M 327/2011 Motion Wüthrich "Pfarrerinnen- und Pfarrerlöhne via Kirchensteuern finanzieren" / Stellungnahme

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Transkript:

Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Bern Römisch-katholische Landeskirche des Kantons Bern Christkatholische Kommission des Kantons Bern Interessengemeinschaft Jüdischer Gemeinden des Kantons Bern Kontaktadresse: Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Synodalrat Postfach, 3000 Bern 23 Telefon 031 370 28 28, Fax 031 370 28 90 E-Mail: synodalrat@refbejuso.ch www.refbejuso.ch Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion des Kantons Bern Herr Regierungsrat Christoph Neuhaus Münstergasse 2 3011 Bern Bern, 11. Mai 2012 M 327/2011 Motion Wüthrich "Pfarrerinnen- und Pfarrerlöhne via Kirchensteuern finanzieren" / Stellungnahme Sehr geehrter Herr Regierungsrat Sehr geehrte Damen und Herren Sie haben uns mit Schreiben vom 5. April 2012 den Entwurf für die Antwort des Regierungsrates auf die oben erwähnte Motion und das in diesem Zusammenhang eingeholte Gutachten von Prof. Dr. Markus Müller und Dr. Kaspar Sutter Der Anspruch auf staatliche Pfarrbesoldung im Kanton Bern vom 30. März 2012 zugestellt und uns Gelegenheit gegeben, zum Antwortentwurf des Regierungsrates Stellung zu nehmen. Wir danken Ihnen bestens für diese Gelegenheit. Die unterzeichnenden Exekutiven der Landeskirchen sowie der Interessengemeinschaft Jüdischer Gemeinden haben sich entschlossen, die nachfolgende Stellungnahme gemeinsam einzureichen. Sie sind sich dabei bewusst, dass die rechtlichen und historischen Grundlagen je nach Landeskirche verschieden sind. Wir erlauben uns die folgende Stellungnahme: Gerne nehmen wir zur Kenntnis, dass Sie keine Änderung der bisherigen Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat beabsichtigen. Die Beurteilung von Herrn Prof. Müller zeigt Ihrer Auffassung nach aber auf, dass sich der Kanton der Forderung des Motionärs nach einem Bericht nicht einfach verschliessen könne. Sie erwägen dementsprechend, die Motion gemäss dem uns zugestellten Antwortentwurf zur Annahme zu empfehlen. Wir lehnen die geplante Antwort ab, weil

- 2-1. weder in rechtlicher noch in politischer Hinsicht Anlass besteht, die Besoldung von Pfarrpersonen und damit das bisherige bewährte Verhältnis des Kantons leichtfertig in Frage zu stellen, 2. das Gutachten Müller/Sutter entscheidende inhaltliche Mängel aufweist und in Bezug auf die Rechtsfolgen einer allfälligen Ablösung der Pfarrbesoldung keine (überzeugenden) neuen Erkenntnisse bringt, 3. die Darstellung der bisherigen Abklärungen und der Ergebnisse des Gutachtens Müller/Sutter im Antwortentwurf nicht akzeptabel und nicht geeignet ist, als Grundlage für eine sachliche Diskussion zu dienen. Zur Begründung gestatten wir uns, die folgenden Hinweise anzubringen: Keine rechtliche oder politische Notwendigkeit einer Neubeurteilung Aus rechtlicher Sicht besteht kein Anlass, eine Änderung der Pfarrbesoldung ins Auge zu fassen. Das Bundesgericht hat eben erst vor kurzer Zeit wiederum ausdrücklich bestätigt, dass die Verwendung von Kantonssteuern für Pfarrbesoldungen im Kanton Bern rechtmässig und insbesondere mit der Religionsfreiheit vereinbar ist (Urteil 2C_360/2010 vom 22. November 2011). Auch aus politischer Sicht ist kein Grund für eine Neubeurteilung der Situation ersichtlich. Unbestritten ist, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse seit der Übernahme der Kirchengüter durch den Staat im Jahr 1804 erheblich gewandelt haben. Diese Tatsache ist wiederholt umfassend gewürdigt worden, stets mit dem Ergebnis, dass sie keine Abkehr von der staatlichen Pfarrbesoldung rechtfertigt oder nahe legt. So hat unter anderem auch die von Prof. Dr. Aldo Zaugg präsidierte kantonale Expertenkommission für die Neuordnung der staatlichen Leistungen im Kirchenwesen in ihrem Bericht vom 18. Oktober 1990 ausdrücklich auch unter Berücksichtigung der gewandelten Verhältnisse dem Regierungsrat empfohlen, von einer Neuordnung abzusehen. Die in diesem Bericht angestellten Überlegungen haben auch heute noch Gültigkeit. Der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektor, der Regierungsrat und der Grosse Rat haben sich bis in die jüngste Zeit immer wieder zu einem durch Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung getragenen Verhältnis zwischen dem Kanton und seinen Landeskirchen bekannt, der Grosse Rat namentlich anlässlich der Beratung und Ablehnung der Motion M 289/2006 Bolli Jost Liberale Lösungen für den Kanton Bern Religionsfreiheit für Unternehmerinnen und Unternehmer. Noch 2008 kam der Regierungsrat bei der Beantwortung der Motion M 218/2007 Messerli/Löffel "Grundsatzdebatte zum künftigen Verhältnis zwischen Kirche und Staat: Trennung, Entflechtung oder Status Quo?" zum Schluss: "Der Regierungsrat erachtet das erst 1994 erstellte Gutachten von Herrn Frspr. U. Friederich als eine solide Grundlage, welche zum aktuellen Verhältnis von Kirche und Staat und dessen Legitimation ausreichend Auskunft gibt. Seitdem sind keine neuen Gesichtspunkte auszumachen, welche eine erneute Untersuchung rechtfertigen würden.... Da nicht davon auszugehen ist, dass ein erneutes Gutachten neue Erkenntnisse zeitigen wird, erachtet es der Regierungsrat weder als angebracht noch als sinnvoll, die dazu notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen einzusetzen. Er beantragt deshalb, die Motion abzulehnen." Die Motion wurde daraufhin abgelehnt. Nicht überzeugendes Gutachten Müller/Sutter Die Motion Wüthrich zielt auf eine Entlastung des kantonalen Finanzhaushalts durch Ablösung der staatlichen Pfarrbesoldung. Ob dieses Ziel erreicht werden kann, richtet sich nach der Frage, ob ein wie auch immer begründeter Rechtsanspruch auf die heutigen staatlichen Leis-

- 3 - tungen besteht und welche vermögensrechtlichen Folgen die Aufhebung dieser Leistungen hätte. Die herrschende Lehre nimmt bekanntlich wohlerworbene Rechte auf die staatliche Pfarrbesoldung aufgrund historischer Rechtstitel an. Dr. Ulrich Friederich hat die Rechtslage im Auftrag des evangelisch-reformierten Synodalrates in den 1990-er Jahren einlässlich geprüft und die Ergebnisse in einem rund 270 Seiten umfassenden publizierten Gutachten dargestellt (Ulrich Friederich, Kirchengut und staatliche Pfarrbesoldungen. Gutachten zu historischen Rechtstiteln der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Bern, Bern/Stuttgart/Wien 1994). Im Einklang mit der herrschenden Lehre und dem Gutachten Friederich hat der Kanton Bern den Bestand historischer Rechtstitel und eine Entschädigungspflicht im Fall einer Ablösung der staatlichen Pfarrbesoldung soweit ersichtlich immer wieder bekräftigt. Der Kanton hat auch seit den 1990-er Jahren bei verschiedenen Gelegenheiten Erklärungen abgegeben, die geeignet sind, als Vertrauensgrundlage im Hinblick auf den (Weiter-)Bestand solcher Rechtstitel zu dienen. Beispielhaft erwähnt seien etwa der Vortrag der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion vom 24. August 1994 zur Änderung des Kirchengesetzes (insbesondere Erläuterungen zu Art. 54) sowie die Antworten des Regierungsrats auf die Motion M 268/1992 Grossniklaus Rechtlicher und materieller Wert des Kirchengutes und auf die bereits erwähnte Motion Messerli/Löffel. Die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion gab das Gutachten Müller/Sutter offenbar mit der Absicht in Auftrag, die Plausibilität der Schlussfolgerungen im Gutachten Friederich in Bezug auf den Bestand historischer Rechtstitel und wohlerworbener Rechte zu überprüfen. Soweit das nun eingeholte Gutachten Müller/Sutter zu anderen Schlussfolgerungen kommt, überzeugt es aus den folgenden Gründen nicht: Die beiden Gutachten stimmen über weite Strecken überein. Dies gilt insbesondere für den rechtsstaatlichen Grundsatz der Unveräusserlichkeit der öffentlichen Gewalt ; auch das Gutachten Friederich geht davon aus, dass der kantonale Verfassungs- oder Gesetzgeber gestützt auf diesen Grundsatz in Bezug auf die künftige Ausgestaltung der Pfarrbesoldung grundsätzlich über einen Gestaltungsspielraum verfügt bzw. verfügen muss und der Kanton Bern seine Besoldungspflicht auch ablösen kann. Einig sind sich die Gutachter ebenso in der Frage, dass im Jahr 1804 weder die Geistlichkeit noch die Kirche über eigene Rechtspersönlichkeit verfügte und ein wohlerworbenes Recht somit nicht mit der vertraglichen Natur des Dekrets vom 7. Mai 1804 stricto sensu begründet werden kann. Auch in Bezug auf die allgemeinen Ausführungen z.b. zu wohlerworbenen Rechten lassen sich keine (wesentlichen) Differenzen erkennen. Die einzige wesentliche allerdings entscheidende Differenz besteht in der Frage, ob ein gesetzesbeständiges wohlerworbenes Recht auf kantonale Besoldung von Pfarrpersonen bzw. ein entsprechender historischer Rechtstitel und, damit verbunden, ein Anspruch auf Entschädigung im Fall des Entzugs entsprechender Rechte besteht. Wie das Gutachten Friederich ausführlich darlegt, gründet der Anspruch auf Besoldung der Pfarrpersonen auf dem historischen Stiftungszweck des Kirchengutes. Die Zweckbindung, d.h. der Stiftungscharakter des Kirchengutes und nicht etwa erst die Übernahme der Güter durch den Kanton ist gemäss dem Gutachten Friederich Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung (Gutachten Friederich, S. 159 f.). Über einen Stiftungszweck können nach anerkannten stiftungsrechtlichen Grundsätzen weder der Kanton noch Dritte nach Belieben verfügen, auch dann nicht, wenn der Grundsatz der Unveräusserlichkeit der öffentlichen Gewalt bejaht wird (vgl. dazu etwa die u.w. klare Praxis des Kantons zu so genannten unselbständigen Stiftungen). Dieser rechtlich zentrale Punkt bleibt im Gutachten Müller/Sutter praktisch vollständig ausgeblendet. Das Gutachten Müller/Sutter erklärt die Differenz zum Gutachten Friederich damit, dass dieses zu Beginn der 1990-er Jahre entstanden sei und dementsprechend die neueste Entwicklung der Rechtsprechung zu wohlerworbenen Rechten sowie die Revision der Staatsverfassung und der Kirchengesetzgebung nicht habe berücksichtigen können; ge-

- 4 - rade die Revision der Kirchengesetzgebung im Jahr 1995 sei von erheblicher Bedeutung und gebe Anlass zu einer Neubeurteilung (S. 20). Diese Begründung lässt sich unseres Erachtens rechtlich nicht halten. Sind wohlerworbene Rechte oder anderweitige Ansprüche gesetzesbeständig und stützen sie sich, wie das Gutachten Friederich im Einklang mit der herrschenden Lehre annimmt, auf Gewährleistungen der Bundesverfassung (Eigentumsgarantie, Vertrauensgrundsatz), kann weder kantonales Verfassungsrecht noch die kantonale Gesetzgebung am Bestand dieser Ansprüche etwas ändern. In dieser Hinsicht fällt im Übrigen auf, dass das Gutachten Müller/Sutter zwar einerseits wohl davon ausgeht, dass sich wohlerworbene Rechte bzw. historische Rechtstitel auf Bundesverfassungsrecht abstützen, dann aber anzunehmen scheint, massgebend sei in verfassungsrechtlicher Hinsicht (nur) die Kantonsverfassung. Das Gutachten Müller/Sutter legt zudem nicht dar, inwiefern Ausführungen im Gutachten Friederich durch die Praxis oder Rechtsprechung zu wohlerworbenen Rechten seit den 1990-er Jahren überholt wären. Wohlerworbene Rechte oder historische Rechtstitel verleihen nach einhelliger, auch im Gutachten Friederich vertretener Auffassung nicht absolut unentziehbare Rechte, aber im Fall des Entzugs einen Anspruch auf Entschädigung gestützt auf die Eigentumsgarantie oder den Vertrauensgrundsatz. Die Frage, ob ein solcher Anspruch besteht, wird im Gutachten Müller/Sutter lediglich in einem Exkurs angesprochen (S. 27 f.) und schliesslich offen gelassen; sie bedürfte nach Auffassung der Gutachter einer separaten Prüfung (S. 33). Dieses Ergebnis ist wenig konsequent bis widersprüchlich. Denn für die Beurteilung der Frage, ob ein Entschädigungsanspruch besteht, ist entscheidend, ob ein wohlerworbenes Recht oder ein besonderer Rechtstitel vorliegt. Das Gutachten Müller/Sutter lässt anders lautende neuere und wesentliche Lehrmeinungen und Äusserungen unbeachtet. Dies gilt namentlich für die Kommentierung der Kantonsverfassung durch den damaligen Sekretär der Verfassungskommission (Urs Bolz in: Walter Kälin/Urs Bolz [Hrsg.], Handbuch des Bernischen Verfassungsrechts, Bern 1995, Rz. 5a zu Art. 123 KV), die auf die diesbezügliche überwiegende Lehre verweist, und insbesondere auch für die Berner Habilitationsschrift Christina Schmid-Tschirren, Von der Säkularisation zur Separation. Der Umgang des Staates mit den Kirchengütern in den evangelisch-reformierten und paritätischen Kantonen der Schweiz im 19. Jahrhundert, Zürich/Basel/Genf 2011, die sich vertieft mit dem Bestand historischer Rechtstitel im Zusammenhang mit Kirchengut und dem Erfordernis einer Ablösung der staatlichen Leistungen an die Kirchen oder Pfarrpersonen sowie mit den entsprechenden vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen im 19. Jahrhundert beschäftigt und entsprechende Ansprüche ebenfalls bejaht. Schliesslich fällt auf, dass sich das Gutachten Müller/Sutter in den Punkten, in denen es vom Gutachten Friederich abweicht, auffallend unbestimmt äussert (so S. 22: erscheint [...] zumindest zweifelhaft ; Ein wohlerworbenes Recht [...] scheint demnach [...] nicht zu bestehen ; S. 27: dürfte [...] kaum zu begründen sein ; Ein historisch begründeter, wohlerworbener Anspruch auf staatliche Pfarrbesoldung scheint nach dem Gesagten nicht zu bestehen ; ist [...] jedenfalls zu bezweifeln ; würde diese kaum eine staatliche Pflicht [...] begründen ; S. 28: dürfte auch hier demnach nur einschränkend Bestand haben ). Das Gutachten Müller/Sutter bringt somit keine wesentlichen neuen Einsichten, die nicht bereits im Gutachten Friederich dargestellt und ausgeführt sind. Soweit es den Bestand wohlerworbener Rechte auf Pfarrbesoldungen oder historischer Rechtstitel verneint, steht es im Widerspruch sowohl zur überwiegenden, gerade auch in einer neusten Berner Habilitation wiederum vertretenen und einlässlich dargelegten Lehrmeinung als auch zur historischen Tatsche, dass verhältnismässig zahlreiche reformierte und paritätische Kantone staatliche Leistungen an die (Landes-)Kirchen im 19. Jahrhundert mittels einer vermögensrechtlichen Auseinandersetzung abgelöst haben. Unter diesen Umständen besteht u.e. kein Grund, das Gutachten Müller/Sutter

- 5 - zum Anlass für die vertiefte Prüfung einer Neuregelung der Pfarrbesoldung im Sinn der Motion Wüthrich zu nehmen. Fragwürdige Angaben und Präsentation der Gutachten im Antwortentwurf Der Motionär begründet den Vorstoss mit dem Hinweis, der Kanton habe anlässlich der Totalrevision der Kantonsverfassung offenbar keine eigenen rechtlichen Abklärungen getroffen. Der Antwortentwurf pflichtet dieser Aussage zu und ist in dieser Form unzutreffend, mindestens aber geeignet, Missverständnisse zu wecken. Er lässt namentlich unerwähnt, dass die damalige Verfassungskommission bei Dr. Ulrich Friederich im Hinblick auf die Totalrevision der Kantonsverfassung und geraume Zeit vor der Entstehung des Gutachtens Kirchengut und staatliche Pfarrbesoldung den Bericht Auswirkungen einer Trennung von Staat und Kirche im Kanton Bern vom 7. Februar 1991 in Auftrag gab, der unter Hinweis auf die Lehre und die bundesrätliche Botschaft zur seinerzeitigen Volksinitiative betreffend die vollständige Trennung von Staat und Kirche den Bestand historischer Rechtstitel bejahte. Zum gleichen Ergebnis gelangte die damalige Expertenkommission für die Neuordnung der staatlichen Leistungen im Kirchenwesen in ihrem Bericht vom 18. Oktober 1990. Als befremdlich und nicht akzeptabel erachten wir aber vor allem die Präsentation der Ergebnisse der beiden Gutachten im Antwortentwurf. Während die Schlussfolgerungen des Gutachtens Müller im Prinzip wörtlich wiedergegeben werden, sind die Ergebnisse des Gutachtens Friederich (ohne dies kenntlich zu machen) nicht im Originalton, sondern teilweise unter Verwendung der indirekten Rede im Wesentlichen in der Form wiedergegeben, wie sie das Gutachten Müller/Sutter auf den Seiten 5 f. darstellt. Die insgesamt 18 Punkte der Schlussfolgerungen Friederich werden dabei unter 4 Lemmata zusammengefasst. Die für die rechtliche Beurteilung zentralen Ausführungen zur Eigenart historischer Rechtstitel und zu stiftungsrechtlichen Aspekten (Punkte 1-10 von insgesamt 18 Punkten der Zusammenfassung) werden dabei überhaupt nicht erwähnt. Diese Art der Darstellung ist nicht gerade geeignet, bei der Leserschaft Vertrauen in eine unbefangene Beurteilung zu schaffen. Antrag Die Unterzeichnenden sind aus den genannten Gründen der Meinung, dass weder in politischer noch in rechtlicher Hinsicht Anlass besteht, der Motion Wüthrich Folge zu leisten. Die rechtliche Situation ist hinreichend und umfassend geklärt. Das Gutachten Müller/Sutter führt zu keinen relevanten neuen Einsichten, erscheint aber in der vorliegenden Form zumindest geeignet, Missverständnisse zu provozieren. Wir ersuchen Sie deshalb, dem Grossen Rat die Ablehnung der Motion zu beantragen. Sollte die Motion dennoch angenommen werden, erwarten wir, dass die Landeskirchen die Gelegenheit erhalten, im Rahmen der Erarbeitung des regierungsrätlichen Berichts in geeigneter Weise mitzuwirken. Wir halten es für politisch nicht verantwortbar, wenn dieses Thema kurz nach dem eindrücklichen Bekenntnis des Grossen Rates zu seinen Landeskirchen anlässlich der Beratung und Ablehnung der Motion Bolli Jost allein aufgrund einer offenbar verhältnismässig kurzfristig erfolgten und inhaltlich nicht über jeden Zweifel erhabenen Beurteilung wieder auf die politische Traktandenliste gesetzt wird. Der Motionär selbst beabsichtigt zwar nach eigenen Angaben nicht, die guten Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Frage zu stellen, ist aber in den Medien in Verbindung mit Kreisen gebracht worden, die sich entschieden gegen das bewährte landeskirchliche System wenden. Die Unterzeichnenden sind überzeugt, dass eine Unterstützung der Motion Wüthrich durch den Regierungsrat nicht zuletzt aus diesem Grund in weiten Kreisen Unverständnis und Irritation auslösen würde. Das durch den Regierungsrat und den Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektor immer wieder hervorgehobene gute Verhältnis zwischen

- 6 - dem Kanton und seinen Landeskirchen würde nach unserer Beurteilung erheblichen Schaden nehmen, was in niemandes Interesse ist. Wir danken Ihnen, sehr geehrter Regierungsrat, sehr geehrte Damen und Herren, für die Kenntnisnahme. Mit freundlichen Grüssen Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Bern Namens des Synodalrates Der Präsident: Der Kirchenschreiber: Andreas Zeller Daniel Inäbnit Römisch-katholische Landeskirche des Kantons Bern Namens des Synodalrates Der Präsident: Die Verwalterin: Josef Wäckerle Ursula Muther Christkatholische Kommission des Kantons Bern Namens der Kommission Der Präsident: Christoph Schuler Interessengemeinschaft Jüdischer Gemeinden des Kantons Bern Der Präsident a.i.: Robert Heymann Kopien z.k: - Vorstand des Pfarrvereins Bern-Jura-Solothurn, zh. Frau Pfrn. Barbara Schmutz, Präsidentin, Bersetweg 19, 3073 Gümligen - Vorstand des Kirchgemeindeverbandes des Kantons Bern, zh. Herr Fridolin Marti, Präsident, Bälliz 67, 3600 Thun