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Transkript:

Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Heike Ließmann Wissenswert Streiter für Recht: Helmut Kramer und die NS-Justiz von Dörte Hinrichs und Hans Rubinich Sendung: 29.08.2013, 08.40 Uhr, hr2-kultur Regie: Burkhard Schmid Sprecherin: 13-104 Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.

Seite 2 von 13 Anmoderationsvorschlag: Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit der NS-Justiz und ihrer langen Nachgeschichte. Er hat in unzähligen Fällen aufgedeckt, welche Richter nach 1945 wieder in Amt und Würden kamen. Und er hat immer protestiert, wenn Unrecht zu Recht werden sollte. Die Rede ist von Helmut Kramer, ehemaliger Richter am Oberlandesgericht Braunschweig. 2010 wurde er mit dem Fritz Bauer Preis ausgezeichnet. Nun ist ihm, dem über 80jährigen eine weitere Ehre zuteil geworden: Das Historischen Museum Frankfurt hat ihn gewürdigt und in ein einzigartiges Projekt aufgenommen. Es nennt sich die Bibliothek der Alten und portraitiert Menschen, die in ihrem Leben etwas ganz Besonders geleistet haben. Dörte Hinrichs und Hans Rubinich haben Helmut Kramer besucht und wollten von ihm wissen, was ihn immer wieder bis heute motiviert hat.

Seite 3 von 13 1.Zuspielung Kramer: Filmzitat Ich habe, glaube ich, einen wunden Punkt. Ich kann kein Unrecht ertragen. Und nicht nur in der Gegenwart und nicht nur, was mit mir geschieht. Sondern vielmehr das Unrecht bei anderen und auch, was in der Vergangenheit geschehen ist. Das sagt Helmut Kramer gleich zu Beginn des Films, der im Historischen Museum in Frankfurt im bemerkenswerten Projekt der Bibliothek der Alten zu sehen ist. Weil er kein Unrecht erträgt, wie er sagt, mischt er sich immer wieder ein. Dem Unrecht auf der Spur ist das Filmportrait eines ungewöhnlichen Richters. Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein dieser Satz des ehemaligen NS-Marinerichters und baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger hat Helmut Kramer empört. Mehr noch: Er hat die Gesinnung dahinter publik gemacht und genauer hingeschaut, welche NS-Juristen auch später in der Bundesrepublik Karriere gemacht haben. 1978 nimmt er seinen höchsten Vorgesetzten, den damaligen niedersächsischen Justizminister Hans Puvogel, unter die Lupe. Er entlarvt ihn als Befürworter der Euthanasie; seine Doktorarbeit von 1937 trägt den Titel: Die leitenden Grundgedanken bei der Entmannung des Sittlichkeitstäters. 2. Zuspielung: Kramer In dieser Arbeit konnte man dann lesen, dass er sich damit beschäftigte mit dem Lebensrecht der sogenannten Minderwertigen und hatte da eben gefordert die Ausrottung und Ausmerzung aller Minderwertigen. Da war mein Empörungssinn wieder gefragt. Ich habe also die Doktorarbeit mir geben lassen, habe das Wichtigste kopiert und habe es Kollegen verteilt ohne irgendeinen Kommentar, also ohne

Seite 4 von 13 irgendein kritisches Wort dazu. Nachdem die Geschichte in die Öffentlichkeit kam, musste er zurücktreten. Er musste sein Ministeramt niederlegen. Das wurde mir vor allem übel genommen, denn gegen mich wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet und ich kriegte einen Verweis in meine Akten. Der Fall Puvogel steht exemplarisch für Kramers Fragen nach der Verantwortung der juristischen Schreibtischtäter in der NS-Zeit. Und damit verbunden auch nach ihrer Schuld. 3. Zuspielung Kramer Die Juristen der Jahre 1933-45 haben mit großer Selbstsicherheit, mit ihren scheinbar korrekten, aber hoch differenziertem Begriffsinstrumentarium noch das schlimmste Unrecht mit juristischer Eleganz gerechtfertigt. Und diese Gefahr, dass bei dem Recht nicht die Grundrechte, die Menschenrechte auch alles was mit Menschlichkeit zu tun hat nicht genügend berücksichtigt, die ist auch heute noch gegeben. Helmut Kramer nennt ein konkretes Beispiel: 4. Zuspielung KRAMER Das eine sind immer wieder bekannt gewordene Abschiebungen von Asylberechtigten, die zum Teil in unmenschlicher Form vollzogen werden. Sodass nachts plötzlich unangemeldet wird eine Familie, etwa eine Roma-Familie mit kleinen Kindern (werden die) weggeschleppt und in ein Flugzeug gezwungen. Mit völliger Traumatisierung - auch der Familie. Helmut Kramer ist Mitte 30, als er 1964/65 als Gerichtsassessor bei der Braunschweiger Generalstaatsanwaltschaft auf die Geschichte von Erna

Seite 5 von 13 Wazinski stößt. Ein Fall, der sein ganzes weiteres Leben beeinflussen soll: Bei einem Luftangriff 1944 wurde das Elternhaus von Erna Wazinski völlig zerstört. Und auch das Haus ihrer Nachbarn. Sie half aus den Flammen zu retten, was noch zu retten war. Dabei soll die 19jährige Kleidung und Schmuckstücke an sich genommen haben, ohne zu wissen, wem sie gehörten. Wegen angeblicher Plünderung wurde sie zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ein Urteil, gegen das ihre Mutter posthum klagte. 5. Zuspielung: Kramer ( ) Und ich habe mich für die Rehabilitierung dieses Mädchens eingesetzt. Da herrschte große Empörung unter meinen Kollegen. Und dann hat der Braunschweiger Strafsenat und dessen Vorsitzender, das war einer der höchsten Wehrmachtjuristen gewesen, ein Dr. Hans Meier-Branecke, - übrigens habe ich viel später erfahren, dass er für viele hunderte Todesurteile verantwortlich war - und der hat sich dann ganz vehement gegen die Rehabilitierung ausgesprochen. Jahre später, 1980, habe ich diesen und andere Fälle in Braunschweig in einer großen Veranstaltung zur Sprache gebracht. Da erschienen solche Richter selbst und haben sich verteidigt. Und zwar mit großem Hochmut. Selbst damals 1980, da wehrten sich nicht nur diese Richter dagegen, sondern eben auch meine übrigen Kollegen reagierten mit großem Unwillen darauf. Die Empörung darüber ist Helmut Kramer auch jetzt noch anzumerken. Der Fall Erna Wazinski lässt ihn nicht los. 1991 gelingt ihm schließlich die Wiederaufnahme des Falls. Kramer hat einen neuen Zeugen benannt. Erna Wazinski wird 47 Jahre nach ihrer Hinrichtung freigesprochen. Ggf.Musikakzent

Seite 6 von 13 1955 macht Helmut Kramer das Erste und 1962 das Zweite Juristische Staatsexamen. Und schreibt seine Doktorarbeit bei Ernst Rudolf Huber. Ausgerechnet. Huber war NS-Professor für Verfassungsrecht. Hätte Kramer das nicht merken müssen? 6. Zuspielung Kramer 3.41 ff Diese Frage lässt mich bis heute nicht locker. Auch wieder verbunden mit der noch unangenehmeren Frage: Wenn die Juristenausbildung von damals sich von der Juristenausbildung von heute nicht unterscheidet ( ) ist es dann an der Zeit, etwas mehr dafür zu tun, dass solche Dinge nicht wieder geschehen auch dass bei Juristen sich ein etwas größeres Problembewusstsein entwickelt. Das vermittelt nämlich die Juristenausbildung von heute immer noch nicht. Diese Juristenausbildung ist beinahe noch technokratischer als die Juristenausbildung etwa der Zeit, in der NS-Juristen - das war ja überwiegend noch die Zeit der Weimarer Republik, als sie ihre Prägung erhalten hatten. Also eine große Anregung zur Nachdenklichkeit, also herrschende Meinungen so nennen das die Juristen mal zu hinterfragen oder sozusagen nach Immanuel Kant, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Das trifft man nicht überall an. Weshalb die Juristen im NS-Staat vieles nicht hinterfragten, das beschäftigt Helmut Kramer immer wieder. Viele der damaligen Richter wandten sich ab von einem humanen Recht und urteilten oftmals härter als sie mussten. Schon für kleine Delikte verhängten manche die Todesstrafe. Dabei hätten sie auch anders entscheiden können, denn es gab durchaus juristischen Spielraum. Doch die Juristen unterm Hakenkreuz waren sich keiner Schuld bewusst weder damals noch nach 1945.

Seite 7 von 13 7. Zuspielung: Kramer 912 Diese hohen Richter, auch die Rechtsprofessoren, die haben ja ihre Taten nicht im Konzentrationslager begangen, sondern vom Schreibtisch aus. Sie brauchten nicht den Abzugshebel des Revolvers oder des Gewehrs abzudrücken. Was waren ihre Waffen? Ihre Waffen waren: Papier und Stift oder die Schreibmaschine. Es waren die Kommentare, die juristische Auslegemethode, mit der sie dann diese raffinierten Begründungstheorien ersannen, mit denen sie Unrecht in Recht ummünzten, sozusagen hinter dem Unrecht eine Fassade der Scheinlegalität haben sie da errichtet. Und sie haben nicht Angesicht zu Angesicht ihren Opfern gegenüberstanden. 1998 geht Helmut Kramer noch ein Stück weiter. Er gründet einen Verein, der sich Forum Justizgeschichte nennt. Der Freiburger Militärhistoriker Prof. Wolfram Wette, ein Mitstreiter von Kramer, meint rückblickend zu der Gründung des Vereins: 8. Zuspielung: Wette Warum musste man überhaupt so eine Organisation gründen? Weil Helmut Kramer zu der Überzeugung gekommen war, dass an unseren universitären und außeruniversitären Einrichtungen die Geschichte der Justiz, insbesondere die Geschichte der Justiz in der NS- Zeit zu kurz kommt. Dadurch ist durch seine Initiative ein über viele Jahre hinweg wirkendes Gremium geschaffen worden, in der sich Juristen kritisch mit der Nazi-Zeit auseinandersetzten konnten. Allein das schon ist ein sehr großes Verdienst, weil es eine sehr große Notwendigkeit darstellte. SPECHERIN Zur Gründung des Forums Justizgeschichte gelingt es Kramer namhafte Juristen einzuladen, auch den ehemaligen Justizminister Hans-Jochen Vogel. Ein Ziel des Forums: Junge Juristen sollen in ihrer Ausbildung befähigt werden, demokratisch und kritisch zu denken.

Seite 8 von 13 Heute ist die Juristenausbildung in den Augen von Helmut Kramer immer noch zu technokratisch und geschichtsvergessen. Die Rolle der Juristen kritisch zu reflektieren, dafür plädiert auch Guido Kirchhoff, Richter am Frankfurter Oberlandesgericht: 10. Zuspielung Kirchhoff Dieses Lernen aus der Geschichte kann nur in ganz bestimmten Umfang da sein. Aber zu sehen mit welchen Mechanismen Juristen im Dritten Reich es geschafft haben, dieses Unrecht wirklich wie Herr Kramer sagte elegant, auf eine wunderbar elegante juristische Art und Weise hinzubekommen, das müsste jeder junge Jurist im Detail beigebracht bekommen, um zu sehen, dass er diesen Schwierigkeiten jetzt aus dem Weg geht. : Helmut Kramer ist immer unbequem gewesen. Kontinuierlich setzt er sich auch ein für Opfer der NS-Militärjustiz. Zusammen mit den Historikern Wolfram Wette und Detlef Vogel arbeitet er an einer Dokumentation über Urteile von sogenannten Kriegsverrätern, die vom Bundestag nicht rehabilitiert sind. Sie seien Spione gewesen, so die gängige Meinung. Wolfram Wette und seine Kollegen widerlegen diese Auffassung. 11. Zuspielung: Wette Man entdeckt kleine Leute, die auf unterschiedliche Weise widerständig waren und man entdeckt erneut eine knallharte Militärjustiz, die schon aus heutiger Sicht, Kleinigkeiten wie Unterhaltung mit Kriegsgefangenen, wie Hilfe für Juden, die aber damals offiziell zum Feind erklärt worden waren, all diese Fälle hochstilisierten zu dem Staatsakt des Kriegsverrats, um sie dann mit der Todesstrafe belegen zu können.

Seite 9 von 13 : Die Untersuchungen stellen die bis dahin gängige Stigmatisierung der sogenannten Kriegsverräter auf den Kopf. Der Bundestagtag beschließt Experten anzuhören. Auf Antrag der Grünen verfasst Helmut Kramer ein Gutachten. Er spricht sich für die Rehabilitierung aller so abgeurteilten Kriegsverräter aus. Kürzungsmögl. ab hier: Die CDU/CSU schickt Professor Rolf Dieter Müller ins Rennen. Müller ist Direktor des Militärhistorischen Forschungsamtes. Und der scheint erfolgreich zu sein. Er schildert einen scheinbar krassen Fall von Kriegsverrat, den des Generals Edgar Feuchtinger. Den habe Wette übersehen, so Müller. Feuchtinger sei wegen Kriegsverrats zum Tode verurteilt worden, da er seiner Freundin in einem Brief mitgeteilt habe, welche Aufgaben ihm bei der anstehenden Ardennen-Offensive zufielen. Müller beeindruckt mit seinem Fall. Helmut Kramer gibt sich nicht zufrieden und forscht nach. 11 b. Zuspielung Kramer Mir kam das nicht plausibel vor und ich habe Prof, Müller angeschrieben und ihn gebeten, mir eine Kopie dieses Reichsgerichtsurteils zu schicken, notfalls auch nur die Signatur des Urteils und aus welchem Archiv er das hätte. Darauf gab er eine ausweichende Antwort ( ) da bin

Seite 10 von 13 ich erst recht stutzig geworden und habe nun die Schrauben etwas fester angezogen und ( ) Dann habe ich aber herausgefunden, wo er Angaben über das Urteil aufgespürt hätte, nämlich im Militärgeschichtlichen Archiv in Freiburg. Und da war alles anders, nämlich noch viel schlimmer: General Feuchtinger war gar nicht wegen Kriegsverrats verurteilt worden, sondern wegen Wehrkraftzersetzung (..) und war deswegen sowieso längst rehabilitiert, nämlich durch das Gesetz des Deutschen Bundestages von 2002, er konnte gar nicht mehr rehabilitiert werden, deshalb konnte es auch gar keine Schande sein, ihn zu rehabilitieren. Kramer scheibt an den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags. Der Fall Feuchtinger existiere allein in der Phantasie von Müller, so Kramer und sein Gutachten sei Geschichtsfälschung im Dienste der Politik. Daraufhin lässt die CDU/CSU ihren Experten fallen. Kürzungsmögl. Ende Am Ende stimmt der Bundestag 2009 mehrheitlich dafür, - alle werden rehabilitiert eine späte Genugtuung für die Familien dieser Menschen Ggf.Musikakzent

Seite 11 von 13 Nicht nur akribische Recherche, auch aktives politisches Engagement kennzeichnen Helmut Kramer. 1987 protestiert er zusammen mit 20 anderen Richtern gegen die Pläne der Nato, Atomraketen in dem kleinen Städtchen Mutlangen zu stationieren: die sogenannte Richterblockade. 12. Zuspielung: Kramer Wir haben uns dann auf diesen Feldweg, es waren 22 Grad Kälte, wunderbares Wetter, haben wir uns da hingesetzt. Die Polizei hat immer noch gezögert. Man wusste wohl nicht so recht, was man machen sollte, also ließ man uns erst mal machen. Wir blieben einfach sitzen. Einer nach dem anderen wurde dann weggetragen. Und verhaftet. Der Vorwurf: Sie hätten psychische Gewalt ausgeübt. Die Aktion der Richter verbreitet sich wie ein Lauffeuer und steht bald in allen Zeitungen. Der Liedermacher Franz-Josef Degenhardt schreibt für sie ein Lied. 13. Zuspielung: Degenhardt / zusammen mit 14 und 15. Zuspielung Dieses Lied ist für die Richter, die sich vor Raketen bei Eis und Schnee auf die Straße setzten und sie blockierten. Das gab es noch nie! Kramer Also ich habe in diesen 2 Stunden und das nachträgliche Nachdenken darüber, wo wir auf unseren vier Buchstaben gesessen haben, habe ich mehr gelernt als in den Jahren, die sie gebraucht haben für diese zwei Buchstaben für ihren Doktortitel.

Seite 12 von 13 Zuspielung Degenhardt Solche wie ihr haben immer nur so gerichtet wie's immer schon war und geschielt, ob der Chefpräsident euch winkt, eure Namen nennt. Ihr habt gebrochen mit diesem Brauch und habt gezeigt, anders geht's auch. Mehr ist das als nur ein Hoffnungsstrahl. Das funkelt und funkt überall. Einfache Richter seid ihr nur, doch eure Namen, die nennt man noch, wenn den Namen vom Chefpräsident längst keiner mehr kennt 2002 bekommt Helmut Kramer das Bundesverdienstkreuz überreicht, 2010 wird er mit dem Fritz-Bauer-Preis geehrt. Der Preis geht zurück auf den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der maßgeblich dazu beitrug, in den 60er Jahren die Auschwitz-Prozesse zu initiieren, gegen viele Widerstände. Für Helmut Kramer ist Fritz Bauer ein großes Vorbild. 17. Zuspielung: Kramer Fritz Bauer hatte mit sehr großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Selbst im Kollegenkreis versuchte man, sich dann vor solchen Prozessen zu drücken. Denn die Justiz ist immer überlastet ( ) aber er hat gesagt: das ist vorrangig, deswegen müssen diese Prozesse sein. Aber eben tatsächlich die Schwierigkeiten, die man ihm gemacht hat, waren ganz enorm. Man hat versucht, ihn zu diskriminieren, ja man hat sogar versucht ihn der Rechtsbeugung zu bezichtigen. Rechtsbeugung deswegen, weil er eben NS-Täter, Gewaltverbrecher vor Gericht gebracht hat.

Seite 13 von 13 Als Helmut Kramer in Frankfurt im Historischen Museum die Bibliothek der Alten besuchte, die nicht nur ihn sondern noch eine Reihe ähnlich Engagierter ehrt, da war er sehr beeindruckt Auch über den Film, der über ihn gedreht wurde. Am Ende des Films kommt der 83jährige, der Kämpfer, der immer Gegenwind zu spüren bekam, zu einem erstaunlichen Resumée: 18. Zuspielung Kramer (Filmende) Das hat wider Erwarten zu meiner Gesundheit beigetragen. Ich leide ja unter niedrigem Blutdruck und auf diese Weise habe ich immer einen ausgeglichen Blutdruck. (Kleines Lachen) ----