L Ä T T E R. Das Hambacher Fest - 27. Mai 1832 R H E I N L A N D - P F A L Z



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Transkript:

R H E I N L A N D - P F A L Z BB B L Ä T T E R Z U M L A N D 2 99 Das Hambacher Fest - 27. Mai 1832 Die Lage in der Pfalz Es gab um 1830 in den Staaten des deutschen Bundes, die sich nach dem Lied von Hoffmann von Fallersleben noch von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt erstreckten, kein Gebiet, in dem man so frei lebte wie in der bayerischen Pfalz. Grundlage dieser Freiheit war zum einen die große Französische Revolution und zum anderen die bayerische Verfassung. Mit den Heeren der Französischen Revolution hatten die Grundsätze der bürgerlichen Freiheit und der Rechtsgleichheit in der Pfalz und überhaupt auf dem linken Rheinufer Geltung erlangt. Da das linksrheinische Gebiet seitdem bis 1814/15 zu Frankreich gehörte, wurde hier das französische Recht eingeführt, wie Napoleon es gesetzt hatte. Es machte die Richter von der Verwaltung unabhängig und unabsetzbar und führte das öffentliche und mündliche Gerichtsverfahren ein. Die Wohnung war unverletzlich, die Pressefreiheit war kaum eingeschränkt. Die bayerische Verfassung von 1818 garantierte den Pfälzern ihr französisches Recht, das diese wegen seiner Freiheiten sehr schätzten. Für die Pfalz war, stärker als für die anderen deutschen Gegenden, Paris das politische Zifferblatt Europas. Dorthin schaute man, um festzustellen, was die Uhr geschlagen hatte. Und diese Uhr hatte im Juli 1830 eine neue Revolution angezeigt, durch die die Bourbonen vom französischen Thron vertrieben wurden und der Bürgerkönig Louis Philipp zur Herrschaft kam. Sollte eine solche Umwälzung, ein Sturz der alten Gewalten, nicht auch in Deutschland möglich sein? Die Polenflüchtlinge, die seit dem Herbst 1831 in Scharen durch die Pfalz kamen, wurden dort mit herzlicher Gastfreundschaft empfangen.

Man sah in den Polen Leidens- und Gesinnungsgenossen, vielleicht sogar Vorbilder. Sie hatten den Aufstand gewagt, und man selbst duckte sich noch. Allerdings waren in der Pfalz zu Beginn der 30er Jahre schon eine Reihe revolutionärer Signale auszumachen. Freiheitsbäume wurden gepflanzt zur Erinnerung an die Jahre nach 1789. Spottlieder gegen die Regierung wurden gesungen, die Befreiung politischer Gefangenen wurde versucht, ohne dass die Staatsmacht dagegen einschritt. Zum politischen Zündstoff kam in der Pfalz noch wirtschaftlicher Ärger über eine Mautlinie (= Zolllinie), durch die die Pfalz seit 1829 eingefasst wurde. Das hing damit zusammen, dass zwischen dem preußischhessischen Zollverein, dem Vorläufer des deutschen Zollvereins von 1834, und dem bayerisch-württembergischen Zollverein auch für das linksrheinische Gebiet eine Zollgrenze eingeführt wurde. Für die Pfälzer bedeutete dies, dass sie ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse, vor allem ihren Wein, nicht mehr ohne weiteres rheinabwärts ausführen konnten. Damit verloren sie ein Hauptabsatzgebiet. Die Maut machte in der Pfalz auch die Bauern rebellisch, die größte Bevölkerungsgruppe in der damaligen Zeit. Im übrigen Deutschland dagegen war und blieb die bäuerliche Bevölkerung konservativ. Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Johann Georg August Wirth, zwei Journalisten, machten sich zu den Sprechern der Unzufriedenen in der Pfalz. Siebenpfeiffer war ursprünglich bayerischer Verwaltungsbeamter (Landrat in Homburg) gewesen, hatte dann aber den Staatsdienst verlassen und sich ganz dem Journalismus gewidmet. Wirth war aus München in die Pfalz gekommen, um sich nicht ständig mit Zensur, Polizei und Gericht herumschlagen zu müssen. Aber auch hier hatte er zunehmend Schwierigkeiten mit den Behörden bei der Herausgabe seiner Zeitschrift. Abb. oben: Philipp Jakob Siebenpfeiffer Abb. unten: Johann Georg August Wirth 2

Vorbereitungen zum Fest Der 26. Mai wurde in Bayern seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts als Verfassungstag gefeiert, an dem man der bayerischen Verfassung von 1818 gedachte. Zum Verfassungstag des Jahres 1832 lud Anfang April die Speyerer Zeitung auf das Hambacher Schloß ein, eine Ruine, die einige Bürger aus Neustadt a.d. Haardt (heute: Neustadt a.d. Weinstraße) aus Staatsbesitz erworben hatten, um an diesem beliebten Aussichtspunkt Wanderer zu bewirten. Sobald die Einladung zum Verfassungsfest erschienen war, setzte sich Siebenpfeiffer, der am Fuße des Hambacher Schlossberges wohnte, mit einem Kreis liberal und national gesinnter Männer aus Neustadt zusammen, um einen Gegenaufruf zu verfassen. Er erschien am 27. April und lud ein zu einem deutschen Nationalfeste für den 27. Mai, um in einer großen Volksversammlung... auf der Schloßruine Hambach... den Grundstein zur Wiedergeburt Deutschlands zu legen. Siebenpfeiffer und seine Freunde wollten nicht Erreichtes feiern, sondern Neues anstreben. Der Text des Einladungsschreibens war geprägt von einer leidenschaftlichen Erregung, sprach Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges an, blieb aber in seiner Zielbeschreibung sehr offen. Dass bei dem Hambacher Fest nicht nur politische Aktivitäten entfaltet werden sollten, sondern auch Geselligkeit zum Zuge kommen würde, das war sicher; denn beides gehörte damals zusammen. Um 1830 war es nicht ohne weiteres möglich, eine politische Versammlung einzuberufen oder zu einer Demonstration aufzufordern. Das wusste die Polizei zu verhindern. Deswegen war nach 1815 zuerst in Frankreich und dann in anderen kontinental-europäischen Ländern die Sitte aufgekommen, Bankette zu organisieren, die offiziell dem guten Essen und Trinken gewidmet waren, bei denen aber eifrig politisiert und sehr deutlich geredet wurde. Die Bankette waren also eine politische Demonstration in dem unverfänglichen Gewand einer gesellschaftlichen Veranstaltung. In diesem Sinne sind auch die volksfestartigen Züge des Hambacher Festes, die gedeckten 3

Tafeln im inneren Burgring (16 Tische mit je 160 Gedecken) zu verstehen. Kaiserslautern her in Neustadt einritt. Aus Heidelberg kam eine starke studentische Abordnung (etwa 300), der man an der Rheinschanze, dem heutigen Ludwigshafen am Rhein, zunächst den Eintritt in die bayerische Pfalz verwehren wollte. Aber schließlich wurden die Studenten doch eingelassen, als ein Frankenthaler Kaufmann sich bei den Grenzwachen für ihre Friedfertigkeit verbürgte. Karte zum Mittagsmahl beim Hambacher Fest. (Quelle: Historisches Museum der Pfalz, Speyer) Über die Zahl der Teilnehmenden am Hambacher Fest gibt es unterschiedliche Angaben. Sie schwanken zwischen 25.000 und 30.000. Für die damalige Zeit war eine so stark besuchte Veranstaltung etwas Ungewöhnliches, Beeindruckendes (aus der Sicht der Freunde des Festes), Bedenkliches (aus der Sicht der Regierungen). Auch in organisatorischer Hinsicht sprengte das Hambacher Fest jeden damals vorstellbaren Rahmen in Deutschland. Es kamen so viele Menschen zusammen, dass die Lebensmittel in Neustadt und Umgebung knapp wurden. Zum Übernachten genügten die Neustadter Gasthausbetten bei weitem nicht. Viele schliefen in Privatquartieren, und in Sälen, auch in Schulsälen, wurden auf Stroh Massenquartiere eingerichtet. Die Festteilnehmenden kamen zum großen Teil aus der Umgebung von Neustadt, das heißt aus dem Raum, aus dem es möglich war, ohne Übernachtung am Hambacher Fest teilzunehmen. Viele kamen auch aus dem Westen der Pfalz. Es wird zum Beispiel berichtet, dass Wirth an der Spitze eines großen Wagenzuges von 4 Es kamen Teilnehmende aus dem rechtsrheinischen Bayern, aus Württemberg, Baden, aus Rheinpreußen, Westfalen, Hannover, aus Frankfurt am Main und aus Straßburg im Elsaß. Am Hambacher Fest nahmen auch eine Reihe von Polen teil und als Ehrengast der jüdische Schriftsteller Ludwig Börne, der aus Paris gekommen war. Das Hambacher Fest war, wenn man die Festteilnehmenden betrachtet, wirklich ein deutsches Nationalfest, und die Anwesenheit ausländischer Gäste machte deutlich, dass die Ziele, die in Hambach für Deutschland proklamiert werden sollten, die gleichen waren, denen die liberalen und nationalen Kräfte in Frankreich und in Polen zustrebten. Verlauf des Festes Am 27. Mai marschierte der Festzug unter Glockengeläute und Böllerschüssen vom Neustadter Marktplatz zur Schlossruine nach Hambach. Zuerst kam eine Abteilung der Bürgergarde mit Musik. Ihr folgten Frauen und Jungfrauen mit der polnischen Fahne, letztere getragen von einem Fähnrich, der mit einer weiß-roten Schärpe geschmückt war. (Weiß und Rot, die polnischen Farben.)

In schier endlosen Reihen zog eine bunte Menge freiheitsliebender Menschen den Weg zum Hambacher Schloß herauf. Aus allen Winkeln Deutschlands kamen sie herbei und strömten den Berg hinauf. (Quelle: Landesmedienzentrum Koblenz) Daran schloss sich eine zweite Abteilung Bürgergarde an, dann kam eine Abteilung der Festordner, von welchen jeder eine Schärpe aus Schwarz, Rot und Gold trug, in der Mitte die deutsche Fahne mit der Inschrift Deutschlands Wiedergeburt. Es folgte der Landrat Rheinbaierns, also Mitglieder des provinziellen Repräsentativorgans der Pfalz. Ihnen schlossen sich die anderen Festbesucherinnen und -besucher an. Eine endlose Reihe von Menschen, bunt durch zahlreiche schwarzrot-goldene Kokarden, Schärpen und Fahnen, zog singend den Weg zum Hambacher Schloß hinauf. Auch einige schwarze Fahnen waren zu sehen, mit denen die Bauern gegen die Maut demonstrierten. Sobald der Festzug oben angekommen war, wurde die schwarz-rot-goldene Fahne auf dem höchsten Turm der Ruine gehisst, während die weiß-rote polnische Fahne etwas tiefer am Schlosseingang aufgezogen wurde. Dann begannen die Reden jenes Tages. Siebenpfeiffer und Wirth, die Initiatoren des Festes, kamen zuerst zu Wort. Siebenpfeiffer forderte, dass die Deutschen sich nicht mehr wie Knechte unter das Joch ihrer Fürsten beugen sollten. 5

Er prophezeite ein wirtschaftlich geeintes Europa, in dem Frauen und Männer gleichberechtigt seien und in dem das Volk seine nationale Einheit durchsetzen werde; er schloss mit den Worten: Es lebe das freie, das einige Deutschland! Hoch leben die Polen, der Deutschen Verbündete! Hoch leben die Franken, der Deutschen Brüder, die unsere Nationalität und unsere Selbständigkeit achten! Hoch lebe jedes Volk, das seine Ketten bricht und mit uns den Bund der Freiheit schwört! Vaterland - Volkshoheit - Völkerbund hoch! Auch Wirth forderte Freiheit und staatliche Einheit für das deutsche Volk. Aber er lehnte im Gegensatz zu Siebenpfeiffer jede Unterstützung durch Frankreich ab, weil er in Frankreich immer noch die Kräfte an der Macht glaubte, die es auf die Annexion des linken Rheinufers abgesehen hatten. Für den Fall eines französischen Eingreifens sagte er sogar das Zusammengehen aller Deutschen, unabhängig von ihrer politischen Einstellung, gegen den westlichen Nachbarn voraus und eine Rückgewinnung von Elsaß und Lothringen für das geeinte Deutschland. Die Straßburger Delegation bezeichnete Wirths Sorgen um eine französische Expansionspolitik sogleich als unbegründet und versicherte den deutschen Festteilnehmenden, dass sie auf die uneigennützige Unterstützung der französischen Gesinnungsgenossen bei der Verwirklichung eines deutschen Verfassungsstaates und der nationalen Einheit rechnen könnten. Am Nachmittag wurde in Hambach weiterdebattiert. So muss man es wohl bezeichnen angesichts der Tatsache, dass nun eine ganze Reihe von Rednern auftrat, dass aber keiner mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Festteilnehmenden gewinnen konnte. Gerade bei diesen Reden am Nachmittag des 27. Mai zeigte sich der Grundzug des Hambacher Festes: es war ein Diskussionsforum auf dem verschiedene Auffassungen von der Gegenwart und Zukunft vorgetragen wurden. In den Reden des 27. Mai hörte man die liberale Tendenz, der es um den Verfassungsstaat und die Volkssouveränität in Deutschland ging, die nationale Tendenz, der es um die Gründung eines deutschen Nationalstaates aller Deutschen ging, die internationale Tendenz, die für alle Völker, vor allem für das polnische, die gleichen Rechte und Freiheiten forderte wie für das deutsche, die revolutionäre Tendenz, die Aktionen zur sofortigen, notfalls gewaltsamen Durchsetzung der liberalen und nationalen Ziele anstrebte, die evolutionäre Tendenz, die durch die Veränderung des öffentlichen Bewusstseins die Entwicklung zum nationalen Verfassungsstaat in Gang bringen wollte, die emanzipatorische Tendenz, die die politische und bürgerliche Gleichberechtigung der Frauen anstrebte, die humanitäre Tendenz, die in allen Menschen Brüder sah, deren Glück und Unglück unmittelbar mit dem eigenen Schicksal verbunden sei, die Tendenz der religiösen Toleranz, für die ein Antisemitismus undenkbar war. Ausdruck dieser 6

Tendenz war es, dass Börne als Ehrengast des Hambacher Festes mit einem Fackelzug ausgezeichnet wurde. Dass die soziale Frage in Hambach nicht erwähnt wurde, ist nicht erstaunlich; denn 1832 hatte die Industrialisierung Deutschland nur in ersten Ansätzen erfasst, so dass die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Industrialisierung noch nicht in Erscheinung getreten waren. Eine der vier erhaltenen Hambacher Fahnen im Heimatmuseum Neustadt. Folgen des Festes 7 Am 1. Juni 1832 ging das Hambacher Fest zu Ende. Die Fahnen wurden eingeholt, nach Neustadt zurückgebracht und einem Bürger zur Aufbewahrung übergeben. Die polnischen Flüchtlinge, die als Gäste am Hambacher Fest teilgenommen hatten, dankten in bewegten Worten für das Mitgefühl, das man ihrer Nation im Kampf gegen die russische Unterdrückung entgegenbrachte, und versprachen den Deutschen die brüderliche Hilfe der Polen beim Kampf um den Verfassungsstaat und die nationale Einheit in Deutschland. Metternich, der mächtige österreichische Staatskanzler, war über das Hambacher Fest empört, mit ihm die preußische und russische Regierung. Auf Metternichs Betreiben rückten bayerische Truppen in die Pfalz ein, wurde die Pressefreiheit weiter eingeschränkt, die Polizeiaufsicht verstärkt. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 wurden wieder belebt und den Hambachern wurde der Prozess gemacht. Siebenpfeiffer und Wirth und sechs weitere Angeklagte, die nicht rechtzeitig aus Bayern geflohen waren, wurden im Sommer 1833 vor ein Schwurgericht gestellt, das in Landau tagte, einer Festung mit starker Garnison. Die beiden Hauptangeklagten nutzten die Gelegenheit, ihre politischen Ziele in langen Verteidigungsreden vor interessierten und applaudierenden Zuhörern darzustellen. Die Geschworenen sprachen die Angeklagten frei von der Anklage, zum unmittelbaren Sturz der Regierung aufgefordert zu haben. In einem anschließenden Prozess vor dem Zuchtpolizeigericht erhielten Siebenpfeiffer und Wirth wegen Beleidigung in- und ausländischer Behörden die zulässige Höchststrafe von zwei Jahren Haft. Siebenpfeiffer floh aus dem Gefängnis in die Schweiz, wo er einige Jahre an der Universität Bern lehrte. Auch Wirth kam nach Verbüßung seiner Strafe in die Schweiz. Von 1847 an durfte er wieder in Deutschland leben. Vor seinem Tode 1848 konnte er noch als Abgeordneter für den Wahlkreis Reuß- Schleitz-Lobenstein in die Paulskirche einziehen.

Landeszentrale für Am 27. Mai 1848, auf den Tag genau nach 16 Jahren, fand auf dem Hambacher Schloß eine Solidaritätskundgebung für die Frankfurter Paulskirchenversammlung statt. Diese Veranstaltung reiht sich ein in die Folge der Gedenkfeiern, die die Bestrebungen des Hambacher Festes von 1832 wach halten wollten. Hambach war ein Brennpunkt, in dem alle politischen Kräfte sichtbar wurden, die mit der bestehenden Ordnung in Deutschland nicht zufrieden waren. Hambach war eine breite Diskussionsebene, auf der viele Tendenzen nebeneinander wirkten, die alle von der Überzeugung ausgingen, dass der Grundsatz der Volkssouveränität mit der Vorstellung vom Gottesgnadentum fürstlicher Herrschaft nicht zu vereinbaren sei. Hambach war eine Welt von Gedanken, die alle Elemente der Zukunft enthielt, noch ungeordnet und noch unbeengt durch die Notwendigkeiten der politischen Praxis. Nach 1949 schlug die Bundesrepublik Deutschland eine Brücke zu den Ereignissen von Hambach, indem sie die dritte Strophe des Deutschlandliedes, das Hoffmann von Fallersleben 1844 gedichtet hatte, zur Nationalhymne bestimmte. Diese Strophe mit ihren Idealen von Einigkeit und Recht und Freiheit, mit ihrem Wunsch nach friedlichem Gedeihen des deutschen Volkes im Kreise der Völker trifft genau den Kern der Wünsche, die 1832 in Hambach im Mittelpunkt des Festes gestanden hatten. 8 Das Hambacher Schloss heute. Mit maßgeblicher Hilfe des Landes Rheinland-Pfalz wurde das Hambacher Schloß in den Jahren 1980-1982 zu einer nationalen Gedenk- und Begegnungsstätte um- und ausgebaut. Zur 150-jährigen Wiederkehr des Hambacher Festes 1982 eröffnete die Landeszentrale für politische Bildung mit ihrem Hambacher Disput ein seither alljährlich wiederkehrendes Diskussionsforum, das den Traditionen des Hambacher Festes verpflichtet ist. DIETER GUBE (NACH DR.G.A.SÜß) Politische Bildung Rheinland - Pfalz Herausgeberin: Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, Am Kronberger Hof 6, 55116 Mainz