Beiträge 260 Schmerzengeld für psychische Alterationen Peter Griehser und Markus Tutsch

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Transkript:

257 296 www.manz.at ZVR [Zeitschrift für Verkehrsrecht] Beiträge 260 Schmerzengeld für psychische Alterationen Peter Griehser und Markus Tutsch 270 ZVR-Serie: Die Führerschein-Familie Teil IV: Bereich Luftfahrt Der Pilotenschein Claudia Riccabona-Zecha Gesetzgebung 274 Bundesrecht und Verwaltung Rechtsprechung 278 Keine Entschädigung für verfrühten Tod sowie (bloße) psychische Unterstützung durch Angehörige 280 Haftung bei unzulänglicher Verwahrung eines zur Reparatur übernommenen Pkw im Fall des Annahmeverzugs 282 Begrenzung der EKHG-Gefährdungshaftung nicht verfassungswidrig 285 Wandlung bei nicht bloß geringfügigen Mängeln eines Kfz Judikaturübersicht 289 VwGH, UVS Verwaltung KfV 292 Fahreignung von Personen in Substitutionstherapie Birgit Bukasa und Tanja Schwent Mai 2006 05 Redaktion Karl-Heinz Danzl Christian Huber Georg Kathrein Gerhard Pürstl ISSN 0044-3662

[FÜHRERSCHEINRECHT] ZVR 2006/98 8 FSG; 3, 5, 14 FSG-GV VwGH 26. 6. 1997, 97/11/0035 Gesundheitliche Eignung; Substitutionstherapie Fahreignung von Personen in Substitutionstherapie Personen, die wegen einer Opiatabhängigkeit in einer Substitutionsbehandlung sind, kann gemäß führerscheinrechtlicher Bestimmungen nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme die Lenkberechtigung (wieder-)erteilt werden. Diese Vorgangsweise greift aber zu kurz, da wesentliche fahrverhaltensrelevante Aspekte unberücksichtigt bleiben. Von Birgit Bukasa und Tanja Schwent Inhaltsübersicht: A. Zahlen und Fakten zur Substitutionsbehandlung B. Rechtliche Ausgangslage 1. Allgemeine Voraussetzungen 2. Gesundheitliche Eignung C. Untersuchung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit von Substituierten 1. Versuchsaufbau 2. Ergebnisse a) Zusatzkonsum b) Vergleich der Substitutions- und Kontrollgruppe in der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit c) Verkehrspsychologische Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit D. Schlussfolgerungen A. Zahlen und Fakten zur Substitutionsbehandlung EU-weit stellt die Substitutionsbehandlung mit mehr als 400.000 Personen die am häufigsten eingesetzte Form spezialisierter Drogenbehandlung für Opiatkonsumenten dar. In Österreich sind derzeit knapp 8.000 Personen in Substitutionstherapie gemeldet, wobei eine jährliche Zunahme von etwa 500 Fällen zu verzeichnen ist. Die Behandlungszahlen werden weiter ansteigen, da der Trend zu weniger restriktiven Zulassungskriterien für diese Therapieform anhält. Auch hat sich das Behandlungskonzept weg von dem bloßen Ersatz einer illegalen durch eine legale Droge (Substitution) mit dem Ziel einer möglichst raschen Drogenfreiheit hin zu einer Monate, meist Jahre dauernden Stabilisierung der betroffenen Person durch das Substitut gewandelt. Methadon ist die bekannteste und im EU-Raum nach wie vor häufigste verschriebene Substitutionssubstanz. 1) Diese ist ein synthetisch hergestelltes Opiat- Analgetikum und jedenfalls ein Suchtgift isd SuchtgiftV 2) und darf nur nach den Erkenntnissen und Erfah- 1) In Österreich sank jedoch der Prozentsatz der mit Methadon Substituierten im Jahr 2003 auf 28%, während die Behandlungen mit retardierten Morphinen und Buprenorphin auf 45% bzw 26% anstiegen (Quelle: Öbig 2004). 2) Anhang I, I.1.b der SuchtgiftV, BGBl II 1997/374 idgf. 292 Ü Birgit Bukasa und Tanja Schwent Ü Fahreignung von Personen in Substitutionstherapie ZVR [2006] 05

[LITERATUR [FÜHRERSCHEINRECHT] rungen der medizinischen Wissenschaft, insb auch für Schmerz- sowie für Entzugs- und Substitutionsbehandlungen verschrieben und abgegeben werden. 3) B. Rechtliche Ausgangslage 1. Allgemeine Voraussetzungen Eine Lenkberechtigung darf Personen nur dann (wieder-)erteilt bzw belassen werden, wenn die Voraussetzungen des 3 FSG vorliegen. Einerseits muss hierfür das für die angestrebte Klasse erforderliche Mindestalter erreicht sein, Verkehrszuverlässigkeit vorliegen und der Nachweis der Unterweisung in lebensrettenden Sofortmaßnahmen erbracht sein, andererseits muss die fachliche Befähigung und gesundheitliche Eignung zum Lenken eines Kfz vorliegen. Der Begriff der gesundheitlichen Eignung wurde erst durch die Einführung des FSG 4) aufgenommen und ersetzt seither den Begriff der geistigen und körperlichen Eignung. Gesundheit ist jedenfalls im weitesten Sinn zu verstehen und umfasst sowohl physische als auch psychische Aspekte. 2. Gesundheitliche Eignung Zum Lenken von Kfz hinreichend gesund gilt eine Person gem 5 FSG-GV ua nur dann, wenn keine Alkoholabhängigkeit oder andere Abhängigkeit vorliegt, die das sichere Beherrschen des Kfz und das Einhalten der für das Lenken eines Kfz geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnte. 5) Liegt eine der oben genannten Abhängigkeiten vor, so ist gem 5 Abs 2 FSG-GV einerseits eine entsprechende fachärztliche Stellungnahme 6) und andererseits eine verkehrspsychologische Stellungnahme einzuholen. Ein Widerspruch zu diesem Grundsatz findet sich in 14 FSG-GV. Diesem gemäß darf zwar Personen, die von Alkohol, einem Sucht- oder Arzneimittel abhängig sind, eine Lenkberechtigung grundsätzlich weder erteilt noch belassen werden, jedoch findet sich die Ausnahme in 14 Abs 4 FSG-GV. Dieser normiert, dass Personen, welche aus medizinischen Gründen Sucht- oder Arzneimittel erhalten, die geeignet sind, die Fahrtauglichkeit zu beeinträchtigen, nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme eine Lenkberechtigung erteilt oder belassen werden darf. Demgemäß sieht dieser im Gegensatz zu 5 Abs 2 FSG-GV für die ausreichende Beurteilung der Fahrtauglichkeit lediglich eine positive fachärztliche Stellungnahme vor. In der V unterschieden wird somit einerseits zwischen einer möglichen Fahruntauglichkeit aufgrund von Alkoholabhängigkeit und anderen Abhängigkeiten sowie andererseits einer erdenklichen Fahruntauglichkeit, welche sich bei Substitutionspatienten als Folge ihrer Drogenabhängigkeit aus der medizinischen Verabreichung von Sucht- oder Arzneimitteln ergibt. Demgemäß findet bei in Substitution stehenden Patienten 14 Abs 4 FSG-GVals lex specialis zu 5 Abs 1 Z 4 lit b ivm Abs 2 FSG-GV Anwendung. Substitutionspatienten sind daher dahingehend zu beurteilen, ob eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens zu erwarten ist, und es kann die Eignung zum Lenken von Kfz durch eine befürwortende fachärztliche Stellungnahme nachgewiesen werden (Tabelle 1). 3) 8 SMG. 4) BGBl I 1997/120. 5) 5 Abs 1 Z 4 FSG-GV. 6) Dies hat gem 14 Abs 1 FSG-GV eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme zu sein. verpflichtende fachärztliche Stellungnahme verpflichtende verkehrspsychologische Stellungnahme Alkoholabhängigkeit Abhängigkeit, die das sichere Beherrschen des Kfz und das Einhalten der für das Lenken des Kfz geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnte Abhängigkeiten oder Beeinträchtigungen, welche sich aufgrund medizinischer Verabreichung von Suchtoder Arzneimitteln ergeben und geeignet sind, die Fahrtauglichkeit zu beeinträchtigen Personen, die ohne abhängig zu sein, in einem durch Sucht- oder Arzneimittel beeinträchtigten Zustand ein Kfz gelenkt haben Tabelle 1 ZVR [2006] 05 Ü Birgit Bukasa und Tanja Schwent Ü Fahreignung von Personen in Substitutionstherapie 293

ZVR [LITERATUR [FÜHRERSCHEINRECHT] In Deutschland beispielsweise werden sehr restriktive Anforderungen an Substitutionspatienten die Fahreignung betreffend gestellt. Nur in seltenen Ausnahmefällen ist eine positive Beurteilung der Fähigkeit, ein Kfz zu lenken, möglich, und es müssen hierfür spezielle Voraussetzungen gegeben sein. Hierzu gehören unter anderem eine mehr als einjährige Methadonsubstitution, eine stabile psychosoziale Integration, die Freiheit von Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen, 7) seit mindestens einem Jahr nachgewiesen durch geeignete, regelmäßige, zufällige Kontrollen während der Therapie, der Nachweis für Eigenverantwortung und Therapie-Compliance sowie das Fehlen einer Störung der Gesamtpersönlichkeit. 8) Es kommt daher für eine positive Regelausnahme nicht nur den körperlichen, sondern in gleichen Maßen den Persönlichkeits-, Leistungs-, Verhaltens- und den sozialpsychologischen Befunden erhebliche Bedeutung zu. Diese Aspekte sind idr im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) abzuklären. C. Untersuchung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit von Substituierten 1. Versuchsaufbau Ausgangspunkt des KfV-Forschungsprojekts waren uneinheitliche Forschungsergebnisse zur Verkehrssicherheit von Personen in Substitutionstherapie. Um die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit von Substituierten einer systematischen Analyse auf Basis einer größeren Stichprobe zu unterziehen, wurden in einem Projekt des KfV 9) drei zwischen 1999 und 2001 an der Drogenambulanz der Universitätsklinik für Psychiatrie durchgeführte Studien reanalysiert. Dabei wurden mit dem verkehrspsychologischen Testgerät ART2020 die verkehrsrelevante Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung, die visuelle Wahrnehmung und Orientierung, das Reaktionsverhalten und die Belastbarkeit, die Koordination sowie die Intelligenz unter objektiven und standardisierten Bedingungen erfasst. Durch die einheitliche Testvorgabe war es möglich, die Leistungsergebnisse aus den drei Einzelstudien zu poolen und eine neuerliche Auswertung als Gesamtkollektiv vorzunehmen. In diesem Forschungsprojekt wurde die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit der gepoolten Substitutionsgruppe von nunmehr insgesamt 108 Personen mit einer aus der ART2020-Testnormdatenbank 10) gebildeten Kontrollgruppe parallelisiert nach Alter, Geschlecht und Intelligenz 11) verglichen. Außerdem erfolgte eine Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit der Substituierten durch anerkannte VerkehrspsychologInnen gem 20 FSG-GV nach den in der Fahreignungsdiagnostik am KfV verwendeten maßgeblichen Eignungskriterien. 2. Ergebnisse a) Zusatzkonsum Die Studie zeigt, dass ein beträchtlicher Teil der Behandelten (40%) außer der Substitutionssubstanz weitere psychotrophe Substanzen konsumiert hat. Die Detailanalyse ergibt, dass es sich insb um Benzodiazepine, Kokain und Opiate handelt, dabei teilweise mehrere Substanzen gleichzeitig. THC ging nicht als Zusatzkonsum in die weiteren Analysen ein, da aufgrund der langen Nachweisdauer im Harn aus klinisch-toxikologischer Sicht kein Kausalzusammenhang zu einer akuten Beeinträchtigung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit hergestellt werden kann. Es ist jedoch anzumerken, dass bei den diesbezüglich ausgewerteten Harnproben von 79 SubstitutionspatientInnen immerhin bei 48 (60%) THC festgestellt wurde. Ein zusätzlich zur Erhaltungstherapie vorhandener Cannabiskonsum ist aber für die Frage der Fahreignung ebenfalls von Bedeutung. b) Vergleich der Substitutions- und Kontrollgruppe in der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit Bei den Substituierten ist in allen Bereichen (Aufmerksamkeit/Konzentration, visuelle Wahrnehmung, Reaktionsverhalten/Belastbarkeit, Sensomotorik) die Sorgfaltsleistung durchgängig herabgesetzt. In der Aufmerksamkeit/Konzentration und Sensomotorik finden sich dabei gleichzeitig höhere Mengen- oder Geschwindigkeitsleistungen als bei der Vergleichsgruppe. Doch ist diese Tempoforcierung auf Kosten der Genauigkeit ebenfalls als eine negative Leistungscharakteristik zu werten. Das Reaktionsverhalten und die reaktive Belastbarkeit der Personen in Erhaltungstherapie liegen in beiden Aspekten (Schnelligkeit und Sicherheit) unter der fahrverhaltensrelevanten Vergleichsgruppe. Im visuellen Wahrnehmungstempo finden sich die wenigsten Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Diese festgestellten Unterschiede können teilweise durch zusätzliche Variablen aus dem medizinischen und psychologischen Bereich sowohl in negativer als auch in positiver Richtung moderiert werden. c) Verkehrspsychologische Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit Ein Viertel der Substitutionsgruppe erfüllt die Mindestanforderungen in der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit zum Lenken von Kfz der Klasse B. Bei einem weiteren Drittel wird die Befundlage als zweifelhaft eingestuft. Hier liegen zumindest in einzelnen Aspekten Auffälligkeiten vor (zb hinsichtlich Arbeitsstil is mangelhafter Abstimmung von Schnelligkeit und Genauigkeit, starker Leistungsschwankung, krasser Leistungseinbruch in einer Variablen/einem Test, während andere Variablen/Tests unauffällig sind), die einer weiteren diagnostischen Abklärung bedürfen. Die restlichen 40% weisen jedoch Befunde auf, die insgesamt zu einer negativen Beurteilung führen. Dh unter Heranziehung der bei verkehrspsychologischen Untersuchungen am KfV maßgeblichen Beurteilungskriterien finden sich 7) Auch Alkohol ist hier integriert. 8) Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung 108. 9) Bukasa/Fischer/Opgenoorth/Peternell-Mölzer/Ponocny-Seliger/ Wenninger, Fahreignung opiatabhängiger Personen in Substitutionstherapie, Forschungsarbeiten aus dem Verkehrswesen, Bd 139, 2005. 10) Die Datenbank enthält die anonymisierten Ergebnisse von bis zu 33.988 LenkerInnen, die sich einer verkehrspsychologischen Untersuchung am KfV unterziehen mussten. 11) Unter Verwendung der MAT-Testergebnisse. 294 Ü Birgit Bukasa und Tanja Schwent Ü Fahreignung von Personen in Substitutionstherapie ZVR [2006] 05

Ü [LITERATUR [FÜHRERSCHEINRECHT] bei 3 / 4 der Personen in Erhaltungstherapie problematische bzw teilweise auffällige Ergebnisse hinsichtlich ihrer kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit (Tabelle 2). Eignungskategorien Häufigkeit Absolut Prozent Positiv 27 25,0 Zweifelhaft 37 34,3 Negativ 44 40,7 Gesamt 108 100,0 Tabelle 2 D. Schlussfolgerungen Grundsätzlich zeigt die vorliegende Studie, dass opiatabhängige Personen in Erhaltungstherapie durch eine mehrdimensionale Abhängigkeitsproblematik gekennzeichnet sind, von der auch fahreignungsrelevante Aspekte betroffen sind. Die Studie unterstreicht auch prinzipiell die Rechtspraxis, 12) wonach Methadonpatienten nicht generell zum Lenken von Kfz ungeeignet sind, sondern es einzelne unter ihnen gibt, deren Fahreignung bejaht werden kann und daher eine Prüfung des Einzelfalls zu erfolgen hat. Die in weiterer Folge von der Behörde verlangte Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme isd 14 Abs 4 FSG-GV greift jedoch angesichts der Resultate der gegenständlichen Studie zu kurz, um die Frage der Fahreignung Substituierter ausreichend abklären zu können. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit von opiatabhängigen Personen in Erhaltungstherapie jedenfalls gegeben ist. Vielmehr ist bei einem Großteil mit mehr oder weniger großen Defiziten in fahreignungsrelevanten Leistungsfunktionen zu rechnen. Daraus ergeben sich folgende praktische Konsequenzen: Zur Überprüfung der Fahreignung von Personen in Erhaltungstherapie muss auch die verkehrsrelevante kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit im Einzelfall mittels anerkannter verkehrspsychologischer Leistungstestverfahren abgeklärt werden. Aufgrund der Komplexität der Problematik von Personen in Substitutionstherapie sollte ebenfalls eine Abklärung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung erfolgen. Somit sollte vor Wiedererteilung bzw Belassung der Lenkberechtigung ergänzend zur fachärztlichen Stellungnahme isd 14 Abs 4 FSG-GV auch eine verkehrspsychologische Stellungnahme wie auch bei anderen Abhängigkeiten oder bei Alkoholabhängigkeit verpflichtend vorgesehen werden. 12) VwGH 26. 6. 1997, 97/11/0035; s auch Anm Gaisbauer, ZVR 1999, 148. Ü In Kürze Die Substitutionstherapie ist zur zentralen Methode in der Behandlung einer Opiatabhängigkeit geworden. Ein Forschungsprojekt des KfV hat die psychologische kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit einer detaillierten Prüfung unterzogen. Die eindeutigen Ergebnisse bringen die Schlussfolgerung, dass die derzeit verpflichtende fachärztliche Stellungnahme allein zur Abklärung der gesundheitlichen Eignung nicht ausreicht. Vielmehr sollte um eine ordnungsgemäße Beurteilung zu gewährleisten nach befürwortender fachärztlicher Stellungnahme zusätzlich eine verkehrspsychologische Stellungnahme verpflichtend vorgesehen werden. Ü Zum Thema Über die Autorinnen: Dr. Birgit Bukasa ist Verkehrspsychologin am Kuratorium für Verkehrssicherheit in Wien. Kontaktadresse: Kuratorium für Verkehrssicherheit, Landesstelle Wien, Siebenbrunnengasse 18, A-1050 Wien. Tel: 0577077-2113, Fax: 0577077-2199, E-Mail: birgit.bukasa@kfv.at Mag. Tanja Schwent ist Verkehrsjuristin am Kuratorium für Verkehrssicherheit in Wien. Kontaktadresse: Kuratorium für Verkehrssicherheit, Schleiergasse 18, A-1100 Wien. Tel: 0577077-1205, Fax: 0577077-1299, E-Mail: tanja.schwent@kfv.at Von denselben Autorinnen erschienen: Kaba/Bukasa, Verkehrspsychologische Untersuchungen: Objektivierung und Nachvollziehbarkeit durch Qualitätssicherung und EDV-Lösungen, ZVR 1998, 392; Schwent, Einführung der Alkohol-Vortestgeräte, ZVR 2005, 68; Lutschounig/Schwent, 160 versus 130 auf Österreichs Autobahnen, ZVR 2005, 267. Literatur: Gaisbauer, Methadonsubstitution und Fahreignung, ZVR 1999, 148; De Gier, Methadone and Driving. Problems related to driving under the influence of methadone or other substances, Pompidou group, Council of Europe (2003). Links: www.kfv.at ZVR [2006] 05 Ü Birgit Bukasa und Tanja Schwent Ü Fahreignung von Personen in Substitutionstherapie 295