Israel und das Völkerrecht

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Transkript:

http://blog.tagesspiegel.de/flatworld/eintrag.php?id=233 19. Juli 2006 Israel und das Völkerrecht von Clemens Wergin Es herrscht einiges Durcheinander bei der völkerrechtlichen Bewertung der israelischen Militärschläge. Heidemarie Wieczorek-Zeul bezeichnet Israels Vorgehen im Tagesspiegel am Sonntag als völkerrechtswidrig, der Berliner Rechtsprofessor Christian Tomuschat gibt im heutigen Tagesspiegel zwar zu, dass Israel das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehmen kann, hält allerdings die Bombardierung nicht eindeutig militärischer Ziele nur schwer mit der Genfer Konvention vereinbar und meint, es sei fragwürdig, ob Israel das Recht habe, ein Elektrizitätswerk und den Flughafen in Beirut anzugreifen. Beim Elektrizitätswerk muss ich Tomuschat zustimmen (das gilt auch für das von Israel bombardierte E-Werk in Gaza), allerdings halte ich den Flughafen für ein legitimes Ziel und finde auch Tomuschat s Formulierung, man dürfe nur eindeutige, also 100-prozentig militärische Ziele bombardieren, für erstens falsch und zweitens realitätsfremd. Um ein wenig Licht in dieses Dickicht der völkerrechtlichen Argumente zu bringen, hier ein Klärungsversuch: Fangen wir am Anfang an, mit dem Ius ad bellum: Angriff auf Israel und Zurechenbarkeit der Attacke Bis auf ein paar nahöstliche Ideologen, die den Angriff der Hisbollah auf Israel als Teil des Kampfes der Palästinenser gegen die israelische Besatzung sehen, gibt es eigentlich kaum jemanden, der die Ermordung von 11 israelischen Soldaten und die Entführung von zwei weiteren, mit denen der Konflikt begann, nicht als kriegerischen Akt sehen würde. Die UN hat Israel bescheinigt, ganz Libanon im Jahr 2000 verlassen zu haben. Die Attacke stellt also einen unprovozierten Angriff auf das Territorium eines souveränen Staates dar. Zweifel gab es am Anfang daran, ob dieser kriegerische Akt allein der Hisbollah zuzurechnen ist oder, wie Israel behauptet, dem libanesischen Staat. Es darf glaube ich inzwischen als Mehrheitsmeinung gelten, dass die israelische Zurechnung richtig ist. Aus zwei Gründen. 1. Weil Libanon in den 6 Jahren seit dem israelischen Rückzug nichts getan hat, um die volle Souveränität über das eigene Staatsgebiet wiederherzustellen und, wie es der UN-Sicherheitsrat mehrfach gefordert hat, die Milizen im Land zu entwaffnen. Diese Tatenlosigkeit kann als Komplizenschaft gewertet werden. 2. Seit die Hisbollah allerdings auch noch an der Regierung beteiligt ist, kann es kaum noch einen Zweifel geben, dass ihre Handlungen juristisch Libanon zuzurechnen sind. Seite 1 von 5

Ius in bellum: Fragen der Verhältnismäßigkeit Kritik an den israelischen Aktionen kann in zwei Kategorien geteilt werden. Einmal wird der Anlass für zu klein gehalten, als dass er die massiven Gegenschläge Israels rechtfertigen könnte. Dann wird Kritik, siehe oben, an der Auswahl von Zielen geübt, die Israel bombardiert. Zunächst die Verhältnismäßigkeit: Es mag tatsächlich unverhältnismäßig scheinen, 11 tote und zwei entführte Soldaten als Grund für solch massive Schläge zu sehen. Vergessen wird jedoch, dass die Kommandoaktion von Hisbollah von Anfang an auch durch Raketenangriffe auf Israel begleitet war. Berichten zufolge gingen schon in den ersten Stunden der Hisbollah-Attacke, noch bevor Israel zum Gegenschlag ansetzte, 60 Raketen auf Israel nieder. Inzwischen sind es mehr als 700, die zum Teil auch strategisch wichtige Großstädte wie Haifa erreichten. Die Anfangs-Aggression von Hisbollah hält also an und wurde sogar ausgeweitet. Meiner Meinung nach reicht das bei weitem aus, um einen vollständigen militärischen Gegenschlag zu rechtfertigen (tatsächlich hat Israel aber nur einen sehr kleinen Teil seines militärischen Potenzials bisher ausgeschöpft). Wer anderer Meinung ist, möge mir bitte sagen, was die Schwelle für eine volle militärische Antwort ist: 1000 Katjuschas, 10000 oder 100000? Legitime Ziele Ich teile Tomuschat s Kritik an der Bombardierung eines Elektrizitätswerkes. Auch wenn es Hisbollah-Computer und -Sender mit Strom versorgt hat, ist mir diese Verbindung doch ein wenig zu locker. Anders sieht das aus bei Straßen, Flughäfen und Häfen. Es ist kein Geheimnis, dass Hisbollah sich vor allem von Iran munitionieren lässt. Diese Waffen kommen auf dem Landwege über Syrien, über Libanons Häfen und den internationalen Flughafen in den Süden des Landes. Deshalb ist es meiner Ansicht nach legitim, diese Nachschubwege zu bombardieren, zumal wenn die Israelis tatsächlich befürchtet haben, dass ihre Soldaten über einen dieser Wege nach Teheran gebracht werden sollten. Auch der Sender Al Manar, der sich nach eigener Aussage als Teil des militärischen Kampfes gegen Israel versteht, also quasi ein Hisbollah-Armee-Sender ist, darf deshalb meiner Ansicht nach als legitimes Ziel gelten, genauso wie Hisbollah-Stellungen in Wohngebieten, zumal die Israelis die Bewohner dieser Gebiete mehrere Stunden vor ihrem Beschuss dazu aufgefordert haben, ihre Viertel zu verlassen, um zivile Opfer zu vermeiden. Solche Aussagen mögen hart klingen, weil niemand die zivilen Opfer, die es bei kriegerischen Auseinandersetzungen immer zu beklagen gibt, wieder lebendig machen kann. Ich finde allerdings, dass diese Opfer immer allzu schnell den Israelis zugerechnet werden. Und deshalb mache ich jetzt einmal den WK-II-Test Der Blick auf den Nahen Osten ist so stark ideologisch vorformatiert, dass ein wenig historischer Abstand nicht schaden kann. Deshalb also der Zweiter-Weltkrieg-Test. Nehmen wir also an, Deutschland greift 1939 Polen an und die Polen schlagen gegen militärisch wichtige Ziele in Deutschland zurück. Nehmen wir weiter an, dass die Seite 2 von 5

Deutschen ihre Militäranlagen vorwiegend in Wohnvierteln gebaut haben und die eigene Bevölkerung wissentlich als Schutzschild ihres Militärs missbrauchen. Die Polen greifen die Militäranlagen dennoch an. Wem sind die dabei zu beklagenden zivilen Toten zuzurechnen? Natürlich eindeutig den Deutschen. Weil sie 1. damit rechnen mussten, dass ihre völkerrechtswidrige militärische Aggression einen Gegenschlag provozieren würde. Und weil sie 2. wissen mussten, dass beim Beschuss ihrer Militäranlagen auch Zivilisten umkommen würden Tote, auf die sie es mit der Platzierung ihrer Einrichtungen ja geradezu abgesehen hatten. Fragen wir uns weiter, ob Ziele, die militärisch und zivil genutzt werden, wie Straßen, Schienen, Häfen und Flughäfen, legitime Ziele der Polen sein dürfen. Man erinnert sich noch, dass kritische Historiker den Alliierten vorwerfen, etwa das deutsche Eisenbahnnetz, auf dem Juden nach Auschwitz transportiert wurden, nicht zerstört zu haben. Was Tomuschat uns jetzt zu unser Überraschung sagt ist das: Sie hätten es gar nicht bombardieren dürfen, weil die Bahn eine zivile Einrichtung ist und somit kein legitimes Ziel darstellt. Das klingt nicht überzeugend. Die Transportinfrastruktur eines jeden Landes mag in Friedenszeiten vor allem zivil genutzt werden, in Kriegszeiten hingegen sind das die wichtigsten Logistik-Voraussetzungen, um Nachschub an Kämpfern, Verpflegung und Waffen an die Front zu bringen. Kein Land der Welt hält eine parallele Infrastruktur für Kriegsfälle vor, etwa ein Eisenbahnnetz oder Straßen, die nur die Armee benutzt. Einzige Ausnahme sind Militärflughäfen, deren Existenz aber nicht bedeutet, dass die zivilen Flughäfen nicht auch vom Militär mitbenutzt werden. Tomuschat begründet seine Haltung damit, dass der völkerrechtlich gebotene Schutz der Zivilbevölkerung schwer vereinbar ist mit der Bombardierung von zivilen Einrichtungen, Beispiel Flughafen. Ein mehrfacher Denkfehler. Ich habe oben schon gezeigt, warum etwa bei Flughäfen zivil nicht gleich zivil ist. Dazu kommt, dass die Bombardierung solcher ziviler Einrichtungen eben nicht in jedem Fall gleichbedeutend ist mit der Tötung von Zivilisten. Solange die israelische Luftwaffe nur die leere Rollbahn des Flughafens bombardiert und nicht das Flughafengebäude oder Passagierflugzeuge können etwa zivile Opfer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Warum aber dieses ganze Denkgebäude ohnehin nicht standhält, möchte ich mit einem weiteren Test belegen: Der Als-Ob-Test Nehmen wir einmal an, Tomuschat hat Recht und es stimmt, dass Einrichtungen, die in Friedenszeiten hauptsächlich zivil genutzt werden, also nicht eindeutig militärisch sind, kein legitimes Kriegsziel darstellen. Nehmen wir weiter an, dass all jene Recht haben, die sagen, man darf militärische Ziele grundsätzlich nicht angreifen, wenn man dabei Zivilisten einer großen Gefahr aussetzt. Nehmen wir also an, dass das, was nun von vielen über das israelische Vorgehen gesagt und geschrieben wird, in allen ähnlichen Fällen gilt. Dann gibt es ein sehr gutes Mittel, mit dem sich Aggressor-Staaten oder Terroristen unangreifbar machen können. Sie müssen ihre Raketenabschussbasen und militärischen Einrichtungen nur in Wohnvierteln ansiedeln und ausschließlich aus diesen Vierteln heraus operieren (was ja Hamas und Hisbol- Seite 3 von 5

lah längst zu ihrer Strategie gemacht haben). Sie dürfen ihre Kommandozentralen nur in bewohnten Vierteln aufbauen, gleiches gilt für ihre Waffenproduktion (eine Strategie etwa Irans, das viele am Nuklearprogramm beteiligten Forschungs- und Produktionsstätten in Wohnvierteln platziert hat, um die Schwelle für gezielte Militärschläge gegen das Programm zu erhöhen). Und die Nachschubwege dürfen ausschließlich über Transportmittel laufen, die in Friedenszeiten zivil genutzt werden. Und schon müssen sie keinen Gegenschlag mehr fürchten, weil das Völkerrecht, das die Tomuschats und die Wieczorek-Zeuls vertreten, sie dann vor allen Gegenschlägen schützt. Das Völkerrecht mutiert so von einem Recht, das vor Aggressoren schützt, zu einem Recht, das Aggressoren schützt - wenn die nur skrupellos genug sind, ihre eigene Bevölkerung als Schutzschild zu missbrauchen. Das "ius ad Israel" Weil diese Interpretation des Völkerrechts ins Absurde tendiert, wenn man sie allgemein setzt, drängt sich ein Verdacht auf. Es gibt nicht nur das ius ad bellum und das ius in bellum, auf das Tomuschat im Tagesspiegel hinweist, es gibt offenbar auch ein ius ad Israel, eine Interpretation des Völkerrechts, die nur gegen Israel in Anwendung gebracht wird, weil die Verallgemeinerung der dort geforderten Auslegungsprinzipien zu offensichtlich absurden Ergebnissen führen würde. Politik und Völkerrecht Es mag manche überraschen, dass ich so viel Platz auf die Diskussion der völkerrechtlichen Aspekte der aktuellen Nahostkrise verwende, nur, um dann in einem cetero censeo auf den Unterschied zwischen Politik und Völkerrecht hinzuweisen. A- ber beides sind eben distinkte Kategorien. Es gibt in Europa einen Hang zur Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, als sei dann, wenn man die völkerrechtlichen Fragen geklärt habe, schon alles zu einem Problem der internationalen Politik gesagt. Das ist aber eine gefährliche Tendenz, weil so nicht mehr unterschieden wird zwischen dem wie, dem Aktionsrahmen, den das Völkerrecht setzt, und dem was, dem, was Politik an Wünschenswertem gestalten können muss. Eine Betonung des Völkerrechts bei internationalen Problemen hat zwei mögliche Folgen: 1. Weil das Völkerrecht ein extrem weiches, biegsames und vielen Interpretationen offenstehendes System ist, lässt es sich leicht politisch-ideologisch missbrauchen. Will sagen: Jeder interpretiert sich hin, was ihm gerade passt. 2. Eine restriktive Auslegung des Völkerrechts, die die politischen Spielräume der internationalen Akteure stark einschränkt, befördert eine Paralyse der internationalen Politik. So wie wir es seit Jahrzehnten etwa mit der UN und ihrem Sicherheitsrat erleben, der stets the license to do nothing aber sehr selten the license to do something erteilt und so wenig zur Lösung von Konflikten beiträgt. Das Völkerrecht kann also wertvolle Hinweise bieten etwa zur moralischen Bewertung von Fragen der internationalen Politik. Lösungen oder erfolgversprechende Ansätze werden dadurch aber noch lange nicht befördert. Will heißen: Selbst wenn Israels Vorgehen weitgehend völkerrechtskonform sein sollte, würde das noch lange Seite 4 von 5

nicht bedeuten, dass es sich dabei auch um kluge Politik handelt. Und auch umgekehrt wird ein Schuh draus: Wer Israels Vorgehen für eine politische Katastrophe hält, muss deshalb noch lange nicht das Völkerrecht bemühen. Denn Politik und politische Analyse haben ihre eigene Logik und auch ihren eigenen Wert. Mit der politisch-strategischen Logik des israelischen Vorgehens beschäftige ich mich in den nächsten Tagen. Der Autor Schafft die arabische Welt den Sprung in die Moderne? Wie geht es mit Amerika und Europa weiter? Bleibt der Aufstieg Chinas zur Weltmacht friedlich? Außenpolitik ist viel zu spannend, um sie nur den Politikern zu überlassen, meint Clemens Wergin. Er hat in Hamburg Nahostgeschichte studiert sowie Islamwissenschaft und Journalistik. Als Meinungsredakteur beim Tagesspiegel kommentiert er vor allem Themen der Außenpolitik. http://flatworld.blogg.de Veröffentlicht auf www.projekt-j.ch mit freundlicher Genehmigung des Autors Seite 5 von 5