Krankenhauspsychiatrie kritische Bestandsaufnahme und Ausblick

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Transkript:

Krankenhauspsychiatrie kritische Bestandsaufnahme und Ausblick Thomas W. Kallert Zentrum für Seelische Gesundheit am Park-Krankenhaus Leipzig & Medizinische Fakultät an der TU Dresden Sächsischer Krankenhaustag Dresden, 07.11.2013

Aus dem Einladungstext der Jahrestagung des Arbeitskreises der Chefärztinnen und Chefärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland, 07. bis 09.09.2013 Wir erleben in der jüngeren Vergangenheit eine verstärkte Nutzung des Versorgungssystems Psychiatrie : Die Zahl der Klinikaufenthalte steigt, ebenso wie die Fehlzeiten und die Frühverrentungen aufgrund psychischer Störungen. Parallel dazu haben höchste deutsche Gerichte und die UN das Recht auf Selbstbestimmung für psychisch Kranke gestärkt. Vor Ort erleben wir einen verstärkten Druck auf die Kliniken gewalttätige oder betreuungsresistente Menschen wegzuschließen..

U. a. Ärztlicher Direktor des Zentrums für Seelische Gesundheit am Park- Krankenhaus Leipzig (i.e. größter psychiatrischer/suchtmedizinischer Versorgungs- und Weiterbildungsstandort im Freistaat Sachsen), umfasst: - Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie & Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie & Soteria Klinik Leipzig Fachklinik für Suchterkrankungen am Park- Krankenhaus Leipzig - insgesamt 350 Akutbetten, 154 Plätze in der Entwöhnungseinrichtung 78 Plätze in Tageskliniken und 23 in einer Adaptionseinrichtung - darüber hinaus bestehen Psychiatrische Institutsambulanzen für Kinder/Jugendliche und Erwachsene, - ferner vier externe Kompetenzzentren der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Borna, Leipzig, Torgau und Wurzen Vorsitzender des Landesbeirats Psychiatrie (seit 2007) Vorsitzender des Klinischen Ethikkomitees am Park-Krankenhaus Leipzig

Versorgungsklinik für die Leipziger Bevölkerung (in Nachfolge der Klinik in Dösen), 350000 Einwohner (2 Stadtsektoren) Klinikstruktur (256 Betten, 38 Tagesklinikplätze und Psychiatrische Institutsambulanz) Allgemeinpsychiatrie (sektorisiert): 5 Stationen Gerontopsychiatrie (sektorisiert): 2 Stationen Alkohol- und Medikamentenentgiftung: 2 Stationen Drogenentgiftungsstation (16 Betten) Psychotherapie/Psychosomatik (tiefenpsychologische Gruppentherapie): 1Station Tagesklinik (30 Plätze in separaten Räumen) + integrierte Tagesklinikbehandlung auf Station Psychiatrische Institutsambulanz Fallzahlen/a: > 5000 im stationären Bereich, Verweildauer mittlerweile bei 16,8 Tagen; PIA-Fallzahl (in 2013) ca. 5600

Enorme Investitions- und Aufbauleistung in den letzten 20 Jahren (von 8 Großkliniken mit 3700 Plätzen zu 25 Kliniken mit Vollversorgungsauftrag mit 2700 Betten) Sehr gute bauliche und Ausstattungsgegebenheiten Platzzahl an Tageskliniken verdoppelt (von 377 auf 800) psychiatrische Institutsambulanzen (PIA) an allen Kliniken aufgebaut Paradigmenwechsel in Richtung einer gemeindenahen Versorgung Erhebliche Reduktion von Verweildauern Bettenbelastung je Vollkraft (im ärztlichen Dienst) über dem Bundesdurchschnitt

Überbelegung Verweildauersenkung (standortspezifisch) auf unter 17 Tage/Drehtüreffekte Wartezeiten für Regelbehandlungen Hoher Erweiterungsbedarf Mit fachlicher Ausweitung therapeutischer Möglichkeiten und Herausbildung neuer Patientenklientele steigender interner Differenzierungsbedarf Ambulante Versorgungsbereiche größer als voll- und teilstationäre Bereiche zusammengerechnet Rückwirkungen des ambulanten Versorgungsdefizits auch auf Notfallversorgung (in PIAs/stationäre Kurzaufenthalte) Zwangsbehandlungen nach SächsPsychKG verfassungswidrig

Autonomie vs. Zwang Zeit bis zu Effekten von Therapie vs. Verweildauer Bürokratisierung/Dokumentationserfordernisse vs. individualisierte Patientenbetreuung Personelle Ausstattung vs. rechtliche/medizinethische Anforderungen Gesamtbehandlungsplanung/-durchführung vs. sozialrechtliche Zersplitterung Behandlungskontinuität/-nahtlosigkeit vs. Versorgungsrealität Steigender Versorgungsbedarf vs. ökonomische Ressourcen

1. Spezialisiertere Therapien können nur in größeren psychiatrischen Kliniken angeboten werden 2. Die Integration von Psychosomatik in die Psychiatrie ist unerlässlich 3. Das Vorhalten von Behandlungsketten/Angebotsvernetzung zwischen stationär/teilstationär/ambulant und allen sonstigen gemeindepsychiatrischen Angeboten gewinnt an Bedeutung 4. Krankenhauspsychiatrie muss sich stärker mit somatischen Disziplinen vernetzen. 5. Rehabilitation muss nahtlos auf Akutbehandlung folgen.

6. Die Früherkennung und -behandlung psychischer Störungen (v.a. schizophrener und affektiver Störungen) wird immer wichtiger. 7. Gerontopsychiatrische Angebote werden zunehmen müssen. 8. Die Forensifizierung schreitet voran 9. Zunehmend weniger evidenzbelegte Maßnahmen werden im ambulanten Versorgungssektor vergütet

10. Leistungen kapazitätsreglementierter bzw limitierter Versorgungsanbieter werden an leistungsfähigere/(noch) nicht reglementierte/limitierte Versorgungsanbieter übertragen oder dort nachgefragt 11. Die strukturelle Diskriminierung der Krankenhauspsychiatrie nimmt zu 12. Krankenhauspsychiatrie braucht neue Planungsgrundlagen

die möglichst frühe Erkennung und Behandlung der bestehenden seelischen Erkrankung(en) die individualisierte Anwendung verschiedener Therapieverfahren unter dem Gebot des biopsychosozialen Krankheitsmodells, die Realisierung evidenzbasierter/leit-liniengerechter (i.e. durch wissenschaftliche Daten fundierter) Behandlung, die soziale Inklusion/Integration des seelisch Erkrankten, die Stärkung von Selbstbestimmung und -verfügbarkeit/-wirksamkeit des seelisch Erkrankten, die Einbeziehung von Angehörigen in die Behandlung, die Vermeidung von Zwangsmaßnahmen jeder Art, die strikte Beachtung der grundlegenden medizinethischen Prinzipien: Respekt vor der Autonomie, Nichtschaden, Wohltun und Gerechtigkeit.

basierend auf umfassender Diagnostik qualitätsgesichert rechtskonform zufriedenheitsorientiert entstigmatisierend..

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!