Märchen-Strukturmerkmale des Genres und Bezüge zur aktuellen phantastischen Kinder- und Jugendliteratur

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Transkript:

Germanistik Jennifer Roth Märchen-Strukturmerkmale des Genres und Bezüge zur aktuellen phantastischen Kinder- und Jugendliteratur Examensarbeit

Märchen - Strukturmerkmale des Genres und Bezüge zur aktuellen phantastischen Kinder- und Jugendliteratur Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt Primarstufe dem Staatlichen Prüfungsamt Dortmund

Inhalt 1 Einleitung...4 2 Name und Begriff Märchen...5 2.1 Abgrenzungen zu benachbarten Gattungen...6 2.1.1 Sage...7 2.1.2 Legende...8 2.1.3 Mythos...8 2.1.4 Fabel...9 2.1.5 Schwank...9 2.2 Die Geschichte des Märchens...10 2.2.1 Altertum...10 2.2.2 Mittelalter...10 2.2.3 Neuzeit...11 2.3 Die Geschichte der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm...12 3 Die Struktur des europäischen Volksmärchens...14 3.1 Handlungsverlauf des europäischen Volksmärchens...14 3.1.1 Die Themen des europäischen Volksmärchens...15 3.2 Die Personen...16 3.2.1 Die Flächenhaftigkeit und Isolation der Märchenfiguren...16 3.2.1.1 Der körperliche Aspekt...16 3.2.1.2 Der seelische Aspekt...17 3.3 Der Märchenheld...18 3.3.1 Die Flächenhaftigkeit und Isolation des Märchenhelden...18 3.3.1.1 Seine Innenwelt...19 3.3.1.2 Seine Umwelt...20 3.4 Die jenseitigen Märchenfiguren...20 3.4.1 Ihre Flächenhaftigkeit und Isolation...21 3.5 Die flächenhaften und isolierten Beziehungen der Figuren untereinander...21 3.6 Requisiten...22 3.6.1 Die Gegenstände und ihre Flächenhaftigkeit und Isoliertheit...22 3.7 Die Welt des Märchens...23 3.7.1 Flächenhafte und isolierte Darstellung der Zeit...23 3.7.2 Die Weltordnung des Volksmärchens...24 1

3.7.3 Naive Ästhetik...24 3.7.4 Naive Moral...25 3.7.5 Wiederherstellung der vorübergehend gestörten Weltordnung...25 3.8 Abstrakter Stil des europäischen Volksmärchens...26 3.9 Eindimensionalität...29 3.10 Zusammenfassung zur Struktur des europäischen Volksmärchens...30 3.11 Untersuchung eines Volksmärchens...30 3.11.1 Frau Holle...31 3.11.2 Kurze Inhaltsbeschreibung...31 3.11.3 Typische und untypische Märchenmerkmale in Frau Holle...31 3.11.4 Handlungsverlauf...32 3.11.5 Darstellung der Figuren...35 4 Das Kunstmärchen...37 4.1 Definitionsversuch...38 4.2 Entwicklungsprozess vom Volks- zum Kunstmärchen...40 4.2.1 16. Jahrhundert...40 4.2.2 Zyklisches und instrumentales Geschehen und Erzählen...41 4.2.3 18. bis 19. Jahrhundert...43 4.2.4 Interner Perspektivenreichtum und interne Vielstimmigkeit...44 4.2.5 Charaktere im Kunstmärchen...45 4.3 Phantastik im Kunstmärchen...45 4.3.1 Phantastische Literatur- ein Definitionsversuch...46 4.3.1.1 Nach Todorov...46 4.3.1.2 Nach Caillois...47 4.3.1.3 Nach Marzin...47 4.4 Untersuchung eines Kunstmärchens...48 4.4.1 Der blonde Eckbert...48 4.4.2 Kurze Inhaltsangabe...48 4.4.3 Bezüge zum Volks- und Kunstmärchen sowie zur Phantastik...49 4.4.4 Handlungsverlauf...49 4.4.5 Darstellung der Figuren...53 5 Die phantastische Kinder- und Jugendliteratur- ein Ableger des Märchens..55 5.1 Abgrenzungen der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur zu benachbarten Gattungen...55 2

5.1.1 Science-Fiction...56 5.1.2 Fantasy...57 5.1.3 Utopie...57 5.2 Der Vergleich des Verhältnisses zum Phantastischen im Märchen und in der Phantastik und warum die Phantastik das Märchen ablöst...58 5.3 Historischer Entwicklungsprozess der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur...60 5.3.1 Die Zeit der Aufklärung...61 5.3.2 Die Epoche der Romantik...61 5.3.3 Die Zeit von Biedermeier bis Realismus...62 5.3.4 19./20. Jahrhundert...64 5.3.5 Die 50er und die 60er Jahre...65 5.3.6 Die 70er Jahre...66 5.3.7 Die 90er Jahre...68 5.4 Das Grundmuster der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur und Bezüge zum Märchen...69 5.4.1 Die reale Ebene...70 5.4.2 Wechsel von der realen zur imaginären Ebene...72 5.4.3 Die imaginäre Ebene...74 5.4.4 Erscheinungsformen der phantastischen Wesen...75 5.4.5 Die Funktion des Magischen...75 5.5 Abschließende Gedanken zur phantastischen Kinder- und Jugendliteratur...76 5.6 Untersuchung einer aktuellen phantastischen Kinder- und Jugendbuchreihe...76 5.6.1 Die Harry-Potter-Reihe...76 5.6.2 Kurze Inhaltsbeschreibung...77 5.6.3 Bezüge zum Märchen und zur phantastischen Kinder- und Jugendliteratur...77 5.6.4 Handlungsverlauf...77 5.6.5 Darstellung der Figuren...81 6 Abschließende Gedanken...83 Literaturverzeichnis 3

1 Einleitung Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Es gibt wohl niemanden, der diese Floskel nicht kennt. Man denkt unweigerlich an ein Märchen. Allein die Tatsache, dass auch noch fast 200 Jahre nach Veröffentlichung der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm den Menschen unserer Zeit das Märchen ein Begriff ist, zeigt, dass es, wie die typische Endfloskel es besagt, noch nicht gestorben ist und noch heute lebt. Es wird auch in näherer Zukunft nicht aussterben, denn es lebt zusätzlich in seinen Ablegern weitern. So wie Menschen ihre Eigenschaften über Generationen weitervererben, vererbt das Märchen seine Merkmale an andere Gattungen weiter, wie die der Phantastik, spezieller der phantastischen Literatur für Kinder und Jugendliche. Auf diese Art und Weise wird das Märchen nicht nur in seiner eigenen Gattung, sondern auch in deren Ablegern weiterleben. In dieser Arbeit werde ich mich daher mit den beiden Gattungen des Märchens, dem Volks- und dem Kunstmärchen, und ihren Bezügen zur phantastischen Kinder- und Jugendliteratur beschäftigen. Zu Beginn meiner Arbeit werde ich mich mit dem Volksmärchen, wie man es von den Brüdern Grimm kennt, auseinandersetzen. Dabei werde ich auf seinen Ursprung und auf seine Entstehungsgeschichte eingehen. Zudem werde ich eine Abgrenzung zu benachbarten Gattungen vornehmen. Insbesondere werde ich die Merkmale herausarbeiten, die dem Volksmärchen seine unverwechselbare Struktur verleihen. Die Ausführungen zum Volksmärchen werde ich mit einer Untersuchung eines Volksmärchens auf seine gattungsspezifischen Merkmale beenden. In einem weiteren Kapitel werde ich mich der zweiten Gattung des Märchens, dem Kunstmärchen, widmen. Dabei werde ich den Schwerpunkt auf die Entwicklung vom Volks- zum Kunstmärchen legen, in der sich die Eigenarten des Kunstmärchens herauskristallisieren. Da das Kunstmärchen phantastische Elemente besitzt, werde ich mich 4

bereits in diesem Kapitel mit der Phantastik beschäftigen und eine Brücke zum nächsten Kapitel schlagen. Auch diese Ausführungen werden mit einer Untersuchung eines Kunstmärchens auf seine Bezüge zur eigenen Gattung, zum Volksmärchen und zur Phantastik abgeschlossen. Meine Ausführungen zu der Gattung des Märchens werden sich allerdings nur auf Erzählungen des europäischen Kulturkreises beziehen. Außereuropäische Formen des Märchens werde ich außer Acht lassen, da dies sonst den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Im letzten Kapitel werde ich mich mit der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur auseinandersetzen. Dazu werde ich diese Gattung zu benachbarten Gattungen abgrenzen, ihren historischen Entwicklungsprozess nachzeichnen und ihre Struktur erläutern. Hierbei werde ich zeigen, dass die phantastische Kinder- und Jugendliteratur ein Ableger des Märchens ist und wie diese Entwicklung fortschreiten konnte. Dieses Kapitel wird erneut mit einer Untersuchung eines aktuellen phantastischen Kinder- und Jugendbuchs enden, wobei ich mein Augenmerk auf seine Bezüge zur eigenen Gattung und zum Märchen legen werde. Auf diese Art und Weise werde ich zeigen, dass das Märchen unsterblich zu sein scheint. 2 Name und Begriff Märchen Die Begriffe Märchen bzw. das mittelhochdeutsche Märlein stammen aus dem Deutschen und sind Verkleinerungsformen zu Mär. Dies bezeichnet einen Bericht, eine Kunde, Erzählung oder auch ein Gerücht. Diese Verkleinerungsformen unterlagen einer Bedeutungsverschlechterung und so wurden die Begriffe Märchen und Märlein nur noch für erfundene und unwahre Erzählungen benutzt. Im 18. Jahrhundert verbesserte sich aber das Ansehen des Märchens, als Feenmärchen und die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht an Beliebtheit gewannen. Zur selben Zeit entdeckten die Vertreter des Sturm und Drang den poetischen Wert der Volksdichtung. 5

Der große Erfolg der Märchensammlungen der Brüder Grimm und Bechstein sowie die Geschichten von anderen deutschen Romantikern taten im 19. Jahrhundert ihr Übriges, um das Ansehen des Märchens zu verbessern. Heute unterteilt man das Märchen in zwei wertungsfreie Gattungen, die des Volksmärchens und die des Kunstmärchens. Das Volksmärchen ist mündlich tradiert und somit Jahrtausende von Generation zu Generation überliefert und später in Märchensammlungen schriftlich festgehalten worden. Das Kunstmärchen hingegen ist künstlich von einem bekannten Autor erschaffen worden. Im Verlauf diese Arbeit werde ich aber noch genauer auf die Unterschiede dieser beiden Gattungen eingehen. Mittlerweile hat sich der mitteldeutsche Begriff Märchen in der Schriftsprache etabliert, allerdings werden in den oberdeutschen Dialekten die Begriffe Märli und Märle bevorzugt benutzt. Der deutsche Ausdruck Märchen umschreibt die spezielle Erzählart. Andere Sprachen besitzen einen solchen Ausdruck nicht, sondern nur Bezeichnungen, die eine allgemeinere Bedeutung haben. Daher wurde das deutsche Wort Märchen als Fremdwort in andere Sprachen übernommen, welches durch die globale Bekanntheit der Märchensammlung der Brüder Grimm seine Berechtigung hat. Obwohl der Begriff Märchen eine Gattung umschreibt, umfasst dieser immer noch einen größeren Bereich, sodass die Volksmärchenforschung von Märchen im eigentlichen Sinne und eigentlichen Zaubermärchen spricht. Dabei stehen Zauber- und Wundermärchen im Mittelpunkt der eigentlichen Märchen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die von den Brüdern Grimm verbreiteten Märchen durch Zauber, Übernatürliches, Wunder, Übersinnliches und Jenseitiges geprägt sind. Dies zeigt wie weitläufig der Begriff Märchen ist. 1 2.1 Abgrenzungen zu benachbarten Gattungen Das europäische Volksmärchen lässt sich nicht immer einfach von seinen benachbarten Gattungen der Sage, der Legende, des Mythos und der Fabel trennen, da diese die 1 Vgl. Lüthi, Max: Märchen. 10. Auflage. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler Verlag 2004, S. 1-5. 6