NEWSBOX Wirtschafts- und Steuerrecht Ausgabe 126, Datum
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- Hartmut Fischer
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1 Ausschlussklauseln müssen ab Mindestlohn ausdrücklich ausnehmen Verfasser Prof. Dr. Tim Jesgarzewski FOM Hochschule für Oekonomie & Management, Bremen KCW KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht, Hamburg Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte Lange Str. 3, Osterholz-Scharmbeck Tel Fax Klassifizierung Rechtsprechung; Arbeitsrecht Stichworte Arbeitsrecht; Mindestlohn; Ausschlussfrist; Vertragskontrolle; Allgemeine Geschäftsbedingungen Abstrakt Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die ohne jede Einschränkung alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den ab dem 1. Januar 2015 von 1 MiLoG garantierten Mindestlohn erfasst, verstößt gegen das Transparenzgebot des 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31. Dezember 2014 geschlossen wurde. Seite 1
2 I. Einleitung Der Kern eines Arbeitsverhältnisses ist auf den wechselseitigen Austausch von Arbeit gegen Vergütung gerichtet. Wie genau die Vergütung ausgestaltet ist, regeln die Arbeitsvertragsparteien untereinander. Hinzu können tarifvertragliche Regelungen oder Ansprüche aus geltenden Betriebsvereinbarungen kommen. Wie genau die Vergütung ausgestaltet ist, kann deshalb höchst unterschiedlich sein. In manchen Konstellationen hat auch der Arbeitgeber finanzielle Ansprüche gegen den Arbeitnehmer. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer Eigentum des Arbeitgebers beschädigt. Da die wesentlichen finanziellen Ansprüche jedoch dem Arbeitnehmer zustehen, haben insbesondere Arbeitgeber ein hohes Interesse daran, diese zeitlich zu begrenzen. Grundsätzlich hätten Arbeitnehmer nach den 195, 199 BGB rund drei Jahre Zeit, ihre Ansprüche geltend zu machen. In der Praxis formulieren Arbeitgeber daher sog. Ausschlussfristen in den Arbeitsvertrag, wonach die vorgenannte Frist auf drei Monate verkürzt wird. Diese Verkürzung könnte jedoch in Widerspruch zu den Regelungen des Mindestlohngesetzes stehen, wonach Ansprüche auf den Mindestlohn unverzichtbar sind. II. Sachstand Die Unverzichtbarkeit des Mindestlohnes wird in 3 S. 1 MiLoG geregelt. Dieser lautet: 3 Unabdingbarkeit des Mindestlohns Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam. Unabhängig davon sind Klauseln in Arbeitsverträgen nach den 305 ff. BGB als Allgemeine Geschäftsbedingungen einer Inhaltskontrolle zu unterziehen. Kernnorm dieser Inhaltskontrolle ist 307 BGB, wonach eine Vertragsklausel insgesamt unwirksam sein kann. 307 BGB hat in den beiden ersten Absätzen den folgenden Wortlaut: Seite 2
3 307 Inhaltskontrolle (1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. (2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung 1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder 2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob Ausschlussklauseln wirksam sein können, die Ansprüche nach dem Mindestlohngesetz nicht ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich herausnehmen. III. Entscheidung des Gerichts Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 18. September AZR 162/18) hatte zu dieser Frage über den folgenden Sachverhalt zu entscheiden. Der Kläger war bei dem Beklagten als Fußbodenleger beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom zu Grunde, welcher eine Ausschlussklausel beinhaltet. Danach verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind. Nachdem der Beklagte das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte, hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Das Verfahren wurde durch einen Vergleich beendet, dem zufolge das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 15. August 2016 endet und bis dahin vertragsgemäß abgerechnet wird. Die seitens des Beklagten erstellte und dem Kläger am 6. Oktober 2016 zugegangene Abrechnung für August 2016 wies keine Urlaubsabgeltung aus. Der Kläger hat daraufhin am 17. Januar 2017 den Anspruch auf Urlaubsabgeltung gerichtlich anhängig gemacht. In dem Verfahren hat der Beklagte darauf berufen, dass der Anspruch auf Urlaubsabgeltung verfallen sei, weil der Kläger ihn nicht rechtzeitig innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht habe. Seite 3
4 Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, nachdem das Arbeitsgericht ihr noch stattgegeben hatte (Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 31. Januar Sa 17/17). Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsurteil aufgehoben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt. Der Kläger habe nach 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf die Abgeltung von 19 Urlaubstagen mit insgesamt 1.687,20 Euro brutto. Dieser sei auch nicht wegen der vorliegenden Versäumung der vertraglichen Ausschlussfrist verfallen, da der den Anspruch nicht innerhalb der vertraglichen Ausschlussfrist geltend machen musste. Die Ausschlussklausel sei unwirksam und daher ersatzlos aus dem im Übrigen wirksamen Arbeitsvertrag zu streichen. Sie verstoße gegen das Transparenzgebot des 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Ausschlussklausel sei nicht klar und verständlich, weil sie unter Verstoß gegen 3 Satz 1 MiLoG den ab dem 1. Januar 2015 zu zahlenden gesetzlichen Mindestlohn nicht ausdrücklich ausnimmt. Die Klausel sei deshalb gemäß 306 I BGB insgesamt unwirksam. Sie könne folglich auch nicht für den hier gegenständlichen Anspruch auf Urlaubsabgeltung aufrechterhalten werden. Aus dem Wortlaut des 3 Satz 1 MiLoG sei in Bezug auf die AGB-Prüfung nichts anderes abzuleiten. Dieser schränke weder seinem Wortlaut noch seinem Sinn und Zweck nach der Anwendung der 306, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ein. IV. Fazit Das Urteil erscheint in seiner Wirkung zunächst begrenzt. Es umfasst nur Ausschlussklauseln, die in Arbeitsverträgen seit dem , also dem Inkrafttreten des allgemeinen und flächendeckenden Mindestlohnes, geschlossen wurden. Wurden seit diesem Zeitpunkt Ausschlussklauseln in Arbeitsverträge vereinbart, müssen diese der Unverzichtbarkeit des Mindestlohnes Rechnung tragen. Das folgt unmittelbar aus 3 S. 1 MiLoG, der die Unverzichtbarkeit bereits dem Wortlaut nach deutlich formuliert. Der Sinn und Zweck der Norm ist auch genau auf diese Unverzichtbarkeit gerichtet. Diese gesetzgeberische Entscheidung findet Eingang in die arbeitsvertraglich durchzuführende AGB-Kontrolle der Ausschlussklausel. Danach kann eine Vertragsklausel sowohl aus ihrem Regelungsgehalt heraus wegen einer ganz wesentlichen Abweichung vom gesetzlichen Grundgedanken, als auch wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam sein. Beides ist hier der Fall. Der neunte Senat nimmt eine solche AGB-Kontrolle vor und kommt wegen des zutreffend festgestellten Verstoßes zur Anwendung der Rechtsfolgenregelung des 306 BGB. Seite 4
5 Danach ist eine unwirksame Klausel aus dem Vertrag zu streichen. Die dadurch entstehende Lücke im Vertrag wird durch die Anwendung der gesetzlichen Regelungen geschlossen. Das sind vorliegend die Vorschriften zur Regelverjährung der 195, 199 BGB. Das Bundesarbeitsgericht stellt richtigerweise klar, dass eine geltungserhaltende Reduktion der Ausschlussklausel nicht möglich ist. Mit dieser würde die Klausel auf den gerade noch rechtlich zulässigen Regelungsgehalt zurückgeführt. Eine solche Maßnahme ist dem AGB-Recht wesensfremd. Dieses weist das Risiko der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen demjenigen zu, der sie zur Anwendung bringt (Verwenderrisiko). Das ist der Arbeitgeber. Dies ist der Kerngehalt des AGB-Rechts, der in 306 BGB seinen Ausdruck für die Rechtsfolgeseite findet. Hiervon macht auch 3 S. 1 MiLoG keine Ausnahme. Der Mindestlohn ist danach unverzichtbar. Ein Verstoß gegen dieses gesetzliche Gebot führt zur Unwirksamkeit der entsprechenden Vereinbarung. Spannend bleibt hiernach aber noch die Frage, ob Ausschlussklauseln genauso zu behandeln sind, die vor dem vereinbart wurden. Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht keine Aussage getroffen. Würden die o. g. Grundsätze auch für diese Altfälle in der gleichen Form angewendet werden, wären nahezu alle alten Ausschlussfristen damit unwirksam. Die Anwendungspraxis sieht sich daher zwei unterschiedlich großen Problemfeldern ausgesetzt. Fest steht: Seit müssen bei der Formulierung von Ausschlussklauseln Mindestlohnansprüche ausdrücklich ausgenommen werden. Andernfalls ist die Ausschlussklausel insgesamt unwirksam. Dieses Problem dürfte beherrschbar sein, da es bereits mit der Einführung des Mindestlohngesetzes erkannt wurde und in die Beratungspraxis entsprechenden Eingang gefunden hat. In Bezug auf die Altfälle muss weiter mit erheblicher Unsicherheit hinsichtlich der Wirksamkeit bestehender Ausschlussklauseln gelebt werden. Diese Unsicherheit dürfte sich für den klauselverwendenden Arbeitgeber mit dem vorliegenden Urteil noch einmal verstärkt haben. In Anknüpfung an die vergleichbar begründete Entscheidung zum Mindestlohn in der Pflege (BAG, Urt. v , Az. 5 AZR 262/17; 5 AZR 377/17) hat nun auch der neunte Senat des BAG im Ergebnis eine vollständige Unwirksamkeit der gesamten Ausschlussklausel bejaht. Das ist im Ergebnis und in der Begründung zutreffend. Die Rechtsfolge der vollständigen Unwirksamkeit folgt zwingend aus dem Kerngehalt der 305ff. BGB. Auch für die Altfälle kann danach nichts anderes gelten. Der AGB-Verwender trägt auch das Risiko, dass seine Formulierungen aufgrund einer später eintretenden Gesetzesänderung unwirksam werden, nachdem sie zunächst der Gesetzeslage entsprochen haben. Arbeitgeber sind daher gut beraten, vorhandene Ausschlussklauseln auf den aktuellen Stand zu bringen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Wie das in der Praxis tatsächlich gelingen kann, ist wie stets im Falle gewünschter Vertragsänderungen stark einzelfallabhängig. In jedem Fall ist die Zustimmung des Arbeitnehmers erforderlich. Seite 5
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