Stadt-Land-Gegensatz die Grundlagen. Die politische Landschaft der Schweiz. Kapitel 1. Institut für öffentliches Recht, Uni Bern, 3.

Ähnliche Dokumente
swissuniversities ein gemeinsames hochschulpolitisches Organ Direkteinstieg Direkteinstieg Studienstädte Schweiz

Der lange Weg ins Parlament

Inequality Utilitarian and Capabilities Perspectives (and what they may imply for public health)

Die Frauen bei den Nationalratswahlen Werner Seitz

Stadt Luzern Parteienstärke aufgrund Parteistimmen Proporzahlen 1995 und 1996

NATIONALRATSWAHLEN: SCHRIFTLICHE ZUSATZBEFRAGUNG

Konkordanz und Konfliktlinien in der Schweiz, 1945 bis 2003

GRIPS - GIS basiertes Risikoanalyse-, Informations- und Planungssystem

Stossrichtungen und Herausforderungen Personenverkehr Jahreskonferenz EPF, Bern 14. März 2009

Swiss Quiz Wie viel weisst Du über die Schweiz? Beantworte die folgenden Fragen! Zeit: 20 min. / Einzelarbeit

TalkIT: Internet Communities Tiroler Zukunftsstiftung Donnerstag,

The poetry of school.

Weiterkommen mit PwC Ihre Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten

Einkommensaufbau mit FFI:

Adressenverzeichnis der IV-Stellen / Liste des adresses Office AI

Politisches System Schweiz

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Vertretungsstunde Englisch 5. Klasse: Grammatik

Challenges for the future between extern and intern evaluation

Digitale Aussenwerbung in der Schweiz

herzberg social housing complex green living

Stadt Luzern. Eingereichte Wahlvorschläge für den 2. Wahlgang

Univox Fahrerlaubnisse, PW s und Abos: Die Dynamik von Erwerb und Nutzung. Kay W. Axhausen

Pa.Iv. SchKG. Begrenzung des Konkursprivilegs für Arbeitnehmerforderungen

Daten haben wir reichlich! The unbelievable Machine Company 1

PROJEKT-PRÄSENTATION

Die Entwicklung der Bahninfrastruktur in der Schweiz (ZEB)

Field Librarianship in den USA

Bahn 2000 Die Schweizerischen Bundesbahnen

WAS IST DER KOMPARATIV: = The comparative

Klimawandel warum handeln wir nicht?

+ROLGD\V 1LYHDX$ )HUWLJNHLW+ UYHUVWHKHQ

2 German sentence: write your English translation before looking at p. 3

Symbio system requirements. Version 5.1

Lehrstuhl für Allgemeine BWL Strategisches und Internationales Management Prof. Dr. Mike Geppert Carl-Zeiß-Str Jena

Konsum und Verschuldung in der Schweiz

Einsatz einer Dokumentenverwaltungslösung zur Optimierung der unternehmensübergreifenden Kommunikation

B I N G O DIE SCHULE. Bingo card: Classroom Items abcteach.com

Critical Chain and Scrum

Modell zur Berechnung des verfügbaren Einkommens

Die Geographie der Kreativen Klasse in Brandenburg

Convenzione di Lugano revisionata Apertura della procedura di consultazione. Lista dei destinatari della procedura di consultazione. 1.

Nationalismen: Migration und Europäisierung/Globalisierung. Sieglinde Rosenberger Universität Wien

Geteilte Freude ist doppelte Freude: Die Digitale Bibliothek Ostschweiz

-Which word (lines 47-52) does tell us that Renia s host brother is a pleasant person?

Biel. Scrum Einführung mit «Electronical Newsletter» FH Biel, 12. Januar Folie Januar Frank Buchli

Mit den nachfolgenden Informationen möchte ich Sie gerne näher kennenlernen. Bitte beantworten Sie die Fragen so gut Sie können.

HIR Method & Tools for Fit Gap analysis

Extended Ordered Paired Comparison Models An Application to the Data from Bundesliga Season 2013/14

The English Tenses Die englischen Zeitformen

Bern mehr Dynamik wagen

Obligationen Schweiz / Obligations suisses / Obbligazioni svizzere Anleihen des Bundes / Emprunts de la Confédération / Prestiti della Confederazione

There are 10 weeks this summer vacation the weeks beginning: June 23, June 30, July 7, July 14, July 21, Jul 28, Aug 4, Aug 11, Aug 18, Aug 25

Stadt Luzern. Eingereichte Wahlvorschläge für den 2. Wahlgang

Ihr Zweiradplatz am Bahnhof. Ausbauprogramm SBB Personenverkehr Kombinierte Mobilität

Eindruecke von Ottos und Hannas ersten Besuch im Buki-Haus, Cidreag Nov 2015

Extract of the Annotations used for Econ 5080 at the University of Utah, with study questions, akmk.pdf.

Thema: Sonnenuhren (7.Jahrgangsstufe)

English grammar BLOCK F:

Anlauftext hören & Strukturen I lesen & Was machen Sie gern in Ihrer Freizeit? (5 Sätze)

Ein Schritt von zu Hause zur Arbeit

Geschichte der Schweiz

Präsentation "Gesundheitsmonitor 2007"

Durch grüne Produkte zu umweltbewussteren Konsumentinnen und Konsumenten? Wie man umweltfreundliche Produkte nachhaltig erfolgreich macht

Bewäl&gungsstrategien/von/Heranwachsenden/ im/umgang/mit/risiken/und/chancen/im/internet/ /

Städteranking. Andreas Güntert. 28. April 2011

Übersicht über die eidgenössischen und kantonalen Behörden, welche in Rechtsfragen zur Psychotherapie Auskunft erteilen können.

Wahlpuls Entwicklung der Parteien in den digitalen Medien. Farner Consulting AG Previon

Level 1 German, 2015

Urbanes Dorf Eine integrative Wohnanlage

Personalpronomen und das Verb to be

Häufigkeit des Vorlesens innerhalb einer Woche

Notice: All mentioned inventors have to sign the Report of Invention (see page 3)!!!

Erneuerungswahl des Nationalrats

6KRSSLQJDW&DPGHQ/RFN 1LYHDX$

Security Patterns. Benny Clauss. Sicherheit in der Softwareentwicklung WS 07/08

Wagner: Vorlesung Sozialpsychologie II

Sie kaufen und bauen oder wir bauen und Sie mieten.

Europe Job Bank Schülerumfrage. Projektpartner. Euro-Schulen Halle

Weiterbildungskolleg der Stadt Bielefeld Abendrealschule Fachbereich Englisch Frachtstraße Bielefeld

Geometrie und Bedeutung: Kap 5

Fach: Englisch Anzahl der Wochenstunden: 4

Flirt English Dialogue Transcript Episode Eight : On The Team

ugendmigrationsrat Local youth projects Youth Migration and Youth Participation Kairo/Menzel-Bourguiba/Fès/Bochum/Stuttgart

FOUNDATION CERTIFICATE OF SECONDARY EDUCATION UNIT 1 - RELATIONSHIPS, FAMILY AND FRIENDS (GERMAN) LISTENING (SPECIMEN) LEVEL 4.

Touristische Strategie für München

Aktuelle Daten aus der Religions und Kirchenstatistik der Schweiz

Der Wetterbericht für Deutschland. Read the weather reports and draw the correct weather symbols for each town.

Was meinen wir mit Abendland? Forum Politik und Religion Mittwoch, 18. März 2015

Strategische Bedeutung der Infrastruktur für die (Fach-)Hochschulen

Contents. Interaction Flow / Process Flow. Structure Maps. Reference Zone. Wireframes / Mock-Up

Sollen Tausende von Personen in der Schweiz Ihre Werbung sehen?

EU nimmt neues Programm Mehr Sicherheit im Internet in Höhe von 55 Millionen für mehr Sicherheit für Kinder im Internet an

Name: Klasse/Jahrgang: Standardisierte kompetenzorientierte schriftliche Reife- und Diplomprüfung HUM. 12. Jänner Englisch.

August Macke Abschied, 1914 Museum Ludwig, Köln

Inwiefern zeigen die Monophthong Vokalverschiebungen in Neuseeland Englisch Evidenzen von 'chain shifting'?

Identity Management. Rudolf Meyer

KRISEN- UND KRIEGSJAHRE IM WERDENBERG

&FAIRNESS NATURALINE FÜR FASHION

Notarielle Leistungen von unserem Büro in Berlin. Notarial Services. from our office in Berlin

Transkript:

Institut für öffentliches Recht, Uni Bern, 3. April 2012 Die politische Landschaft der Schweiz Forschungsstelle am Geographischen Institut Kapitel 1 Stadt-Land-Gegensatz die Grundlagen

Zwei Seiten der Urbanisierung Physische Urbanisierung Veränderung der Siedlungsstruktur Soziale und mentale Urbanisierung Veränderung von Habitus und Lebensweisen Gegensatz zwischen Stadt und Land «Land» «Stadt» Zur Definition und Beschreibung des Urbanen und der Urbanisierung dient das Ländliche als Kontrastbild.

Zwei Sichtweisen auf das Urbane Positiver Urbanitätsdiskurs Homo urbanus: kultiviert, artikuliert, vornehm, frei Homo rusticus: Grob, ungehobelt, unbeweglich Cicero 63 v. Chr., Rede vor dem römischen Volk Die Stadt (Rom) als Wiege der Kultur und der gebildeten Lebensart. Das Urbane als höhere Form der Vergesellschaftung. Zwei Sichtweisen auf das Urbane Negativer Urbanitätsdiskurs «...ein neuer Nomade, ein Parasit, der Großstadtbewohner, der reine, traditionslose, in formlos fluktuierender Masse auftretende Tatsachenmensch, irreligiös, intelligent, unfruchtbar, mit einer tiefen Abneigung gegen das Bauerntum.» Oswald Spengler (1880-1936): «Der Untergang des Abendlands»

Idealisierung des Ländlichen Heidi-Romane Ländliche Dorfgemeinschaft einfach und echt natürlich und gesund (Clara) Geborgenheit und sozialer Halt Johanna Spyri (1827-1901): Autorin der Heidi-Romane Grossstadt anonym und entfremdet künstlich und materialistisch Von bürgerlichen Zwängen bestimmt (Frl. Rottenmeier) Idealisierung des Ländlichen in der Schweiz Die Hintergründe Schweiz ist der einzige europäische Staat, der sich nicht von einem Zentrum aus entwickelt hat. Pflege der Ur-Schweiz zur Einbindung der Katholisch-Konservativen nach 1848. «Dörflischweiz» und «Landigeist» als Ausdruck der geistigen Landesverteidigung ab 1939. 1. Unspunnenfest 1805 in Interlaken Pflege des ländlichen Images für touristische Zwecke.

Simmels Grossstadtmensch «[..] so ist heute, in einem vergeistigten und verfeinerten Sinn, der Großstädter frei im Gegensatz zu den Kleinlichkeiten und Präjudizierungen, die den Kleinstädter einengen.» Die Großstädte und das Geistesleben, 1903 Georg Simmel (1858-1916): Begründer der Stadtsoziologie Urbane Freiräume «Stadtluft macht frei» Christopher Street Day, Zürich

Simmels Grossstadtmensch Intellektualität Die Grossstädter durchdringen alle Beziehungen mit rationalem Kalkül. Intellektualität als Schutz. Blasiertheit Die Grossstädter wiegen sich in der Gewissheit, alles schon einmal erlebt zu haben, nichts kann sie mehr überraschen. Georg Simmel (1858-1916): Begründer der Stadtsoziologie Reserviertheit Der ständige Kontakt mit einer Vielzahl fremder Menschen zwingt die Grossstädter zu einer Distanziertheit gegenüber den anderen, die sich bis zu einer leisen Aversion steigern kann. nach Häussermann/Siebel 2004 Wichtige Spannungsfelder Gruppenbildung: Gemeinschaft vs. Gesellschaft Gemeinschaft: Der Einzelne als willentlicher Teil des Ganzen Gesellschaft: Das Ganze als Mittel individueller Zwecke Soziale Sphären: Öffentlichkeit Privatheit Privatheit: Intime Sphäre der emotionalen Beziehung Öffentlichkeit: Ort der distanzieren, stilisierten und rationalisierten Begegnungen Vgl. Ferdinand Tönnies 1887: «Gemeinschaft und Gesellschaft»

Wichtige Spannungsfelder «Land» «Stadt» Gruppenbildung Gemeinschaft Gesellschaft Soziale Sphären Überlagerung öffentlich-privat Polarisierung öffentlich-privat Ökonomische und soziokulturelle Urbanität Ökonomische Urbanität Verkehrsknoten (Autobahn, Flughafen, S-Bahn usw.) Hoher Tertiarisierungsgrad (Informatik, F&B, Finanzdienstleistungen, HQ) Shopping Soziokulturelle Urbanität Kernstädtische Wohnstrukturen (Blockrand, Lofts usw.) Fussläufigkeit (Boulevard, Fussgängerzonen, Gewerbliche Parterrenutzung) Night-Time Economy (Bars, internationale Gastronomie, Kinos, Theater, Oper usw.)

Kapitel 2 Der politische Stadt-Land- Gegensatz Der politische Raum Modernisierungsachse liberal links rechts Verteilungsachse konservativ Durchschnittlich neun Abstimmungen pro Jahr 16!

Die politische Landkarte der Schweiz 17! Wirtschafts- und sozialgeografischer Gegensatz Wirtschaftsgeografischer Stadt-Land-Gegensatz Sozialgeografischer Stadt-Land-Gegensatz Regionalisierung der Wirtschaft Gegensatz zwischen zentralen und peripherien Regionen Regionalisierung des Wohnens Gegensatz zwischen Kernstadt und Agglo- Gürtel

Politische Stadt-Land-Gegensätze Kernstadt vs. Umland Zentrum vs. Peripherie Grundlage des wirtschaftsgeographischen Gegensatzes 20!

Grundlage des sozialgeographischen Gegensatzes Soziokulturelle Spezialisten Kommunikationsbranche Kommerzielle Dienste Finanzbranche 21! Sozialgeographischer Gegensatz Suburbia Wohneigentum Privatsphäre / Ruhe soziale Homogenität Trennung von Wohnen und Arbeiten Privatverkehr Kernstadt Mietwohnung Immissionen Multikulturalität Öffentliches Leben Nähe von Wohnen, Arbeiten u. Freizeit ÖV Privatheit Materialismus Öffentlichkeit Postmaterialismus

Nachbarschaftseffekt 23! «we have seen that living in a neighborhood with high concentrations of people of the same status will accentuate the effect of that status as a source of political behavior. For people with a particular status who live among people with statuses providing counter-forces there is an erosion of the effect of their own status on their political behavior.» The Effect of Neighborhood on Voting Behavior Irving S. Foladare (1968): Political Science Quarterly, Vol. 83, No. 4 Kapitel 3 Wandel der politischgeographischen Landschaft

Selbstverstärkende Segregation 25! 2. Verstärkung des Profils der Nachbarschaft bzw. des Standorts 3. Steigerung der Anziehungs-/ Abstossungskraft Sozialgeografisches Milieu soziale/ethnische Gruppe 1. Zu-/Abwanderung Implikationen der politischen Segregation 26! «as Democrats and Republicans separate geographically, they become more distrustful of one another» «as communication between members of the parties diminishes, the two sides come to see each other as more extreme or radical. Republicans describe Democrats as more liberal than Democrats see themselves; and Democrats paint Republicans mor conservative than Republicans would describe their political preferences.» Bill Bishop, The Big Sort 2008, S.73

Entwicklung einer kreativen Klasse Soziokulturelle Spezialisten Kommunikationsbranche Kommerzielle Dienste Finanzbranche Richard Florida (2002): The Rise of the Creative Class: And How it s transforming work, leisure, community and everyday life. 27! Entwicklung 1985 bis 2010 28!

Neue Hauptkonfliktlinie 29! Von der Verteilungs- zur Modernisierungsachse Links-Rechts-Verschiebung der Städte (2007-2011) 1. Lausanne 2. Freiburg 3. Neuchâtel 4. Bern 5. Genève 6. Biel/Bienne 7. Basel 8. Zürich 9. Winterthur 10. Luzern 11. St. Gallen 12. Sion 13. Schaffhausen 14. Zug 15. Lugano 16. Chur Schweiz Links 35 40 Datenbasis: Ergebnisse der Nationalratswahlen Mitte 45 50 Rechts 30!

Exkurs: Kulturelle Unterschiede Romandie Deutschschweiz Exkurs: Sozialpolitik in historischer Perspektive AHV-Alter 62 60 Flexibles AHV-Alter 40 Gegen Erhöhung AHV-Alter 40-Stunden-Woche 20 40-Stunden-Woche Senkung des AHV-Alters 0 1920 1940 1960 1980 2000 Deutschschweiz Romandie

Kapitel 4 Die Parteien im politgeographischen Kontext Liberal Links Rechts Konservativ

Kanton Zürich Wählerstärke Kanton Zürich Wählerstärke

Kanton Zürich Wählerstärke Liberal Links Rechts Konservativ

Kanton Wallis Wählerstärke Schaffhausen" SP!! Links" Rechts" Links-Rechts-Index gebildet aus eidg. Volksabstimmungen" Parteienstärke bei Nationalratswahlen"

Jura" Schaffhausen" SP! Links" Rechts" Links-Rechts-Index gebildet aus eidg. Volksabstimmungen" Parteienstärke bei Nationalratswahlen" Die Entwicklung der politischen Lager 1991 1995 1999 2003 2007 Vier politische Lager Durch die Gruppierung werden langfristige Wählerverlagerungen zwischen den Lagern sichtbar. SPS GPS PdA CSP Sol. SGA usw. CVP EVP glp LdU. FDP LPS SVP EDU Lega SD FPS

Nationalisierung der Parteienlandschaft Deutschschweiz lateinische Schweiz reformierte Tradition katholische Tradition Ideologische Entmischung 1995 CVP 1995 gab es kaum Unterschiede in der politischen Orientierung der drei grossen bürgerlichen Parteien. Die SVP beendete die Phase der Koexistenz unter den bürgerlichen Parteien und profilierte sich als die konservative Kraft Links SP FDP SVP Rechts 2007 2007 dominierte die SVP bei den rechts orientierten Wählern CVP und FDP sind nur die Wähler in der Mitte geblieben SP SVP Links Quelle: selects Wahlstudien 2008 Rechts