Abschlussbericht des Forschungsprojektes Leber-Shunt beim Hovawart Kartierung der ursächlichen Mutation für den kongenitalen intrahepatischen portosystemischen Shunt beim Hovawart Juni 2010 Elisabeth Dietschi, Marta Owczarek-Lipska und Tosso Leeb in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Utrecht, Niederlande (Jan Rothuizen, Peter Leegwater, Frank van Steenbeck); der Universität Gießen, Deutschland (Reto Neiger, Matthias Schneider) und dem Broad Institute, Cambridge, Ma, U.S.A / Universität Uppsala, Schweden (Kerstin Lindblad-Toh) Die "Gesellschaft für kynologische Forschung" (GKF) fördert seit 2008 ein Forschungsprojekt zum Leber-Shunt beim Hovawart am Institut für Genetik der Universität Bern. Die GKF sieht vor, dass Projekte, die sich speziell auf eine Rasse beziehen, von den verantwortlichen Zuchtvereinen im VDH mitgetragen werden und diese sich mit 10% der Fördersumme an solchen Projekten beteiligen. Die "Hovawart Zuchtgemeinschaft Deutschland, e. V". (HZD) und der "Rassezuchtverein für Hovawart Hunde, e. V." (RZV) haben zu gleichen Teilen mit je 2000.- das Projekt unterstützt, so dass die GKF gesamthaft 20'000 zur Verfügung stellen konnte.
Vorgeschichte: Wie entstand das Projekt? 1949 findet man in der Literatur die erste Beschreibung eines portosystemischen Shunts bei einem Hund (Hickman and Edwards, 1949). 1984 wurden in der europäischen Hovawart-Zucht die ersten familiär gehäuften Fälle von PSS an der Universität Bern diagnostiziert. 1990/1991 traten die ersten beschriebenen Fälle von PSS in Deutschland auf. 1997 wurde auf Grund des Auftretens von mehreren Lebershunt-Würfen in Deutschland am Tierspital der Universität Bern gratis eine Kurz-Studie (Gallensäuren-Wert-Bestimmung) mit 15 Hunden (Geschwistern und Eltern von betroffenen Welpen) durchgeführt. 1999 traten in Holland in einem Wurf zwei Welpen mit Lebershunt auf. 2000 hat die "Internationale Hovawart-Föderation" (IHF), ein Zusammenschluss von 14 Mitgliedsländern, ein Lebershunt-Projekt ins Leben gerufen, das von Anfang an durch E. Dietschi betreut wurde. Dieses Projekt wurde auf Initiative von G. Langheim, dem damaligen Zuchtleiter des RZV, finanziell aus dem Solidaritätsfond des RZV gefördert, indem für jede eingesandte Blutprobe 60 an den Besitzer des Hundes gezahlt wurde, unabhängig aus welchem Land oder aus welchem Verein der Hund stammte. Diese Unterstützung wurde Ende 2008 durch den RZV beendet. Grundlagen zum portosystemischen Shunt Der portosystemische Shunt (PSS) des Hundes stellt eine meist angeborene Anomalie des portalen Gefäss-Systems der Leber dar. PSS bilden sich durch Gefässe, welche eine direkte Verbindung zwischen Pfortader und der Hohlvene herstellen. Dadurch wird das aus dem Gastrointestinaltrakt stammende über die Pfortader geleitete Blut mit den resorbierten Nährstoffen gesamthaft oder teilweise direkt in den 'Grossen Kreislauf' geleitet, ohne die Leber zu passieren. Nährstoffe wie auch schädliche Substanzen können in die Organe, insbesondere das Gehirn gelangen, da sie nicht in der Leber metabolisiert, entgiftet und ausgeschieden wurden. Es kommt zu zentralnervösen Störungen und sehr variablen Symptomen des Verdauungsund/oder des Urogenitaltrakts wie Appetitlosigkeit, krankhaft gesteigertem Durst und entsprechend höherer Urinausscheidung, Erbrechen, Durchfall, Apathie, Ataxie, Seite 2
Koma und in schweren Fällen auch Tod des betroffenen Hundes. Zusätzlich wird die Leber selbst mit zu wenig Blut und essentiellen Substanzen versorgt. Die Leber kann sich deshalb nicht normal entwickeln und bleibt klein. Auch anderen lebenswichtigen Organen fehlen wichtige Nährstoffe, deshalb sind Hunde mit einem PSS oft von schmächtigem Körperbau, zeigen ein verzögertes Wachstum und einen progressiven Gewichtsverlust, weil die Leber als Stoffwechselorgan und Nährstofflieferant nur ungenügend arbeitet (Abb. 1). Ohne eine aufwändige und entsprechend kostspielige Therapie (Diät/Operation) leiden betroffene Hunde stark und die Lebenserwartung ist sehr gering. Abbildung 1: Neun Wochen alter Welpe (Rüde) mit einem portosystemischen Shunt. Er ist für einen neun Wochen alten Hovawart-Rüden viel zu klein. Es wird zwischen intrahepatischen und extrahepatischen PSS unterschieden. Der intrahepatische PSS ist immer angeboren (kongenital) und entsteht durch das Aufrechterhalten von embryonalem Gewebe zwischen der ehemaligen Nabel- und der Hohlvene, das sich kurz vor oder nach der Geburt schliessen sollte. Intrahepatische PSS treten vor allem bei grossen Hunderassen auf. In der Regel treten die ersten klinischen Symptome bei jungen Hunden unter einem Jahr auf. Ein extrahepatischer PSS liegt ausserhalb der Leber und tritt vorwiegend bei kleinen Hunderassen auf. Seite 3
Shunt prozentual zu Population Portosystemischer Shunt beim Hovawart Der intrahepatische portosystemische Shunt beim Hovawart Die Anzahl der PSS-Fälle beim Hovawart nimmt seit dem ersten dokumentierten Auftreten 1984 jährlich zu (Abb. 2). Dies ist einerseits durch die Zunahme von Inzucht und damit der Zunahme von Trägertieren erklärbar, aber auch durch eine verbesserte Diagnostik. Bis im Juni 2010 waren 82 Würfe mit z. T. mehreren Shunt- Hunden im gleichen Wurf in 15 verschiedenen Ländern bekannt. Eine Prädisposition für PSS beim Hovawart wurden in der Literatur das erste Mal 2002 (Bahr) und 2003 (Tobias und Rohrbach) erwähnt. Nach älteren Literaturangaben soll der intrahepatische PSS monogen autosomal rezessiv vererbt werden (Rothuizen 2002). 0.40% 0.30% 0.20% 0.10% 0.00% 1987-89 1990-92 1993-95 1996-98 1999-01 2002-04 2005-07 Geburtsjahr Abbildung 2: Prävalenz von kongenitalem portosystemischem Shunt beim Hovawart im Zeitraum von 1987 bis 2007. Als Gesamtpopulation wurden die Summe der Populationen von Deutschland ('Rassezuchtverein für Hovawart Hunde' und Hovawart Zuchtgemeinschaft, Deutschland'), Finnland, Niederlande, Schweden und der Schweiz definiert. Seite 4
Ziel der Studie Mit unserer Studie wollten wir die ursächliche Mutation für den intrahepatischen PSS beim Hovawart im Genom mit Hilfe einer 'Genomweiten Assoziationsstudie' lokalisieren und das mutierte Gen identifizieren. Diese Arbeiten sind eine wichtige Grundlage zur Entwicklung eines Gentests und eines gezielten Zuchtprogrammes zur Verringerung der Häufigkeit des PSS beim Hovawart. Datenmaterial Die Probensammlung begann 2000. Bis im Juni 2010 wurden am Institut für Genetik der Vetsuisse Fakultät der Universität Bern 953 Blutproben von Hovawart-Hunden eingelagert, von denen 232 Blutproben durch den RZV gesponsert wurden. Von diesen Hunden liegen alle erforderlichen Daten wie Zuchtbuchnummer, Geburtsdatum, Geschlecht, Farbe und Abstammung vor. Diese werden zusammen mit allen verfügbaren Krankheitsinformationen in eine Datenbank aufgenommen und laufend aktualisiert. 42 Proben aus 37 Würfen stammen von Hunden mit einem PSS. Eine Übersicht über die Datenstruktur gibt Tabelle 1. Hovawart-Hunde in der Gesamtanalyse 94 56 Rüden: 27 krank 29 gesund 38 Hündinnen 15 krank 23 gesund Schwarzmarken 26 Blond 21 Schwarz 8 Wildfarben 1 Schwarzmarken 24 Blond 10 Schwarz 4 Geburtsjahrgänge 1992-2009 Herkunft der Blutproben (Land des Besitzers) D CH NL S FIN A DK, I, GB, N, PL, SK 59 13 6 5 2 3 Je 1 Tabelle 1: Übersicht über die Datenstruktur der verwendeten 94 Blutproben von Hovawart-Hunden Seite 5
Methoden Positionelle Klonierungen können mit zwei verschiedenen experimentellen Ansätzen durchgeführt werden. Einerseits können sogenannten Kopplungsstudien in Familien durchgeführt werden. Dafür ist ein umfangreiches Familienmaterial notwendig. Anfangs 2007 lagen erst neun mehr oder weniger vollständige Würfe vor, so dass zum damaligen Zeitpunkt noch keine Analysen durchgeführt werden konnten. Andererseits sind ab ca. Ende 2007 genomweite Assozationsstudien technisch realisierbar geworden durch die Sequenzierung des Hundegenoms (Lindblad-Toh et al. 2005) und die Entwicklung von sogenannten SNP-Chips (single nucleotide polyphorphism), mit denen an einer DNA-Probe gleichzeitig bis zu 170'000 Einzelbasenaustausche (SNPs) genotypisiert werden können (Karlsson et al, 2007). Bei einer genomweiten Assoziationsstudie können die kranken und gesunden Hunde aus unterschiedlichem familiärem Umfeld stammen, was das Zusammenstellen der Proben stark vereinfacht, so dass heutzutage fast nur noch diese Methodik gewählt wird. Ergebnisse Für die Untersuchung des PSS haben wir zunächst 15 betroffene Hovawart-Hunde und 15 nicht-betroffene Hovawart-Hunde ausgewählt. Von jedem dieser Hunde wurde die DNA isoliert und ca. 50 000 genetische Marker (SNPs), untersucht. Anschliessend haben wir die Marker-Genotypen der Fälle mit den Genotypen der Kontrollen im Rahmen einer genomweiten Assoziationsstudie verglichen. In dieser Analyse zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen Fällen und Kontrollen. Daraufhin haben wir unser Probenmaterial erweitert und insgesamt 42 Fälle und 52 Kontrollen mit 170 000 Markern typisiert. Im Laufe der Analyse mussten einige Hunde aufgrund von unvollständigen Laboruntersuchungen bzw. unklaren Diagnosen von der Analyse ausgeschlossen werden. Die Analyse von 34 sicher diagnostizierten Fällen und 46 zuverlässigen Kontrollen ergab Hinweise auf einen genetischen Risikofaktor auf dem Chromosom 12. Daneben gab es noch einige schwächere Hinweise für weitere genetische Risikofaktoren auf den Chromsomen 5 und 10 und dem X-Chromosom. Seite 6
Genomweite Assoziationsstudien stellen ein statistisches Verfahren dar, bei dem auch falsch positive Signale erhalten werden können. In der Regel werden nur solche Signale weiterverfolgt, deren Irrtumswahrscheinlichkeit unter 5% liegt (p < 0.05). In unserer Analyse erreichte gerade ein einziger der 170 000 getesteten Marker mit einem p-wert von 0.048 dieses Signifikanzniveau. Aus unseren Arbeiten lassen sich folgende Schlussfolgerungen ableiten: (1) Der portosystemische Shunt beim Hovawart ist erblich. (2) Das Fehlen einer stärker signifikanten Assoziation spricht angesichts der grossen Zahl untersuchter Tiere sehr deutlich dafür, dass der intrahepatische PSS beim Hovawart nicht monogen autosomal rezessiv, sondern komplex vererbt wird. Vermutlich sind mehrere genetische Risikofaktoren beteiligt. (3) Die genetischen Untersuchungen werden dadurch erschwert, dass die Diagnose eines PSS sehr schwierig ist. Zudem sind die vorliegenden Daten sehr heterogen in Bezug auf ihre Herkunft (verschiedene Länder, Universitäten und Tierarztkliniken), so dass die Möglichkeit besteht, dass es zu Fehlern bei der Einteilung der Hunde in die Fall- und Kontroll-Kohorte kommt, die die Ergebnisse leicht verfälschen. (4) Die Identifikation eines genomweit signifikant assoziierten Genorts für PSS auf Chromosom 12 ist ein ermutigendes Zwischenergebnis, welches an einer unabhängigen Stichprobe bestätigt werden sollte. Ausblick Auch wenn diese Studie noch nicht zum Durchbruch für die Entwicklung eines Gentestes geführt hat, werden wir die Arbeit weiterführen. Auch bei einer komplexen Vererbung, von der wir beim PSS inzwischen ausgehen, kann man die genetischen Risikofaktoren identifizieren, allerdings müssen dazu noch wesentlich mehr Proben untersucht werden (mindestens 100 Fälle und 100 Kontrollen). Die Genotypen der vorliegenden Studie stellen eine wertvolle Grundlage für zukünftige Studien dar und können wieder verwendet werden. Schade ist, dass von den 82 Würfen, in denen in den vergangenen Jahren Shunt-Hunde diagnostiziert wurden nur gerade aus 37 Würfen Blutproben vorliegen. Seite 7
Zusätzlich zum Shunt-Projekt werden wir mit den gesammelten Blutproben noch Untersuchungen zur degenerativen Myelopathie, Sebadenitis, Hypothyreose und dem disharmonischen Zwergwuchs, ugs. "Radius curvus" durchführen. Die Studien zur degenerativen Myelopathie und der Hypothyreose werden in Zusammenarbeit mit der Universität Uppsala (Schweden) durchgeführt, wo weitere Proben von Hovawart-Hunden zur Verfügung stehen. Dank Die Autoren danken den beiden Hovawart-Rasseclubs ("Hovawart Zuchtgemeinschaft Deutschland e. V." und "Rassezuchtverein für Hovawart Hunde e. V.") ganz herzlich für die finanzielle Unterstützung. Ebenso gilt unser Dank der "Geselleschaft für kynologische Forschung", die dieses Projekt bewilligt hat. Besonders bedanken möchten wir uns bei allen Züchtern und Hunde-Besitzerinnen und -Besitzern, die uns Blutproben und die unentbehrlichen Krankheitsinformationen geschickt haben. Anschrift der Verfasser: Institut für Genetik Vetsuisse Fakultät der Universität Bern Bremgartenstrasse 109a 3001 Bern Schweiz http://www.genetics.unibe.ch/content/forschung/hund/index_ger.html Seite 8