UWE JAHN RECHTSANWALT

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Rund um den Arbeitsvertrag

1.1 Tarifautonomie, rechtliche Grundlagen

Transkript:

UWE JAHN RECHTSANWALT Trittbrettfahren als Grundrecht Differenzierungsklauseln im Tarifvertrag Tarifverträge sind Normen, die unmittelbar auf Arbeitsverhältnisse einwirken können. Voraussetzung für diese unmittelbare Einwirkung ist Tarifbindung auf beiden Seiten des Arbeitsverhältnisses, der Arbeitgeber ist in einem entsprechenden Verband, der Arbeitnehmer in einer Gewerkschaft, die diesen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Neben dieser unmittelbaren Wirkung haben Tarifverträge aber sehr häufig auch noch eine mittelbare Wirkung. Ist der Arbeitgeber tarifgebunden, so hat er andererseits kein Interesse daran, den Arbeitnehmer in die Mitgliedschaft der Gewerkschaft zu treiben, nur, damit er ebenfalls in den Genuss der Regelungen im Tarifvertrag kommt. Der Arbeitgeber wird also allen Mitarbeitern gegenüber die Regelungen des Tarifvertrages zur Anwendung bringen, dies geschieht regelmäßig durch eine Bezugnahme im Arbeitsvertrag. Ist der Arbeitgeber nicht tarifgebunden, ist seine Interessenlage differenzierter, führt aber zum gleichen Ergebnis. Er wird in den Arbeitsverträgen ebenfalls auf die Tarifvertragsregelungen Bezug nehmen wollen. Gegenüber den in einer Gewerkschaft organisierten Mitarbeitern mindert er so den Anreiz, gegebenenfalls einen Firmentarifvertrag zu erstreiken. Gegenüber den nicht-organisierten Mitarbeitern räumt er die meist marktüblichen Konditionen ein und senkt den Anreiz dafür, in die Gewerkschaft einzutreten. Und auch der nicht-organisierte Arbeitnehmer wird natürlich ein Interesse daran haben, marktübliche Konditionen für sein Arbeitsverhältnis auszuhandeln. Und da ist dann der Verweis auf einen Tarifvertrag in aller Regel hilfreich. A R B E I T S R E C H T Fachanwalt M E D I Z I N R E C H T Fachanwalt WIRTSCHAFTSRECHT Spezialgebiet Am Ende dieser Überlegungen stehen dann allerdings die Gewerkschaften in einer zunehmend prekären Situation. Sie handeln die Tarifverträge aus mit erheblichem Aufwand im Funktionärsapparat und ggf. auch erheblichem Kampfeinsatz der Mitglieder und die unorganisierten Arbeitnehmer streichen die gleichen Ergebnisse ein, wie die Mitglieder. Das böse Wort vom Trittbrettfahrer wird dann gerne in den Mund genommen und mit sinkenden Mitgliederzahlen machen sich N e um ü hl e r Straße 22 1 9 0 5 7 Schwe rin Tel 0 3 8 5 616106 F a x 0 3 85 6 1 2 68 0 ra- jahn@ m v ne t. d e www. ra - u we - jahn.de

- 2 - die Gewerkschaften zunehmend Gedanken, wie sie einzelne Teile der tarifvertraglichen Regelungen nur für ihre Mitglieder exklusiv zur Anwendung bringen können. Dem gegenüber steht ein Grundrecht, das Grundrecht auf negative Koalitionsfreiheit. Wie auch das Grundrecht auf (positive) Koalitionsfreiheit erwächst dies aus Artikel 9 Abs. 3 GG. Denn, so die ganz einhellige Rechtsauffassung, wenn es das Recht auf Bildung einer Gewerkschaft, einer Arbeitgebervereinigung gibt, dann gibt es auch das Recht, sich einer solchen Vereinigung nicht anzuschließen. In Hinblick auf den Arbeitnehmer heißt dies, dass es ihm unbenommen bleiben muss, auf sich allein gestellt auf dem Arbeitsmarkt in freier Verhandlung mit dem Arbeitgeber die marktüblichen oder sogar darüber hinausgehende Bedingungen auszuhandeln, ohne sich dabei auf eine Gewerkschaft zu stützen. Zum Beispiel im IT-Bereich ist dies eine Selbstverständlichkeit, der gewerkschaftliche Organisationsgrad gering. Der Schutz dieses Grundrechtes ist relativ schwach. Es gibt ja gerade keinen Verband, der den einzelnen Arbeitnehmer unterstützt und dessen Grundrechtswahrnehmung organisiert verteidigt. Überlegungen zur negativen Koalitionsfreiheit standen daher im Zusammenhang mit der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Tarifeinheit in einem Betrieb im Hintergrund, wenn sie überhaupt angestellt wurden. Angesichts dieser scheinbaren Tendenz des Bundesarbeitsgerichts, die negative Koalitionsfreiheit mehr im Hintergrund zu sehen, waren in den vergangenen Monaten mehrere Tarifverträge mit sog. Differenzierungsklauseln abgeschlossen und bis zum Bundesarbeitsgericht getrieben worden. Dabei gibt es durchaus unterschiedliche Formulierungen. Die einfache Differenzierungsklausel räumt von ihrem Wortlaut her ausschließlich Gewerkschaftsmitgliedern einen bestimmten Anspruch aus dem Tarifvertrag ein. Die qualifizierte Differenzierungsklausel bzw. Spannenoder Abstandsklausel sorgt dafür, dass ein bestimmter Vorteil ausschließlich Gewerkschaftsmitgliedern zustehen darf und nicht Nicht- Gewerkschaftsmitgliedern eingeräumt werden darf. Das kann sich auf Urlaub beziehen, auf Unkündbarkeit oder auch auf einen Lohnhöhe- Vorsprung.

- 3 - Wenn die Arbeiterwohlfahrt mit der zuständigen Gewerkschaft einen Tarifvertrag mit einer einfachen Differenzierungsklausel abschließt und diese Klausel dann beim Bundesarbeitsgericht landet, kann man sich auf den ersten Blick dem Eindruck einer Inszenierung kaum entziehen. Auf dem zweiten Blick allerdings mag es tatsächlich so sein, dass selbst der Arbeitgeber durch sein Verhalten, dem Nicht-Gewerkschaftsmitglied einen Zuschlag vorzuenthalten, auf den Gewerkschaftsbeitritt hinwirken möchte. Unter dem Strich bleibt ein Rechtsstreit über diesen Zuschlag und einen Anspruch aus diesem Zuschlag für das Nicht-Gewerkschaftsmitglied, wenn in seinem Arbeitsvertrag auf diesen Tarifvertrag Bezug genommen wurde. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. März 2009 (4 AZR 64/08) eine einfache Differenzierungsklausel als zulässig angesehen. Im konkreten Falle war es um einen besonderen Sanierungs-Haustarifvertrag gegangen, der den Verzicht auf eine Sonderzahlung vorsah, welche im ursprünglichen Rahmentarifvertrag vorgesehen war. Und unter 3 dieses Sanierungstarifvertrages war dann für die Mitglieder der Gewerkschaft eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535,00 vorgesehen worden. Ein nicht gewerkschaftlich organisierter Mitarbeiter klagte dann auf Zahlung dieses Betrages. Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage letztendlich ab. Die Bezugnahme in dem Arbeitsvertrag im Sinne einer Gleichstellungsabrede führe nicht dazu, dass der Mitarbeiter wie ein Gewerkschaftsmitglied zu behandeln sei. Einer entsprechenden anders lautenden Rechtsprechung des großen Senats des BAG vom 29. November 1967 sei jedenfalls in Hinblick auf eine einfache Differenzierungsklausel nicht zu folgen. Der durch diese Differenzierungsklausel auf den nicht gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter ausgeübte Druck sei legitim und sozialadäquat, schließlich sei die negative Koalitionsfreiheit nur in einem Kernbereich geschützt. So argumentierte das Landesarbeitsgericht und dem schloss sich das Bundesarbeitsgericht an. In diesem Falle sei nicht von einem unzulässigen Druck oder einem Zwang zum Gewerkschaftsbeitritt auszugehen. Tatsächlich nimmt dann das Bundesarbeitsgericht sogar darauf Bezug, dass der Organisationsgrad in den Gewerkschaften deutlich zurückgegangen ist, er liege bei derzeit unter 25 % der Beschäftigten, dabei sei doch ihre sozialpolitische Ordnungsaufgabe gerade in Krisenzeiten so wichtig. Und außerdem besteht ja bei einer einfachen Differenzierungsklausel jederzeit die Möglichkeit, dass der nicht-organisierte Arbeitnehmer mit

- 4 - dem Arbeitgeber eine solche Sonderzahlung außerhalb seiner Ansprüche aus dem in Bezug genommen Tarifvertrag vereinbart. Wenn sich der Arbeitgeber vor Augen führt, dass der mögliche Gewerkschaftsbeitritt die Alternative sein könnte, wird er sich entsprechend verhalten. Und deswegen gibt es die qualifizierte Differenzierungsklausel, oder jedenfalls den Versuch. In einer Entscheidung vom 23. März 2011 (4 AZR 366/09) hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit einer solchen Klausel auseinanderzusetzen. Die gleiche Gewerkschaft, die die einfache Differenzierungsklausel mit der Arbeiterwohlfahrt ausgehandelt hatte, hatte nun mit einem Hafenlogistik- Unternehmen eine qualifizierte Differenzierungsklausel ausgehandelt. Es ging um 260,00 Erholungsbeihilfe für Gewerkschaftsmitglieder und um eine Klausel zur Absicherung der Exklusivität dieser Leistung. Sollten anderen Mitarbeitern entsprechende oder sonstige Leistungen gewährt werden, so sollten Gewerkschaftsmitglieder einen gleich hohen Anspruch zusätzlich erwerben. Wenn also der Arbeitgeber einem nicht-organisierten Mitarbeiter diese 260,00 auch zahlte, sollten alle Gewerkschaftsmitglieder einen weitergehenden Anspruch auf 260,00 zusätzlich erhalten. Das erstinstanzliche Arbeitsgericht hat die Klage des Arbeitgebers gegen diese Exklusivitäts-Klausel noch abgewiesen. Die daraufhin eingelegte Sprungrevision unter Umgehung der Berufungsinstanz zum Bundesarbeitsgericht brachte dann zum einen eine Bestätigung der einfachen Differenzierungsklausel als zulässig unter Bezugnahme auf das bereits besprochene Urteil. Die Abstandsklausel als qualifizierte Differenzierungsklausel allerdings wurde als unwirksam festgestellt. Dem Arbeitgeber würde die arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeit genommen werden, nicht-organisierte oder auch anders-organisierte Mitarbeiter mit den Gewerkschaftsmitgliedern gleichzustellen. Der Tarifvertrag darf nur den Inhalt von Arbeitsverhältnissen zwingend und unmittelbar regeln, die der Tarifmacht der Koalition unterworfen sind. Das ist bei Arbeitsverhältnissen mit nicht-organisierten Mitarbeitern gerade nicht der Fall. Angelpunkt ist in dieser Argumentation die Handlungs- und Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers, nicht die negative Koalitionsfreiheit. Allerdings handelt es sich zunächst einmal noch um eine

- 5 - Pressemitteilung, das Urteil liegt noch nicht vor. Dort wird man dann vielleicht etwas mehr zur negativen Koalitionsfreiheit finden. Unter dem Strich bleibt festzustellen, dass das Bundesarbeitsgericht den Status quo einer weitestgehend durch Arbeitnehmerorganisationen auf der einen Seite geprägten Szenerie zu stützen und zu erhalten trachtet. Dafür mögen auch manche guten Gründe sprechen, rechtsdogmatisch allerdings lässt sich eine gewisse Beliebigkeit in der Argumentation kaum leugnen. Und mit dem sinkenden Organisationsgrad zu argumentieren, wenn es darum geht, welchen Stellenwert die negative Koalitionsfreiheit haben soll, ist schlicht verfehlt. Fairerweise muss man allerdings auch sagen, dass das Bundesarbeitsgericht auf Arbeitgeberseite ähnlich hohe Hürden aufgebaut hat, wenn der Arbeitgeber aus dem Tarifverband ausscheiden will. Man hätte es beim Bundesarbeitsgericht gerne schon etwas übersichtlicher. Uwe Jahn Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Rechtsanwalt Uwe Jahn, Schwerin