Wie lang dauert ein Tennisspiel? (Angewandte Stochastik)

Ähnliche Dokumente
Von der Zählweise beim Tennis

Ein Würfel wird geworfen. Einsatz: Fr Gewinn: Fr. 6.--

DWT 2.3 Ankunftswahrscheinlichkeiten und Übergangszeiten 400/467 Ernst W. Mayr

Vierte Schularbeit Mathematik Klasse 7A G am xx

Konvergenz von Hopfield-Netzen

Angewandte Stochastik

Zahlentheorie. Stefan Takacs Linz, am 2. Juni 2004

Zentrale Klausur unter Abiturbedingungen Mathematik. Leistungskurs. für Schülerinnen und Schüler

Das Sammler-Problem. Anja Bergdolt. 11. Januar 2018

K2 MATHEMATIK KLAUSUR 3

Lineare (Un-)Gleichungen und lineare Optimierung

Spiel, Satz und Sieg!

Die Situation und das Problem MODELLBILDEN IM STOCHASTIKUNTERRICHT. Änderung der Tennisregeln - Wer profitiert davon?

57. Mathematik-Olympiade 1. Runde (Schulrunde) Lösungen

Didaktik der Stochastik - Aufgabe 6.2

Pr[X t+1 = k] = Pr[X t+1 = k X t = i] Pr[X t = i], also. (q t+1 ) k = p ik (q t ) i, bzw. in Matrixschreibweise. q t+1 = q t P.

Mathematik. Abiturprüfung Prüfungsteil A. Arbeitszeit: 90 Minuten. Bei der Bearbeitung der Aufgaben dürfen keine Hilfsmittel verwendet werden.

BESONDERE LEISTUNGSFESTSTELLUNG MATHEMATIK

2 Zufallsvariable und Verteilungsfunktionen

Gymnasium Muttenz Maturitätsprüfung 2014 Mathematik Profile A und B

8. 2A. Integration von Potenzreihen

Stochastik und Markovketten

Musterlösung zum Weihnahchtsübungsblatt. Teil 1 von Martin Fabricius. Aufgabe 1

Schriftliche Ausarbeitung zum Seminarvortrag: Einführung in die Perfekte Simulation. Propp-Wilson-Algorithmus

Würfelspiele und Zufall

29 Schätzung von Erwartungswert und Varianz

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Kompakte Vorbereitung zu den zentralen Prüfungen Klasse 10

6.5 Die Taylor-Reihe. Start: Erinnerung an den Satz über die geometrische Reihe. Für die endliche geometrische Reihe gilt die Summenformel

Wird ein Bernoulli- Versuch, bei dem die Trefferwahrscheinlichkeit p = 0,2 ist, n = 40 mal durchgeführt, dann erwarten wir im Mittel 8 Treffer.

IV Beweise in der Mathematik

Einführungsphase. Grundlegende Eigenschaften von Potenz-, Ganzrationale-, Exponential- und Sinusfunktionen

2 Der Weierstraßsche Produktsatz

Arbeiten ( )

1.5 Modellieren Maximilian Geier Institut für Mathematik, Landau Universität Koblenz-Landau

Institut für Stochastik, SoSe K L A U S U R , 13:

LP(ECTS): 8 Sekr.: MA 7-6

Johannes-Kepler-Gymnasium, Chemnitz John-Lennon-Oberschule, Berlin Friedrich-Schiller-Gymnasium, Königs Wusterhausen

Diskrete Ereignissysteme

Von Kernkraftwerken zu Space Shuttles

Axiomatische Beschreibung der ganzen Zahlen

Wahrscheinlichkeit und Zufall

Stetige Funktionen. Definition. Seien (X, d) und (Y, ϱ) metrische Räume und f : X Y eine Abbildung. D(f) X sei der Definitionsbereich von f.

Credits. Studiensemester. 1. Sem. Kontaktzeit 4 SWS / 60 h 2 SWS / 30 h

Vertiefung NWI: 8. Vorlesung zur Wahrscheinlichkeitstheorie

Musterlösung zu Blatt 11, Aufgabe 3

Elementare Beweismethoden

Hinweise zum Wahlteil

Über die Summation der Reihen, die in dieser Form enthalten sind

1 + λ 0, die Geraden h : x =

Die Kraft der Geometrie oder Eine geometrische Lösung zum Baseler Problem

Die Euler-Mascheroni-Konstante

Dem Anschein nach werden diese Zahlen kleiner und kleiner und streben gegen Null. Was sollen sie sonst auch tun? Aber der Begriff

Satz von Borel-Cantelli. Limes inferior von Mengen. Limes superior von Mengen. Stetigkeit. Konvergenz von Zufallsvariablen. Kolmogorow-Ungleichung

1.3 Wiederholung der Konvergenzkonzepte

Methoden der Laurent-Entwicklung

Höhere Mathematik II für die Fachrichtung Informatik. Lösungsvorschläge zum 1. Übungsblatt

Wie in der reellen Analysis üblich notiert man Folgen f in der Form

Konstruktion der reellen Zahlen

Modulhandbuch. der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. der Universität zu Köln. für den Lernbereich Mathematische Grundbildung

FACHCURRICULUM KL. 9. Raum und Form Figuren zentrisch strecken Üben und Festigen. Strahlensätze. Rechtwinklige Dreiecke.

schreiben, wobei p und q ganze Zahlen sind.

Das Baseler Problem =?

Hauptklausur zur Stochastik für Lehramt

Bestimmen Sie den Wert von a, sodass diese quadratische Gleichung genau eine Lösung hat.


Technische Universität München Zentrum Mathematik Propädeutikum Diskrete Mathematik. Weihnachtsblatt

KULTUSMINISTERIUM DES LANDES SACHSEN-ANHALT

Addiere unendlich viele Zahlen... 1

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Kann man den Zufall vorhersagen? Daten und Zufall

Maple-Praktikum für Lehramt Blatt 3 Dieses Blatt wird in Kalenderwoche 18 (ab 30. April) testiert.

Mathematik I Herbstsemester 2018 Kapitel 3: Differentialrechnung

Die Umsetzung der Lehrplaninhalte in Fokus Mathematik Einführungsphase auf der Basis des Kerncurriculums Mathematik in Nordrhein-Westfalen

15 Restabschätzung nach Taylor. Potenzreihen

Beurteilende Statistik

Drei Kreise im Dreieck

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Mathematisch Modellieren am Beispiel von Eisverkäufern und Dönerimbissen

Einführung in Maschensatz und Knotenpunktsatz

3. Prozesse mit kontinuierlicher Zeit

Übungsaufgaben Lösungen

Mathematik verstehen Beispiele aus der Stochastik

1 Grundlagen Wahrscheinlichkeitsrechung

Stoffverteilungsplan im Rahmen des schulinternen Lehrplans für die Jahrgangsstufe EF bezogen auf das Lehrwerk Fokus Mathematik

Kombinatorik von Zahlenfolgen

Das Prinzip der Suchmaschine Google TM

Über eine zahlentheoretische Funktion von E. Jacobsthal

Abitur Matrizen und Prozesse (Teil 4 mit Hilfsmittel) Musteraufgaben Lösung A1 1.1 Übergangsmatrix Die Übergangsmatrix lautet (vgl.

1. Mathematik Olympiade 4. Stufe (DDR-Olympiade) Klasse 12 Saison 1961/1962 Aufgaben und Lösungen

Beweise aus dem Fach Grundzüge der Künstlichen Intelligenz

Kickerliga Paderborn Regelwerk

Mathematik 2 für Bauingenieure

Erwartungswert, Varianz und Standardabweichung einer Zufallsgröße. Was ist eine Zufallsgröße und was genau deren Verteilung?

Übungsbeispiele für die 1. Schularbeit (zweistündig) (8C, Realgymnasium, 2013/14)

Mathematische und statistische Methoden II

Mathe Star Lösungen Runde /09

Folgen und Reihen Folgen

Mathematik. Abiturprüfung Prüfungsteil A (CAS) Arbeitszeit: 90 Minuten

Transkript:

Wie lang dauert ein Tennisspiel? (Angewandte Stochastik) F. Rendl, Universität Klagenfurt, Institut für Mathematik 28. Mai 2003 1 Elementare Wahrscheinlichkeiten Bei einfachen Zufallsprozessen geht man von folgendem Modell aus: Gegeben sind eine Menge von Zuständen, sowie die Wahrscheinlichkeit, von einem zu einem anderen Zustand zu gelangen. Die Wahrscheinlichkeit, bei Start im Zustand A in den Zustand B zu gelangen, ist dann gegeben durch die Summe über alle Wahrscheinlichkeiten, um von A nach B zu gelangen. Es wird also über alle Wege von A nach B summiert. Beispiel 1. Beispiel 2. Falls diese Zustände wirtschaftlichen Prozessen entsprechen, so ist die folgende Art von Fragestellung nahe liegend: Wie lange dauert es im Schnitt, bis ein Produktionsgang fertig ist? Kann bei gezieltem Eingriff in die Prozessabfolge der Erwartungswert für die Dauer der Produktion reduziert werden? Diese Art von Fragestellungen werden anhand eines sehr einfachen Modells für den Ablauf eines Tennisspiels untersucht, und mit elementaren Methoden (Mittelschulstoff) gelöst.

2 Kreise können Schwierigkeiten verursachen Enumeration aller Wege bei Vorhandensein von (gerichteten) Kreisen ist im Allgemeinen schwer. Das folgende Beispiel veranschaulicht dies: Es gibt unendlich viele verschiedene Wege, um von 2 nach 5 zu gelangen, abhngig davon, wie oft die einzelnen Kreise durchlaufen werden. Beispiel 3. Mathematisch führt dies in die Theorie von stochastischen Prozessen, im einfachsten Fall Markovketten. Deren Analyse erfordert dabei Kenntnisse aus der Matrixanalysis, die das Schulniveau bei weitem übersteigen. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie weit man durch einen ad-hoc Zugang kommen kann. Dies erfolgt durch die Enumeration der Wege von den Startkonten zu den Zielknoten. Beispiel 4. Beispielsweise lt sich die Anzahl der Wege bei einem Tennisspiel durch Binomialkoeffizienten ausdrcken (siehe Anhang). Dies wird im Folgenden verwendet, um die Gewinnwahrscheinlichkeiten eines Tennisspieles unter sehr einfachen Annahmen zu ermitteln. 2

3 Analyse eines Tennisspiels Ein Tennismatch ist unterteilt in Sätze, diese in Spiele, und ein Spiel in Punkte. Ein Spiel ist gewonnen, sobald ein Spieler mindestens 4 Punkte erhalten hat, und dabei zumindest 2 Punkte Vorsprung auf den Gegner hat. Der mögliche Spielverlauf nach den ersten 3 Punkten verläuft dabei wie in Beispiel 4 angegeben. Der gesamte Spielverlauf findet sich in der Skizze im Anhang. Ein Satz ist beendet, sobald ein Spieler mindestens 6 Spiele gewonnen hat, und dabei einen Vorsprung von mindestens 2 Spielen hat. Beim Stand von 5:5 sind daher für einen Sieg 2 gewonnene Spiele hintereinander erforderlich, oder der Satz wird durch tie-break entschieden. Dieses tie-break wird beim Stand von 6:6 gestartet. Für dessen Gewinn sind 7 gewonnene Punkte, mit zumindest zwei Punkten Vorsprung auf den Gegner erforderlich. Ein Tennismatch ist gewonnen, sobald ein Spieler zwei Sätze gewonnen hat. (Bei großen Turnieren wird manchmal auch auf 3 gewonnene Sätze gespielt.) Wir wollen nun annehmen, daß Spieler A einen Punkt mit Wahrscheinlichkeit p gewinnt, und diese Wahrscheinlichkeit wird über den gesamten Spielverlauf als konstant angenommen. (Über die Sinnhaftigkeit dieser Annahme kann man lange diskutieren, aber der Einfachheit halber wird sie jetzt zugrunde gelegt.) 4 Analyse: Gewinnwahrscheinlichkeit von A Wir wollen untersuchen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß Spieler A ein Spiel gewinnt. Weiters soll untersucht werden, wie lang ein Spiel im Schnitt dauert. q := 1 p. G A,k sei die Wahrscheinlichkeit für Gewinn von Spieler A nach k Punkten. G A,4 = p 4. (4 gewonnen Punkte hintereinander) G A,5 = 4p 4 q G A,6 = 10p 4 q 2 Falls das Spiel nach 6 Punkten nicht beendet ist, so muß es nach 6 Punkten 40:40 stehen, siehe Skizze. Dies tritt mit Wahrscheinlichkeit r = 20p 3 q 3 3

ein. Wir bezeichnen mit E 6 die Wahrscheinlichkeit fr Einstand nach 6 Punkten, also: E 6 = 20p 3 q 3 In diesem Fall ist der weitere Spielverlauf wie im zweiten Teil der Skizze gegeben. E bedeutet dabei Einstand, und V Vorteil für den einen oder anderen Spieler. Es gilt dann: G A,7 = 0. (Kein Spiel kann nach 7 Punkten beendet sein.) G A,8 = rp 2 = 20p 5 q 3, E 8 = 2rpq = 40p 4 q 4. G A,10 = p 2 E 8 = 40p 6 q 4. Insgesamt gewinnt daher A mit der Wahrscheinlichkeit G A = G A,4 + G A,5 + G A,6 + G A,8 + G A,10 +.... Dabei führt G A,8 + G A,10 +... auf folgende geometrische Reihe: 20p 5 q 3 + 40p 6 q 4 + 80p 7 q 5 +... = = 20p 5 q 3 (1 + 2pq + (2pq) 2 + (2pq) 3 +... = = 20p 5 q 3 /(1 2pq). Die Reihe konvergiert, weil 2pq.5 (Beweis als Aufgabe. Hinweis: Ansatz: p =.5 + x, q =.5 x.) Spieler A gewinnt daher mit Wahrscheinlichkeit: G A = p 4 + 4p 4 q + 10p 4 q 2 + 20p5 q 3 5 Analyse der Spieldauer 1 2pq = p4 (1 + 4q + 10q2 1 2pq ). In hnlicher Weise lt sich auch die Dauer eines Spieles analysieren: D k sei die Wahrscheinlichkeit, daß ein Spiel nach k Punkten beendet ist. Klarerweise ist D 1 = D 2 = D 3 = D 7 = D 9 = D 11 =... = 0. Die weiteren Werte sind: D 4 = p 4 + q 4 (entweder gewinnt A oder B) D 5 = 4(p 4 q + pq 4 ), D 6 = 10(p 4 q 2 + p 2 q 4 ). D 8 = 20(p 5 q 3 + p 3 q 5 ) = 20p 3 q 3 (p 2 + q 2 ) 4

D 10 = 20p 3 q 3 (p 2 + q 2 )(2pq),... Falls wir mit D den Erwartungswert für die Dauer bezeichnen, so gilt Betrachten wir zuerst die unendliche Summe Hier ist folgende Betrachtung hilfreich: D = 4D 4 + 5D 5 + 6D 6 + 8D 8 + 10D 10 +... 8D 8 + 10D 10 + 12D 12 +... = 20p 3 q 3 (p 2 + q 2 ) [ 8 + 10(2pq) + 12(2pq) 2 +... ] = 40p 3 q 3 (p 2 + q 2 ) k 1(2pq) k 1 (k + 3) k 0 x k = 1, falls x < 1. 1 x Gliedweise Differentiation auf beiden Seiten ergibt (nach Vertauschen der Grenzübergänge, welcher mathematisch gerechtfertigt werden muß) kx k 1 = k 1 1 (1 x) 2. Nach Einsetzen aller Werte, und kleinen Vereinfachungen, wie ergibt sich 1 2pq = p 2 + q 2 D = 4p 4 (1 + 5q + 15q 2 ) + 4q 4 (1 + 5p + 15p 2 ) + 40p 3 q 3 (3 + Für p =.5 ergibt sich somit eine durchschnittliche Dauer von 6.75 Punkten. 1 1 2pq ). Literatur: P. Bardy: Mathematische Modellbildungen und Computersimulationen als rationale Grundlage für Entscheidungen im Tennissport, Didaktik der Mathematik 21, 207-222, 1993. 6 Anhang 5

6