Artikel zum Thema Soldaten schreiben, wie es wirklich war. Gedanken eines ostdeutschen Soldaten zum 10. Jahrestag Deutsche Einheit

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Transkript:

Hans-Georg Löffler (Generalmajor a.d.) Artikel zum Thema Soldaten schreiben, wie es wirklich war. Gedanken eines ostdeutschen Soldaten zum 10. Jahrestag Deutsche Einheit Dok.Nr.: Quelle: Herkunft: A20001003_loeffler unbekannt unbekannt (die Veröffentlichung wurde vom Autor des Beitrages authorisiert) Autor: Generalmajor a.d. Hans-Georg Löffler (Jahrgang 1937) Chef Verwaltung Org. beim Hauptstab des MfNV

Hans-Georg Löffler Soldaten schreiben, wie es wirklich war. Gedanken eines ostdeutschen Soldaten zum 10. Jahrestag Deutsche Einheit Elf Jahre sind seit der Öffnung der Sicherungsanlagen an der deutsch-deutschen Grenze vergangen. Vor elf Jahren wurde es erstmalig möglich, die Grenze zwischen den Blöcken Warschauer Pakt und NATO ungehindert zu passieren. Das Ende des Kalten Krieges war hiermit programmiert, und eine solche Entwicklung konnte für uns Deutsche, für uns Soldaten nur gut und nützlich sein. Die Soldaten beider Paktsysteme, besonders jedoch die Soldaten beider deutschen Nachkriegsarmeen, wurden von einer großen Last und Sorge befreit. Was erinnert an die Jahre 1989/90 in der DDR und NVA? Die rasanten Zerfalls- und Auflösungserscheinungen in den Staaten des Warschauer Paktes und somit in der DDR wurden erst mit Anfang des Sommers 1989 wahrgenommen. Rasant verliefen die Monate und Wochen bis zum ersten Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990. Mit einigem zeitlichen Abstand tritt ins Bewusstsein, dass manches hätte besser gemacht werden können. Doch etwas sehr Wichtiges ist in der Zeit seit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 vorbereitet und besiegelt worden die Wiedervereinigung. Der Fall der Mauer in Berlin war kein Zufall, er war das Ergebnis vorgelagerter Ereignisse, die nicht nur das Leben in der DDR intensiv beeinflussen, sondern einen wahrhaft revolutionären Prozess eingeleitet hatten. Einer dieser Meilensteine für die friedliche Revolution war der 19. August 1989, der Tag, als die ungarisch-österreichische Grenze bei Sopron geöffnet wurde und viele DDR- Bürger diese Zufälligkeit zur Flucht in den Westen nutzten. Diese geduldete Zaunöffnung wurde zu einem Signal. Viele, viele DDR-Bürger wollten dem Beispiel von Sopron folgen, Botschaften wurden aufgesucht mit dem Ziel, in den Westen zu gelangen. Auch Soldaten waren unter den Flüchtlingen. Derartiges war nicht mehr zu verheimlichen. Eine allgemeine Verunsicherung war spürbar, ausgelöst durch eine mangelhafte Information von vorgesetzten Stellen und einige Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen der politischen, staatlichen und militärischen Führung der DDR im Sommer und Herbst 1989. Eine dieser Fehleinschätzungen war die Vorbereitung und Durchführung der Militärparade zum 40. Jahrestag der DDR (zu jener Zeit war der Autor Chef des Stabes des Kommandos eines Militärbezirkes). Denn eine Parade passte keineswegs ins Lagebild der DDR. Die Situation im Lande eskalierte. Meines Erachtens war das Öffnen der Grenzen am 9. November 1989 eine glückliche Lösung zur Deeskalation. Unsere Schlussfolgerung als Militärs war eindeutig keine Gewalt gegen das eigene Volk, Vermeidung jeglicher besonderer Vorkommnisse, Waffen, Sprengmittel und Gefechtsfahrzeuge und vor unberechtigtem Zugriff zu sichern. Das gelang in den letzten Monaten des Jahres 1989, und es blieb ohne besonderen Vorkommnisse bis zur Schlüsselübergabe an die Bundeswehr am 3. Oktober 1990. Mit besonderem Respekt sei an die gute Disziplin der NVA-Soldaten in jenen kritischen Novembertagen erinnert. Bis auf einige Ausnahmen verliefen die Einberufungen ohne NVA-Forum Dok.Nr. A20001003_Loeffler Seite 2 von 5

Störungen. Erst eine Konferenz im Ministerium für Nationale Verteidigung am 13.11.1989 gab den Anstoß für Korrekturen in der Militärpolitik der DDR. Diese Konferenz erreichte nicht nur die Ablösung des Verteidigungsministers, diese Konferenz forderte die Durchführung einer Militärreform. Den Vorschub dazu bot die neue Politik (Perestroika/Glasnost) Gorbatschows, die seit 1987 gültige Militärdoktrin Verteidigung, die unlogische Forderung nach 85-prozentiger Gefechtsbereitschaft für die Truppen und der Einsatz von ca. 60 000 Soldaten in der Volkswirtschaft. Stark korrekturbedürftig waren Formen, Methoden und Inhalte der Führung, der Ausbildung, der Information bis hin zur Umsetzung der Beschlüsse von Helsinki (z. B. Korb III). All dieses hatte den Wunsch und den Willen nach Reformen nicht nur unter den Berufssoldaten der NVA ausgelöst. Eine Anhäufung von Widersprüchlichkeiten des sozialistischen Systems, begonnen in der Sowjetunion, in den WP-Staaten und somit auch in der DDR, sorgte auch für den inneren Zerfall der NVA. Ein Missbrauch der NVA zur Rettung des alten Systems hatte folglich keine Chance. Auf dieser Grundlage wurde es möglich, trotz vieler Bauchschmerzen, den Einigungsprozess zu unterstützen. Unsere Pflicht bestand vornehmlich darin, den Reformprozess in den Streitkräften für ihn günstig zu gestalten. Anfänglich ohne Ahnung, dass am 2. Oktober 1990 alle Dienstflaggen der NVA eingeholt werden mussten. Bis zur Wahl am 18. März 1990, einer Wahl unter neuen Vorzeichen, wurde versucht, einige Korrekturen im militärischen Bereich herbeizuführen. Dazu zählte u. a.: die SED/PDS hatte ihren Führungsanspruch über die NVA verloren; die Struktur und Gliederung der VA sollte gemäß der neuen Militärdoktrin und der sicherheitspolitischen Lage in Europa gestaltet werden; der Einsatz von Soldaten in der Volkswirtschaft sollte beendet werden; Erarbeitung eines neuen Wehrdienst- und Zivildienstgesetzes etc. Mit dem Pfarrer R. Eppelmann bekam die DDR ihren ersten zivilen Verteidigungsminister. Nach der Wahl der neuen DDR-Regierung bis zum 3. Oktober 1990 wurden mehrfach die Perspektiven für die NVA inhaltlich korrigiert. Es wurden Hoffnungen auf einen Fortbestand lanciert bzw. rigorose Reduzierungs-, aber auch Auflösungsabsichten für die NVA genannt. Mit dem Einsetzen der neuen DDR-Regierung hätte auch ein neuer Fahneneid für die Armee gelten müssen. Erst am 20. Juli 1990 erfolgte dieser Vorgang m. E. zu spät und schon wegen des Kaukasus-Gipfels total überflüssig, da das Schicksal der DDR und somit der NVA besiegelt war. Der Autor dieses Artikels war vom Januar bis zum 2. Oktober 1990 im Hauptstab der NVA tätig und leitete die Verwaltung Organisation, Stellenpläne, Strukturen, Standortplanung Somit erlebte er hautnah das letzte Jahr der NVA und seiner eigenen 35-jährigen Dienstzeit. Dieser Hinweis deshalb, weil wir seit März 1990 für die Erarbeitung der neuen Strukturen des Verteidigungsministeriums, der Teilstreitkräfte oder Verteidigungsbezirkskommandos entsprechende Arbeitshilfen aus dem BMVg nutzten. So sollte u. a. aus der NVA ab 1. Januar 1991 ein so genanntes Territorialkommando Ost werden und auch Bundeswehruniformen sollten getragen werden! Noch am 15. Mai 1990 wurde auf Weisung des Ministers Eppelmann die Arbeit an der NVA-Struktur-93 fortgesetzt. Es war eine Täuschungsaufgabe, aber alle Kommandos und Stäbe waren beschäftigt und das mit NVA-Forum Dok.Nr. A20001003_Loeffler Seite 3 von 5

preußischer Gründlichkeit. Solche Einlagen trugen sehr geschickt dazu bei, die Truppe ruhig zu halten. So wurde noch am 8. Juni 1990 ein so genanntes Institut für Konversion gegründet und am Eröffnungstag verkündet, dass es für die Streitkräfte des geeinten Deutschlands Übergangsvarianten geben wird. Diese sagen vor, dass bis zum Jahre 1993(!) der Bestand der NVA auf 100.000 Mann reduziert wird und dass die Hauptverwaltungssysteme ca. 25 bis 50% des Standes vom Mai 1990 erreichen sollen. Und viele Soldaten der NVA glaubten dieses. Doch es war unvorstellbar, dass es im geeinten Deutschland noch langfristig zwei Armeen geben wird. Ein besonderes Erlebnis war für mich die Teilnahme an einer Dienstreise am 15. Juni 1990 nach Bonn ins BMVg. Im Haus 540, Zimmer 0101, wurde unsere Arbeitsgruppe u. a. mit den Aufgaben und Strukturen der Streitkräfte bekannt gemacht. Nach dem Vortrag von Staatssekretär Dr. Carl und dem Lesen der Rede des Ministers Stoltenberg zur 31. Kommandeurs-Tagung der Bundeswehr am 13. Juni 1990 in Feilbach war eigentlich schon erkennbar, dass es für die NVA mit dem Tage der Wiedervereinigung ernsthafte Korrekturen geben wird. Und es kam so! Zusammenfassend sei hervorgehoben: dass mir mit der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze bewusst wurde, dass die Zeit der unsäglichen Spaltung Deutschlands eines Tages beendet sein wird, dass vielen von uns klar war, dass mit der Wiedervereinigung der Kalte Krieg beendet werden kann (das wurde mit der Auflösung des Warschauer Paktes und mit dem Abzug der russischen Armee aus Ostdeutschland eine Realität, dass die Zusammenarbeit mit den Vertretern der Bundeswehr ab 20. August 1990 mit aller soldatischen Vernunft erfolgte; uns war daran gelegen, die NVA ordnungsgemäß zu übergeben. Mit Respekt denke ich an die Herren Oberst H. Speidel, Oberstleutnant Lahmann und Fregattenkapitän Nicolei, Bedauerlich ist, dass für so manche Entscheidung die notwendige Vorbereitungszeit fehlte, doch es herrschte eine totale Zeitnot, denn die Wiedervereinigung musste erfolgen, bevor der Golfkrieg begann (dieser Zusammenhang wurde uns erst später bewusst). So mancher Mitbürger betrachtet die Aktivitäten von Herbst 1989 bis zum ersten Tag der Deutschen Einheit sehr kritisch und besserwisserisch. Doch für das Schaffen der Grundlagen für eine Armee der Einheit standen nur wenige Monate zur Verfügung. Hierfür gab es kein Programm in einer Schublade. Und zu beachten ist, dass es für diesen Vorgang kein Beispiel in der Militärgeschichte gab. Man beachte: aus zwei Armeen, jeweils eingebunden in ein anderes Paktsystem NATO bzw. Warschauer Pakt sollte eine Armee werden. Es gelang! Seit 1990 ist der Autor bemüht, den Ost-West-Brückenbau zu unterstützen. Dieses versuche ich im Rahmen der Gesellschaft für Wehrkunde (GfW), als Förderer des Verbandes der Reservisten der Bundeswehr und bei Konferenzen bzw. Seminaren, so u. a. bei der Konferenz des Aspen-Instituts Berlin im Januar oder beim Zeitzeugenforum des MGFA/K- T-Molinari-Stiftung im September 2000. NVA-Forum Dok.Nr. A20001003_Loeffler Seite 4 von 5

Und nach meiner Entlassung in die Arbeitslosigkeit am Abend des 2. Oktober 1990 wollte ich mich nicht einigen, durfte ich nicht resignieren. So fand ich einen beruflichen Neuanfang (wie so viele deutsche Soldaten nach 1945) zunächst in einem Vermessungsbüro. Bis zum 31. Mai 2000, fast sieben Jahre, konnte ich in einem größeren Ingenieurunternehmen tätig sein und so die Realisierung des Programms Verkehrsprojekte Deutsche Einheit miterleben. Seit dem 1. Juni 2000, 63-jährig, bin ich Rentner und froh darüber, nach der Wiedervereinigung in einem zivilen Beruf etwas für unser Deutschland getan zu haben. Mein Wunsch ist, dass es uns in Deutschland gemeinsam gelingt, einen Weg von der einstigen Konfrontation zur Kooperation und zum Abbau noch existierender Feindbilder bzw. Abgrenzungen zu finden. Dieses für eine gemeinsame Zukunft in unserem Vaterland Deutschland. NVA-Forum Dok.Nr. A20001003_Loeffler Seite 5 von 5