Manuskript Beitrag: Blei im Wild Streit um giftige Munition Sendung vom 4. Dezember 2012 von Natascha Gillenberg Anmoderation: Bleifrei - das gibt es an Tankstellen. Weil jedermann schon lange klar ist, dass Blei nicht gut ist für die Gesundheit. Hochgeschätzt ist Blei allerdings unter Jägern - als Munition. Nichts tötet das Wild so sicher, behaupten sie. Und Jäger sind es wohl auch, die die meisten Hirsche und Hasen verzehren. Bleifrei sind die nicht, denn die Patrone kann im Tier zersplittern. Doch Jäger fürchten kein Schwermetall. Das überlassen sie den Wissenschaftlern - und ängstlichen Naturen. Natascha Gillenberg über das herbstliche Blei-Risiko. Text: Es ist Jagdsaison. Dem Wild fliegt jetzt wieder das Blei um die Ohren: allein in Deutschland pro Jahr 120.000 Kilogramm. Der Waidmann liebt die Tradition und mag auf das giftige Schwermetall nicht verzichten. O-Ton Michael Billen, Jäger: Weil ich der Überzeugung bin, dass ich mit dieser Munition am besten und am tiergerechtesten das Tier erlegen kann. O-Ton Gerd Grebener, Jäger: Da braucht man sich nicht mehr so viel informieren, weil wir seit Jahrhunderten damit schießen. Und was Jahrhunderte gut war, kann heute ja nicht schlecht sein. Oder doch? Schon vor Jahren kam ein schlimmer Verdacht auf - als Forscher tote Seeadler untersuchten und herausfanden: Die häufigste Todesursache der unter Naturschutz stehenden Vögel ist die Bleivergiftung. Kerstin Müller stieß auf einen fatalen zeitlichen Zusammenhang: O-Ton Prof. Kerstin Müller, Kleintierklinik FU Berlin: Die Entwicklung ist eigentlich so, dass wir nach wie vor sehr
viele Seeadler mit Bleivergiftung haben. Die Tiere kommen meistens in den Wintermonaten, Januar, Februar, März. Oder auch jetzt schon im November waren Tiere da. Und das sind die typischen Zeiten, wo gejagt wird. Röntgenbilder zeigen: Die aasfressenden Seeadler haben Munitionssplitter im Magen. Die haben sie über geschossenes Wild aufgenommen. Auch Oliver Krone vom Institut für Zoo und Wildtierforschung hat aufwendig ermittelt, und entdeckte dabei, was Jäger nicht wissen und Hersteller bestreiten: Ihre Bleimunition zerlegt sich regelmäßig in winzigste Einzelteile. O-Ton Oliver Krone, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung Berlin: Es hat uns sehr überrascht, dass diese Munition so massiv aufsplittert und eine Bleisplitterwolke im Tierkörper hinterlässt, und das ist im Bereich des Einschusses hier besonders auffällig, die Masse an Partikeln, die wir sehen. Und wenn wir dann von unten einmal in den Brustkorb hineinschauen können, dann sieht man also, dass diese Bleisplitterwolke sich in den Brustkorb hineinzieht, und sogar bis zur anderen Seite, also auch in diesen Bereich des Ausschusses noch Bleisplitter liegen. Viele Jäger wollen solche Forschungsergebnisse nicht wahrhaben, verweisen auf die gute, alte Tradition, den Schusskanal mit dem Blei sauber zu entfernen. So genießen sie das vermeintlich bleifreie Wild mit gutem Gewissen. O-Ton Gerd Grebener, Jäger: Ich bin ein absoluter Wildesser, weil ich einfach sage, es gibt nichts Biologischeres als Wild. O-Ton Heinz Plein, Jäger: Das Blei ist ja als fester Bestandteil da, man schluckt es nicht runter, man merkt es in den Zähnen, man beißt sich maximal eine Plombe defekt, aber man schluckt das Blei nicht runter beim Essen. O-Ton Michael Billen, Jäger: Ich bin vor vier Wochen Opa geworden - dem Kind geht s gut und die Mutter hat Wild genossen. Die Wissenschaftlerin dagegen warnt vor Blei als Zutat: O-Ton Prof. Kerstin Müller, Kleintierklinik FU Berlin: Bekannt ist, die Halbwertzeit von Blei ist 25 bis 30 Jahre. Das heißt, wenn ich Blei aufnehme, das über das Blut gelöst wird, das Enddepot ist tatsächlich der Knochen. Ich glaube, für alle Frauen, die schwanger sind oder die schwanger werden
wollen, irgendwann in ihrem Leben, denen kann man nur empfehlen, nur Wild zu essen oder Sachen zu essen, die bleifrei sind, weil s zu einer Reaktivierung dieser Blei-Ionen kommen kann, und somit ist dann auch natürlich unter Umständen das ungeborene Leben in Gefahr. Besonders für Kinder ist Blei bereits in kleinsten Mengen schädlich. Das wurde weltweit erforscht, getestet und geprüft. Doch der deutsche Jäger glaubt offenbar nur an eigene Erkenntnisse aus freier Wildbahn. Und so möchte der Vizepräsident des Deutschen Jagdschutzverbandes erst einmal in aller Ruhe eine eigene Studie in Auftrag geben - mit Jägern als Versuchskaninchen. 700 haben sich bereit erklärt, feststellen zu lassen, ob sie als Vielverzehrer von Wildbret besondere Bleiwerte im Blut haben. Ich würde mir wünschen, dass Mittel dafür bereit gestellt werden, um diese Bereitschaft auszunutzen und diese Ergebnisse zu bekommen. Doch bleierne Ergebnisse gibt es längst - und auch eine einfache Lösung: bleifreie Munition. Nur meinen die Jäger, die sei nicht sicher. Es gab da nämlich ein Gerücht, einmal sei bei einer Jagd eine bleifreie Kugel abgeprallt und habe einen Jäger getroffen. Der Fall schien klar: Geschosse ohne Blei haben eine andere Flugbahn viel zu gefährlich! Anlass wieder mal für eine Studie. Die Deutsche Versuchs- und Prüfanstalt für Sport- und Jagdwaffen forschte drei Jahre lang, stellte schließlich fest: Bleifreie Munition ist für Jäger nicht gefährlicher als bleihaltige. Was sagt da der Jäger? Diese Untersuchung hat einige Fragen beantwortet, aber nicht alle. Denn wenn bleifreie Munition nicht für den Menschen gefährlich ist, dann doch womöglich für das Tier. Das waidgerechte Töten sicher, schnell und ohne Schmerz - geht nicht bleifrei, sagen die Jäger. Nicht mit Kugeln aus Kupfer, Messing, Zink oder Stahl. Bei dieser ganzen neumodischen Munition haben sie einfach Zweifel. Und die werden von der Industrie genährt, weiß Munitionshersteller und Jäger Lutz Möller. Er produziert Messinggeschosse für einen kleinen Markt. Das große Geschäft
aber machen andere mit Blei. O-Ton Lutz Möller, Munitionshersteller: Die meisten Munitionsfabriken sind sehr alt. Das sind zum Teil alte Wehrmachtsmaschinen aus dem letzten Krieg. Die laufen, die funktionieren, das sind eingebaute Verfahren, da sind Zulassungen, alles läuft wie am Schnürchen. Und das Beharrungsvermögen liegt darin, dass die Kunden eingefahrene Gewohnheiten haben, und dass die Industrie eingefahrene Herstellungsmethoden hat, und da will keiner ohne Not ändern. Die Jäger erst recht nicht. Sie wollen noch mehr Beweise. Was der Jäger braucht, ist die objektive Einschätzung: Dieses Geschoss ist für meine Zwecke geeignet. Jetzt hat sich sogar das Verbraucherschutzministerium der Sache angenommen. 11.371 Mal wurde in seinem Auftrag mit und ohne Blei geschossen. Das Ergebnis des Vergleichs: unter Verschluss, noch streng geheim. Allein die Fachpresse nahm Witterung auf: Blattschuss! Das Magazin Unsere Jagd enthüllt nun die brisanten Fakten nicht ohne Stolz. O-Ton Michael Cosack, Chefredakteur Unsere Jagd : Ja, wir haben halt auch Informanten, und über diese Kanäle, das wissen Sie, kriegt man dann schon mal Informationen zugespielt. Und diese Ergebnisse sind nicht ungravierend. Denn die Studie ist eindeutig: O-Ton Michael Cosack, Chefredakteur Unsere Jagd : Sowohl bleihaltige als auch bleifreie Konstruktionen können adäquat töten oder haben eine ausreichende Tötungswirkung. So geht der Mythos Blei zu Ende. Jäger könnten jetzt bedenkenlos umsteigen. Wäre da nicht die bleischwere Last von Jahrhunderten. Abmoderation: Wer nicht gerade in einem Jägerhaushalt lebt, isst durchschnittlich nur ein bis zwei Wildmahlzeiten im Jahr. Kann aber ziemlich sicher sein, dass er auch mit Wasser, Getreide, Obst und Gemüse Blei zu sich nimmt.
Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.