Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und Kind II Heilpädagogisches Institut Universität Freiburg Regula Gerber Jenni 25. März 2014 www.gerberjenni.ch Übersicht Kindesschutz UN-Kinderrechtskonvention Kindesschutz Freiwilliger Kindesschutz Öffentlichrechtlicher Kindesschutz Strafrechtlicher Kindesschutz Zivilrechtlicher Kindesschutz Internationalrechtlicher Kindesschutz 1
Freiwilliger Kindesschutz Beratung: öffentliche und private Jugend-, Familien- und Erziehungsberatungsstellen, Sozialdienste, schulpsychologische und kinder- und jugendpsychiatrische Dienste, Mütter- und Väterberatung; für Kinder und Jugendliche: www.147.ch/beratungsstellen.42.0.html Information und Prävention: Kurse und Freizeitangebote Öffentlichrechtlicher Kindesschutz in der Bundesverfassung: Beispiele I Art. 10: Art. 11: Art. 12: Recht auf Leben / Pers. Freiheit Kinder und Jugendliche Hilfe in Notlagen Art. 19, 62: Grundschulunterricht Art. 41: Art. 67: Sozialziele Jugend- / Erwachsenenbildung Öffentlichrechtlicher Kindesschutz in der Bundesverfassung: Beispiele II Art. 68: Sport Art. 116: Familienzulagen und Mutterschaftsversicherung Art. 119: Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie Art. 123: Strafrecht Art. 124: Opferhilfe 2
Strafrechtlicher Kindesschutz: Erwachsenenstrafrecht Körperliche und psychische Misshandlung Sexuelle Handlungen mit Kindern/Jugendlichen Vernachlässigung von Kindern/Jugendlichen Entziehen von Unmündigen Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen www.soziales.sg.ch/home/kinder_und_jugendliche/kin der-_und_jugendschutz/kinderschutz_.html Zivilrechtlicher Kindesschutz: Art. 307 317 ZGB Abwendung der Gefährdung des Kindeswohls (Qualität) Verschuldensunabhängig Grundsatz der Subsidiarität Grundsatz der Komplementarität Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Quantität) Zivilrechtlicher Kindesschutz: Mittel Geeignete Massnahmen: Mahnung, Weisung Beistandschaft: Erziehungsbeistandschaft, «Besuchsrechtsbeistandschaft», Beistandschaft für das Kind nichtverheirateter Eltern Aufhebung der elterlichen Obhut Entziehung der elterlichen Sorge 3
Quality4Children: Deine Rechte, wenn du nicht in deiner Familie leben kannst Du kannst mitreden Alle Personen, mit denen du zu tun hast, hören dir zu und beachten deine Wünsche. Du kannst ihnen stets deine Meinung mitteilen. Es ist wichtig, dass du über deine Situation immer Bescheid weisst. Zudem kannst du dich an allen Entscheiden, die dich betreffen, beteiligen. Achtung! Wehre dich: Wenn du etwas nicht verstehst. Wenn nicht auf dich gehört wird. Wenn du mit etwas nicht einverstanden bist. Internationalrechtlicher Kindesschutz: UN-Kinderrechtskonvention als Beispiel Menschenrechte für den Lebensbereich des Kindes, am 20.11.1989 von der UN-GV beschlossen; in der Schweiz seit 26.3.1997 ik Zwei Fakultativprotokolle: Kindersoldaten / Kinderhandel und -prostitution; in der Schweiz seit 26.7.2002 / 19.102006 ik 19.12.2011: UN-GV verabschiedet 3. FP betr. Individualbeschwerderecht (Inkrafttreten: drei Monate, nachdem der 10. Staat ratifiziert hat) Der Paradigmenwechsel Maywald, Kinder haben Rechte! Weinheim/Basel 2012, S. 112 f. Bedürfnis-Ansatz (private) Wohltätigkeit, Freiwilligkeit, Wohlfahrt Kind erhält Hilfe Symptomorientierung Festlegung von Bedürfnissen ist subjektiv Kurzzeitperspektive Bereitstellung von Angeboten Rechte-Ansatz Politische, gesetzliche Verantwortung und Verpflichtung, Verbindlichkeit Kind hat Anspruch auf Hilfe Ursachenorientierung Rechte basieren auf internationalen Standards Langzeitperspektive Bewusstseinsbildung aller Gruppen 4
Prinzipien des Kinderrechtsansatzes Maywald, Kinder haben Rechte! Weinheim/Basel 2012, S. 110 f. Prinzip der Universalität der Kinderrechte Prinzip der Unteilbarkeit der Kinderrechte Prinzip der Kinder als Träger eigener Rechte Prinzip der Erwachsenen als Verantwortungsträger Kinderrechtliche Kindeswohlprüfung: Kriterien Betroffene Bedürfnisse / Interessen und korrespondierende Kinderrechte Wessen Rechte sind betroffen (Individuum oder Gruppe) Welche Verpflichtungen zur Gewährleistung der Kinderrechte bestehen, wer nimmt Verpflichtung wahr? Wer entscheidet (mit) in der Kindeswohlprüfung? Einbeziehung der betroffenen Kinder (Nach Sax und Maywald) Kinderrechtliche Kindeswohlprüfung: Kriterien Dringlichkeit für Entscheidfindung, Zeitrahmen und kindliches Zeitverständnis Folgeabschätzung, Alternativenprüfung, Verhältnismässigkeitsprüfung Beschwerdemöglichkeiten für Kinder Können die Folgen beobachtet und ausgewertet werden (Monitoring und Evaluation)? (Nach Sax und Maywald) 5
Literaturhinweise Jörg Maywald, Kinder haben Rechte! Kinderrechte kennen umsetzen wahren, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2012 Helmut Sax, Im besten Interesse des Kindes Kindeswohlprüfung als kinderrechtliche Herausforderung, in: Heiner Bielefeldt et al. (Hrsg.), Jahrbuch Menschenrechte 2010 Kinder und Jugendliche, Wien/Köln/Weimar 2009, S. 37 ff. Bedürfnisse des Kindes und ihre Verankerung in der KRK: Bedürfnis nach Liebe, Akzeptanz, Zuwendung: Präambel und Art. 2, 3, 6, 12 stabilen Bindungen: Art. 6, 8, 9, 11, 18, 20, 21, 22 Ernährung und materieller Sicherheit: Art. 6, 26, 27 Gesundheit: Art. 24, 25, 32, 33, 39 Schutz vor Gefahren materieller und sexueller Ausbeutung: Art. 16, 17, 19, 34 38, 40 Wissen, Bildung, Erfahrung: Art. 13, 14, 28, 29 31 Beteiligung: Art. 12, 13, 15, 29 31 Rechte in der UN-KRK Traditionelle Freiheitsrechte Verfahrensgarantien Leistungs- und Schutzgarantien 6
Vier Grundprinzipien Art. 2: Diskriminierungsverbot Art. 3: Übergeordnetes Wohl des Kindes Art. 6: Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung Art.12: Recht, gehört zu werden Art. 2 KRK BGer 8C_295/2008, 22.11.2008 Unbestritten: K erfüllt die gesundheitlichen Voraussetzungen, welche für die Begründung des Anspruchs auf die Hilfsmittel erforderlichen sind. Aber: Der leistungsspezifische Invaliditätseintritt erfolgte, bevor K sich mindestens 1 Jahr lang in der Schweiz aufgehalten hatte. K hat weder als Flüchtling, noch als hier lebender ausländischer Staatsangehöriger, weder nach schweiz. Recht noch nach Sozialversicherungsabkommen zwischen der Schweiz und seinem Heimatstaat einen Anspruch auf die Hilfsmittel. Art. 2, 26 KRK? Art. 2 KRK bzw. Art. 8 Abs. 2 BV BGer 8C_295/2008, 22.11.2008 Die Formulierungen in Art. 26 KRK sind sehr weit gefasst und allgemein gehalten Art. 26 KRK ist nicht direkt anwendbar K hat keinen Anspruch auf die Hilfsmittel der Invalidenversicherung. Art. 8 Abs. 2 BV schliesst eine an das Merkmal der Staatsangehörigkeit anknüpfende Ungleichbehandlung von Schweizern gegenüber anderen Staatsangehörigen nicht grundsätzlich aus. 7
Art. 12 UN-KRK Was heisst Partizipation? Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist die verbindliche Einflussnahme von Kindern und Jugendlichen auf Planungs- und Entscheidungsprozesse, von denen sie betroffen sind, mittels ihnen angepassten Formen und Methoden. Thomas Jaun, in: Kinder und Jugendliche in der Schweiz. Bericht zu ihrer Situation, Zürich 1999 (Schweiz. Komitee für UNICEF) Partizipation heisst dem Kind zuhören das Kind auf eine seinem Entwicklungsstand angemessene Weise informieren dem Kind Wertschätzung, Respekt und Verständnis entgegenbringen Entscheidungen mit dem Kind partnerschaftlich aushandeln oder das Kind bei seiner selbstbestimmten Entscheidung zu unterstützen bei Entscheidungen gegen den Kindeswillen um Verständnis des Kindes zu werben BGer 2D_21/2007, 9.8.2007 Umstufung in Werkschule: Art. 12 KRK ist nicht verletzt, wenn 1. die Eltern den Standpunkt des Kindes bei den Behörden und im Verfahren einbringen können; 2. sich das Kind im Rahmen seines Kontakts mit den Lehrkräften zu seiner schulischen Laufbahn äussern kann. 8
Die General Comments (Allgemeine Bemerkung) 17 General Comments Präzisierung und Auslegung der KRK für die Praxis Themen: Bildung, NGO, HIV/AIDS, Gesundheit, Verpflichtung der Vertragsstaaten, von den Eltern getrennte Kinder, Frühe Kindheit, Körperstrafen, Kinder mit Behinderungen, Jugendgerichtsbarkeit, Kinder von Ureinwohnern, Recht gehört zu werden, Schutz vor jeder Form von Gewalt, Kindeswohl, Gesundheit, Recht auf Ruhe, Freizeit, Spiel www.netzwerk-kinderrechte.ch/index.php?id=95 General Comment zum Recht, gehört zu werden (Juli 2009) 20. «Die Vertragsstaaten können nicht von der Annahme ausgehen, ein Kind sei unfähig seine eigene Meinung auszudrücken. Im Gegenteil, sie sollten davon ausgehen, dass das Kind fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, und anerkennen, dass das Kind das Recht hat, diese zu äussern: es ist nicht Aufgabe des Kindes, seine Fähigkeit vorab nachzuweisen.» General Comment zum Recht, gehört zu werden (Juli 2009) 21. «Untersuchungen zeigen, dass Kinder fähig sind, sich von früher Kindheit an eine Meinung zu bilden, auch wenn sie noch nicht imstande snd, diese verbal auszudrücken. Konsequenterweise verlangt die volle Umsetzung von Artikel 12 die Anerkennung und Achtung nicht-verbaler Kommunikationsformen wie Spiel, Körpersprache, Gesichtsausdruck, Zeichnen und Malen, mit denen sehr junge Kinder Verstehen, Wünsche und Vorlieben zum Ausdruck bringen.» 9
General Comment zum Recht des Kindes auf Schutz vor jeder Form von Gewalt (2011) 47. Präventionsmassnahmen enthalten u.a. für alle Akteure «Verbreiten von Informationen über den ganzheitlichen und positiven Kinderschutzansatz der KRK durch kreative Öffentlichkeitskampagnen in Schulen, altersgruppenspezifischen Bildungsumfeldern, Familien, Gemeinden, institutionellen Bildungsinitiativen, Berufsgruppen, NGO und in der Zivilgesellschaft» General Comment zum Recht des Kindes auf Schutz vor jeder Form von Gewalt (2011) 47. Präventionsmassnahmen enthalten u.a. für Kinder «Unterstützung für Kinder mit dem Ziel, sie zu befähigen, sich selbst und Gleichaltrige durch ein Bewusstsein ihrer Rechte und die Entwicklung sozialer Kompetenzen besser zu schützen; Entwicklung altersspezifischer Selbstbehauptungsstrategien» General Comment zum Recht des Kindes auf Schutz vor jeder Form von Gewalt (2011) 47. Präventionsmassnahmen enthalten u.a. für Familien «Bereitstellen von Erholungsprogrammen und Familienzentren für Familien in besonderen Notlagen; Bereitstellen von Schutzeinrichtungen und Krisenzentren für Eltern (in erster Linie Frauen), die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, und für ihre Kinder» 10
General Comment zu den Rechten von Kindern mit Behinderungen (2006) 10. «Mädchen mit Behinderungen werden häufig noch leichter Opfer von Diskriminierung, weil sie auch aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden. In diesem Zusammenhang werden die Vertragsstaaten aufgefordert, Mädchen mit Behinderungen besondere Beachtung zu widmen, indem sie die erforderlichen Massnahmen und im Bedarfsfall zusätzliche Massnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass diese Mädchen gut geschützt sind, Zugang zu allen Diensten haben und voll in die Gesellschaft einbezogen werden.» General Comment zu den Rechten von Kindern mit Behinderungen (2006) 27. «Die Ausbildungsprogramme für Fachkräfte, die mit Kindern mit Behinderungen und für sie arbeiten, müssen als Voraussetzung für die Qualifizierung gezielt Schwerpunktkenntnisse über die Rechte von Kindern mit Behinderungen vermitteln. Zu diesen Fachkräften zählen unter anderem ( ) Richter, Rechtsanwälte, (..) Lehrkräfte, Gesundheitsfachkräfte, Sozialarbeiter und Medienmitarbeiter.» UN-Übereinkommen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Das Abkommen verbietet jede Form der Diskriminierung von Behinderten. Es garantiert unter anderem das Recht auf ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben, gleiches Recht auf eine eigene Familie, das Recht auf Beschäftigung, das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und sozialen Schutz, gleicher Zugang zu Bildung, gleiches Recht auf Teilhabe am öffentlichen und kulturellen Leben sowie Schutz vor Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch. (www.humanrights.ch) 11