptstadt Riga auf jeden Fall sehr sehenswert und wenn man im Sommer dort ist, kann man auch mit dem Zug in den Kurort Jürmala fahren, dieser liegt direkt an der Ostsee. Vilnius ist ebenfalls sehr sehenswert sowie der Berg der Kreuze in Litauen. Hierzu bereitet ESN Tartu aber auch immer einen Trip vor, bei dem man sich drei Stationen ansehen kann. Es ist aber auch sehr einfach alles selbst zu organisieren. Weitere ESN-Trips sind das Sea Battle bei dem man mit einem großen Partyschiff nach Stockholm fährt und dort tagsüber ein paar Stunden Zeit hat, um dann wieder zurück nach Tallinn zu fahren und weiter zu feiern. Mein
absolutes Highlight war mit Abstand der ESN-Lappland-Trip nach Levi. Wir haben Rentiere gesehen und das große Glück gehabt die wunderschönen Nordlichter zweimal live zu Gesicht zu bekommen. Die Landschaft dort ist wirklich wie im Traum und auch der Sternenhimmel ist atemberaubend. Ich kann nur jedem/jeder empfehlen sich für einen der begehrten Plätze zu bewerben, es lohnt sich auf alle Fälle und ich möchte diese Reise nicht missen. Außerdem ist es eine neue Erfahrung mitzuerleben wie lange es doch dunkel ist im Winter im Norden Finnlands und das finnische Leben mit Saunaabenden zu zelebrieren. Lappland: Winter Wonderland In Estland sind neben der größten Insel Saaremaa und dem riesigen Peipsi-Lake auch die Nationalparks einen Ausflug wert wie zum Beispiel der Lahemaa Nationalpark im Osten Tallinns. Sehr interessant fand ich aber auch ein stillgelegtes altes Sowjetgefängnis in Rummu, 40 Minuten außerhalb von Tallinn. Die Hauptstadt mit ihrer schönen historischen Altstadt ist natürlich auch ein absolutes Muss und dort hat es uns alle auch ziemlich oft hingezogen.
Die Ostsee im Lahemaa Nationalpark Fazit Für mich war Estland auf jeden Fall die absolut richtige Entscheidung und ich würde alles auf jeden Fall wieder genauso machen! Ich habe in meiner Zeit in Tartu viel Neues gelernt und viel erlebt was mich immer glücklich macht wenn ich an meine Zeit in Estland zurückdenke. Wenn ich an Estland denke, dann denke ich vor allem an die schöne du vielseitige Natur, die einen Ausbruch aus dem hektischen Alltag bietet. Aber auch die hohen Standards in Internetzugänglichkeit, sei es durch freies WLAN an jeder Ecke oder durch unschlagbar günstige Handytarife machen dieses Land einfach sympathisch. Ein weiterer Vorteil ist die Bequemlichkeit so gut wie überall (abgesehen vom Markt) mit Karte zu zahlen, egal wie gering der zu zahlende Betrag ist. Nun muss ich zugeben, dass ich mich sehr verbunden mit dem Land und den netten (wenn auch anfangs eher kühl wirkenden) BewohnerInnen fühle und mich darauf freue möglichst bald und möglichst oft in meine zweite Heimat zurückzukehren. Der Abschied aus Tartu fiel uns allen am Ende sehr schwer und alle sind sehr dankbar über die vielen Möglichkeiten die sich uns boten und die vielen Erfahrungen die wir sammeln konnten. Estland ist auf jeden Fall eine Reise wert und zu Unrecht so unbekannt. Nach meinen vier Monaten in Tartu kann ich nun auf jeden Fall allen begeistert die Frage beantworten: Warum Estland?