Sucht und Freiheit Drogenkonferenz Rheinland Pfalz Am 01.06.2011 Prof. Dr. Frank Löhrer, Aachen & Stolberg
Sucht ein deutscher Begriff: maßlos konsumierend, wichtig: eine ethische Kategorie ist begriffsbildend! strittig: gibt es substanzlose Sucht? Als Verhalten: Ja, gibt es! angloamerikanisches Denken (Leitbild gebend in der klinischen Psychiatrie seit 1950): Unterscheide in Mißbrauch und Abhängigkeit!
Sucht: Deutsch gesehen. Sucht ist zweckfrei Sucht versucht, Vergessen zu können und vergessen zu werden Sucht schafft Gemeinschaft Sucht schafft Auswege (oder Fluchtwege?) Sucht ist eigenschaftslos Sucht ist gierig Sucht hat eine eigene Logik Sucht ist immer ein moralisches Problem
Kategorien der Abhängigkeit: (als ein Tribut an die (natur)wissenschaftliche Psychiatrie: Entzug Gewöhnung Einnahme trotz negativer Attribution Einnahme trotz Nebenwirkung Streben nach höherer Dosis Vernachlässigung anderer Aufgaben
Freiheit? Im Unterschied zu Determiniertheit Im Unterschied zu Abhängigkeit Im Unterschied zu gelenkt Im Unterschied zu Unfreiheit
Was begründet Freiheit: kulturabhängige Antworten: Sächsisch: Grund und Boden, Allemansrätt: aber: was ist mit dem grundlosen? Calvinistisch/neuenglisch: zu denken: Cogito ergo sum : aber: was ist mit dem Armen im Geiste Katholisch: menschlich erlöst zu sein: aber: was ist mit dem, der nicht erlöst ist? Neuzeitlich/aufgeklärt: zu sein: aber: stimmt das? Wirtschaftlich: unabhängig zu sein: aber: was ist mit denen, die als der falschen Erdseite geboren sind? Freiheit ist immer eine ethische und eine politische Kategorie
Daher steht fest: Wer süchtig ist, ist nicht frei! (Wer mißbraucht, kann frei sein.) Ist Deutschland nur noch im Zustand der Berauschung erträglich?
Anfragen: Wie frei sind wir, in Arbeitskontexten? Wie frei sind wir in Budgetzwängen? Wie frei sind wir als Ehepaare? Wie frei sind wir als Eltern? Wie frei sind wir als Kinder? Wie frei sind wir als Träger von Daten? Wie frei sind wir als Triebwesen?
Suchtarbeit: Suchtarbeit ist Arbeit mit Süchtigen, das sind (N.B.!) Menschen Menschen sind jene rätselhaften Wesen mit einem Leib, den wir gut kennen und einer Seele, die wir nur durch eine Anstrengung kennen lernen können. Die Methode dazu ist die Beziehung. Das ist schockierend. Suchtarbeit benötigt daher eine Analyse der Herkunft ( Diagnose ) und eine Analyse des Zieles. Ohne Zieldefinition gelingt keine Suchtarbeit, weil ohne Zieldefinition kein Leben gelingt.
Suchtarbeit: Zielsuche Was ist den Menschen wichtig? Wozu bin ich auf der Welt? Wozu lohnt es sicht, zu leben? Wozu lohnt es sich, zu sterben? Warum soll ich nüchtern bleiben?
Abstinenz: Jede Form des Maßhaltens benötigt einen Zweck, nicht einen Grund Es gibt tausend Gründe, etwas nicht zu tun, aber nur einen, es auch zu machen Erreichen wir mit abstinenzorientierter Arbeit eine Veränderung der Wertehierarchie, oder nur eine Anpassungsreaktion? Und wenn letzteres: Anpassung woran? Ist das Freiheit?
Was den Menschen wichtig ist Stellen der Fragen Analysieren der Antworten Einstampfen von Lieblingshypothesen Breitere Datenanalyse Überraschendes Interesse von unerwarteter Seite
Ergebnisse: Es gibt Werte Es gibt einen breiten Wertekonsens (sozial/humanistisch/materiell/religiös) Die Menschen sind unterschiedlich Frauen und Männer, Schlaue und Dumme, Gebildete und Ungebildete, Arme und Reiche Es gibt primäre werte und gemachte
Was den Menschen wichtig ist. Soziales Nahfeld (Familie, Freundschaft, Kinder, Partnerschaft, Intimität) Unterstützung und Solidarität Gerechtigkeit, Friede, Freiheit Religion (z.t., z.t. nicht) Geld, Besitz, Macht, Ansehen
Suchtarbeit, eine Sysiphusarbeit Weil die Klienten so chaotisch sind? Oder weil unsere Zíele so unwirklich sind? Geld, Ansehen, Gut Sysiphus, warum willst Du so hoch hinaus?
Suchtarbeit: Versöhnung mit der Mittelmäßigkeit Versöhnung mit der Endlichkeit Versöhnung mit den kleinen Zielen Versöhnung mit der Krankheit
Suchtarbeit, eine psychotherapeutische Analogie Die Fallgeschichte Sabiene S. Aus der schwer persönlichkeitsgestörten wird nicht eine Führungsfigur Aber ein mittelmäßig zufriedener Mensch Leine zärtliche Partnerin Eine gute Mutter Ein fleißiger autonomer Mensch
Suchtarbeit Versöhnung mit den nicht abwendbaren Determinanten Entdecken der Prijoritäten des Lebens Entwickeln von Hierarchien Nicht alles ist gleich gültig, gleich wichtig, gleich wertig Habe den Mut zu Bevorzugungen Nimm unwichtiges nicht wichtig! Nimm Dich nicht zu wichtig, und nimm Dich nicht zu unwichtig! Glaube was Du sagt! Sage was du glaubst! Steh hinter Deinem Leben First Things First!
Sucht und Freiheit: die politische Dimension Wie verändere ich eine Gesellschaft (sozialarbeiterische Kampagnenfähigkeit) Wie verändere ich einen einzelnen Gesellschaftliche Aufbrüche geschehen selten in Bewegungen, effizienter durch einzelne Veränderungen Wenn einzelne beschließen, etwas zu tun, etwas zu lassen, etwas zu wollen, etwas zu bewegen, eine andere Wertigkeit zu leben Die Gesellschaft ist eine Gesellschaft von einzelnen Menschen, daher verändert sie sich durch einzelne Gefahr: Coconisierung
Zum Schluß Es lohnt sich doch ein wenig lieb zu sein Und alles auf das Einfachste zu schrauben Und es ist gar nicht Großmut, zu verzeihn Daß andere ganz anders als wir glauben. Und stimmte er, daß Leidenschaft Natur Bedeutete im guten und im bösen, Ist doch der Knoten in dem Schuhband nur Mit Ruhe und mit Liebe aufzulösen. J.Ringelnatz
Wer, Wo, Wie? Prof. Dr. Frank Löhrer KatHo-NRW -Sozialmedizin Robert-Schuman-Str.25 D-52066 Aachen Prof. Dr. Frank Löhrer Rathausstraße 61 52222 Stolberg (Rhld) 02402-81020