Sonderdruck aus. eitschrift für ngewandte mweltforschung. Jahrgang 15/16 (2003/04) Heft 2

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Sonderdruck aus Z A U eitschrift für ngewandte mweltforschung Jahrgang 15/16 (2003/04) Heft 2 Stefan Baumgärtner und Ralph Winkler Preisambivalenz von Altpapier - Eine ökonomische Konsequenz der deutschen Abfallgesetzgebung 1985-2000 - Analytica Verlag

Suchen Sie eine Umweltzeitschrift, die sich nicht auf eine Fachdisziplin beschränkt? Wollen Sie sich über Umweltforschung und Umweltpolitik in ihrer ganzen Breite informieren? Dann ist die ZAU die richtige Zeitschrift für Sie! Integrativ, konfrontativ, innovativ. Z A U eitschrift für ngewandte mweltforschung - Umweltdiskussion mit kontroversen Beiträgen zu aktuellen Problemen - Analysen und Berichte zu einem Themenschwerpunkt - Stellungnahmen und Repliken - Kurzinformationen über Tagungen, technische Entscheidungshilfen, organisatorische Lösungen und Forschungsprojekte - Zeitschriftenschau, Hinweise auf Graue Literatur, Buchbesprechungen Wer gibt die ZAU heraus? Ausgewiesene Vertreter aus Ökologie, Ökonomie, Technik, Planung und Recht stehen für eine fachübergreifende Betrachtungsweise: Prof. Dr. Wilfried Erbguth, Universität Rostock - Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Haber, Technische Universität München - Prof. Dr. Paul Klemmer, Ruhr- Universität Bochum - Reinhard Schulz, Berlin u. Essen - Prof. Dr. Hans Willi Thoenes, Wuppertal. Schriftleitung: Prof. Dr. Martin Junkernheinrich, Brandenburgische Technische Universität Cottbus, Fachbereich IV: Lehrstuhl für VWL, insbesondere Umweltökonomie, Universitätsplatz 3-4, D-03044 Cottbus, E-Mail: junkernh@tu-cottbus.de Die ZAU im Internet: www.zau-net.de Die ZAU erscheint vierteljährlich mit jeweils rd. 150 S. Jahresabonnement Euro 101,25*, Studenten (nur Inland) Euro 55,75*. Mitglieder von eingetragenen Umweltvereinen (Bund, BBU etc.) erhalten bei Direktbestellung beim Verlag einen Nachlass von 30 % ISSN 0943 1780 Analytica Verlagsgesellschaft mbh Berlin Vertrieb/Abonnentenbetreuung Postfach 1183, D-58461 Lüdenscheid Tel.: 0 23 51/45 88 90, Telefax: 0 23 51/45 88 95, E-Mail: info@analytica-verlag.de

Zeitschrift für angewandte Umweltforschung (ZAU). Jg. 15/16 (2003/2004), H. 2, S. 239-255 239 Stefan Baumgärtner und Ralph Winkler Preisambivalenz von Altpapier - Eine ökonomische Konsequenz der deutschen Abfallgesetzgebung 1985-2000 - Die Kreislaufwirtschaft hat aus Abfallstoffen (Sekundär)Rohstoffe werden lassen. Ihr Angebot richtet sich weniger nach der Nachfrage als vielmehr nach dem Verbrauch des Ursprungserzeugnisses und der Recyclingquote. Für Altpapier geringer Qualität kam es dabei in der Vergangenheit mehrmals zu negativen Preisen, d. h. bei der Zuführung von Altpapier in den Produktionskreislauf mussten die Entsorger Zahlungen an die abnehmende Papierindustrie leisten. Welche Gründe sind hierfür maßgebend? Was resultiert daraus für die Preisbildung auf dem Markt für Altpapier? 1 Einleitung Natürliche Rohstoffe sind notwendige Inputfaktoren in vielen Produktionsprozessen und werden üblicherweise entsprechend ihrer Produktivität bezahlt. Dabei wird bei Primärrohstoffen wie Holz, Zellstoff, Erdöl etc. nur die Menge an Rohstoff abgebaut bzw. hergestellt, die auch gewinnbringend auf dem Markt verkauft werden kann. Differenzierter ist die Situation bei den sogenannten Sekundärrohstoffen, die aus Konsum- oder Produktionsabfällen gewonnen werden, z. B. Altpapier, Altglas und Alteisen. Die Abfälle entstehen unabhängig von der Nachfrage nach entsprechenden Sekundärrohstoffen als Kuppelprodukte des Konsums oder der Produktion. Sie können zum einen kostenpflichtig entsorgt werden, z. B. durch Deponierung oder thermische Verwertung (Müllverbrennung). Zum anderen können sie in Form von Sekundärrohstoffen erneut im Produktionsprozess eingesetzt werden. Auch im Falle der Sekundärrohstoffe wird normalerweise nur die Menge an Rohstoffen aus dem Abfall zurückgewonnen, die auf den entsprechenden Sekundärrohstoffmärkten gewinnbringend abgesetzt werden kann. Da dieser Teil nicht als Abfall entsorgt, sondern als Rohstoff an die entsprechenden Industrien verkauft wird, ist auch der Preis der Sekundärrohstoffe normalerweise positiv. 1990 bildete sich jedoch auf dem deutschen Markt für Altpapier niedriger Qualität erstmals ein negativer Preis. 1 Das bedeutet, die Entsorger mussten den Papierfabriken, die das Altpapier als Rohstoff nutzen, für die Abnahme des Altpapiers eine Dr. Stefan Baumgärtner ist Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe Ökologische Ökonomik am Forschungszentrum für Umweltökonomie der Universität Heidelberg (E-Mail: baumgaertner@ uni-hd.de). Dr. Ralph Winkler ist PostDoc Researcher an der School of Politics, International Relations and the Environment (SPIRE), Keele University, Keele, UK. Wir danken Bernhard Eckwert, Malte Faber und Thomas Petersen für hilfreiche Hinweise, sowie Frau Bäuerlein (Statistisches Bundesamt), Frau Bender (Frankfurter Rundschau), Herrn Böcking (GesPaRec), Herrn Braun (BVSE), Frau Eckhardt (VDP), Herrn Finke (Interseroh AG), Herrn Friedrich (Erich Böhm GmbH & Co KG), Frau Göttmann (Frankfurter Rundschau), Herrn Jordan (VDP), Herrn Suhr (Umweltbundesamt), Herrn Tschapski (Theo Kleiner) und Herrn Wott (Papier- und Kartonfabrik Varel GmbH & Co KG) für wertvolle Informationen zum Papier- und Altpapiermarkt. 1 Vgl. Statistisches Bundesamt: Index der Großhandelsverkaufspreise für gemischtes Altpapier 1.02. Stand: Dezember 2000. Auf telefonische Anfrage zur Verfügung gestellt.

240 Stefan Baumgärtner und Ralph Winkler Zuzahlung leisten. Der Preis der unteren Altpapiersorten 1.02 2 und 1.04 3 schwankt seither derart, dass er zeitweise positive und zeitweise negative Werte annimmt. Dieses Phänomen bezeichnen wir mit dem Begriff Preisambivalenz. 4 Preisambivalenz ist prinzipiell nur dann möglich, wenn sich durch besondere Umstände das Angebot des entsprechenden Sekundärrohstoffes unabhängig von dessen Preis bzw. Nachfrage entwickelt. Die in der Praxis beobachtete Preisambivalenz auf dem deutschen Altpapiermarkt wird in der empirischen Fachliteratur seit Anfang der 1990er Jahre dokumentiert. 5 Dabei wird vor allem auf den Zusammenhang zwischen der Abfallgesetzgebung und dem Altpapierüberschussangebot hingewiesen. 6 In diesen Beiträgen werden die Auswirkungen und Konsequenzen der Gesetzesänderungen für die Papierindustrie in Deutschland diskutiert, 7 während die Ursachen der Preisambivalenz nicht genauer analysiert werden. In der theoretischen volkswirtschaftlichen Literatur wird dem Thema Preisambivalenz bisher kaum Beachtung geschenkt. Lediglich Wacker und Baumgärtner analysieren explizit ein preisambivalentes Verhalten. 8 Baumgärtner nennt drei ökonomische Bedingungen, deren Kombination zu Preisambivalenz führen kann: 9 (i) Das Kuppelprodukt entsteht in festen Proportionen bei der Produktion bzw. dem Konsum eines erwünschten Gutes. (ii) Als einzige Alternative zur produktiven bzw. nutzenbringenden Einsatzmöglichkeit existiert nur eine Form der kostenpflichtigen Entsorgung bzw. eine nutzenverringernde Verwendungsmöglichkeit. Kostenlose Entsorgung (so genanntes free disposal ) ist demnach ausgeschlossen. (iii) Die Möglich- 2 Sortiertes gemischtes Altpapier: Eine Mischung verschiedener Papier- und Pappequalitäten, die maximal 40 % an Zeitungen und Illustrierten enthält. Vgl. Confederation of European Paper Industries (CEPI)/Bureau of International Recycling (BIR) (Hrsg.): European list of standard grades of recovered paper and board. Brüssel 2000. 3 Kaufhausaltpapier: Gebrauchte Papier- und Kartonverpackungen, die mindestens 70 % Wellpappe enthalten, Rest Vollpappe und Packpapier. Vgl. CEPI/BIR (Hrsg.): European list of standard grades of recovered paper and board, a. a. O. 4 Vgl. Baumgärtner, S.: Ambivalent Joint Production and the Natural Environment. An Economic and Thermodynamic Analysis. Heidelberg u. New York 2000, S. 3. - Baumgärtner, S.: Price ambivalence of secondary resources: Joint production, limits to substitution and costly disposal. In: Resources, Conservation and Recycling. Jg. 43 (2004), S. 95-117. 5 Vgl. Sudan, J.: Altpapiererfassung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Wochenblatt für die Papierfabrikation. Jg. 120 (1992), S. 161-162. - Pothmann, D.: Altpapier als Rohstoff. In: Das Papier. Jg. 49 (1995), S. V65-V71. 6 Vgl. Holzey, G.: Das duale System und seine Auswirkungen. In: Das Papier. Jg. 47 (1993), S. 337-344. - Kibat, K.-D./Meißner, S.: Aktuelle Gesetzgebung zur Kreislaufwirtschaft. In: Das Papier. Jg. 48 (1994), S. V45-V51. - Meißner, S.: Rechtliche Rahmenbedingungen. In: Das Papier. Jg. 49 (1995), S. V77-V84. - Hirche, W.: Nachhaltige Entwicklung im Bereich der Kreislaufwirtschaft. In: Das Papier. Jg. 51 (1997), S. 388-392. 7 Vgl. Kibat, K.-D.: Altpapiereinsatz in der Papierindustrie. Ein Beitrag zur Lösung abfallwirtschaftlicher Probleme. In: Wochenblatt für Papierfabrikation. Jg. 119 (1991), S. 941-945. - Grünewald, H.: Altpapierentsorgung aus Sicht der GesPaRec. Künftige Auswirkungen auf den Altpapiermarkt. In: Allgemeine Papier-Rundschau. Jg. 116 (1992), S. 1320-1325. - Holzey, G./ Pothmann, D.: Die Position der deutschen Papierindustrie zur Kreislauf- und Abfallwirtschaft. In: Das Papier. Jg. 47 (1993), S. V102-V107. - Weidemann, C.: Ist Altpapier Abfall oder Rohstoff? In: Weidemann, C. (Hrsg.): Abfall oder Rohstoff. Köln 1998, S. 51-97. 8 Vgl. Wacker, H.: Rezyklierung als intertemporales Allokationsproblem in gesamtwirtschaftlichen Planungsmodellen. Frankfurt am Main 1987. - Baumgärtner, S.: Ambivalent Joint Production and the Natural Environment, a. a. O. - Baumgärtner, S.: Price ambivalence of secondary resources, a. a. O. 9 Vgl. Baumgärtner, S.: Price ambivalence of secondary resources, a. a. O., S. 112.

Analyse: Preisambivalenz von Altpapier 241 keit der Substitution zwischen dem Primär- und dem Sekundärrohstoff ist aus technischen Gründen limitiert. Ziel dieses Aufsatzes ist die Darstellung der Preisambivalenz auf dem deutschen Altpapiermarkt und die Bestimmung ihrer Ursachen. Dazu stellen wir in Abschnitt 2 den deutschen Altpapiermarkt und seine Marktteilnehmer vor. In Abschnitt 3 diskutieren wir den Verlauf des Altpapierpreises in Deutschland im Zeitraum von 1950 bis 2000. In Abschnitt 4 gehen wir genauer auf das Phänomen der Preisambivalenz, wie es in Deutschland seit 1990 zu beobachten ist, ein und erläutern seine abfallrechtlichen und ökonomischen Ursachen. Abschnitt 5 fasst die Ergebnisse zusammen und gibt einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung des deutschen Altpapiermarktes. 2 Der deutsche Altpapiermarkt Durch die Verwendung von Papier und Pappe entstehen in Deutschland praktisch überall unterschiedlichste Arten von Papierabfällen. Als Abfall verursacht Papiermüll Entsorgungskosten für die thermische Verwertung in Höhe von bis zu 255 Euro pro Tonne bzw. bis zu 235 Euro pro Tonne im Falle der Deponierung. 10 Er kann jedoch auch als Sekundärfaserlieferant bei der Papiererzeugung produktiv eingesetzt werden. In diesem Fall spricht man nicht mehr von Papierabfällen sondern von Altpapier. Diese Verwendung wird in Deutschland schon seit über 200 Jahren praktiziert. 11 Daher besteht schon seit langem ein Markt, der sogenannte Altpapiermarkt, auf dem Altpapier gehandelt wird. Allerdings ist Altpapier kein homogenes Gut. Vielmehr werden in Deutschland über 50 verschiedene Altpapiersorten gehandelt, die in fünf Gruppen unterteilt werden. 12 Der Altpapiermarkt zerfällt damit in viele Teilmärkte. Preisambivalenz kann nur auf einigen dieser Teilmärkte beobachtet werden, nämlich für die Sorten 1.02 und 1.04. Dennoch wird im Folgenden oft von dem Altpapiermarkt gesprochen. Dies ist insofern berechtigt, als sich sowohl die Preise der einzelnen Sorten als auch die Angebots- und Nachfragemengen in guter Näherung gleichgerichtet bewegen. Beispielsweise schwankten 1999 die Preise für die Altpapiersorte 1.02 zwischen 5 und +46 Euro pro Tonne sowie für die Sorte 1.04 zwischen +15 und +62 Euro. Im gleichen Zeitraum schwankte der Preis für die mittlere Altpapiersorte 2.01 13 zwischen +46 und +92 Euro, für die bessere Altpapiersorte 3.07 14 zwischen +169 und +221 Euro sowie für Sulfitzellstoff zwischen +359 und +544 Euro. 15 10 Vgl. Behrens F./Maydell, O. v.: Analyse der Kostenstruktur der kommunalen Abfallentsorgung. Berlin 1997. 11 Vgl. Pothmann, D.: Altpapiereinsatz im 18. Jahrhundert: Wie war es damals? Was entwickelte sich daraus? In: Wochenblatt für Papierfabrikation. Jg. 124 (1996), S. 80-86. 12 Vgl. CEPI/BIR (Hrsg.): European list of standard grades of recovered paper and board, a. a. O. 13 Zeitungen, die maximal 5 % durchgefärbte Zeitungen oder durchgefärbte Beilagen enthalten. Vgl. CEPI/BIR (Hrsg.): European list of standard grades of recovered paper and board, a. a. O. 14 Weiße Endlosformulare, holzfrei, frei von Selbstdurchschreibepapier und Kleberücken. Vgl. CEPI/BIR (Hrsg.): European list of standard grades of recovered paper and board, a. a. O. 15 Vgl. Europäischer Wirtschaftsdienst GmbH (EUWID): Papier und Zellstoff. Nr. 1/2 vom 12.01.2000.

242 Stefan Baumgärtner und Ralph Winkler 2.1 Altpapieranbieter Der Quotient aus dem Altpapieraufkommen und dem Gesamtpapierverbrauch heißt Altpapier-Rücklaufquote. Da ein Teil der konsumierten Papiere und Pappen in langlebigen Produkten (z. B. Büchern) gebunden ist oder in Form von Hygienepapieren ins Abwasser gelangt, ist die Altpapier-Rücklaufquote nach oben auf ca. 80 % begrenzt. 16 Die Altpapieranbieter werden üblicherweise in drei Gruppen eingeteilt: Die papierverarbeitende Industrie, das Gewerbe und die Kommunen. Die drei Anbietergruppen unterscheiden sich stark in den Mengen und Sorten des angebotenen Altpapiers (vgl. Tab. 1). Tabelle 1: Anteile der einzelnen Altpapieranbieter am gesamten Altpapieraufkommen im Jahr 1994 Altpapieranbieter Altpapieraufkommen in Mio. Tonnen in % Sorten Papierverarbeitende Industrie 1,2 12,7 mittlere und bessere Sorten Gewerbe 4,7 48,2 überwiegend untere Sorten Kommunen 3,8 39,1 untere Sorten Insgesamt 7,7 100,0 Quelle: Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. (BVSE). Zur papierverarbeitenden Industrie gehören beispielsweise Druckereien und Verlage. Das Altpapier fällt im Allgemeinen sortenrein an. Deshalb fungiert die papierverarbeitende Industrie schon sehr lange als attraktiver Altpapieranbieter der mittleren und besseren Sorten. Unter Gewerbe sind alle gewerblichen und industriellen Altpapieranbieter zu verstehen, die nicht zur papierverarbeitenden Industrie gehören. Eine große Fraktion bildet hier das sogenannte auspackende Gewerbe. Dazu zählen vor allem der Groß- und Einzelhandel, da hier viel Altpapier in Form von Verpackungspapieren und -pappen anfällt. Dabei handelt es sich vor allem um Papiere aus den unteren Sorten. Allerdings gibt es auch gewerbliche Anbieter von mittleren und besseren Sorten. Dazu zählt die gesamte Dienstleistungsbranche, bei der hochwertige grafische Papiere wie ausrangierte Akten, Endlospapiere und Lochkarten anfallen. In jüngster Zeit treten auch die Kommunen zunehmend als Anbieter von Altpapier auf. Für die steigenden Altpapiermengen aus diesem Sektor sind vor allem politische Einflüsse verantwortlich (Abschnitt 4.1). Die anfallenden Sorten umfassen sowohl Verpackungspapiere und -pappen als auch grafische Papiere wie Zeitungen, Illustrierte, Schreibpapiere und Akten. Aufgrund dieser Vielzahl unterschiedlicher Papierabfälle bei der kommunalen Altpapiererfassung ist für die Vermarktung von Haushaltsaltpapier ein hoher Sortieraufwand zu betreiben. Dies gilt auch deshalb, da hier der Verschmutzungsgrad durch Fremdstoffe erfassungsbedingt am höchsten ist. 16 Vgl. Göttsching, L.: Altpapier im Wettbewerb mit Primärfaserstoffen. In: Das Papier. Jg. 52 (1998), S. V70.

Analyse: Preisambivalenz von Altpapier 243 2.2 Altpapiernachfrager Nur die papiererzeugende Industrie ist in der Lage, Altpapier in nennenswertem Umfang einer produktiven stofflichen Verwertung zuzuführen. Altpapier dient neben den Primärrohstoffen Holz- und Zellstoff als Sekundärrohstoff in der Papierherstellung. Zwischen den Primärrohstoffen und Altpapier besteht eine begrenzte Substituierbarkeit, wobei die unteren und mittleren Altpapiersorten vor allem statt Holzstoff und die besseren Sorten an Stelle von Zellstoff eingesetzt werden. Der Quotient aus dem Altpapiereinsatz in der Papierproduktion und dem gesamten Papieroutput wird Altpapier-Einsatzquote 17 genannt. Der größtmögliche technisch realisierbare Einsatz von Altpapier und damit auch die maximal erreichbare Altpapier-Einsatzquote wird vor allem durch die hergestellte Papiersorte bestimmt. Nach Kibat erlaubt die Herstellung von Packungspapieren und -pappen einen sehr hohen Anteil von Altpapier, während bei der Produktion grafischer Papiere der mögliche Einsatz von Altpapier sehr beschränkt ist (vgl. Tab. 2). 18 Tabelle 2: Entwicklung der Altpapier-Einsatzquoten ab 1988 getrennt nach Papiersorten in % Papier- und Pappesorten 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 Wellenpappenpapiere 109 107 108 107 107 111 108 Verpackungspapiere 55 55 60 60 60 72 54 Faltschachtelkarton 72 78 81 80 88 79 82 Sonstige Verpackungspapiere 83 86 76 79 69 68 71 Verpackungspapiere und -pappen insgesamt 91 92 93 94 95 96 95 Zeitungsdruckpapiere 59 68 72 108 116 117 117 Sonstige grafische Papiere 5 6 7 7 13 17 18 Grafische Papiere insgesamt 15 18 20 28 36 37 37 Zellstoffwatte 100 88 48 62 81 66 29 Tissue 29 49 54 63 63 67 76 Krepp 72 81 115 108 98 85 72 Hygienepapiere insgesamt 37 55 62 69 68 69 74 Altpapier-Einsatzquote insgesamt 46 49 52 56 60 61 60 Quelle: Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. (BVSE) (Hrsg.): Zahlen, Daten, Fakten 2000/2001. Bonn 2001, S. 4. Der Einsatz von Altpapier ist kapitalintensiver als die Papierherstellung aus Holzund Zellstoff, da das Altpapier einen zusätzlichen Aufbereitungsprozess durchlaufen muss, um bei der Papierherstellung eingesetzt werden zu können. Vor allem bei den grafischen Papieren ist der Einsatz von Altpapier kapitalaufwändig, da die Papierfasern in sogenannten Deinking-Anlagen von der Druckfarbe gereinigt werden 17 Man beachte, dass die Altpapier-Einsatzquote größer als 100 % sein kann, da i. A. die Masse der Inputs die Masse der Outputs überwiegt. Deswegen bedeutet eine Einsatzquote von 100 % nicht, dass die entsprechende Papiersorte ausschließlich mit Hilfe von Altpapier hergestellt wurde. 18 Vgl. Kibat, K.-D.: Altpapiereinsatz in der Papierindustrie, a. a. O., Abschnitt 2.

244 Stefan Baumgärtner und Ralph Winkler müssen. 19 Trotz des höheren Aufwandes ist der Altpapiereinsatz in der Papierindustrie grundsätzlich wirtschaftlich, da der Sekundärrohstoff Altpapier selbst in Hochpreisphasen deutlich billiger ist als die Primärrohstoffe Holzstoff und Zellstoff. 20 Außerdem verbraucht die Rezyklierung von Altpapier deutlich weniger Energie als die Herstellung von Primärfaserstoffen. 21 Im Jahr 2000 haben die 135 deutschen papiererzeugenden Unternehmen an 192 Produktionsstandorten 11,0 Mio. Tonnen Altpapier zur Erzeugung von 18,1 Mio. Tonnen Papier und Pappe eingesetzt. Davon entfiel mit 8,3 Mio. Tonnen (entsprechend 75,3 %) der Großteil auf die unteren Sorten. 22 2.3 Entsorger Die Entsorgungsbranche führt als Intermediär das Altpapierangebot und die Altpapiernachfrage zusammen. Dabei besteht das Problem, die sehr große Anzahl an potenziellen Anbietern und die im Verhältnis dazu kleine Anzahl an Nachfragern zusammenzuführen. Die Entsorger erfüllen dabei zwei wichtige Aufgaben. Zum einen übernehmen sie die logistische Organisation, das Altpapier bei den Altpapieranbietern zu erfassen. Zum anderen wird das Altpapier von Fremdstoffen gereinigt, nach unterschiedlichen Sorten getrennt und in Ballen gepresst. Die Größe der in Deutschland ansässigen Entsorgungsbetriebe reicht vom kleinen Familienbetrieb bis zum Entsorgungskonzern mit mehreren Niederlassungen. Allein dem Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. (BVSE) gehören ca. 500 Altpapierentsorger aller Größen an. Neben der Größe können Altpapierentsorger nach drei Typen unterschieden werden: Zum einen gibt es (i) die traditionellen Altpapierhändler, die sich ausschließlich mit dem Sammeln und Vermarkten von Altpapier beschäftigen. Zum anderen gibt es (ii) die privaten und (iii) die kommunalen Städtereiniger, die sich beide auch um die Verwertung anderer Sekundärrohstoffe bemühen. Insgesamt wurden in Deutschland im Jahr 2000 von der Entsorgungsbranche 13,5 Mio. Tonnen Altpapier gesammelt, sortiert und vermarktet. 23 3 Entwicklung des deutschen Altpapiermarktes 1950-2000 Die Entwicklung des deutschen Altpapiermarktes war in den letzten 50 Jahren sehr starken Veränderungen unterworfen. Die deutsche Papierindustrie als der größte Altpapiernachfrager übte dabei einen großen Einfluss aus. 3.1 Die Papierindustrie Die deutsche Papierindustrie konnte in den letzten 50 Jahren ein starkes Wachstum aufweisen. Sowohl die Papierproduktion als auch der Papierverbrauch haben sich 19 Vgl. Krauthauf, E./Wiese, H.: Die Entwicklung der Rezyklierbarkeit von grafischem Altpapier. In: Wochenblatt für Papierproduktion. Jg. 126 (1998), S. 839-845. 20 Vgl. Göttsching, L.: Steigerung des Altpapiereinsatzes unter dem Einfluss von gesetzlichen Maßnahmen in Deutschland. In: Wochenblatt für Papierfabrikation. Jg. 121 (1993), S. 152. 21 Vgl. Göttsching, L.: Altpapier im Wettbewerb mit Primärfaserstoffen, a. a. O., S. V69. 22 Vgl. Verein Deutscher Papierfabriken e. V. (VDP) (Hrsg.): Papier 2002. Ein Leistungsbericht. Bonn 2002, S. 34, 47, 53. 23 Vgl. Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. (BVSE) (Hrsg.): Zahlen, Daten, Fakten 2000/2001. Bonn 2001, S. 6.

Analyse: Preisambivalenz von Altpapier 245 in diesem Zeitraum mehr als verzehnfacht. Auch die Papierimporte und -exporte verzeichneten im betrachteten Zeitraum starke Anstiege. Dabei ist Deutschland nach wie vor Netto-Papierimporteur. Der Nachfrageüberschuss erreichte um 1990 aufgrund der Wiedervereinigung sein Maximum. Durch hohe Investitionen in der Papierindustrie in den 1980er und 1990er Jahren konnte der Nachfrageüberschuss bis heute deutlich reduziert werden. Aufgrund der Heterogenität des Erzeugnisses kommt es nach wie vor zu starker Außenhandelsaktivität (vgl. Tab. 3). Tabelle 3: Entwicklung des deutschen Papiermarktes von 1950-2000 Jahr Papier Produktion Verbrauch Import Export in Mio. Tonnen 1950 1,6 1,6 0,1 0,1 1960 3,4 4,4 1,1 0,1 1970 5,5 7,6 2,7 0,6 1980 7,6 9,7 3,8 1,7 1985 9,3 10,8 4,3 2,9 1990 12,8 15,5 6,9 4,2 1995 14,8 15,8 7,2 6,2 2000 18,2 19,1 9,8 8,9 Quelle: Verein Deutscher Papierfabriken e. V. (VDP) (Hrsg.): Papier 2002. Ein Leistungsbericht. Bonn 2002, S. 43-45. Zwischen 1950 und 2000 ging die Holzstoff-Einsatzquote von 26,3 % auf 8,0 % und die Zellstoff-Einsatzquote von 38,3 % auf 23,2 % zurück. Im gleichen Zeitraum verdoppelte sich die Altpapier-Einsatzquote von 30,0 % auf 60,1 %. 24 Wie aus Tabelle 2 zu entnehmen ist, sind für die Steigerung der Altpapier-Einsatzquote in den Jahren ab 1985 vor allem der vermehrte Altpapiereinsatz bei grafischen Papieren und Hygienepapieren verantwortlich. 3.2 Der Altpapiermarkt In den Jahren von 1950 bis 2000 stiegen sowohl das Altpapieraufkommen als auch der Altpapierverbrauch um mehr als das zwanzigfache. Mit dem (absoluten) Altpapieraufkommen stieg auch die Altpapier-Rücklaufquote von 25,9 % im Jahr 1950 auf über 70 % im Jahr 2000 stark an (vgl. Abb. 1). Dabei zerfällt die Entwicklung des deutschen Altpapiermarktes in zwei Phasen: In der ersten Phase, den Jahren bis einschließlich 1984, folgte die Entwicklung des Altpapierangebotes der Nachfrage der heimischen Papierindustrie. In der zweiten Phase, den Jahren ab 1985, entkoppelte sich das Altpapierangebot von der Altpapiernachfrage. Das Altpapieraufkommen ist seitdem stärker gewachsen als der Altpapierverbrauch der heimischen Papierindustrie (vgl. Tab. 4). 24 Eigene Berechnung aufgrund der Daten von VDP (Hrsg.): Papier 2001. Ein Leistungsbericht, a. a. O., S. 47.

246 Stefan Baumgärtner und Ralph Winkler Abbildung 1: Der Altpapierpreisindex der Sorte 1.02 (Basisjahr 1985=100) und die Altpapier-Rücklaufquote in Deutschland in % 80 250 Altpapier-Rücklaufquote in % 70 60 50 40 30 200 150 100 50 0 Altpapierpreisindex 1.02 20 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 Altpapier-Rücklaufquote Altpapierpreisindex 1.02 Quelle: Statistisches Bundesamt: Index der Großhandelsverkaufspreise für gemischtes Altpapier 1.02, Stand: Dezember 2000. Auf telefonische Anfrage zur Verfügung gestellt. - Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. (BVSE) (Hrsg.): Zahlen, Daten, Fakten 2000/2001. Bonn 2001, S. 5. -50 Tabelle 4: Entwicklung des deutschen Altpapiermarktes von 1950-2000 Jahr Altpapier Aufkommen Verbrauch Import Export in Mio. Tonnen 1950 0,4 0,5 0,0 0,0 1960 1,2 1,3 0,2 0,0 1970 2,4 2,5 0,3 0,2 1980 3,3 3,2 0,4 0,5 1985 4,7 4,3 0,6 0,9 1990 6,8 6,2 0,8 1,4 1995 10,6 8,6 1,1 3,2 2000 13,7 11,0 1,4 4,0 Quelle: VDP (Hrsg.): Papier 2002. Ein Leistungsbericht. Bonn 2002, S. 65-68. Dies ist auch der Grund für die starke Zunahme der Altpapierexporte seit 1985. Vor 1985 spielte der Außenhandel nur eine untergeordnete Rolle. Von 1985 bis 2000 hat sich die jährliche ausgeführte Altpapiermenge verachtfacht. Trotz des heimischen Altpapierüberschusses stiegen auch die Altpapierimporte an, da Deutschland hauptsächlich Altpapier der unteren Sorten exportiert sowie mittlere und bessere Sorten importiert. Mit einer Verdoppelung der Importmenge in den Jahren von 1985 bis 1995 blieb das Einfuhrwachstum jedoch weit hinter der Entwicklung des Exports zurück (vgl. Tab. 4).

Analyse: Preisambivalenz von Altpapier 247 3.3 Preisambivalenz Abbildung 1 zeigt den Preisindex der Altpapiersorte 1.02 seit 1950. 25 Dieser Index wird vom Statistischen Bundesamt durch eine monatliche Befragung von 25 Entsorgungsunternehmen und Papierfabriken ermittelt. 26 Obwohl man auch vor 1985 zum Teil erhebliche Preisschwankungen beobachtete, die darauf zurückzuführen sind, dass das Angebot einer veränderten Nachfrage erst zeitverzögert durch Ausweitung bzw. Drosselung der Sammelaktivität folgen kann, 27 war der Preis für Altpapier in diesem Zeitraum stets positiv. Starke Preisanstiege (z. B. in den Jahren 1974, 1980 und 1984, vgl. Abb. 1) motivierten die Entsorger, neue Altpapierquellen bei den gewerblichen Betrieben und Haushalten durch Sammlungen in festen Intervallen zu erschließen. Während in den 1970er und 1980er Jahren Steigerungen der Rücklaufquote stets eine Hochpreisphase voranging, beobachtet man einen starken Anstieg der Rücklaufquote in den Jahren von 1991 bis 1996, obwohl der Altpapierpreis in dieser Zeit stark zurückging und für die untere Sorte 1.02 in den Jahren 1990 bis 1994 sogar negative Werte annahm. Abbildung 2 zeigt den Verlauf des Altpapierpreisindex 1.02 seit uar 1985 auf monatlicher Basis. Deutlich erkennbar sind in dieser Phase wiederholt Perioden negativer Preise aufgetreten, deren Ursachen im folgenden Abschnitt ausführlich diskutiert werden. Abbildung 2: Preisindex der Altpapiersorte 1.02 (Basisjahr 1985=100) von uar 1985 bis Dezember 2000 auf monatlicher Basis. 150 120 Altpapierpreisindex 1.02 90 60 30 0-30 -60 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 Quelle: Statistisches Bundesamt: Index der Großhandelsverkaufspreise für gemischtes Altpapier 1.02, Stand: Dezember 2000. Auf telefonische Anfrage zur Verfügung gestellt. 25 Vgl. Statistisches Bundesamt: Index der Großhandelsverkaufspreise für gemischtes Altpapier 1.02, a. a. O. 26 Neben dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden werden Altpapierpreisdaten auch von der Gesellschaft für Papier-Recycling in Bonn (GesPaRec) und dem Europäischen Wirtschaftsdienst (EUWID) erhoben. Die Daten zeigen im Wesentlichen den gleichen Verlauf wie der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Preisindex. 27 Vgl. Holzey, G.: Das duale System und seine Auswirkungen, a. a. O., S. 341.

248 Stefan Baumgärtner und Ralph Winkler 4 Ursachen der Preisambivalenz von Altpapier 4.1 Veränderung der abfallrechtlichen Rahmenbedingungen und ihre ökonomischen Folgen Nachdem der Bund im Jahr 1972 durch eine Grundgesetzänderung die Gesetzgebungskompetenz für die Abfallbehandlung erlangt hatte, verabschiedete der Bundestag noch im selben Jahr das Gesetz über die Beseitigung von Abfällen. Ziel war, die sachgerechte Entsorgung von Abfällen (ohne Beeinträchtigung des Allgemeinwohls) zur Hoheitsaufgabe öffentlich-rechtlicher Körperschaften zu machen. 28 Damit wurden eine bundesweite Grundsanierung sowie der Neuaufbau eines geordneten Beseitigungssystems möglich. Mit der 4. Novelle des Abfallgesetzes wurde dieses 1986 in Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen umbenannt. Neue Schwerpunkte wurden vor allem in Bezug auf die Vermeidung und Verwertung von Abfällen gesetzt. Allerdings gab es noch keine rechtlich festgeschriebene Hierarchie der unterschiedlichen Abfallbehandlungsmethoden. Auch der Begriff Abfall selbst war nur ungenügend präzisiert. Obwohl diese Novellierung noch keine verbindlichen Regelungen und Erfassungsquoten vorschrieb, wurden im Zuge dieser Gesetzesanpassung die ersten flächendeckenden Altpapiererfassungssysteme auf kommunaler Ebene eingeführt. Diese Entwicklung war vor allem ökonomisch motiviert, denn durch verschärfte Anforderungen an Deponien und Müllverbrennungsanlagen stiegen die Entsorgungskosten zwischen 1985 und 1995 stark an. Die Kostenanstiege waren regional sehr unterschiedlich und bewegten sich in Größenordnungen von 100-1 000 %. 29 Da Hausmüll zu ca. 30 % (des Gewichtes) aus Papieren und Pappen besteht, sahen viele Kommunen in der getrennten Erfassung von Altpapier durch Entsorgungsunternehmen (bei Kosten von maximal 100 Euro pro Tonne, zum Teil auch deutlich geringer) 30 ein beträchtliches Einsparungspotenzial bei den Müllentsorgungskosten. Durch dieses Altpapierüberangebot kam es in den Jahren 1985 bis 1987 zu einem starken Preisverfall bei Altpapier (vgl. Abb. 1 u. 2). Nach dem gescheiterten Versuch einer erneuten Novellierung des Abfallgesetzes wurde am 12. Juni 1991 die Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen erlassen. 31 Die Verordnung beinhaltet eine bedingte Rücknahmepflicht für Transport-, Um- und Verkaufsverpackungen zur stofflichen Verwertung. Die Verpackungsverordnung markierte - zumindest juristisch - die Wende von der Entsorgungs- zur Verwertungsgesellschaft. Die Verpackungsverordnung legte fest, dass die Erfassungsquote bei Verkaufsverpackungen aus Papier und Pappe anfangs mindestens 30 % und ab Juli 1995 mindestens 80 % zu betragen habe. Die Verwertungsquote der erfassten Papier- und Pappeverpackungen war bis ein- 28 Vgl. von Köller, H.: Einführung in die grundsätzlichen Veränderungen durch das Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz. In: Schimmelpfeng, L./Gessenich, S. (Hrsg.): Das Kreislaufwirtschaftund Abfallgesetz. Berlin 2000, S. 1. 29 Vgl. Behrens F./von Maydell, O.: Analyse der Kostenstruktur der kommunalen Abfallentsorgung, a. a. O., Kap. 6.3.2. 30 Vgl. Pothmann, D.: Altpapier als Rohstoff, a. a. O., S. V68. 31 Hier wird vor allem auf die Regelungen eingegangen, die Papier- und Pappeverpackungen betreffen. Für eine umfassende ökonomische Analyse der Verpackungsverordnung vgl. Michaelis, P.: Verpackungsverordnung und duales System aus ökonomischer Sicht. In: Umwelt und Planungsrecht. Jg. 126 (1998), S. 839-845.

Analyse: Preisambivalenz von Altpapier 249 schließlich Juni 1995 auf mindestens 60 % und ab dann auf mindestens 80 % festgelegt. 32 Dadurch vergrößerte sich das bestehende Altpapierüberschussangebot weiter. Die Altpapier-Rücklaufquote und damit auch das absolute Altpapieraufkommen stiegen sehr stark an. Trotz beachtlicher Steigerungen der Altpapier-Einsatzquoten (vgl. Tab. 2) konnte die Altpapiernachfrage mit dem Altpapieraufkommen nicht Schritt halten. Als Folge erlebte der deutsche Altpapiermarkt eine negative Preisphase der Altpapiersorte 1.02 von ca. vier Jahren (August 1990 bis Mai 1994; vgl. Abb. 1 u. 2), verbunden mit entsprechenden Tiefpreisphasen bei den anderen Altpapiersorten. Im Oktober 1994 verabschiedete der Bundestag das Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz, das das bestehende Abfallgesetz von 1986 ablöste. Aufgrund der weitreichenden Neuerungen trat das Gesetz erst mit einer Übergangszeit von zwei Jahren am 7. Oktober 1996 in Kraft. Neu war neben der in der Verpackungsverordnung 1991 bereits angedeuteten Produktverantwortung auch eine eindeutige Abfallbehandlungshierarchie: Vermeiden - Verwerten - Entsorgen. Das Kreislaufwirtschaftund Abfallgesetz ist bis heute gültig. Die Papierindustrie kam einer drohenden Verordnung für die Produkthaftung von grafischen Papieren, die mit der Verpackungsverordnung noch nicht erfasst waren, durch eine freiwillige Selbstverpflichtung zuvor. Am 14. Oktober 1994 trafen die Papierindustrie und der damalige Bundesumweltminister Töpfer eine Vereinbarung über eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Rücknahme und Verwertung gebrauchter grafischer Papiere. In dieser Selbstverpflichtung wurde zum einen festgelegt, dass seit uar 2000 60 % des Gesamtverbrauches grafischer Papiere verwertet werden müssen. 33 Zum anderen wird auch hier das Konzept der Produkthaftung und -verantwortung festgeschrieben. Da die geforderten Verwertungsquoten schon im Jahr 1996 mit 82,6 % mehr als erfüllt wurden, sieht der Gesetzgeber derzeit auch keinen Anlass zur weiteren Intervention. 34 Auch langfristig ist mit einem Rückgang der erfassten Altpapiermengen nicht zu rechnen: Die Technische Anleitung Siedlungsabfall vom 21. April 1993 legt ein generelles Deponieverbot für Siedlungsabfälle mit mehr als 5 % organischen Bestandteilen ab spätestens 2005 fest. Da Papier überwiegend organische Bestandteile enthält, bedeutet dies, dass ab diesem Zeitpunkt sämtliche Erzeugnisse der Papier- und Pappeindustrie und auch die Reststoffe der Altpapieraufbereitung nicht mehr direkt auf Deponien entsorgt werden können und damit einer Rezyklierung oder thermischen Verwertung zugeführt werden müssen. 4.2 Einflüsse des Außenhandels Da die Entsorgung von Altpapier als Siedlungsmüll sehr teuer ist, bleibt der Export als einzige alternative Möglichkeit, um Altpapierübermengen abzusetzen. Natürlich ist auch in anderen Ländern Altpapier ein begehrter Rohstoff in der Papierproduk- 32 Im Rahmen der Novellierung der Verpackungsverordnung 1998 wurde die Verwertungsquote auf 70 % reduziert. 33 Bis Ende 1994 waren 53 % der grafischen Papiere stofflich zu verwerten. Danach stieg die Quote bis Ende 1996 auf 55 % und von uar 1997 bis Dezember 1999 auf 58 %. 34 Vgl. Krauthauf, E./Wiese, H.: Die Entwicklung der Rezyklierbarkeit von grafischem Altpapier, a. a. O., S. 840.

250 Stefan Baumgärtner und Ralph Winkler tion. Allerdings hat deutsches Altpapier auf ausländischen Märkten gegenüber dort heimischem Altpapier den Nachteil, dass höhere Transportkosten entstehen und die Wettbewerbsfähigkeit einschränken. Entgegen der Meinung von Pothmann 35 hat sich gezeigt, dass der Außenhandel keine Garantie für stabile Altpapierpreise auf dem heimischen Markt bieten kann. Trotz einer Stagnation der Altpapier-Rücklaufquoten und der Altpapier-Einsatzquoten seit 1995 beobachtet man auch weiterhin starke Preisschwankungen auf dem deutschen Altpapiermarkt. In Abbildung 3 sind die Altpapierexportanteile nach Regionen in den Jahren 1985 bis 2000 dargestellt. Man erkennt, dass bis 1990 die Altpapierexporte ins westeuropäische Ausland stark dominierten. Konkret gingen im Jahr 1990 94,4 % aller Altpapierexporte nach Westeuropa, 3,0 % nach Osteuropa, 2,2 % in den asiatischen Raum und 0,4 % in andere Regionen. Im Jahr 2000 dagegen gingen nur noch 70,6% des exportierten Altpapiers in westeuropäische Länder, 21,7 % in den asiatischen Raum, 6,8 % nach Osteuropa und ca. 1 % in sonstige Länder. Abbildung 3: Altpapierexportanteile in Deutschland nach Regionen a) von 1985-1998 in % 100 80 Exportanteil in % 60 40 20 0 1985 1988 1991 1994 1997 2000 Westeuropa Osteuropa Asien Sonstige Länder a) Die Kurven für den asiatischen Raum und für Osteuropa verlaufen bis 1990 exakt bei Null %, da diese Regionen bis zu diesem Jahr unter der Kategorie sonstige Länder erfasst wurden. Quelle: Verband Deutscher Papierfabriken (VDP). Aufgrund des niedrigen Verhältnisses von Preis zu Gewicht, vor allem bei unteren Sorten, ist der Transport über weite Strecken (zumindest auf dem Landweg) unrentabel. Daher exportieren die deutschen Entsorger aufgrund der relativ geringen Entfernung nach wie vor überwiegend in das westeuropäische Ausland. Allerdings kann der Altpapierexport nach Westeuropa nur bedingt nachfragearme Perioden der deutschen Altpapiernachfrager kompensieren, da die Papiermärkte der einzelnen westeuropäischen Länder mehr und mehr zu einem gemeinsamen Papiermarkt 35 Vgl. Pothmann, D.: Altpapier als Rohstoff, a. a. O., S. V68.

Analyse: Preisambivalenz von Altpapier 251 zusammenwachsen und damit auch die Konjunktur der deutschen Papierindustrie im wesentlichen den gleichen Verlauf zeigt, wie die der Papierindustrie der übrigen westeuropäischen Länder. Der Transport in den asiatischen Raum findet über den kostengünstigen Seeweg, ausgehend von den deutschen Nord- und Ostseehäfen statt. Aufgrund der Nähe zu den Häfen und den damit verbundenen geringeren Transportkosten auf dem Landweg ist der Export nach Übersee vor allem für die norddeutschen Entsorger interessant. 36 Allerdings wird der Altpapierexport in den asiatischen Raum seit langer Zeit von den USA dominiert. Damit konkurriert deutsches Altpapier auf dem asiatischen Markt vor allem mit US-amerikanischem Altpapier. Ebenso wie in Deutschland wird in den USA die nicht von der heimischen Papierindustrie benötigte Altpapiermenge exportiert. Das heißt, die dem Weltmarkt zur Verfügung stehende Altpapiermenge der USA hängt stark von der Konjunktur der amerikanischen Papierindustrie ab. Da die nationalen Papiermärkte zunehmend zu einem Weltmarkt zusammenwachsen, ergibt sich hier eine ähnliche Situation wie in Bezug auf Westeuropa. Allerdings ist die konjunkturelle Übereinstimmung nicht so groß wie zwischen der deutschen und der westeuropäischen Papierindustrie. Tendenziell besteht jedoch auch hier das Problem, dass zu den konjunkturschwachen Zeiten in Deutschland auch auf dem amerikanischen Markt ein hohes Angebot an Altpapier zur Verfügung steht, das beim Export nach Asien mit dem deutschen Altpapierangebot konkurriert. 37 Der Export nach Osteuropa ist vor allem ein kostengünstiger Entsorgungsweg anderweitig unverkäuflicher Altpapierübermengen. Viele osteuropäische Papierfabriken nehmen den Rohstoff Altpapier gerne an, können jedoch nichts dafür bezahlen. Dem Entsorger entstehen auf diese Weise nur Transportkosten in Höhe von ca. 30 Euro pro Tonne (Landweg bis zur Donau, danach Transport per Schiff). 38 Der Preis von 30 Euro pro Tonne stellt damit eine Preisunterschranke für den deutschen Altpapiermarkt dar. Tatsächlich wurden bisher auch keine Preise unterhalb dieser Schranke beobachtet. Vielmehr befand sich der Altpapierpreis auch in negativen Preisphasen noch deutlich oberhalb dieser Preisuntergrenze. 4.3 Saisonale Angebots- und Nachfrageschwankungen Neben den konjunkturellen Schwankungen des Altpapierverbrauchs gibt es auch saisonale Angebots- und Nachfrageschwankungen. Dies liegt am Konsumverhalten der Haushalte. Der Papierbedarf ist wegen der Weihnachtszeit gegen Jahresende deutlich erhöht. Dabei werden nicht nur viele Verpackungspapiere und -pappen benötigt, auch Druckereien haben aufgrund von Sonderbeilagen und Werbebroschüren einen überdurchschnittlichen Papierbedarf. Um diesen zu decken, fährt die Papierindustrie den Papieroutput in der zweiten Jahreshälfte nach oben. Daraus re- 36 Nach telefonischer Auskunft von Herrn Friedrich, ehemaliger Geschäftsführer der Erich Böhm GmbH & Co. KG in Hochheim am Main am 16.02.2000, Herrn Böcking, Geschäftsführer der Gesellschaft für Papier-Recycling mbh in Bonn am 02.03.2000 und 06.04.2000 und Herrn Braun, stellvertretender Geschäftsführer des Bundesverbandes Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. in Bonn am 07.02.2000 und 23.03.2000. 37 Darüber hinaus hat auch der Kurs des US-Dollars gegenüber dem Euro einen Einfluss auf die Attraktivität von deutschem Altpapier, da auf dem Weltmarkt Altpapier grundsätzlich in US- Dollar bezahlt wird. 38 Nach telefonischer Auskunft von Herrn Friedrich, a. a. O.

252 Stefan Baumgärtner und Ralph Winkler sultiert auch ein erhöhter Altpapierbedarf. Dieser erhöhte Papieroutput wird dann am Jahresanfang zu Altpapier und führt zu einem zunehmenden Altpapierangebot in den ersten Monaten des Jahres. Die Papierindustrie hat aber zu diesem Zeitpunkt keinen Bedarf für diese Übermengen. In Abbildung 4 sind der Nachfrageverlauf der deutschen Papierindustrie der Altpapiersorte 1.02 für den Zeitraum von Juli 1996 bis uar 2000 und der Altpapierpreisindex der Sorte 1.02 auf monatlicher Basis dargestellt. Man erkennt deutlich die saisonalen Nachfrageschwankungen: Geringe Nachfrage zu Beginn des Jahres und erhöhter Altpapierbedarf in der zweiten Jahreshälfte. Auch beobachtet man beim Altpapierpreis einen Rückgang in den ersten Monaten des Jahres und eine Erholung im weiteren Verlauf des Jahres. Da im betrachteten Zeitraum die geringen saisonalen Schwankungen nicht von den stärkeren Preisbewegungen durch konjunkturelle Einflüsse überdeckt sind, kommt es in diesen Jahren aufgrund des niedrigen Niveaus des Altpapierpreises bei den Tiefpreisperioden am Jahresanfang zu negativen Preisphasen. Abbildung 4: Altpapierverbrauch in 1 000 Tonnen und Preisindex (Basisjahr 1985=100) der Sorte 1.02 in Deutschland von Juli 1996 bis uar 2000 auf monatlicher Basis Altpapierverbrauch 1.02 in 1 000 Tonnen 200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 Jul 96 97 Jul 97 98 Jul 98 99 Jul 99 00 Altpapierverbrauch 1.02 Altpapierpreisindex 1.02 Quelle: Verband Deutscher Papierfabriken (VDP) - Statistisches Bundesamt: Index der Großhandelsverkaufspreise für gemischtes Altpapier 1.02, Stand: Dezember 2000. Auf telefonische Anfrage zur Verfügung gestellt. 80 70 60 50 40 30 20 10 0-10 -20 Altpapierpreisindex 1.02 5 Zusammenfassung und Ausblick Im Folgenden werden die einzelnen Ergebnisse der Untersuchung noch einmal zusammengefasst und in Bezug zueinander gestellt. Dieser Überblick dient als Grundlage, um abschließend einen Ausblick auf eine mögliche zukünftige Entwicklung des Altpapiermarktes zu geben.

Analyse: Preisambivalenz von Altpapier 253 5.1 Zusammenfassung Bis ca. 1985 folgte das Wachstum des Altpapiermarktes der Altpapiernachfrage durch die Papierindustrie. Der Altpapiermarkt profitierte von der steigenden Papierproduktion und der damit eng verbundenen zunehmenden Altpapiernachfrage. Ab 1985 dreht sich die Kausalität um. Zum einen stimuliert durch wachsende Entsorgungskosten, zum anderen bedingt durch Änderung der politischen Rahmenbedingungen, stieg das Altpapierangebot innerhalb weniger Jahre unabhängig von der Entwicklung der Altpapiernachfrage dramatisch an. Da die Papierproduktion mittels Altpapier aus ökonomischer Sicht für die deutsche Papierindustrie günstiger ist als die Verwendung von Primärfasern, reagierten die Papiererzeuger auf diese Angebotssteigerungen mit einer starken Investition in die Altpapieraufbereitung. Damit kam es zu einer starken Zunahme der Altpapier-Einsatzquote, die heute - gemessen am Produktmix der deutschen Papierindustrie - weltweit am höchsten ist. 39 Dennoch kann die deutsche Papierindustrie die gewaltige Altpapiermenge nicht vollständig in der Papierproduktion einsetzen. Es verbleiben pro Jahr Übermengen in Höhe von ca. 3 Mio. Tonnen, die anderweitig abgesetzt werden müssen. Da es neben dem Einsatz in der Papierproduktion keine weitere produktive Einsatzmöglichkeit in nennenswertem Umfang gibt, ist der Verkauf an die ausländische Papierindustrie, neben der kostenpflichtigen Entsorgung der Altpapierübermengen als Müll, der einzige alternative Absatzweg. Hier besteht jedoch ein Problem darin, dass der Papiermarkt mehr und mehr zu einem Weltmarkt zusammenwächst und damit die Konjunktur der Papierindustrie der einzelnen Länder mehr und mehr gleichgerichtet verläuft. Damit kann der Export nur schwer die nachfragearmen Perioden der inländischen Papierindustrie kompensieren, da tendenziell zu diesen Zeiten auch die Nachfrage der Papierindustrie in der übrigen Welt gering ist. Um unverkäufliche Übermengen nicht zu hohen Kosten als Restmüll entsorgen zu müssen, hat die Entsorgungsbranche in der osteuropäischen Papierindustrie einen alternativen Entsorgungsweg gefunden, der mit erheblich geringeren Kosten verbunden ist. Außerdem wird auf diese Weise das Altpapier einer tatsächlichen Verwertung zugeführt und nimmt keinen knappen Deponieraum in Anspruch. Die Situation auf dem deutschen Altpapiermarkt ist also durch drei institutionelle und technische Besonderheiten gekennzeichnet: (i) Altpapier entsteht aufgrund abfallrechtlicher Bestimmungen weitgehend unabhängig vom Altpapierpreis und von der Altpapiernachfrage. (ii) Neben der kostenpflichtigen Entsorgung unverkäuflicher Übermengen ist allein die Papierindustrie in der Lage, Altpapier einer nutzenbringenden Verwendung zuführen. (iii) Allerdings ist auch diese Einsatzmöglichkeit in der Papierherstellung aus technischen Gründen beschränkt. Als Folge dieser Charakteristika des deutschen Marktes kommt es zu starken Schwankungen des Altpapierpreises mit gelegentlichen negativen Preisphasen. Dieses Phänomen der Preisambivalenz ist bisher nur in Deutschland zu beobachten und bestätigt Vorhersagen der theoretischen ressourcenökonomischen Literatur. 40 39 Vgl. Berglund, D./Söderholm, P./Nilsson, M.: A note on inter-country differences in waste paper recovery and utilization. In: Resources, Conservation and Recycling. Jg. 34 (2002), S. 175-191. 40 Vgl. Baumgärtner, S.: Ambivalent Joint Production and the Natural Environment, a. a. O. - Baumgärtner, S.: Price ambivalence of secondary resources, a. a. O.

254 Stefan Baumgärtner und Ralph Winkler 5.2 Ausblick auf die zukünftige Entwicklung Mit einer Altpapier-Einsatzquote von 61 % hat die Papierindustrie ein unerwartet hohes Niveau erreicht. Dies ist auch dem besonderen politischen Druck seit Mitte der 1980er Jahre zuzuschreiben. Potenzial für eine weitere Erhöhung der Altpapier- Einsatzquote wird vor allem bei grafischen Papieren gesehen. Allerdings sind auch dort ohne Qualitätseinbußen nur noch marginale Verbesserungen möglich. Langfristig kann sich die Einsatzquote der 65 % Marke nähern. Dabei sind jedoch keine großen Sprünge, sondern ein langsamer kontinuierlicher Trend zu erwarten. Dabei ist immer vorausgesetzt, dass sich die Mengenverhältnisse der produzierten Papiersorten nicht verändern. Auch die Altpapier-Rücklaufquote hat mit über 70 % ein kaum noch zu überbietendes Niveau erreicht, da ca. 20 % der konsumierten Papiere und Pappen in der Kanalisation landen oder in langlebigen Produkten gebunden sind. Göttsching 41 nimmt an, dass eine Altpapier-Rücklaufquote von 75 % langfristig erreichbar ist. Dies entspricht 94 % der theoretisch erfassbaren Menge. Allerdings ist dazu auch zusätzliche Mithilfe von Seiten der Haushalte nötig. Da weder kurz- noch langfristig starke Änderungen sowohl der Altpapier-Einsatzquote als auch der Rücklaufquote zu erwarten sind, wird der deutsche Altpapiermarkt auch in Zukunft auf die Möglichkeit des Außenhandels angewiesen sein, um unverkäufliche Altpapierübermengen zu entsorgen. Allerdings ist anzunehmen, dass gerade der Export in westeuropäische Länder in Zukunft abnehmen wird. Die EG hat 1994 eine Europäische Verpackungsrichtlinie verabschiedet, die bis 30. Juni 1996 in nationales Recht umzuwandeln war. Obwohl diese Richtlinie geringere Quoten als die deutsche Verpackungsverordnung vorschreibt, beobachtet man in allen westeuropäischen Ländern (Ausnahme: Portugal) seit Jahren ansteigende Rücklaufquoten. 42 Einige Länder befinden sich schon auf deutschem Niveau: So weist Österreich eine Quote von über 70 % und die Schweiz und die Niederlande Quoten von ca. 65 % auf. Auch in diesen Ländern fallen Altpapierüberschüsse an, die ins Ausland verbracht werden müssen. Damit fällt für Deutschland langfristig nicht nur der westeuropäische Exportmarkt weg, sondern deutsches Altpapier wird auch mit Altpapier aus dem restlichen Europa um weitere Absatzmärkte konkurrieren. Allerdings ist gerade im asiatischen Raum mit erheblichen Nachfragesteigerungen nach Altpapier zu rechnen. 43 Welcher Effekt überwiegen wird, ist zum momentanen Zeitpunkt nicht absehbar. Mit Sicherheit wird jedoch der Export in westeuropäische Länder zugunsten von asiatischen Ländern abnehmen. Auch Osteuropa könnte sich in Zukunft zu einem interessanten Altpapiernachfrager entwickeln. Was bedeutet dies für den Altpapierpreis auf dem deutschen Altpapiermarkt? Kurzfristig wird der Preis auf jeden Fall weiterhin von konjunkturellen Schwankungen beeinflusst. Damit sind auch weitere negative Preisphasen nicht ausgeschlossen. Aufgrund der hohen Entsorgungskosten und der Tatsache, dass die Entsorger das Preisrisiko vollständig an die Anbieter und Nachfrager weitergeben, besteht auch in negativen Preisphasen keine Gefahr für ein Zusammenbrechen des Altpapiermarktes. Allerdings könnte langfristig ein europaweites Altpapierüberschussan- 41 Vgl. Göttsching, L.: Altpapier im Wettbewerb mit Primärfaserstoffen, a. a. O., S. V70. 42 Vgl. Kibat, K.-D.: Altpapiereinsatz im Spektrum der europäischen Abfallpolitik. In: Wochenblatt für die Papierfabrikation. Jg. 126 (1998), S. 744. 43 Vgl. Pothmann, D.: Altpapier als Rohstoff, a. a. O., S. V68.

Analyse: Preisambivalenz von Altpapier 255 gebot ohne entsprechende Absatzmöglichkeiten in andere Regionen dazu führen, dass über alternative Verwendungsmöglichkeiten von Altpapier, zum Beispiel die thermische Verwertung, nachgedacht werden muss. Zusammenfassung Die Autoren untersuchen die Preisambivalenz der unteren Altpapiersorten 1.02 und 1.04 auf dem deutschen Altpapiermarkt. Der Preis dieser Sorten nimmt seit 1990 zeitweise negative und zeitweise positive Werte an. Die Ursache besteht in der Kombination dreier institutioneller und technischer Besonderheiten des deutschen Altpapiermarktes: (i) Aufgrund abfallrechtlicher Bestimmungen ist das Angebot weitgehend unabhängig vom Preis bzw. von der Nachfrage. Durch die Sammel- und Verwertungsquoten der Verpackungsverordnung von 1991 ist es nach unten beschränkt. (ii) Die einzige Alternative zur kostenpflichtigen Entsorgung von Altpapier durch Deponierung oder thermische Verwertung ist der Einsatz als Sekundärrohstoff in der Papierproduktion, da nur die Papierindustrie in der Lage ist, Altpapier in nennenswertem Umfang produktiv einzusetzen. (iii) Allerdings ist auch der Einsatz von Altpapier in der Papierproduktion aus technischen Gründen beschränkt. Die Autoren beschreiben die institutionellen und technischen Bedingungen, die zu Preisambivalenz führen, und diskutieren die Konsequenzen für die Anbieter, Nachfrager und Händler von Altpapier. Summary The authors examine the price ambivalence of the low quality waste paper (grades 1.02 and 1.04) on the German market. Since 1990 the price of these grades is at times positive and at times negative. The underlying reason is the combination of three institutional and technical characteristics of the German waste paper market: (i) As a result of waste management legislation the supply of waste paper is mostly independent of its price and its demand. Supply is bounded from below by collection and utilization quotas fixed by the Regulation on Packaging Waste enacted in 1991. (ii) The only alternative to costly disposal of waste paper by dumping or incineration is its use as a secondary resource in the production of new paper, as only the paper industry is capable of using waste paper in a productive manner in significant amount. (iii) Yet, its use as a substitute for primary inputs is technically limited. The authors describe the technical and institutional conditions leading to price ambivalence and discuss the consequences for supply, demand and trade of waste paper.