1 Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Volker Bernius Funkkolleg für Kinder Was glaubst du denn? Das Funkkolleg für Kinder im Trialog der Kulturen 07 Warum und wie fasten Juden, Christen und Muslime? Von Maria Bonifer 28.01.2012, 14.45 Uhr, hr2-kultur Sprecherin: Juliane Spatz hr2-kultur, Herbert-Quandt-Stiftung, Arbeitskreis Radio und Schule, Stiftung Zuhören www.kinderfunkkolleg.de www.kinderfunkkolleg-trialog.de COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.
2 1. DS Orientalische Musik, instrumental liegt drunter 2. DS Wecker 3. DS 1 Aliya Es geht so vier Uhr oder fünf Uhr los. Zwischen vier und fünf, da stehen diejenigen auf, die fasten wollen und dann essen die was und trinken halt auch. Und falls die beten wollen, können die kurz beten und danach gehen eigentlich alle schlafen und dann steht man erst wieder auf, wenn man zur Schule oder so geht. 4. MOD Wenn in Aliyas Familie so früh morgens der Wecker 5. DS 2 Aliya klingelt, ist kein gewöhnlicher Tag. Es ist ein Tag im islamischen Fastenmonat Ramadan. Aliyas Familie kommt aus Pakistan. Als gläubige Muslime halten sich ihre Eltern an das islamische Fastengebot. Das bedeutet für sie, dass sie während des Ramadans nichts essen und nichts trinken solange die Sonne am Himmel steht. Und wenn dann die Sonne wieder untergeht, dann darf man wieder was essen. Und da bereitet man viel vor, denn man hat meistens auch viel Hunger. Und meistens lädt man dann auch Freunde zu sich ein, dann isst man halt zusammen. Und auch die, die nicht gefastet haben, essen dann auch mit. 6. MOD Die 12jährige Aliya und ihre 13jährige Schwester Zoha 7. DS 3 Aliya fasten noch nicht jeden Tag. Nur manchmal an den Wochenenden. Da fällt es ihnen leichter, weil sie nicht zur Schule müssen und lange schlafen können. Und dann kommt meine kleine Schwester Mufliha, die ist neun Jahre alt und die fastet auch kaum, und wenn macht sie eine Art Vogelfasten. Meine Mutter sagt, sie soll dann einmal zwischendurch was essen, weil ihr macht das irgendwie manchmal Spaß zu fasten. Und danach kommt mein Bruder Dani und der ist sechs Jahre alt und der fastet halt auch gar nicht. 8. MOD Den ganzen Tag ohne Essen und Trinken kann sehr hart sein, vor allem wenn die Fastenzeit auf einen Sommermonat fällt. Das kann passieren, weil sich der Ramadan nach dem orientalischen Mondkalender richtet, wie Sedar Kurnaz vom Frankfurter Institut für Islamwissenschaften zu erklären weiß: 0 22 0 16 0 25/ 0 22
3 9. DS 4 Kurnaz Der Mondkalender hat 10 Tage weniger als der Sonnenkalender und deswegen variiert der Monat Ramadan. Jedes Jahr fällt es um 10 Tage zurück und es kann sein, dass man im Sommer fastet und auch mal im Winter fastet Es kommt drauf, manchmal fastet man je nach Jahreszeit 10 Stunden oder 20 Stunden. 10. MOD Deshalb müssen Kinder im Grundschulalter noch nicht 11. DS Kurnaz 5 täglich fasten. Alte und kranke Menschen gar nicht: Man darf sich nicht durch das Fasten in eine Lage versetzten, die zur Bedrängnis führt 12. MOD Aber warum wird im Ramadan überhaupt gefastet? 13. DS Aliya 6 14. DS Kurnaz 7 Aliya erklärt es so: Ich glaube, damit man merkt, viele Kinder auf der Welt, die haben nichts zu essen, damit man merkt, wie das ist. Damit man das halt so mitfühlt. Und zum anderen sollte auch mal von dem diesseitigen Leben Abstand genommen werden und mehr an Gott gedacht werden. Und wenn man nicht mit Essen beschäftigt ist, hat man auch mehr Zeit, sich Gott zu widmen und auch die eigenen Handlungen mal zu hinterfragen. Man denkt über moralische Werte nach, man denkt auch darüber nach, wie man sich in der Schule verhält, gegenüber Mitschülern. Beispiel wäre ja Mobben. Wieso mobbe ich, was bringt mir das? Wäre denn Gott damit zufrieden, wenn ich andere Menschen mobbe. All solche Fragen reflektiert man auch. Das ist nicht in der ersten Woche der Fall aber mit der zweiten dritten Woche wird es stark geprägt und in der letzten Woche freut man sich eher auf den Festtag. 15. MOD Denn auf die vierwöchige Fastenzeit folgt ein großes 16. DS Atmo Fest, das Ramadan Bayrami. Das dauert drei fröhliche Tage lang. Gebetsruf Muezzin, kurz hoch, dann unter 17. MOD Und beginnt mit einem Gebet in der Moschee: 18. DS Musik 19. DS 8 Kurnaz Kreuzblende Muezzin & Musik Unter die nächsten O-Töne Und nach dem Festtagsgebet ist es so, dass man den Älteren auf die Hand küsst und auf die Stirn, zumindest in der türkischen Kultur und gegenseitig so den Festtag beglückwünscht und nach dem Festtagsbesuch geht man nach Hause, wo man sich mit sehr großer Freude begegnet, man umarmt sich, man küsst sich, äußert Liebkosungen. 0 15 0 05 0 12 0 42 0 57/ 0 37
4 Aliya Man umarmt sich nach dem Gebet zweimal und dann sagt man: Bayram Mubarak Kurnaz Auf Türkisch würde das heißen: Bayram Das würde so viel heißen, wie Der Festtag von ihnen sei gesegnet. Und das sagen die Kinder. Und die Älteren sagen dann Dein Festtag auch Senede Und dann wird immer gesagt: Oh mein Kind, oh mein Kind. Also die Geborgenheit wird auch durch die Worte der Älteren auf die Jüngeren aufgestrahlt. 20. MOD Viele Kinder bekommen auch Geschenke. 21. DS 9 Kurnaz 22. DS Musik Meistens Süßigkeiten, oft auch Geld. Es variiert von Familie zu Familie. Und dann frühstückt man gemeinsam. Und dann bekommt man auch was Süßes zu essen, es kann dieser türkische Nougat bzw. türkischer Honig sein, Lokum, es kann Baklava sein. Und Kinder kommen dann, gehen von Tür zu Tür und sammeln Süßigkeiten ein, man besucht ältere Familienmitglieder oder Verwandte, man bekommt selber Besuch. Also es ist ein intensiver Austausch von Gefühlen und ein intensiver Austausch von Süßigkeiten! Musik kurz hoch, freistehend, dann raus 23. MOD Die Fastenzeit im Monat Ramadan ist für gläubige 24. DS 10 Kurnaz Muslime ein göttliches Gebot, das im Koran niedergeschrieben steht Da heißt es: So wie wir das Fasten den Leute vor euch auferlegt haben, so ist euch auch das Fasten auferlegt. Da sieht man die Parallelen zur jüdischen und christlichen Tradition: mit den Leuten vor euch sind Christen und Juden damals gemeint. 25. MOD Tatsächlich gibt es auch im Judentum bis heute 26. DS 11 Velthaus-Z Fastentage. Und im Christentum? Kennt man da nicht auch eine Fastenzeit? Ja es gibt eine Fastenzeit im Christentum. Und zwar die Fastenzeit vor Ostern. Die beginnt an Aschermittwoch und endet am Karsamstag. 27. MOD Aber die ist schon etwas anders als der Ramadan, weiß die Dozentin für Religionspädagogik Andrea Velthaus- Zimny: 0 32 0 12 0 08
5 28. DS 12 Velthaus-Z Die christliche Fastenzeit unterscheidet sich vom Ramadan insofern, als wir nicht fasten, das heißt, nichts essen und nichts trinken während die Sonne am Himmel steht, sondern, dass es eigentlich eine Zeit ist, in der wir über unsere Gewohnheiten nachdenken. Was machen wir zuviel, trinken wir zu viel Wein, essen wir zuviel Süßigkeiten. Und das man auf diese Art und Weise frei wird, zu sehen, was anderen fehlt, zum Beispiel Kindern in Brasilien oder auch in unserem eigenen Umfeld. Da gibt es ja auch arme Kinder, das man denkt, was könnte ich da tun. 29. MOD So gibt es in der Vorosterzeit viele Spendenaktionen. Viele Christen nutzen die Zeit auch für eine Art Themenfasten. Der zwölfjährige Florian verzichtet zum Beispiel auf Süßigkeiten und er hat noch viele Ideen, wie man sonst noch fasten kann: 0 42 30. DS 13 Florian Erwachsene können langsamer Autofahren, nicht so viel fernsehen, nicht so viel am Computer sein, auch nicht so viel rauchen, oder mehr mit den Kindern unternehmen. Da muss man sich halt ein Thema vornehmen. 0 19 31. MOD Florian weiß auch, warum es genau 40 Tage sind, an denen gefastet wird: 32. DS 14 Florian Weil Jesus 40 Tage in der Wüste war und hatte gar nix, kein Wasser, kein Essen und das hat er halt ausgehalten. 33. MOD Genau. Auch Jesus hat gefastet und zwar zu einem 34. DS 15 Velthaus-Z ganz wichtigen Zeitpunkt in seinen Leben. So jedenfalls erzählt es die Bibel: In der Bibel ist überliefert, dass Jesus, bevor er in die Öffentlichkeit gegangen ist, sich 40 Tage in die Wüste zurückgezogen hat, um zu fasten. Und ich sehe das so, dass er auch diese Zeit gebraucht hat, um sich auf seine enorme Aufgabe vorzubereiten, sich zu überlegen, schaffe ich das, kann ich das durchhalten. 35. MOD Gestärkt durch das Fasten beginnt Jesus seine Zeit als Wanderprediger, die mit seinem Tod am Kreuz endet - und - so glaubt man im Christentum - mit seiner Auferstehung. Auch an Jesu Leidensweg soll in der Fastenzeit gedacht werden. Darum liegt sie in der Vorosterzeit und hat ihren Höhepunkt in der Karwoche. In dieser Woche gibt es in christlichen Familien 0 08 0 20
6 unterschiedliche Fastenbräuche. So wird an Gründonnerstag oft nur Grünes gegessen und am Karfeitag Fisch. Und noch eine Besonderheit gibt es in vielen christlichen Gemeinden: 36. DS 16 Florian Die Glocken von den Kirchen läuten von Karfeitag bis zur Osternacht - das ist vor Ostersonntag - gar nicht. Sie läuten erst wieder in der Osternacht, wenn die Messe ist 37. MOD Zur Auferstehungsfeier im Gottesdienst, denn dann 38. DS Atmo beginnt die Osterzeit. Für Christen der höchste Feiertag. Und ein freudiger Festtag! Für viele Kinder bestimmt auch deshalb, weil es an Ostern ganz viel Schokolade gibt. Schon unter das Ende des letzten s!! Kirchenglocken Kurz hoch, dann raus 39. MOD An Jom Kippur ist es still, ganz still. 40. DS 17 Rabbi Klein Kein Radio, kein Fernsehgerät, kein Computer läuft und auch das Telefon sollte nicht läuten. Jom Kippur heißt auch Versöhnungstag. Er ist der höchste Festtag im Judentum - und ein wichtiger Fastentag. Rabbiner Menachem Halevi Klein weiß warum: Einen Tag gibt es aus der Bibel und das ist der Heilige Tag, der Versöhnungstag und das ist der einzige Tag, wo der liebe Gott uns gesagt hat, dass wir uns kasteien sollten. Das hat der liebe Gott so geschrieben in der Tora und das ist der Hintergrund. 41. MOD Kasteien, das bedeutet Buße tun und dazu gehört an Jom Kippur, dass man nichts isst und nichts trinkt. Rund 26 Stunden lang. Das Fastengebot beginnt am Vorabend, wenn die ersten drei Sterne am Himmel stehen: 0 15 0 14
7 42. DS 18 Bella Davor macht man ein gaaanz riesiges Essen, das satt macht und was ganz lange satt hält. 43. MOD In Bellas Familie gibt es viel Hühnersuppe, Fleisch und 44. DS 19 Rabbi Klein Brot bevor die Fastenzeit beginnt. Aber gefastet heißt, wirklich gefastet, ohne den Mund auszuspülen 45. MOD 26 Stunden ganz ohne Flüßigkeit. Auch das ist ein 46. DS 20 Rabbi Klein strenges Fasten. Und so gibt es auch im Judentum einige Ausnahmen von der Fastenregel. Jemand ist krank, Gott behüt, oder muss Medikamente einnehmen mit Wasser oder eine Frau ist schwanger, hoch schwanger oder nach der Geburt oder nach verschiedenen anderen Sachen. Man fragt den Rabbiner und den Arzt. Und wenn der Arzt sagt, der Mensch darf nicht fasten oder soll nicht voll fasten, er muss noch trinken. Dann macht er natürlich das, weil Leben ist heilig. 47. MOD Auch für kleinere Kinder gibt es noch kein Fastengebot: 48. DS 21 Rabbi Klein 49. DS Bella 22 Für Kinder nein, aber ab 8 oder 9 Jahren machen sie Stunden. Das heißt, die fasten nur Nacht. Es beginnt ab 13 Jahren bei Jungen und ab 12 bei Mädchen. Ein Junge aus meiner Klasse hat schon mal versucht zu fasten, er hats geschafft, so sieben bis zehn Stunden so zu fasten. 50. MOD Die siebenjährige Bella und ihr zwölf (?) jähriger Bruder 51. DS 23 DS Bella fasten noch nicht. Aber sie halten sich an die anderen Regeln, die es am Versöhnungstag gibt. Und an Jom Kippur, da dürfen sich die Mädchen auch nicht schminken, sich mit Ohrringen schön machen, man darf sich nicht waschen, keinen Strom benutzen. Man darf nicht Licht an und aus machen. Man muss Licht an lassen oder man lässt es aus, muss man sich halt abstimmen. 52. MOD Und man darf kein Auto fahren, auch nicht mit 53. DS 24 öffentlichen Verkehrsmitteln. An Jom Kippur, das haben wir schon mal gemacht, als wir kleiner waren, da sind wir von hier bis zur Westend- Synagoge gelaufen, weil man darf kein Auto benutzen und das war ganz schön anstrengend und ganz schön weit 0 11 0 05 0 26 0 11 0 07 0 21 0 08
8 54. MOD Auch der Jom Kippur Tag endet mit einem 55. DS 25 Gottesdienstbesuch, in einer Synagoge - und danach wird fröhlich gefeiert und gegessen: Dann gibt es meistens schon in der Synagoge so typisches jüdisches Essen, so gehackte Leber, gehackte Eier und dann gehen sie nach Hause und zuhause gibt es dann ein richtig schönes Festessen. 56. MOD Aber warum heißt der Jom Kippur Tag nun eigentlich 57. DS 26 auch Versöhnungstag? Er ist der Höhenpunkt einer längeren Versöhnungszeit, die schon 10 Tage zuvor, an Roscha ha-schana, dem jüdischen Neujahrstag, beginnt. Da soll man sich bei seinen Freunden entschuldigen, falls man Unrecht getan hat, man soll sich bei allen halt entschuldigen, soll ganz viel beten, damit man begnadigt wird, falls man etwas ganz schlimmes gemacht hat Dann ist man rein und hat sozusagen ein neues Jahr, um möglichst wenige Sünden zu machen. 58. MOD So sind auch die Tage vor Jom Kippur eine Zeit der 59. DS 27 60. DS Musik inneren Einkehr, eine Zeit der Besinnung. Genau wie die christliche Vorosterzeit und der muslimische Fastenmonat Ramadan. Sie alle sind Zeiten für einen Neuanfang vor Gott. Sie geben Gelegenheit, sich auf das zu besinnen, was wirklich zählt und das heißt in allen drei Religionen vor allem eines - Gutes tun: Und dann gibt es ein schönes Sprichwort find ich: Man soll in dem Jahr so viele Mizwot also gute Taten machen, wie es Kerne in einem Granatapfel gibt. jüdisch-orientalisch, schon unter letzte Mod legen, dann hoch 61. MOD Und ein Granatapfel hat wirklich viele kleine Kerne! Und noch etwas ist in allen drei Religionen gleich: Wer gefastet hat, darf anschließend wieder fröhlich sein und feiern - Im Islam, im Christentum und auch im Judentum. Musik noch kurz frei 0 14 0 18 0 09