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Transkript:

Arbeiten sprechen dagegen sogar von baltischen Rassestaaten. 6 Gerade in der Arbeit zu Lettland vermisst man diesbezüglich Bezüge zum Neuen Nationalismus, der seit 1936 von Regime Ulmanis propagiert wurde und einen eindeutig rassischen bzw. biologisierten Nationsbegriff favorisierte. Gleichwohl stellen beide Bände wichtige Beiträge zur Erforschung des baltischen Autoritarismus dar, wobei die Arbeit von Hanovs und Tēraudkalns zu den methodisch elaboriertesten und innovativsten der letzten Jahre gehört. Man würde sich wünschen, dass zukünftig nicht nur entsprechende Arbeiten zum Päts-Regime in Estland entstehen, sondern auch der gesamtbaltische und europäische Blick mehr Beachtung findet. Björn M. Felder Julia Rosche: Zwischen den Fronten. Die Rolle Estlands zwischen dem Hitler-Stalin-Pakt und dem Ende des Zweiten Weltkriegs im internationalen Kontext. Diplomica Verlag. Hamburg 2012. 132 S. ISBN 9783842886186. ebook-ausgabe ISBN 9783842836181. Unter demselben Titel mit identischem Text auch: Grin Verlag. München 2013. 132 S. ISBN 9783656241232. Als das Book-on-Demand-Verfahren aufkam, bestand eine gewisse Hoffnung durch die Herabsetzung der Schwelle zur Publizierung könnten auch wissenschaftliche Titel zu randständigen Themen leichter erscheinen und unser verfügbares Wissen so gemehrt werden. Fast das genaue Gegenteil trat ein. Die Herabsetzung der Publikationsschwelle bedeutete, dass eine wahre Flut minderwertiger Veröffentlichungen in diesem Verfahren uns die wenigen gehaltvollen Titel übersehen lässt. Neben Magister- und Bachelorarbeiten werden inzwischen sogar studentische Hausarbeiten ohne jegliche Qualitätskontrolle veröffentlicht. So bietet beispielsweise der Grin Verlag, der das zu besprechende Büchlein ein zweites Mal (!) publiziert hat, inzwischen mehr als 145 000 derartiger Veröffentlichungen an. In Zeiten von knappen Bibliotheksetats weltweit werden leider Ressourcen für die Beschaffung von irrelevanten Titeln verschwendet, die im Bookon-Demand-Verfahren massenhaft und billig produziert werden können, danach aber teuer verkauft werden. 6 Baltic Eugenics. Bio-Politics, Race and Nation in Interwar Estonia, Latvia and Lithuania 1918 1940, hrsg. von Björn M. Felder und Paul J. Weindling, Amsterdam 2013. 366

Damit ich nicht falsch verstanden werde, auch im traditionellen Verlagswesen erscheinen zahlreiche unwichtige oder leider viel zu teure Bücher und durch die Kostensenkung für die Veröffentlichung könnte Bookon-Demand eigentlich gute Dienste leisten. Manch eine Magisterarbeit erschließt bisher unbearbeitete Quellen, nutzt einen originellen Zugang oder verschafft uns in einer bestimmten Sprache einen Überblick über ein Thema, zu dem bisher in dieser Sprache wenig oder gar nicht publiziert wurde. Jedoch weist die überwältigende Mehrheit der wissenschaftlichen Literatur, die in diesem Verfahren veröffentlicht wird, erhebliche inhaltliche und sprachliche Mängel auf, ist bedeutungslos oder basiert auf einem veralteten oder lückenhaften Forschungsstand. Julia Rosche hat für ihre Magisterarbeit über die Rolle Estlands im Zweiten Weltkrieg an der Universität Bamberg im Fach Geschichte die Note 1,0, also die Bestnote, erhalten, wie uns einer ihrer Verlage mitteilt. In Bamberg gibt es allerdings offenbar keinen Experten der baltischen Geschichte. Denn an der Universität Tartu wäre diese Arbeit entweder gar nicht erst zugelassen, zur Überarbeitung an die Verfasserin zurückgereicht oder mit einer schwachen Note bewertet worden aufgrund der schweren Mängel und Probleme. Da jedoch einer der Verlage die Arbeit zur Rezension eingereicht hat, wird diese hier erfolgen. Ein Hauptproblem besteht sicherlich im viel zu großen Umfang des Themas, denn die Autorin beleuchtet nicht nur die Periode des Zweiten Weltkriegs, sondern wendet fast die Hälfte des Fließtextes für die Vorkriegszeit und den weiteren historischen Rahmen auf. Da sie die Situation Estlands im internationalen Zusammenhang klären möchte und somit einen Schwerpunkt auf die internationalen Beziehungen setzt, muss sie zusätzlich noch auf die Position verschiedener Staaten eingehen. Dies alles lässt sich schwerlich im Rahmen einer Magisterarbeit auf 116 Seiten behandeln und daran scheitert Rosche. Obwohl die Verfasserin Estnisch beherrscht und sie somit Zugang zur estnischsprachigen Literatur sowie zu hiesigen Suchmaschinen wie ESTER (wissenschaftliche Bibliotheken) und ETIS (Estnisches Wissenschaftsinformationssystem) hätte, versagt sie bereits beim Bibliografieren. Auch gibt es sogar eine publizierte Auswahlbibliografie zur estnischen Zeitgeschichte, 1 die sie nicht kennt. Offenbar ließ sich von Bamberg aus nur eine eher willkürlich aufgefundene und vor allem oftmals veralte Literatur bearbeiten. So kennt sie die beiden neuen Überblicksdarstellungen zur baltischen Geschichte von Andres K asek amp und Andrejs Plak ans nicht, sondern verlässt sich bei der Darstellung des historischen Rahmens auf die sehr gute Geschichte Estlands von Seppo Zet terberg und die knappen und populärwissenschaftlichen Überblicke der baltischen Geschichte von 1 Auswahlbibliographien zur Geschichte des Kommunismus in Osteuropa, Bd. III: Estland, hrsg. von Wiebke Jürgens, Berlin 2009. 367

Michael Ga rleff und Ralph Tuchtenhagen. 2 Ihr ist der sechste Band der Geschichte Estlands (1917 1991) unbekannt, 3 ebenso wenig weiß sie um die reichhaltigen Ergebnisse der verschiedenen estnischen Kommissionen, deren Flagschiffe ein Weißbuch und die umfangreichen Sammelbände Estonia 1940 1945 sowie Estonia since 1944 sind. 4 Jüri Ants wegweisende Monografie zum Zeitraum von 1939 bis 1941 bleibt unbeachtet. 5 Von Elena Zubkovas bahnbrechender Arbeit zum Baltikum während des Stalinismus hat Rosche nicht gehört, obwohl diese Monografie auch auf Estnisch erschienen ist und die sehr wichtige sowjetische Perspektive behandelt. 6 Bei der Lektüre Zubkovas hätte die Autorin gemerkt, wie schwach ihre Arbeit bezüglich der sowjetischen Seite ist, selbst Andrej Ždanov tritt nur als Šdanov auf. In ihrer Darstellung stützt sich Rosche auf solide, aber inzwischen teilweise überholte Historiker wie Seppo Myl ly niemi oder Alvin Isberg, 7 den in Estland durchaus umstrittenen Magnus Ilmjä r v 8 oder den in dieser Zeitschrift gründlich verrissenen Karl Heinz Grä fe. 9 2 Andres Kasekamp: A History of the Baltic States, Basingstoke 2010; Andrejs Plakans: A Concise History of the Baltic States, Cambridge 2011; Seppo Zetterberg: Eesti ajalugu [Estnische Geschichte], Tallinn 2009; Michael Garleff: Die baltischen Länder. Estland, Lettland, Litauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2001; Ralph Tuchtenhagen: Geschichte der baltischen Länder, München 2005. 3 Eesti ajalugu VI: Vabadussõjast taasiseseisvumiseni [Geschichte Estlands VI: Vom Freiheitskrieg bis zur Wiederherstellung der Eigenstaatlichkeit], hrsg. von Ago Pajur und Tõnu Tannberg, Tartu 2005. 4 The White Book. Losses Inflicted on the Estonian Nation by Occupation Regimes 1940 1991, hrsg. von Vello Salo u.a., Tallinn 2005; Estonia 1940 1945: Reports of the Estonian International Commission for the Investigation of Crimes Against Humanity, hrsg. von Toomas Hiio, Meelis Maripuu und Indrek Paavle, Tallinn 2006; Estonia since 1944: Reports of the Estonian International Commission for the Investigation of Crimes Against Humanity, hrsg. von Toomas Hiio, Meelis Maripuu und Indrek Paavle, Tallinn 2009. 5 Jüri Ant: Eesti 1939 1941: rahvast, valitsemisest, saatusest [Estland 1939 1942: über die Bevölkerung, das Regieren und das Schicksal], Tallinn 1999. 6 Elena Zubkova: Pribaltika i Kreml 1940 1953 [Das Baltikum und der Kreml], Moskau 2008; Dies.: Baltimaad ja Kreml 1940 1953 [Das Baltikum und der Kreml], Tallinn 2009. 7 Seppo Myllyniemi: Die Neuordnung der Baltischen Länder 1941 1944. Zum nationalsozialistischen Inhalt der deutschen Besatzungspolitik, Helsinki 1973 (Historiallisia tutkimuksia, 90); Alvin Isberg: Zu den Bedingungen des Befreiers. Kollaboration und Freiheitsstreben in dem von Deutschland besetzten Estland 1941 bis 1944, Stockholm 1992 (Studia Baltica Stockholmiensia, 10). 8 Magnus Ilmjärv: Hääletu alistumine. Eesti, Läti ja Leedu välispoliitilise orientatsiooni kujunemine ja iseseisvuse kaotus 1920. aastate keskpaigast anneksioonini [Schweigende Unterwerfung. Die Herausbildung der außenpolitischen Orientierung und der Verlust der Unabhängigkeit von der Mitte der 1920er Jahre bis zur Annexion], Tallinn 2010 (überarbeitete Neuauflage). 9 Karl Heinz Gräfe: Vom Donnerkreuz zum Hakenkreuz. Die baltischen Staaten zwischen Diktatur und Okkupation, Berlin 2010 (Bulletin für Faschismus- und Weltkriegsforschung, Beiheft 6); siehe die Besprechung des Rezensenten in: Forschungen zur baltischen Geschichte 6 (2011), S. 322-326. 368

Einschlägige Autoren wie Jüri Ant, Karsten Br üggemann, David Feest, Toomas Hiio, Andres Kasekamp, Vahur Made, Meelis Ma ripuu, Eero Medija inen, der Rezensent, Indrek Paavle, Aigi R a hi-tamm, Tõnu Tannberg, Jaak Va lge und andere treten im Literaturverzeichnis nur mit einzelnen Titeln oder gar nicht auf, obwohl sie zahlreiche Veröffentlichungen zum Themenbereich der Arbeit vorzuweisen haben. Ebenso wurden die einschlägigen Zeitschriften nicht bearbeitet. 10 Das vorliegende Büchlein kann nur eine Zusammenfassung der bisherigen Literatur sein. Fehlende Russisch-Kenntnisse mögen noch tolerierbar sein, obwohl der Autorin so ein Teil der sowjetischen Perspektive entgeht. Wenn aber ein Großteil der einschlägigen Literatur einfach ignoriert wird, vermag das daraus entstehende Referat für einen Universitätsabschluss reichen, doch eine Veröffentlichung lohnt sich eher weniger. Aufgrund der selektiven Wahrnehmung der Forschung kann es nur zu erheblichen Fehleinschätzungen kommen. Der Leser erfährt mitunter von unbekannten Aspekten der estnischen Geschichte wie eines Einfalls der baltischen Landwehr am 25. Februar 1918 (S. 3) oder einer Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1938 trotz fortbestehenden Verbots von Parteien und weiterer Beschränkungen der Freiheitsrechte (S. 13). Manchmal gibt die Autorin drastische Fehleinschätzungen Karl Heinz Gräfes wieder wie eine Preissteigerung während des ersten sowjetischen Jahres von nur rund 50% und eine verbesserte Gesundheitsversorgung (S. 79). Der Rezensent konnte dagegen auf Basis sowjetischer Akten für diesen Zeitraum eine Inflation in der Größenordnung von etwa 1 000% und eine Zunahme der natürlichen Sterblichkeit um die Hälfte belegen. 11 In ihren Folgerungen schießt Julia Rosche an einigen Stellen deutlich über das Ziel heraus. So bezeichnet sie sämtlich Esten, die auf deutscher Seite gekämpft haben schlichtweg als Kollaborateure (S. 90 und 92). Auf Initiative der sowjetischen Führung wurden tatsächlich mobilisierte baltische Soldaten und Polizisten, die als Mannschaftsdienstgrade oder Unteroffiziere auf deutscher Seite gekämpft hatten, ausdrücklich von der Bestrafung ausgenommen, sofern sie nicht in Kriegsverbrechen verwickelt waren. 12 Zwar wurden viele trotzdem grundlos bestraft, aber in ihrem Pauschalurteil erscheint Rosche so stalinistischer als Stalin. Deutlich überschätzt die Autorin den Handlungsspielraum der estnischen Regierung und geht hart mit ihr ins Gericht: Die Fehler der politischen Führung führten nicht nur zum Verlust der staatlichen Unabhängigkeit, 10 Eine Liste fehlender einschlägigger Literatur wäre zu umfangreich, um sie an dieser Stelle abzudrucken. 11 Olaf Mertelsmann: Der stalinistische Umbau in Estland. Von der Marktzur Kommandowirtschaft, Hamburg 2006 (Hamburger Beiträge zur Geschichte des östlichen Europa, 14), S. 47-51, 55. 12 Olaf Mertelsmann, Aigi Rahi-Tamm: Cleansing and Compromise. The Estonian SSR in 1944 1945, in: Cahiers du monde russe 49 (2008), S. 319-340, hier S. 333. 369

sondern beeinflussten auch die internationale Rolle Estlands. (S. 112). In ihrer Arbeit kann die Autorin nicht überzeugend belegen, wie sie zu einer solchen harschen Folgerung kommt, die sie mit ihren allerletzten Bemerkungen allerdings etwas abmildert (S. 115f.). Zweifelsohne wurden von der estnischen Politik manche Fehler gemacht und eine bessere Kooperation mit den baltischen Nachbarn hätte die Position Estlands etwas gestärkt, aber alle ostmitteleuropäischen Staaten gerieten unter die Dominanz Hitlers und später Stalins. Wenn selbst Polen und die Tschechoslowakei zu Spielbällen der Diktatoren wurden und erst 1989/90 die volle Souveränität zurückgewinnen konnten, welche Chancen hatte ein Kleinstaat wie Estland die Unabhängigkeit und möglicherweise eine Neutralität zu erhalten? Rosches Vorwürfe gegen die estnische Führung klingen oftmals einfach naiv. Es wäre sinnlos an dieser Stelle auf weitere fragwürdigen Passagen und Fehler einzugehen, von denen die Arbeit nur so wimmelt. Obwohl Rosche manchmal auch gekonnt referiert, überwiegt insgesamt ein sehr negativer Eindruck. Der auf Basis von viel zu wenig Literatur hastig zusammengeschriebene und nicht weiter redigierte Text erfüllt nicht die Ansprüche für eine wissenschaftliche Publikation. Olaf Mertelsmann Prit Buttar: Between Giants. The Battle for the Baltics in World War II. Verlag Osprey. Oxford 2013. 400 S. ISBN 9781780961637. Ein Überblick über den Zweiten Weltkrieg im Baltikum wäre sicherlich eine sinnvolle Ergänzung der baltischen Zeitgeschichte. Doch der vorliegende Band zielt auf ein ganz anderes Publikum, nämlich auf Leser, die an einer populärwissenschaftlichen, militärgeschichtlichen Darstellung eines weitgehend unbekannten Kriegsschauplatzes interessiert sind. Der Verfasser Prit But ta r ist niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin, der nach dem Studium als Militärarzt in den britischen Streitkräften gedient hatte. Einen Durchbruch als Amateurhistoriker verzeichnete er mit einem Werk über die Kämpfe in Ostpreußen 1944 1945. 1 Nun sind Beiträge von Amateuren nicht unbedingt schlecht für die Historiografie, in der Lokalgeschichte sind sie sogar unverzichtbar, doch Buttars Werk weist zahlreiche Probleme auf. 1 Prit Buttar: Battleground Prussia. The Assault on Germany s Eastern Front 1944 45, Oxford 2010. 370