Schmerztherapie. Grundlegende Einblicke in die Thematik Schmerz

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Transkript:

Schmerztherapie Grundlegende Einblicke in die Thematik Schmerz

Blockthemen: Schmerzdefinition/-begriffe Physiologie des Schmerzes Schmerzanamnese/-messung und dokumentation Schmerzmedikamente/Pharmakologie Postoperative Schmerztherapie/Akutschmerztherapie Nicht-medikamentöse Schmerztherapie Tumorschmerztherapie/Chronische Schmerztherapie

Schmerzdefinition, -begriffe Physiologie des Schmerzes Schmerzanamnese/-messung und dokumentation Schmerzmedikamente/Pharmakologie Postoperative Schmerztherapie/Akutschmerztherapie Nicht-medikamentöse Schmerztherapie Tumorschmerztherapie/Chronische Schmerztherapie

Schmerzdefinition Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird. (International Association for the Study of Pain, IASP)

Schmerz...verlängert den Heilungsprozess....kann krank machen....belastet Pflegepersonal und Ärzte.

Schmerz...ist der häufigste Grund eines Arztbesuches....ist das wichtigste Signal der meisten Erkrankungen....ist Sinneswahrnehmung und gleichzeitig Emotion....führt ab einer gewissen Intensität zu Angst und der völligen Fokussierung auf den Schmerz bzw. dessen Linderung.

Schmerzbegriffe Dolor (lat.) - Schmerz Algesie - physiologischer Schmerz Analgesie - fehlende Schmerzempfindung Anästhesie - Empfindungslosigkeit Hyperalgesie - verstärkte Schmerzempfindung Par-/Dysästhesie - Mißempfindung Allodynie - Schmerzauslösung durch nichtnoxische Reize (z.b. Luftzug)

Schmerzdefinition/-begriffe Physiologie des Schmerzes Schmerzanamnese/-messung und dokumentation Schmerzmedikamente/Pharmakologie Nicht-medikamentöse Schmerztherapie Postoperative Schmerztherapie/Akutschmerztherapie Tumorschmerztherapie/Chronische Schmerztherapie

Einführung: Es war einmal das Leben Das Nervensystem Verknüpfung mit Es.war.einmal.das.Leben-(10-26)-Die.Nerven-DivX5.avi.lnk

Physiologie des Schmerzes Schmerzentstehung (Nozizeption) Schmerzleitung Schmerzmodulation Schmerzarten Entstehungsorte von Schmerzen projizierter/übertragener Schmerz Schmerzkomponenten Schmerztheorien/-konzepte

Schmerzentstehung (Nozizeption) Noxische Reize/Schmerzreize mechanisch thermisch chemisch (z.b. Entzündungsmediatoren)

Schmerzentstehung (Nozizeption) Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) freie Nervenendigungen 90% in der Haut primär-afferente 1. Neurone

Schmerzleitung über A-delta- und C-Fasern (Schmerzafferenzen) A-delta-Fasern myelinisiert schnell leitend heller, gut lokalisierbarer Schmerz epikritischer Sofortschmerz C-Fasern nicht myelinisiert langsam leitend dumpfer, schlecht lokalisierbarer Schmerz protopathischer Zweitschmerz

Klassifikation der Nervenfasern

Schmerzleitung Hinterwurzeln Rückenmark Hinterhorn Substantia gelatinosa Umschaltung auf 2. Neuron sympathische und motorische Efferenzen (z.b. Fluchtreflex) Kreuzung auf die Gegenseite Vorderseitenstrang (Tractus spinothalamicus) Thalamuskerne somatosensorischer Kortex limbisches System

Nozizeptives System

Nozizeption und Schmerz unter Narkose bewusste Wahrnehmung von Schmerzreizen aufgehoben nozizeptive Vorgänge in Primärafferenzen und Rückenmark nicht ausgeschaltet Narkose besteht stets aus Kombination von Schmerztherapie und Ausschaltung des Bewusstseins

Schmerzmodulation deszendierende Hemmmechanismen Aktivierung absteigender Bahnen negative Rückkopplung Noradrenalin, Serotonin endogene Opioide morphinartige körpereigene Substanzen z.b. Streßanalgesie segmentale Hemmmechanismen hemmende Interneurone z.b. Reiben des angestoßenen Knies

deszendierende Hemmmechanismen

endogene Opioide

hemmende Interneurone

Schmerzarten Nozizeptorschmerz physiologisch Warnfunktion!!! z.b. Zurückziehen der Hand, wenn man auf eine heiße Herdplatte faßt pathophysiologisch z.b. Entzündung Freisetzung körpereigener Schmerzmediatoren Neuropathischer Schmerz durch Schädigung von Nervenfasern

pathophysiologischer Schmerz bei Entzündung

neuropathischer Schmerz

Entstehungsorte von Schmerzen somatischer Oberflächenschmerz Haut hell und gut lokalisierbar somatischer Tiefenschmerz Muskulatur, Knochen, Gelenke, Bindegewebe dumpf, nicht gut lokalisierbar häufig chronisch viszeraler Tiefenschmerz Eingeweideschmerz dumpf, schlecht lokalisierbar, kolikartig

Projizierter Schmerz z.b. Schmerzen im Arm/Bein bei Nervenquetschung durch Bandscheibenvorfall

Phantomschmerz Sonderform Schmerzen in der amputierten Gliedmaße

Übertragener Schmerz viszerale noxische Reize werden als Schmerzen in bestimmten Hautarealen empfunden Dermatome, Head-Zonen z.b. Angina pectoris bei Myocardischämie mit Schmerzen im linken Arm und Oberbauch z.b. Schmerz in der rechten Schulter bei Cholecystolithiasis z.b. gürtelförmiger Schmerz bei Pankreatitis

Übertragener Schmerz

Dermatome

Head-Zonen

Schmerzkomponenten sensorisch Analyse des noxischen Reizes nach Ort, Intensität, Art und Dauer affektiv meist unlustbetonte Reaktion, Störung des Wohlbefindens vegetativ Aktivierung des sympathischen Nervensystems, Blutdruckabfall, Übelkeit motorisch Schutzreflexe, Schonhaltung, Muskelverspannung kognitiv Schmerzbewertung anhand früherer Erfahrungen, Schmerzäußerungen wie Mimik, Wehklagen

Schmerztheorien/-konzepte Spezifitätstheorie (Frey, 1896) Intensitätstheorie (Goldscheider, 1900) Gate-Control-Theory (Melzack & Wall, 1965) Endorphine (Hughes u. Kosterlitz, 1975) total pain -Konzept (Saunders, 1967)

Spezifitätstheorie (Frey, 1896) Schmerz als eigenständige Sinnesmodalität nur Erregung der A- und C-Fasern löst Schmerz aus spezifische Schmerzpunkte

Intensitätstheorie (Goldscheider, 1900) steigende Reizintensität an Temperatur- und Tastsinn führt zu Schmerz durch Übererregung Summation eingehender sensorischer Hautreize in den Hinterhornzellen

Gate Control-Theory (Melzack & Wall, 1965) Kontrollschrankentheorie erklärt, unter welchen Voraussetzungen Schmerzen empfunden werden und dass unter bestimmten Umständen Schmerzsignale nicht zum Gehirn weitergeleitet werden Annahme, dass im Hinterhorn des Rückenmarks ein besonderer Nervenmechanismus vorhanden ist, der wie ein "TOR" arbeitet inhibitorische Neurone

Gate Control-Theory (Melzack & Wall, 1965)

Gate Control-Theory (Melzack & Wall, 1965) Einfluss des Gehirns auf die periphere Schmerzwahrnehmung bei sehr starker emotionaler Erregung oder bei großen Verletzungen (z. B. Autounfall) nimmt die betroffene Person die Schmerzen zunächst nicht wahr Erklärung der analgetischen Wirkung von Akupunktur, Hypnose, Autosuggestion, Placebos

Endorphine (Hughes u. Kosterlitz, 1975) durch Endorphinausschüttung verspüren manche schwer verletzte Menschen zunächst keine Schmerzen bestimmte körperliche Anstrengungen (Runner s High) und Schmerzerfahrungen können durch die Ausschüttung von Endorphinen einen Glückszustand hervorrufen Endorphine werden auch beim Konsum bestimmter Gewürze wie Chili (Inhaltsstoff Capsaicin) produziert Verletzungen, UV-Licht und positive Erlebnisse z.b. Küssen) lösen die Ausschüttung von Endorphinen aus ( Glückshormone )

Endorphine (Hughes u. Kosterlitz, 1975) Rezeptoren in der grauen Substanz des Rückenmarks, an vegetativen Synapsen und anderen Gehirnbereichen sowie in peripheren Strukturen wie beispielsweise Gelenken im Rückenmark wird bei Erregung der Endorphinrezeptoren ein Schmerzreiz unterdrückt Endorphine können die dopaminerge Erregungsleitung manipulieren, die Ausschüttung von Dopamin in den synaptischen Spalt wird verstärkt

Endorphine (Hughes u. Kosterlitz, 1975)

total pain -Konzept (Saunders, 1967) Schmerz als komplexes subjektives Erlebnisphänomen, das besonders im fortgeschrittenen Krankheitsstadium geprägt wird durch physische Faktoren psychische Faktoren soziale Faktoren und spirituelle Faktoren

total pain -Konzept (Saunders, 1967)