Nr. 4: Internationale Zuständigkeit in Ehesachen

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Transkript:

Lehrstuhl Bürgerliches Recht, Internationales Privat- und Verfahrensrecht Univ.-Prof. Dr. M. Andrae Europäisches und Internationales Zivilverfahrensrecht Stand: 04/2010 Nr. 4: Internationale Zuständigkeit in Ehesachen Fall 1: Fall 2: Fall 3: Fall 4: Fall 5: Fall 6: Fall 7: Fall 8: Fall 9: Das Ehepaar D und F hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Nachdem sich die Eheleute zerstritten haben, kehrt der französische Ehepartner nach Frankreich zurück. D erhebt Scheidungsklage in Deutschland. Sind die deutschen Gerichte international zuständig? Wie Fall 1; nur hatten die Eheleute ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Paris und D kehrt nach Deutschland zurück. Sind die deutschen Gerichte zuständig, wenn: a) beide Eheleute den Antrag stellen? b) der zurückkehrende Ehegatte D den Antrag stellt? c) F den Antrag stellt? Ein deutsch-norwegischen Ehepaar lebt in Norwegen. Der deutsche Ehemann reicht den Antrag auf Scheidung ein. Sind die deutschen Gerichte für die Scheidung international zuständig? Sind die deutschen Gerichte für die Scheidung eines französisch-kanadischen Ehepaares international zuständig, wenn die kanadische Ehefrau (Variante der französische Ehemann) den Antrag gestellt hat und a) beide Ehepartner in Kanada leben? b) der französische Ehepartner seinen gewöhnlichen Aufenthalt erst 8 Monate vor Antragstellung in Deutschland genommen hat? Die in Norwegen lebende Deutsche stellt den Antrag beim FamG Schöneberg in Berlin, ihre Ehe mit dem in Frankreich lebenden Norweger N zu scheiden. Ist der Antrag zulässig? Der seit 6 Monaten in Deutschland lebende französische Staatsangehörige stellt den Antrag, von seiner in der Schweiz lebenden spanischen (serbischen) Ehefrau geschieden zu werden. Sind die deutschen Gerichte für die Scheidung international zuständig? Eine seit 8 Monaten in Deutschland lebende Schweizerin stellt den Antrag auf Scheidung ihrer Ehe von dem in der Schweiz lebenden Schweizer (Serben) S. Sind die deutschen Gerichte international zuständig? M ist als Computerspezialist aus Syrien nach Deutschland gekommen. Gleich nach der Ankunft verstößt er seine syrische Ehefrau wirksam nach syrischem (moslemischem) Recht, weil sie nicht mitgekommen ist. Die Scheidung wird von der zuständigen Landesjustizverwaltung nicht anerkannt. Deshalb erhebt M nunmehr 8 Monate nach seiner Ankunft Scheidungsklage beim Familiengericht. Ist die Klage zulässig? Der deutsche Staatsangehörige M, der seit über einem Jahr in Potsdam lebt, hat beim Familiengericht Potsdam einen Antrag auf Scheidung von seiner Ehefrau F eingereicht. F ist schwedische Staatsangehörige und lebt in Schweden (in New York/USA). In der mündlichen Verhandlung macht M gegen F Unterhaltsansprüche geltend. Kann das Gericht in Potsdam auch über die Unterhaltsansprüche und über den Versorgungsausgleich entscheiden? I. EheVO (=VO Brüssel II, geändert durch VO Brüssel IIa) Am 27.11.2003 wurde die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000

verabschiedet (EheVO). Sie ist in den wesentlichen Bereichen am 01.03.2005 in Kraft getreten (vgl. Art. 72 S. 1 u. 2 EheVO) und ersetzt damit die zuvor geltende EheVO 2000. Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 65 EG. Die Verordnung erging in Ergänzung der EuGVVO und ist daher ähnlich aufgebaut. Als Verordnung ist sie für die EU-Mitgliedstaaten verbindlich und gilt unmittelbar (Art. 249 EG S. 2 i.v.m. Art. 72 S. 3 EheVO). Die EheVO erstreckt sich nicht auf Dänemark (siehe Erwägungsgrund (31) und Art. 2 Nr. 3 EheVO), da für dieses Land, das Vereinigte Königreich und Irland gemäß Art. 1 und 2 Protokoll zum Amsterdamer Vertrag der Titel IV des EGV nicht gilt. Das Vereinigte Königreich und Irland haben sich jedoch an der Anwendung der Verordnung beteiligt (siehe Erwägungsgrund (30)). 1. Anwendungsbereich a) Sachlicher Anwendungsbereich Art. 1 EheVO bestimmt, dass das Übereinkommen auf zivilgerichtliche Verfahren, welche die - Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung der Ehe betreffen (lit. a), - elterliche Verantwortung für die Kinder der Ehegatten betreffen (lit. b; vgl. auch Art. 1 Abs. 2 u. 3 EheVO) sachlich anwendbar ist. Erfasst sind zivilgerichtliche Verfahren sowie andere außergerichtliche Verfahren, die in einigen Mitgliedstaaten in Ehesachen zugelassen sind. Ausgenommen sind jedoch Verfahren innerhalb einer Religionsgemeinschaft. Art. 2 Nr. 1 EheVO schließt in dem verwendeten Begriff Gericht alle für Ehesachen zuständigen Behörden (z.b. Verwaltungsbehörden) ein. Die EheVO gilt zudem nur für Verfahren, die sich auf die Auflösung und Ungültigkeitserklärung des Ehebandes im eigentlichen Sinne beziehen, nicht auf andere Fragen wie - Verschulden der Ehegatten - Vermögen der Ehegatten - Unterhaltspflicht (nach EuGVVO/LugÜ I) - sonstige (Neben-)Folgen der Eheauflösung (z.b. Versorgungsausgleich) b) Räumlich-personeller Anwendungsbereich Im Unterschied zur EuGVVO (LugÜ I) enthält die EheVO keine entsprechende Regelung. Folge ist, dass die EheVO universell anwendbar ist (bzgl. des Verhältnisses zum autonomen IZPR s.u.). c) Zeitlicher Anwendungsbereich Gem. Artt. 64, 72 EheVO gilt sie für gerichtliche Verfahren, die nach Inkrafttreten der Verordnung eingeleitet wurden. Für Verfahren, die zwischen dem 01.03.2001 und dem 28.02.2005 eingeleitet worden sind, gilt weiterhin die EheVO 2000. d) Verhältnis zu anderen Abkommen Artt. 60, 61 EheVO bestimmen, dass die Verordnung Vorrang vor zwischen Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkünften und bestimmten multilateralen Übereinkommen hat, insoweit als es sich um Bereiche handelt, die durch die EheVO geregelt sind. Für alle anderen Rechtsgebiete, die nicht von der Verordnung geregelt werden, bestimmt Art. 62 EheVO, dass diese multilateralen Übereinkommen ihre Wirksamkeit behalten. Dies gilt zudem für alle Entscheidungen und öffentlichen Urkunden, die vor Inkrafttreten der Verordnung ergangen bzw. aufgenommen sind. 2

3 2. Internationale Zuständigkeit Die Gerichte haben die Zuständigkeit gemäß Art. 17 EheVO von Amts wegen zu prüfen und sich bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen für unzuständig zu erklären. a) Allgemeine Zuständigkeit Art. 3 EheVO sieht konkurrierende Zuständigkeiten vor, die zum Teil insgesamt ausschließlichen Charakter haben. Dies bedeutet, dass daneben eine Zuständigkeit nach nationalem Recht nicht begründet werden kann. Ausschließlichkeit ist gemäß Art. 6 EheVO gegeben, wenn der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat (lit. a) oder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates (lit. b) hat. Art. 3 Abs. 1 lit. a EheVO enthält 6 Alternativen, in denen die Gerichte eines Mitgliedstaates für zuständig für die Ehesache erklärt werden, die alle an den gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten, im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates anknüpfen. Eine Zuständigkeit besteht, wenn - beide Ehegatten dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder - die Ehegatten zuletzt beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt dort gehabt haben, sofern einer der beiden dort noch seinen/ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hat/haben oder - der Antragsgegner dort seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat oder - im Falle eines gemeinsamen Antrags einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat oder - der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragsstellung aufgehalten hat, oder - der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat, wenn er sich seit mindestens 6 Monaten unmittelbar vor der Antragstellung dort aufgehalten hat und Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaates ist. Art. 3 Abs. 2 lit. b EheVO erklärt die Gerichte des Heimatstaates beider Ehegatten für international zuständig (Staatsangehörigkeit bzw. domicile). b) Besondere Zuständigkeit Neben der Zuständigkeit nach Art. 3 EheVO ist nach Art. 5 EheVO das Gericht eines Mitgliedstaates, das eine Entscheidung über eine Trennung ohne Auflösung des Ehebandes erlassen hat, auch für die Umwandlung dieser Entscheidung in eine Ehescheidung zuständig. Diese Zuständigkeit entfällt, soweit das Recht eines Mitgliedstaates keine Umwandlung vorsieht. II. Autonomes IZVR 1. Anwendbarkeit Dieses findet seit dem 01.03.2005 nur Anwendung, wenn sich gemäß Art. 7 Abs. 1 EheVO aus den Artt. 3 5 EheVO keine Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaates ergibt (OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 1043). Zu beachten ist Art. 7 Abs. 2 EheVO (Inländerbehandlung). 2. Internationale Zuständigkeit a) Einleitung des Verfahrens vor dem 01.09.2009 aa. Grundsätze

Die Entscheidungszuständigkeit deutscher Gerichte in Ehesachen ergibt sich aus 606a ZPO. (1) Ehesachen Über die Frage, was zu den Ehesachen gehört, gibt 606 Abs. 1 S. 1 ZPO Auskunft: - Verfahren auf Scheidung, - auf Aufhebung einer Ehe, - auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe zwischen den Parteien - auf Herstellung des ehelichen Lebens. Wenn die Streitigkeiten auf nicht aufgezählten Rechtsinstituten des ausländischen Rechts beruhen, die dem deutschen Recht unbekannt sind, ist auch bei der Frage der Zuständigkeit das ausländische Rechtsinstitut zu qualifizieren. Dabei muss das Rechtsinstitut in seiner Gesamtheit gewürdigt werden. Das Rechtsinstitut ist nach seinem Sinn und Zweck zu erfassen, seine Bedeutung nach dem ausländischen Recht zu würdigen und es ist mit Instituten des deutschen Rechts zu vergleichen. (2) Zuständigkeit nach 606a ZPO Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist alternativ nach 606 a ZPO gegeben, - wenn mindestens ein Ehepartner die deutsche Staatsangehörigkeit hat oder bei der Eheschließung hatte (Abs. 1 S. 1 Nr. 1), - sofern keiner der Eheleute die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, wenn beide ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland haben (Abs. 1 S. 1 Nr. 2), - wenn nur ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, sofern dieser Staatenloser ist (Abs. 1 S. 1 Nr. 3), - wenn nur ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ohne Staatenloser zu sein, aber nur dann, wenn nicht offensichtlich ist, dass die zu erwartende Entscheidung nach den Gesetzen keines der Heimatländer anerkannt werden würde (Abs. 1 S. 1 Nr. 4; negative Anerkennungsprognose; dabei sind vor allem bilaterale Übereinkommen zu beachten). bb. Besonderheiten (1) Flüchtlinge, Asylberechtigte In Eheverfahren, bei denen die Beteiligten nicht deutsche Staatsangehörige sind, deren Status sich aber nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bestimmt (Flüchtlinge; Asylberechtigte - 2 Abs. 1 AsylVerfG), ergibt sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte: - nach einer Auffassung aus 606a Abs. 1 Nr. 1 ZPO, weil sie, sofern sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, gemäß Art. 16 Abs. 2 GFK bzw. 3 Abs. 1 AsylVerfG hinsichtlich des Zugangs zu deutschen Gerichten den deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind (vgl. BGH, NJW 1982, 2732; MünchKommZPO-Walter, 606a Rn. 15 f. m.w.n.) - nach anderer Auffassung sollen sie mit Staatenlosen gleichzusetzen sein, so dass sich die internationale Zuständigkeit aus 606a Abs. 1 Nr. 3 ZPO ergibt (OLG München IPRax 1989, 238). (2) Grundsatz der perpetuatio fori Der Grundsatz der perpetuatio fori gilt auch für die internationale Zuständigkeit. Fällt das Kriterium, welches die internationale Zuständigkeit bei Rechtshängigkeit oder danach begründet weg, bleibt der Gerichtsstand eröffnet ( 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog). (3) Internationale Annexzuständigkeit Im Zusammenhang mit der Scheidung werden oft weitere Anträge gestellt, z.b. Entscheidung über das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder oder den Versorgungsausgleich. 4

5 Werden alle weiteren Anträge vor Schluss der mündlich Verhandlung gestellt, sind die deutschen Gerichte für die Entscheidung über die Folgesache international zuständig, wenn sie für die Ehesache international zuständig sind, 621 Abs. 1 u. 2 S. 1, 606a, 606 Abs. 1 S. 1 ZPO. Voraussetzungen für eine Verbundzuständigkeit: - Anhängigkeit einer Ehesache bei einem deutschen Gericht, 606 Abs. 1 S. 1 ZPO, - internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte in der Ehesache, Art. 3 EheVO bzw. 606a Abs. 1 ZPO, - der Streitgegenstand ist eine Familiensache ( 23b GVG, 621 Abs. 1 ZPO) und Achtung: Bei Antrag auf Entscheidung über die elterliche Sorge für Kinder haben EheVO und MSA Vorrang. Bei Antrag auf Entscheidung über den Unterhalt hat die EuGVVO Vorrang. b) Einleitung des Verfahrens ab dem 01.09.2009 aa. Entscheidungen in Ehesachen Für die Entscheidungszuständigkeit deutscher Gerichte in Ehesachen ist dann 98 Abs. 1 FamFG anzuwenden (Achtung: Nur soweit die Restzuständigkeit nach Art. 7 EheVO eröffnet ist). Inhaltlich ergeben sich keine Änderungen zu 606a ZPO. Der Grundsatz der perpetuatio fori gilt auch weiterhin. bb. Internationale Verbundzuständigkeit 98 Abs. 2 i.v.m. 111, 137 FamFG sieht nunmehr für folgende Scheidungsfolgesachen eine internationale Verbundzuständigkeit vor: - Versorgungsausgleichsachen, - Unterhaltssachen gegenüber einem gemeinschaftlichen Kind oder für die durch die Ehe begründeten Unterhaltspflichten, - Wohnungszuweisungen und Hausratssachen, - Güterrechtssachen. Diese müssen spätestens 2 Wochen vor der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug der Scheidungssache anhängig gemacht werden. Die Verbundzuständigkeit für die Durchführung des Versorgungsausgleichs besteht von Amts wegen. Für die Übertragung der elterlichen Sorge, das Umgangsrecht und die Herausgabe des Kindes muss der Verbundantrag vor Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden und der Verbund darf dem Kindeswohl nicht widersprechen. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Doppelfunktionalität der Bestimmungen zur örtlichen Zuständigkeit ( 105 FamFG) eine Annexzuständigkeit ergeben für: - Güterrechtssache ( 262 Abs. 1 FamFG) und - Unterhaltssachen betreffend die durch die Ehe begründete Unterhaltspflicht sowie gegenüber gemeinsamen Kindern ( 232 Abs. 1 FamFG). Diese Familiensachen müssen während der Anhängigkeit einer Ehesache (nicht unbedingt Scheidungssache) vor deutschen Gerichten anhängig gemacht sein und die deutschen Gerichte müssen für die Ehesache zuständig sein. Achtung: Vorrang vor den Bestimmungen des FamFG haben weiterhin: Für Unterhaltssachen Artt. 2, 5 Nr. 2 EuGVVO; für Verfahren der elterlichen Verantwortung Artt. 8 ff. EheVO.

6 Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte in Familiensachen ist nicht ausschließlich ( 106 FamFG). Das gilt auch dann, wenn sich die internationale Zuständigkeit von der örtlichen Zuständigkeit ableitet und letztere als ausschließliche geregelt ist. 3. Besondere Rechtsfragen a) Wesenseigene Zuständigkeit aa) Ausgangssituation Das deutsche IPR verweist in einem Fall, in dem grundsätzlich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach 98 FamFG eröffnet wäre, für eine konkrete Frage (z.b. Scheidungsstatut) auf ausländisches Recht. Das ausländische Sachrecht enthält ein bestimmtes Rechtsinstitut, das dem deutschen Recht unbekannt, aber mit dem ordre public vereinbar ist. bb) Konflikt zwischen anzuwendendem Sachrecht und lex fori Wegen der Anwendung der lex fori in allen verfahrensrechtlichen Fragen kann es dazu kommen, dass für das ausländische Rechtsinstitut im deutschen Zivilprozessrecht kein Verfahren vorgesehen ist. Es besteht die Möglichkeit des Widerspruchs zwischen der kollisionsrechtlichen Verweisung und der ausschließlichen Anwendung der lex fori im Verfahrensrecht. Der kann soweit gehen, dass das vom ausländischen Recht Beabsichtigte nicht mit den Mitteln des deutschen Verfahrensrechts durchsetzbar ist (vgl. Geimer, IZPR, Rn. 1989 ff.) cc) Problemlösung Ob und wie das ausländische materielle Recht auf das deutsche Verfahrensrecht zurückwirkt, beurteilt sich nach den Regeln über die wesenseigene Zuständigkeit. Die zunehmende internationale Verflechtung und die Achtung fremder Rechtsordnungen gebieten, auch im Verfahrensrecht Anpassungen vorzunehmen, um die kollisionsrechtliche Verweisung nicht auszuhöhlen. Daher ist die internationale Zuständigkeit und damit die Zulässigkeit der Klage erst dann abzulehnen, wenn eine völlige Wesensverschiedenheit und Unvergleichbarkeit mit deutschen Rechtsinstituten besteht (vgl. BGHZ 47, 324, 333 f.; Zöller/Geimer, ZPO, 606a Rn. 12; v. Hoffmann/Thorn, IPR, 3 Rn. 11 f.) b) Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit Siehe hierzu AP Nr. 5 Übergreifende Probleme des IZVR.